Alle Gerichte
waren schmackhaft zubereitet, und wollten mir besser behagen, als
die abgeschmackten akademischen Gerichte, die salzlosen, ledernen
Stockfische mit ihrem alten Kohl, die mir in Göttingen vorgesetzt
wurden. Nachdem ich meinen Magen etwas beschwichtigt hatte,
bemerkte ich in derselben Wirtsstube einen Herrn mit zwei Damen,
die im Begriff waren abzureisen. Dieser Herr war ganz grün
gekleidet, trug sogar eine grüne Brille, die auf seine rote
Kupfernase einen Schein wie Grünspan warf, und sah aus, wie der
König Nebukadnezar in seinen spätern Jahren ausgesehen hat, als er,
der Sage nach, gleich einem Tiere des Waldes nichts als Salat aß.
Der Grüne wünschte, daß ich ihm ein Hotel in Göttingen empfehlen
möchte, und ich riet ihm, dort von dem ersten besten Studenten das
Hotel de Brühbach zu erfragen. Die eine Dame war die Frau Gemahlin,
eine gar große, weitläuftige Dame, ein rotes Quadratmeilen-Gesicht
mit Grübchen in den Wangen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter
aussahen, ein langfleischig herabhängendes Unterkinn, das eine
schlechte Fortsetzung des Gesichtes zu sein schien, und ein
hochaufgestapelter Busen, der mit steifen Spitzen und vielzackig
festonierten Krägen, wie mit Türmchen und Bastionen, umbaut war und
einer Festung glich, die gewiß eben so wenig wie jene andern
Festungen, von denen Philipp von Macedonien spricht, einem mit Gold
beladenen Esel widerstehen würde. Die andere Dame, die Frau
Schwester bildete ganz den Gegensatz der eben beschriebenen.
Stammte jene von Pharao's fetten Kühen, so stammte diese von
den magern. Das Gesicht nur ein Mund zwischen den Ohren, die Brust
trostlos öde wie die Lüneburger Heide; die ganze ausgekochte
Gestalt glich einem Freitisch für arme Theologen. Beide Damen
fragten mich zu gleicher Zeit, ob im Hotel de Brühbach auch
ordentliche Leute logierten. Ich bejahte es mit gutem Gewissen, und
als das holde Kleeblatt abfuhr, grüßte ich nochmals zum Fenster
hinaus. Der Sonnenwirt lächelte gar schlau und mochte wohl wissen,
daß der Karcer von den Studenten in Göttingen Hotel de Brühbach
genannt wird.
Hinter Nordheim wird es schon gebirgig, und hier und da treten
schöne Anhöhen hervor. Auf dem Wege traf ich meistens Krämer, die
nach der Braunschweiger Messe zogen, auch ein Schwarm Frauenzimmer,
deren jede ein großes, fast häuserhohes, mit weißem Leinen
überzogenes Behältnis auf dem Rücken trug. Darin saßen allerlei
eingefangene Singvögel, die beständig piepsten und zwitscherten,
während ihre Trägerinnen lustig dahinhüpften und schwatzten. Mir
kam es gar närrisch vor, wie so ein Vogel den andern zu Markte
trägt.
In pechdunkler Nacht kam ich an zu Osterode. Es fehlte mir der
Appetit zum Essen, und ich legte mich gleich zu Bette. Ich war müde
wie ein Hund und schlief wie ein Gott. Im Traume kam ich wieder
nach Göttingen zurück, und zwar nach der dortigen Bibliothek. Ich
stand in einer Ecke des juristischen Saals, durchstöberte alte
Dissertationen, vertiefte mich im Lesen, und als ich aufhörte,
bemerkte ich zu meiner Bewunderung, daß es Nacht war, und
herabhängende Krystallleuchter den Saal erhellten. Die nahe
Kirchenglocke schlug eben Zwölf, die Saalthüre öffnete sich
langsam, und herein trat eine stolze, gigantische Frau,
ehrfurchtsvoll begleitet von den Mitgliedern und Anhängern der
juristischen Fakultät. Das Riesenweib, obgleich schon bejahrt, trug
dennoch im Antlitz die Züge einer strengen Schönheit, jeder ihrer
Blicke verriet die Titanin, die gewaltige Themis, Schwert und Wage
hielt sie nachlässig zusammen in der einen Hand, in der andern
hielt sie eine Pergamentrolle, zwei junge
Doctores juris trugen die Schleppe ihres grau verblichenen
Gewandes, an ihrer rechten Seite sprang windig hin und her der
dünne Hofrat Rustikus, der Lykurg Hannovers, und deklamierte aus
seinem neuen Gesetzentwurf; an ihrer linken Seite humpelte gar
galant und wohlgelaunt ihr
Cavaliere servente, der geheime Justizrat Cujacius, und
riß beständig juristische Witze, und lachte selbst darüber so
herzlich, daß sogar die ernste Göttin sich mehrmals lächelnd zu ihm
herabbeugte, mit der großen Pergamentrolle ihm auf die Schulter
klopfte, und freundlich flüsterte: »Kleiner, loser Schalk, der die
Bäume von oben herab beschneidet!« Jeder von den übrigen Herren
