Die Harzreise

Die Harzreise, by Heinrich Heine
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Title: Die Harzreise
Author: Heinrich Heine
Editor: Otto F. Lachmann
Release Date: January 11, 2008 [EBook #24249]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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Die Harzreise
Von
Heinrich Heine
Nach Adolph Strodtmanns Handexemplar berichtigt und
herausgegeben
von
Otto F. Lachmann
Leipzig
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
Schwarze Röcke, seidne Strümpfe, Weiße höfliche Manschetten,
Sanfte Reden, Embrassieren -- Ach, wenn sie nur Herzen
hätten!
Herzen in der Brust, und Liebe, Warme Liebe in dem
Herzen -- Ach, mich tötet ihr Gesinge Von erlognen
Liebesschmerzen.
Auf die Berge will ich steigen, Wo die frommen Hütten stehen, Wo
die Brust sich frei erschließet, Und die freien Lüfte wehen.
Auf die Berge will ich steigen, Wo die dunkeln Tannen ragen,
Bäche rauschen, Vögel singen, Und die stolzen Wolken jagen.
Lebet wohl, ihr glatten Säle! Glatte Herren! glatte Frauen! Auf
die Berge will ich steigen, Lachend auf euch niederschauen.
Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität,
gehört dem Könige von Hannover, und enthält 999 Feuerstellen,
diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen
Karcer, eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut
ist. Der vorbeifließende Bach heißt »die Leine«, und dient des
Sommers zum Baden; das Wasser ist sehr kalt und an einigen Orten so
breit, daß Lüder wirklich einen großen Anlauf nehmen mußte, als er
hinüber sprang. Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am
besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht. Sie muß schon sehr
lange stehen, denn ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren dort
immatrikuliert und bald darauf konsiliiert wurde, hatte sie schon
dasselbe graue, altkluge Ansehen, und war schon vollständig
eingerichtet mit Schnurren, Pudeln, Dissertationen, Thédansants,
Wäscherinnen, Kompendien, Taubenbraten, Guelfenorden,
Promotionskutschen, Pfeifenköpfen, Hofräten, Justizräten,
Relegationsräten, Profaxen und anderen Faxen. Einige behaupten
sogar, die Stadt sei zur Zeit der Völkerwanderung erbaut worden,
jeder deutsche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar seiner
Mitglieder darin zurückgelassen, und davon stammten alle die
Vandalen, Friesen, Schwaben, Teutonen, Sachsen, Thüringer
u. s. w., die noch heutzutage in Göttingen, hordenweis
und geschieden durch Farben der Mützen und der Pfeifenquäste, über
die Weenderstraße einherziehen, auf den blutigen Wahlstätten der
Rasenmühle, des Ritschenkruges und Bovdens sich ewig unter einander
herumschlagen, in Sitten und Gebräuchen noch immer wie zur Zeit der
Völkerwanderung dahinleben, und teils durch ihre Duces, welche
Haupthähne heißen, teils durch ihr uraltes Gesetzbuch, welches
Komment heißt und in den
legibus barbarorum eine Stelle verdient, regiert
werden.
Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in
Studenten, Professoren, Philister und Vieh, welche vier Stände doch
nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der
bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und
unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläuftig;
auch sind mir in diesem Augenblicke nicht alle Studentennamen im
Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar
keinen Namen haben. Die Zahl der Göttinger Philister muß sehr groß
sein, wie Sand oder, besser gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn
ich sie des Morgens mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen
Rechnungen vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt
sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack
erschaffen konnte.
Ausführlicheres über die Stadt Göttingen läßt sich sehr bequem
nachlesen in der Topographie derselben von K. F. H. Marx.
Obzwar ich gegen den Verfasser, der mein Arzt war und mir viel
Liebes erzeigte, die heiligsten Verpflichtungen hege, so kann ich
doch sein Werk nicht unbedingt empfehlen, und ich muß tadeln, daß
er jener falschen Meinung, als hätten die Göttingerinnen allzugroße
Füße, nicht streng genug widerspricht. Ja, ich habe mich sogar seit
Jahr und Tag mit einer ernsten Widerlegung dieser Meinung
beschäftigt, ich habe deshalb vergleichende Anatomie gehört, die
seltensten Werke aus der Bibliothek excerpiert, auf der
Weenderstraße stundenlang die Füße der vorübergehenden Damen
studiert, und in der grundgelehrten Abhandlung, so die Resultate
dieser Studien enthalten wird, spreche ich 1) von den Füßen
überhaupt, 2) von den Füßen bei den Alten, 3) von den Füßen der
Elefanten, 4) von den Füßen der Göttingerinnen, 5) stelle ich alles
zusammen, was über diese Füße auf Ullrichs Garten schon gesagt
worden, 6) betrachte ich diese Füße in ihrem Zusammenhang, und
verbreite mich bei dieser Gelegenheit auch über Waden, Knie
u. s. w., und endlich 7), wenn ich nur so großes Papier
auftreiben kann, füge ich noch hinzu einige Kupfertafeln mit dem
Faksimile Göttingischer Damenfüße. --
Es war noch sehr früh, als ich Göttingen verließ, und der
gelehrte ** lag gewiß noch im Bette und träumte wie gewöhnlich, er
wandle in einem schönen Garten, auf dessen Beeten lauter weiße mit
Citaten beschriebene Papierchen wachsen, die im Sonnenlichte
lieblich glänzen, und von denen er hie und da mehrere pflückt, und
mühsam in ein neues Beet verpflanzt, während die Nachtigallen mit
ihren süßesten Tönen sein altes Herz erfreuen.
