»Nicht hofft, den Himmel jemals zu gewahren.
Ich komm’, euch jenseits hin an das Gestad’
In ew’ge Nacht, in Hitz’ und Frost zu fahren.
Und du, lebend’ge Seele, die genaht,
Mußt dich von diesen, die gestorben, trennen!« –
Dann, da er sah, daß ich nicht rückwärts trat:
»Hier kann ich dir den Übergang nicht gönnen, Für dich geziemen andre Wege sich,
Ein leichtrer Kahn nur wird dich tragen können.«
Virgil drauf: »Charon, nicht erbose dich.
Dort, wo der Wille Macht ist, ward’s verhangen; Dies sei genug, nicht weiter frage mich.«
Hierauf ließ ruhen die bewollten Wangen
Des fahlen Sumpfs erzürnter Steuermann,
Des Augen Flammenräder rings umschlangen.
Da hob grau’nvolles Zähneklappen an,
Und es entfärbten sich die Tiefgebeugten, Seit Charon jenen grausen Spruch begann.
Sie fluchten Gott und denen, die sie zeugten, Dem menschlichen Geschlecht, dem Vaterland, Dem ersten Licht, den Brüsten, die sie säugten.
Dann drängten sie zusammen sich am Strand, Dem Schrecklichen, zu welchem alle kommen, Die Gott nicht scheu’n, und laut Geheul entstand.
Charon, mit Augen, die wie Kohlen glommen, Winkt’ ihnen und schlug mit dem Ruder los, Wenn einer sich zum Warten Zeit genommen.
Gleich wie im Herbste bei des Nordwinds Stoß Ein Blatt zum andern fällt, bis daß sie alle Der Baum erstattet hat dem Erdenschoß;
So stürzen, hergewinkt, in jähem Falle
Sich Adams schlechte Sprossen in den Kahn, Wie angelockte Vögel in die Falle.
Durch schwarze Fluten geht des Nachens Bahn, Und eh’ sie noch das Ufer dort erreichen, Drängt hier schon eine neue Schar heran.
»Mein Sohn,« sprach mild der Meister, »die erbleichen In Gottes Zorne, werden alle hier
Am Strand vereint aus allen Erdenreichen.
Man scheint zur Überfahrt sehr eilig dir, Doch die Gerechtigkeit treibt diese Leute Und wandelt ihre bange Furcht in Gier.
Kein guter Geist macht diese Fahrt; und dräute Dir Charon, weil du hier dich eingestellt, So kannst du wissen, was sein Wort bedeute« –
Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld, Daß mich noch jetzt Schweißtropfen übertauen, Sooft dies Schreckensbild mich überfällt.
Ein Windstoß fuhr aus den betränten Auen, Und blitzt’ ein rotes Licht, das jeden Sinn Bewältigte mit ungeheurem Grauen,
Und, wie vom Schlaf befallen, stürzt’ ich hin –
Vierter Gesang
Mir brach den Schlaf im Haupt ein Donnerkrachen, So schwer, daß ich zusammenfuhr dabei,
Wie einer, den Gewalt zwingt, zu erwachen.
Ich warf umher das Auge wach und frei,
Emporgerichtet spähend, daß ich sähe
Und unterschied’, an welchem Ort ich sei.
So fand ich mich am Talrand, in der Nähe Des qualenvollen Abgrunds, dessen Kluft
Zum Donnerhall vereint unendlich Wehe.
Tief war er, dunkel, nebelhaft die Luft, Drum wollte nichts sich klar dem Blicke zeigen, Den ich geheftet an den Grund der Gruft.
»Laß uns zur blinden Welt hinunter steigen, Ich bin der Erste, du der Zweite dann.«
So sprach Virgil, um drauf erblaßt zu schweigen.
Ich, sehend, wie die Bläss’ ihn überrann, Sprach: Scheust du selber dich, wie kann ich’s wagen Der Trost im Zweifel nur durch dich gewann?
Und er zu mir: »Des tiefen Abgrunds Plagen Entfärben mir durch Mitleid das Gesicht, Und nicht, so wie du meinst, durch feiges Zagen.
Fort, zaudern läßt des Weges Läng’ uns nicht.«
So ging er fort und rief zum ersten Kreise Mich auch hinein, der jene Kluft umflicht.
Mir schien, nach meinem Ohr, des Klanges Weise, Der durch die Luft hier bebt’ im ew’gen Tal, Nicht Klaggeschrei, nur Seufzer dumpf und leise.
Und dieses kam vom Leiden ohne Qual
Der Kinder, Männer und der Frau’n, in Scharen, Die viele waren und von großer Zahl –
Da sprach der Meister: »Willst du nicht erfahren, Zu welchen Geistern du gekommen bist?
Bevor wir fortgehn, will ich offenbaren, Daß sie nicht sündigten; doch g’nügend mißt Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf entbehrten, Die Pfort’ und Eingang deines Glaubens ist.
Und lebten sie vor Christo auch, so ehrten Sie doch den Höchsten nicht, wie sich’s gebührt; Und diese Geister nenn’ ich selbst Gefährten.
Nur dies, nichts andres hat uns hergeführt.
Daß wir in Sehnsucht ohne Hoffnung leben, Ward uns Verlornen nur als Straf erkürt.«
Groß war mein Schmerz, als er dies kundgegeben, Denn Leute großen Wertes zeigten sich,
Die unentschieden hier im Vorhof schweben.
Und ich begann: Mein Herr und Meister, sprich (Ich wollte mich in jenem Glauben stärken, Vor dessen Licht des Irrtums Nacht entwich), Kam keiner je durch Kraft von eignen Werken, Durch fremd Verdienst von hier zur Seligkeit? –
Er schien des Worts versteckten Sinn zu merken Und sprach: »Ich war noch neu in diesem Leid, Da ist ein Mächtiger hereingedrungen.
Bekrönt mit Siegesglanz und Herrlichkeit.
Der hat des Urahns Geist der Höll« entrungen, Auch Abels, Noahs; und auch Moses hat,
Der Gott gehorcht, mit ihm sich aufgeschwungen.
Abram und David folgten seinem Pfad,
Jakob, sein Vater, seine Söhne schieden, Und Rahel auch, für die so viel er tat.
Sie und viel andre führt’ er ein zum Frieden, Und wissen sollst du nun: Vor diesen war Erlösung keinem Menschengeist beschieden.«
Obwohl er sprach, ging’s vorwärts immerdar, So daß wir unterdes den Wald durchdrangen, Den Wald, mein’ ich, der dichten Geisterschar.
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