Herr Johannes Hagel will sich auch mal als
Schriftsteller zeigen. Hier wird des Sonnenaufgangs majestätische
Pracht beschrieben; dort wird geklagt über schlechtes Wetter, über
getäuschte Erwartungen, über den Nebel, der alle Aussicht
versperrt. »Benebelt heraufgekommen und benebelt hinuntergegangen!«
ist ein stehender Witz, der hier von Hunderten nachgerissen wird.
Eine Karolina schreibt, daß sie bei der Ersteigung des Berges nasse
Füße bekommen. Ein naives Hannchen hat diese Klage im Sinne, und
schreibt lakonisch: Auch ich bin bei der Geschichte naß geworden.
Das ganze Buch riecht nach Käse, Bier und Tabak; man glaubt einen
Roman von Clauren zu lesen.
Während ich nun besagtermaßen Kaffee trank und im Brockenbuche
blätterte, trat der Schweizer mit hochroten Wangen herein, und
voller Begeisterung erzählte er von dem erhabenen Anblick, den er
oben auf dem Turme genossen, als das reine, ruhige Licht der Sonne,
Sinnbild der Wahrheit, mit den nächtlichen Nebelmassen gekämpft,
daß es ausgesehen habe wie eine Geisterschlacht, wo zürnende Riesen
ihre langen Schwerter ausstrecken, geharnischte Ritter auf
bäumenden Rossen einher jagen, Streitwagen, flatternde Banner,
abenteuerliche Tierbildungen aus dem wildesten Gewühle
hervortauchen, bis endlich alles in den wahnsinnigsten Verzerrungen
zusammen kräuselt, blasser und blasser zerrinnt, und spurlos
verschwindet. Diese demagogische Naturerscheinung hatte ich
versäumt, und ich kann, wenn es zur Untersuchung kommt, eidlich
versichern, daß ich von nichts weiß, als vom Geschmack des guten
braunen Kaffee's. Ach, dieser war sogar schuld, daß ich meine
schöne Dame vergessen, und jetzt stand sie vor der Thür mit Mutter
und Begleiter, im Begriff den Wagen zu besteigen. Kaum hatte ich
noch Zeit, hin zu eilen und ihr zu versichern, daß es kalt sei. Sie
schien unwillig, daß ich nicht früher gekommen; doch ich glättete
bald die mißmütigen Falten ihrer schönen Stirn, indem ich ihr eine
wunderliche Blume schenkte, die ich den Tag vorher mit
halsbrechender Gefahr von einer steilen Felsenwand gepflückt hatte.
Die Mutter verlangte den Namen der Blume zu wissen, gleichsam als
ob sie es unschicklich fände, daß ihre Tochter eine fremde,
unbekannte Blume vor die Brust stecke -- denn wirklich, die Blume
erhielt diesen beneidenswerten Platz, was sie sich gewiß gestern
auf ihrer einsamen Höhe nicht träumen ließ. Der schweigsame
Begleiter öffnete jetzt auf einmal den Mund, zählte die Staubfäden
der Blume, und sagte ganz trocken: Sie gehört zur achten
Klasse.
Es ärgert mich jedesmal, wenn ich sehe, daß man auch Gottes
liebe Blumen, ebenso wie uns, in Kasten eingeteilt hat, und nach
ähnlichen Äußerlichkeiten, nämlich nach Staubfäden-Verschiedenheit.
Soll doch mal eine Einteilung stattfinden, so folge man dem
Vorschlage Theophrasts, der die Blumen mehr nach dem Geiste,
nämlich nach ihrem Geruch, einteilen wollte. Was mich betrifft, so
habe ich in der Naturwissenschaft mein eigenes System, und demnach
teile ich alles ein: in dasjenige, was man essen kann, und in
dasjenige, was man nicht essen kann.
Jedoch der ältern Dame war die geheimnisvolle Natur der Blumen
nichts weniger als verschlossen, und unwillkürlich äußerte sie, daß
sie von den Blumen, wenn sie noch im Garten oder im Topfe wachsen,
recht erfreut werde, daß hingegen ein leises Schmerzgefühl
traumhaft beängstigend ihre Brust durchzittere, wenn sie eine
abgebrochene Blume sehe -- da eine solche doch eigentlich eine
Leiche sei, und so eine gebrochene, zarte Blumenleiche ihr welkes
Köpfchen recht traurig herabhängen lasse, wie ein totes Kind. Die
Dame war fast erschrocken über den trüben Wiederschein ihrer
Bemerkung, und es war meine Pflicht, denselben mit einigen
Voltaire'schen Versen zu verscheuchen. Wie doch ein paar
französische Worte uns gleich in die gehörige Konvenienzstimmung
zurückversetzen können! Wir lachten, Hände wurden geküßt, huldreich
wurde gelächelt, die Pferde wieherten, und der Wagen holperte
langsam und beschwerlich den Berg hinunter.
