Doch einst wird kommen die
Nacht, und du, auch du bist vergangen, und hast deine blauen Pfade
dort oben verlassen. Dann erheben die Sterne ihre grünen Häupter,
die einst deine Gegenwart beschämt, sie werden sich freuen. Doch
jetzt bist du gekleidet in deine Strahlenpracht, und schaust herab
aus den Thoren des Himmels. Zerreißt die Wolken, o Winde, damit die
Erzeugte der Nacht hervor zu leuchten vermag, und die buschigen
Berge erglänzen, und das Meer seine schäumenden Wogen rolle in
Licht!«
Ein wohlbekannter, nicht sehr magerer Freund, der mehr getrunken
als gegessen hatte, obgleich er auch heute Abend, wie gewöhnlich,
eine Portion Rindfleisch verschlungen, wovon sechs Gardelieutenants
und ein unschuldiges Kind satt geworden wären, dieser kam jetzt in
allzugutem Humor, d. h. ganz
en Schwein, vorbeigerannt, schob die beiden elegischen
Freunde etwas unsanft in den Schrank hinein, polterte nach der
Hausthüre, und wirtschaftete draußen ganz mörderlich. Der Lärm im
Saal wurde auch immer verworrener und dumpfer. Die beiden Jünglinge
im Schranke jammerten und wimmerten, sie lägen zerschmettert am
Fuße des Berges; aus dem Hals strömte ihnen der edle Rotwein, sie
überschwemmten sich wechselseitig, und der eine sprach zum andern:
»Lebewohl! Ich fühle, daß ich verblute. Warum weckst du mich,
Frühlingsluft? Du buhlst und sprichst: >Ich betaue dich mit
Tropfen des Himmels. Doch die Zeit meines Welkens ist nahe, nahe
der Sturm, der meine Blätter zerstört! Morgen wird der Wanderer
kommen, kommen, der mich sah in meiner Schönheit, ringsum wird sein
Auge im Felde mich suchen, und wird mich nicht finden.<« -- Aber
alles übertobte die wohlbekannte Baßstimme, die draußen vor der
Thüre unter Fluchen und Jauchzen sich gottlästerlich beklagte, daß
auf der ganzen dunkeln Weenderstraße keine einzige Laterne brenne,
und man nicht einmal sehen könne, bei wem man die Fensterscheiben
eingeschmissen habe.
Ich kann viel vertragen -- die Bescheidenheit erlaubt mir nicht,
die Bouteillenzahl zu nennen -- und ziemlich gut konditioniert
gelangte ich nach meinem Schlafzimmer. Der junge Kaufmann lag schon
im Bette, mit seiner kreideweißen Nachtmütze und safrangelben Jacke
von Gesundheitsflanell. Er schlief noch nicht, und suchte ein
Gespräch mit mir anzuknüpfen. Er war ein Frankfurt-am-Mainer, und
folglich sprach er gleich von den Juden, die alles Gefühl für das
Schöne und Edle verloren haben, und die englischen Waren
fünfundzwanzig Procent unter dem Fabrikpreise verkaufen. Es ergriff
mich die Lust, ihn etwas zu mystificieren; deshalb sagte ich ihm,
ich sei ein Nachtwandler, und müsse im voraus um Entschuldigung
bitten für den Fall, daß ich ihn etwa im Schlafe stören möchte. Der
arme Mensch hat deshalb, wie er mir am andern Tag gestand, die
ganze Nacht nicht geschlafen, da er die Besorgnis hegte, ich könnte
mit meinen Pistolen, die vor meinem Bette lagen, im
Nachtwandlerzustande ein Malheur anrichten. Im Grunde war es mir
nicht viel besser als ihm gegangen, ich hatte sehr schlecht
geschlafen. Wüste, beängstigende Phantasiegebilde. Ein
Klavierauszug aus Dante's »Hölle«. Am Ende träumte mir gar, ich
sähe die Aufführung einer juristischen Oper, die Falcidia geheißen,
erbrechtlicher Text von Gans und Musik von Spontini. Ein toller
Traum. Das römische Forum leuchtete prächtig; Serv. Göschenus als
Prätor auf seinem Stuhle, die Toga in stolze Falten werfend, ergoß
sich in polternden Recitativen; Marcus Tullius Elversus, als
Prima Donna legataria, all seine holde Weiblichkeit
offenbarend, sang die liebeschmelzende Bravourarie
quicunque civis romanus; ziegelrot geschminkte
Referendarien brüllten als Chor der Unmündigen; Privatdocenten, als
Genien in fleischfarbigen Trikot gekleidet, tanzten ein
antejustinianeisches Ballet und bekränzten mit Blumen die zwölf
Tafeln; unter Donner und Blitz stieg aus der Erde der beleidigte
Geist der römischen Gesetzgebung; hierauf Posaunen, Tamtam,
Feuerregen,
cum omni causa.