trat jetzt ebenfalls näher und hatte etwas hin zu bemerken und
hinzulächeln, etwa ein neu ergrübeltes Systemchen oder Hypotheschen
oder ähnliches Mißgebürtchen des eigenen Köpfchens. Durch die
geöffnete Saalthür traten auch noch mehrere fremde Herren herein,
die sich als die andern großen Männer des illustren Ordens kund
gaben, meistens eckige, lauernde Gesellen, die mit breiter
Selbstzufriedenheit gleich darauf los definierten und
distinguierten und über jedes Titelchen eines Pandektentitels
disputierten. Und immer kamen noch neue Gestalten herein, alte
Rechtsgelehrte in verschollenen Trachten, mit weißen
Allongeperücken und längst vergessenen Gesichtern, und sehr
erstaunt, daß man sie, die Hochberühmten des verflossenen
Jahrhunderts, nicht sonderlich regardierte; und diese stimmten nun
ein, auf ihre Weise, in das allgemeine Schwatzen und Schrillen und
Schreien, das wie Meeresbrandung immer verwirrter und lauter die
hohe Göttin umrauschte, bis diese die Geduld verlor, und in einem
Tone des entsetzlichsten Riesenschmerzes plötzlich aufschrie:
»Schweigt! schweigt! ich höre die Stimme des teuren Prometheus, die
höhnende Kraft und die stumme Gewalt schmieden den Schuldlosen an
den Marterfelsen, und all euer Geschwätz und Gezänke kann nicht
seine Wunden kühlen und seine Fesseln zerbrechen!« So rief die
Göttin, und Thränenbäche stürzten aus ihren Augen, die ganze
Versammlung heulte wie von Todesangst ergriffen, die Decke des
Saales krachte, die Bücher taumelten herab von ihren Brettern,
vergebens trat der alte Münchhausen aus seinem Rahmen hervor, um
Ruhe zu gebieten, es tobte und kreischte immer wilder, -- und fort
aus diesem drängenden Tollhauslärm rettete ich mich in den
historischen Saal, nach jener Gnadenstelle, wo die heiligen Bilder
des belvederischen Apolls und der mediceischen Venus nebeneinander
stehen, und ich stürzte zu den Füßen der Schönheitsgöttin, in ihrem
Anblick vergaß ich all das wüste Treiben, dem ich entronnen, meine
Augen tranken entzückt das Ebenmaß und die ewige Lieblichkeit ihres
hochgebenedeiten Leibes, griechische Ruhe zog durch meine Seele,
und über mein Haupt, wie himmlischen Segen, goß seine süßesten
Lyraklänge Phöbus Apollo.
Erwachend hörte ich noch immer ein freundliches Klingen. Die
Herden zogen auf die Weide, und es läuteten ihre Glöckchen. Die
liebe, goldene Sonne schien durch das Fenster und beleuchtete die
Schildereien an den Wänden des Zimmers. Es waren Bilder aus dem
Befreiungskriege, worauf treu dargestellt stand, wie wir alle
Helden waren, dann auch Hinrichtungsscenen aus der Revolutionszeit
Ludwig XVI. auf der Guillotine, und ähnliche
Kopfabschneidereien, die man gar nicht ansehen kann, ohne Gott zu
danken, daß man ruhig im Bette liegt und guten Kaffee trinkt und
den Kopf noch so recht komfortabel auf den Schultern sitzen hat.
Auch hingen noch an der Wand Abälard und Heloise, einige
französische Jugenden, nämlich leere Mädchengesichter, worunter
sehr kalligraphisch
la prudence, la timidité, la pitié &c. geschrieben
war, und endlich eine Madonna, so schön, so lieblich, so hingebend
fromm, daß ich das Original, das dem Maler dazu gesessen, aufsuchen
und zu meinem Weibe machen möchte. Freilich, so bald ich mal mit
dieser Madonna verheiratet wäre, würde ich sie bitten, allen
ferneren Umgang mit dem heiligen Geiste aufzugeben, indem es mir
gar nicht lieb sein möchte, wenn mein Kopf durch Vermittlung meiner
Frau einen Heiligenschein, oder irgend eine andere Verzierung
gewönne.
Nachdem ich Kaffee getrunken, mich angezogen, die Inschriften
auf den Fensterscheiben gelesen, und alles im Wirtshause berichtigt
hatte, verließ ich Osterode.
Diese Stadt hat so und so viel Häuser, verschiedene Einwohner,
worunter auch mehrere Seelen, wie in Gottschalks »Taschenbuch für
Harzreisende« genauer nachzulesen ist. Ehe ich die Landstraße
einschlug, bestieg ich die Trümmer der uralten Osteroder Burg. Sie
bestehen nur noch aus der Hälfte eines großen, dickmaurigen, wie
von Krebsschäden angefressenen Turms. Der Weg nach Klausthal führte
mich wieder bergauf, und von einer der ersten Höhen schaute ich
nochmals hinab in das Thal, wo Osterode mit seinen roten Dächern
aus den grünen Tannenwäldern hervorguckt wie eine Moosrose. Die
Sonne gab eine gar liebe, kindliche Beleuchtung.
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