Nun machten auch die Studenten Anstalt zum Abreisen, die Ranzen
wurden geschnürt, die Rechnungen, die über alle Erwartung billig
ausfielen, berichtigt; die empfänglichen Hausmädchen, auf deren
Gesichtern die Spuren glücklicher Liebe, brachten, wie gebräuchlich
ist, die Brockensträußchen, halfen solche auf die Mützen
befestigen, wurden dafür mit einigen Küssen oder Groschen
honoriert, und so stiegen wir alle den Berg hinab, indem die einen,
wobei der Schweizer und Greifswalder, den Weg nach Schierke
einschlugen, und die andern, ungefähr zwanzig Mann, wobei auch
meine Landsleute und ich, angeführt von einem Wegweiser, durch die
sogenannten Schneelöcher hinab zogen nach Ilsenburg.
Das ging über Hals und Kopf. Halle'sche Studenten
marschieren schneller als die österreichische Landwehr. Ehe ich
mich dessen versah, war die kahle Partie des Berges mit den darauf
zerstreuten Steingruppen schon hinter uns, und wir kamen durch
einen Tannenwald, wie ich ihn den Tag vorher gesehen. Die Sonne goß
schon ihre festlichen Strahlen herab und beleuchtete die
humoristisch buntgekleideten Burschen, die so munter durch das
Dickicht drängen, hier verschwanden, dort wieder zum Vorschein
kamen, bei Sumpfstellen über die quergelegten Baumstämme liefen,
bei abschüssigen Tiefen an den rankenden Wurzeln kletterten, in den
ergötzlichsten Tonarten empor johlten, und ebenso lustige Antwort
zurück erhielten von den zwitschernden Waldvögeln, von den
rauschenden Tannen, von den unsichtbar plätschernden Quellen und
von dem schallenden Echo. Wenn frohe Jugend und schöne Natur
zusammen kommen, so freuen sie sich wechselseitig.
Je tiefer wir hinabstiegen, desto lieblicher rauschte das
unterirdische Gewässer, nur hier und da, unter Gestein und
Gestrüppe, blinkte es hervor, und schien heimlich zu lauschen, ob
es ans Licht treten dürfe, und endlich kam eine kleine Welle
entschlossen hervorgesprungen. Nun zeigt sich die gewöhnliche
Erscheinung: ein Kühner macht den Anfang, und der große Troß der
Zagenden wird plötzlich, zu seinem eigenen Erstaunen, von Mut
ergriffen, und eilt, sich mit jenem ersten zu vereinigen. Eine
Menge anderer Quellen hüpften jetzt hastig aus ihrem Versteck,
verbanden sich mit der zuerst hervorgesprungenen, und bald bildeten
sie zusammen ein schon bedeutendes Bächlein, das in unzähligen
Wasserfällen und in wunderlichen Windungen das Bergthal
hinabrauscht. Das ist nun die Ilse, die liebliche, süße Ilse. Sie
zieht sich durch das gesegnete Ilsethal, an dessen beiden Seiten
sich die Berge allmählich höher erheben, und diese sind bis zu
ihrem Fuße meistens mit Buchen, Eichen und gewöhnlichem
Blattgesträuche bewachsen, nicht mehr mit Tannen und anderm
Nadelholz. Denn jene Blätterholzart wächst vorherrschend auf dem
»Unterharze«, wie man die Ostseite des Brockens nennt, im Gegensatz
zur Westseite desselben, die der »Oberharz« heißt, und wirklich
viel höher ist, also auch viel geeigneter zum Gedeihen der
Nadelhölzer.
Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit, Naivetät und
Anmut die Ilse sich hinunter stürzt über die abenteuerlich
gebildeten Felsstücke, die sie in ihrem Laufe findet, so daß das
Wasser hier wild empor zischt oder schäumend überläuft, dort aus
allerlei Steinspalten, wie aus vollen Gießkannen, in reinen Bögen
sich ergießt, und unten wieder über die kleinen Steine hintrippelt,
wie ein munteres Mädchen. Ja, die Sage ist wahr, die Ilse ist eine
Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinabläuft. Wie blinkt
im Sonnenschein ihr weißes Schaumgewand! Wie flattern im Winde ihre
silbernen Busenbänder! Wie funkeln und blitzen ihre Diamanten! Die
hohen Buchen stehen dabei gleich ernsten Vätern, die verstohlen
lächelnd dem Mutwillen des lieblichen Kindes zusehen; die weißen
Birken bewegen sich tantenhaft vergnügt, und doch zugleich
ängstlich über die gewagten Sprünge; der stolze Eichbaum schaut
drein wie ein verdrießlicher Oheim, der das schöne Wetter bezahlen
soll; die Vöglein in den Lüften jubeln ihren Beifall, die Blumen am
Ufer flüstern zärtlich: O, nimm uns mit, nimm uns mit, lieb'
Schwesterchen! -- aber das lustige Mädchen springt unaufhaltsam
weiter, und plötzlich ergreift sie den träumenden Dichter, und es
strömt auf mich herab ein Blumenregen von klingenden Strahlen und
strahlenden Klängen, und die Sinne vergehen mir vor lauter
Herrlichkeit, und ich höre nur noch die flötensüße Stimme:
Ich bin die Prinzessin Ilse, Und wohne im Ilsenstein; Komm mit
nach meinem Schlosse, Wir wollen selig sein.