Aus diesem Lärmen zog mich der Brockenwirt, indem er mich
weckte, um den Sonnenaufgang anzusehen. Auf dem Turm fand ich schon
einige Harrende, die sich die frierenden Hände rieben, andere, noch
den Schlaf in den Augen, taumelten herauf; endlich stand die stille
Gemeinde von gestern Abend wieder ganz versammelt, und schweigend
sahen wir, wie am Horizonte die kleine carmoisinrote Kugel empor
stieg, eine winterlich dämmernde Beleuchtung sich verbreitete, die
Berge wie in einem weißwallenden Meere schwammen, und bloß die
Spitzen derselben sichtbar hervor traten, so daß man auf einem
kleinen Hügel zu stehen glaubte, mitten auf einer überschwemmten
Ebene, wo nur hier und da eine trockene Erdscholle hervortritt. Um
das Gesehene und Empfundene in Worten fest zu halten, zeichnete ich
folgendes Gedicht:
Heller wird es schon im Osten Durch der Sonne kleines Glimmen,
Weit und breit die Bergesgipfel In dem Nebelmeere schwimmen.
Hätt' ich Siebenmeilenstiefel, Lief' ich mit der Hast
des Windes Über jene Bergesgipfel, Nach dem Haus des lieben
Kindes.
Von dem Bettchen, wo sie schlummert, Zög' ich leise die
Gardinen, Leise küßt ich ihre Stirne, Leise ihres Munds
Rubinen.
Und noch leiser wollt' ich flüstern In die kleinen
Lilienohren: Denk' im Traum, daß wir uns lieben, Und daß wir
uns nie verloren!
Indessen, meine Sehnsucht nach einem Frühstück war ebenfalls
groß, und nachdem ich meinen Damen einige Höflichkeiten gesagt,
eilte ich hinab, um in der warmen Stube Kaffee zu trinken. Es that
not; in meinem Magen sah es so nüchtern aus, wie in der Goslarschen
Stephanskirche. Aber mit dem arabischen Trunk rieselte mir auch der
warme Orient durch die Glieder, östliche Rosen umdufteten mich,
süße Bülbüllieder erklangen, die Studenten verwandelten sich in
Kameele, die Brockenhausmädchen mit ihren Congreve'schen
Blicken wurden zu Houris, die Philisternasen wurden Minarets
u. s. w.
Das Buch, das neben mir lag, war aber nicht der Koran. Unsinn
enthielt es freilich genug. Es war das sogenannte Brockenbuch,
worin alle Reisende, die den Berg ersteigen, ihre Namen schreiben,
und die meisten noch einige Gedanken und, in Ermangelung derselben,
ihre Gefühle hinzu notieren. Viele drücken sich sogar in Versen
aus. In diesem Buche sieht man, welche Greuel entstehen, wenn der
große Philistertroß bei gebräuchlichen Gelegenheiten, wie hier auf
dem Brocken, sich vorgenommen hat, poetisch zu werden. Der Palast
des Prinzen von Pallagonia enthält keine so große
Abgeschmacktheiten, wie dieses Buch, wo besonders hervorglänzen die
Herren Acciseeinnehmer mit ihren verschimmelten Hochgefühlen, die
Komptoirjünglinge mit ihren pathetischen Seelenergüssen, die
altdeutschen Revolutionsdilettanten mit ihren Turngemeinplätzen,
die Berliner Schullehrer mit ihren verunglückten Entzückungsphrasen
u. s. w.
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