Vor dem Weender Thore begegneten mir zwei eingeborne kleine
Schulknaben, wovon der eine zum andern sagte: »Mit dem Theodor will
ich gar nicht mehr umgehen, er ist ein Lumpenkerl, denn gestern
wußte er nicht mal, wie der Genitiv von
mensa heißt.« So unbedeutend diese Worte klingen, so muß
ich sie doch wieder erzählen, ja, ich möchte sie als Stadt-Motto
gleich auf das Thor schreiben lassen; denn die Jungen piepsen, wie
die Alten pfeifen, und jene Worte bezeichnen ganz den engen,
trocknen Notizenstolz der hochgelahrten Georgia Augusta.
Auf der Chaussee wehte frische Morgenluft, und die Vögel sangen
gar freudig, und auch mir wurde allmählich wieder frisch und
freudig zu Mute. Eine solche Erquickung that not. Ich war die
letzte Zeit nicht aus dem Pandektenstall herausgekommen, römische
Kasuisten hatten mir den Geist wie mit einem grauen Spinnweb
überzogen, mein Herz war wie eingeklemmt zwischen den eisernen
Paragraphen selbstsüchtiger Rechtssysteme, beständig klang es mir
noch in den Ohren wie »Tribonian, Justinian, Hermogenian und
Dummerjahn«, und ein zärtliches Liebespaar, das unter einem Baume
saß, hielt ich gar für eine Korpusjurisausgabe mit verschlungenen
Händen. Auf der Landstraße fing es schon an lebendig zu werden.
Milchmädchen zogen vorüber; auch Eseltreiber mit ihren grauen
Zöglingen. Hinter Weende begegneten mir der Schäfer und Doris.
Dieses ist nicht das idyllische Paar, wovon Geßner singt, sondern
es sind wohlbestallte Universitätspedelle, die wachsam aufpassen
müssen, daß sich keine Studenten in Bovden duellieren, und daß
keine neuen Ideen, die noch immer einige Decennien vor Göttingen
Quarantaine halten müssen, von einem spekulierenden Privatdocenten
eingeschmuggelt werden. Schäfer grüßte mich sehr kollegialisch;
denn er ist ebenfalls Schriftsteller, und hat meiner in seinen
halbjährigen Schriften oft erwähnt; wie er mich denn auch außerdem
oft citiert hat und, wenn er mich nicht zu Hause fand, immer so
gütig war, die Citation mit Kreide auf meine Stubenthür zu
schreiben. Dann und wann rollte auch ein Einspänner vorüber,
wohlbepackt mit Studenten, die für die Ferienzeit oder auch für
immer wegreisten. In solch' einer Universitätsstadt ist ein
beständiges Kommen und Abgehn, alle drei Jahre findet man dort eine
neue Studentengeneration. Das ist ein ewiger Menschenstrom, wo eine
Semesterwelle die andere fortdrängt, und nur die alten Professoren
bleiben stehen in dieser allgemeinen Bewegung, unerschütterlich
fest, gleich den Pyramiden Ägyptens -- nur daß in diesen
Universitätspyramiden keine Weisheit verborgen ist.
Aus den Myrtenlauben bei Rauschenwasser sah ich zwei
hoffnungsvolle Jünglinge hervorreiten. Ein Weibsbild, das dort sein
horizontales Handwerk treibt, gab ihnen bis auf die Landstraße das
Geleit, klätschelte mit geübter Hand die mageren Schenkel der
Pferde, lachte laut auf, als der eine Reiter ihr hinten auf die
breite Spontaneität einige Galanterien mit der Peitsche überlangte,
und schob sich alsdann gen Bovden. Die Jünglinge aber jagten nach
Nörten, und johlten gar geistreich, und sangen gar lieblich das
Rossini'sche Lied: »Trink Bier, liebe, liebe Lise!« Diese Töne
hörte ich noch lange in der Ferne; doch die holden Sänger selbst
verlor ich bald völlig aus dem Gesichte, sintemal sie ihre Pferde,
die im Grunde einen deutsch langsamen Charakter zu haben schienen,
gar entsetzlich anspornten und vorwärtspeitschten. Nirgend wird die
Pferdeschinderei stärker getrieben als in Göttingen, und oft, wenn
ich sah, wie solch eine schweißtriefende, lahme Kracke für das
bißchen Lebensfutter von unsern Rauschenwasserrittern abgequält
ward, oder wohl gar einen ganzen Wagen voll Studenten fortziehen
mußte, so dachte ich auch: »O du armes Tier, gewiß haben deine
Voreltern im Paradiese verbotenen Hafer gefressen!«
Im Wirtshause zu Nörten traf ich die beiden Jünglinge wieder.
Der eine verzehrte einen Heringssalat, und der andere unterhielt
sich mit der gelbledernen Magd, Fusia Kanina, auch Trittvogel
genannt. Er sagte ihr einige Anständigkeiten und am Ende wurden sie
handgemein. Um meinen Ranzen zu erleichtern, nahm ich die
eingepackten blauen Hosen, die in geschichtlicher Hinsicht sehr
merkwürdig sind, wieder heraus und schenkte sie dem kleinen
Kellner, den man Kolibri nennt. Die Bussenia, die alte Wirtin,
brachte mir unterdessen ein Butterbrot, und beklagte sich, daß ich
sie jetzt so selten besuche, denn sie liebt mich sehr.
Hinter Nörten stand die Sonne hoch und glänzend am Himmel. Sie
meinte es recht ehrlich mit mir und erwärmte mein Haupt, daß alle
unreife Gedanken darin zur Vollreife kamen. Die liebe
Wirtshaussonne in Nordheim ist auch nicht zu verachten; ich kehrte
hier ein, und fand das Mittagessen schon fertig.
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