Dein Haupt will ich benetzen Mit meiner klaren Well', Du
sollst deine Schmerzen vergessen, Du sorgenkranker Gesell!
In meinen weißen Armen, An meiner weißen Brust, Da sollst du
liegen und träumen Von alter Märchenlust.
Ich will dich küssen und herzen, Wie ich geherzt und geküßt Den
lieben Kaiser Heinrich, Der nun gestorben ist.
Es bleiben tot die Toten, Und nur der Lebendige lebt; Und ich
bin schön und blühend, Mein lachendes Herze bebt.
Und bleibt mein Herz dort unten, So klingt mein krystallenes
Schloß, Es tanzen die Fräulein und Ritter, Es jubelt der
Knappentroß.
Es rauschen die seidenen Schleppen, Es klirren die Eisensporn,
Die Zwerge trompeten und pauken Und fiedeln und blasen das
Horn.
Doch dich soll mein Arm umschlingen, Wie er Kaiser Heinrich
umschlang; Ich hielt ihm zu die Ohren, Wenn die Trompet'
erklang.
Unendlich selig ist das Gefühl, wenn die Erscheinungswelt mit
unserer Gemütswelt zusammenrinnt, und grüne Bäume, Gedanken,
Vögelgesang, Wehmut, Himmelsbläue, Erinnerung und Kräuterduft sich
in süßen Arabesken verschlingen. Die Frauen kennen am besten dieses
Gefühl, und darum mag auch ein so holdselig ungläubiges Lächeln um
ihre Lippen schweben, wenn wir mit Schulstolz unsere logischen
Thaten rühmen, wie wir alles so hübsch eingeteilt in objektiv und
subjektiv, wie wir unsere Köpfe apothekenartig mit tausend
Schubladen versehen, wo in der einen Vernunft, in der andern
Verstand, in der dritten Witz, in der vierten schlechter Witz, und
in der fünften gar nichts, nämlich die Idee, enthalten ist.
Wie im Traume fortwandelnd, hatte ich fast nicht bemerkt, daß
wir die Tiefe des Ilsethales verlassen und wieder bergauf stiegen.
Dies ging sehr steil und mühsam, und mancher von uns kam außer
Atem. Doch wie unser seliger Vetter, der zu Mölln begraben liegt,
dachten wir im voraus ans Bergabsteigen, und waren um so
vergnügter. Endlich gelangten wir auf den Ilsenstein.
Das ist ein ungeheurer Granitfelsen, der sich lang und keck aus
der Tiefe erhebt. Von drei Seiten umschließen ihn die hohen,
waldbedeckten Berge, aber die vierte, die Nordseite, ist frei, und
hier schaut man über das unten liegende Ilsenburg und die Ilse weit
hinab ins niedere Land. Auf der turmartigen Spitze des Felsens
steht ein großes, eisernes Kreuz, und zur Not ist da noch Platz für
vier Menschenfüße.
Wie nun die Natur durch Stellung und Form den Ilsenstein mit
phantastischen Reizen geschmückt, so hat auch die Sage ihren
Rosenschein darüber ausgegossen. Gottschalk berichtet: »Man
erzählt, hier habe ein verwünschtes Schloß gestanden, in welchem
die reiche schöne Prinzessin Ilse gewohnt, die sich noch jetzt
jeden Morgen in der Ilse bade; und wer so glücklich ist, den
rechten Zeitpunkt zu treffen, werde von ihr in den Felsen, wo ihr
Schloß sei, geführt und königlich belohnt.« Andere erzählen von der
Liebe des Fräulein Ilse und des Ritters von Westenberg eine hübsche
Geschichte, die einer unserer bekanntesten Dichter romantisch in
der »Abendzeitung« besungen hat. Andere wieder erzählen anders: Es
soll der altsächsische Kaiser Heinrich gewesen sein, der mit Ilse,
der schönen Wasserfee, in ihrer verzauberten Felsenburg die
kaiserlichsten Stunden genossen.
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