Teuthold steht, wie vom Donner gerührt. Die Vettern, die ihm gefolgt waren, erstarren gleichfalls. Pause.

 

DER ZWEITE CHERUSKER.

Genug! Die Fackeln weg! Führt sie ins Haus!

Ihr aber eilt den Hermann herzurufen!

TEUTHOLD indem er sich plötzlich wendet.

Halt dort!

DER ERSTE CHERUSKER.

Was gibt's?

TEUTHOLD.

Halt, sag ich, ihr Cherusker!

Ich will sie führen, wo sie hingehört.

 

Er zieht den Dolch.

 

– Kommt, meine Vettern, folgt mir!

DER ZWEITE CHERUSKER.

Mann, was denkst du?

TEUTHOLD zu den Vettern.

Rudolf, du nimmst die Rechte, Ralf, die Linke!

– Seid ihr bereit, sagt an?

DIE VETTERN indem sie die Dolche ziehn.

Wir sind's! Brich auf!

TEUTHOLD bohrt sie nieder.

Stirb! Werde Staub! Und über deiner Gruft

Schlag ewige Vergessenheit zusammen!

 

Sie fällt, mit einem kurzen Laut, übern Haufen.

 

DAS VOLK.

Ihr Götter!

DER ERSTE CHERUSKER fällt ihm in den Arm.

Ungeheuer! Was beginnst du?

EINE STIMME aus dem Hintergrunde.

Was ist geschehn?

EINE ANDERE.

Sprecht!

EINE DRITTE.

Was erschrickt das Volk?

DAS VOLK durcheinander.

Weh! Weh! Der eigne Vater hat, mit Dolchen,

Die eignen Vettern, sie in Staub geworfen!

TEUTHOLD indem er sich über die Leiche wirft.

Hally! Mein einz'ges! Hab ich's recht gemacht?

 

 

Sechster Auftritt

Hermann und Eginhardt treten auf. Die Vorigen.

 

DER ZWEITE CHERUSKER.

Komm her, mein Fürst, schau diese Greuel an!

HERMANN.

Was gibt's?

DER ERSTE CHERUSKER.

Was! Fragst du noch? Du weißt von nichts?

HERMANN.

Nichts, meine Freund'! ich komm aus meinem Zelte.

EGINHARDT.

Sagt, was erschreckt euch?

DER ZWEITE CHERUSKER halblaut.

Eine ganze Meute

Von geilen Römern, die den Platz durchschweifte,

Hat bei der Dämmrung schamlos eben jetzt –

HERMANN indem er ihn vorführt.

Still, Selmar, still! Die Luft, du weißt, hat Ohren.

– Ein Römerhaufen?

EGINHARDT.

Ha! Was wird das werden?

 

Sie sprechen heimlich zusammen. Pause.

 

HERMANN mit Wehmut, halblaut.

Hally? Was sagst du mir! Die junge Hally?

DER ZWEITE CHERUSKER.

Hally, Teutholds, des Schmidts der Waffen, Tochter!

– Da liegt sie jetzt, schau her, mein Fürst,

Von ihrem eignen Vater hingeopfert!

EGINHARDT vor der Leiche.

Ihr großen, heiligen und ew'gen Götter!

DER ERSTE CHERUSKER.

Was wirst du nun, o Herr, darauf beschließen?

HERMANN zum Volke.

Kommt, ihr Cherusker! Kommt, ihr Wodankinder!

Kommt, sammelt euch um mich und hört mich an!

 

Das Volk umringt ihn; er tritt vor Teuthold.

 

Teuthold, steh auf!

TEUTHOLD am Boden.

Laß mich!

HERMANN.

Steh auf, sag ich!

TEUTHOLD.

Hinweg! Des Todes ist, wer sich mir naht.

HERMANN.

– Hebt ihn empor, und sagt ihm, wer ich sei.

DER ZWEITE CHERUSKER.

Steh auf, unsel'ger Alter!

DER ERSTE CHERUSKER.

Fasse dich!

DER ZWEITE CHERUSKER.

Hermann, dein Rächer ist's, der vor dir steht.

 

Sie heben ihn empor.

 

TEUTHOLD.

Hermann, mein Rächer, sagt ihr? – Kann er Rom,

Das Drachennest, vom Erdenrund vertilgen?

HERMANN.

Ich kann's und will's! Hör an, was ich dir sage.

TEUTHOLD sieht ihn an.

Was für ein Laut des Himmels traf mein Ohr?

DIE BEIDEN VETTERN.

Du kannst's und willst's?

TEUTHOLD.

Gebeut! Sprich! Red, o Herr!

Was muß geschehn? Wo muß die Keule fallen?

HERMANN.

Das hör jetzt, und erwidre nichts. –

Brich, Rabenvater, auf, und trage, mit den Vettern,

Die Jungfrau, die geschändete,

In einen Winkel deines Hauses hin!

Wir zählen funfzehn Stämme der Germaner;

In funfzehn Stücke, mit des Schwertes Schärfe,

Teil ihren Leib, und schick mit funfzehn Boten,

Ich will dir funfzehn Pferde dazu geben,

Den funfzehn Stämmen ihn Germaniens zu.

Der wird in Deutschland, dir zur Rache,

Bis auf die toten Elemente werben:

Der Sturmwind wird, die Waldungen durchsausend,

Empörung! rufen, und die See,

Des Landes Rippen schlagend, Freiheit! brüllen.

DAS VOLK.

Empörung! Rache! Freiheit!

TEUTHOLD.

Auf! Greift an!

Bringt sie ins Haus, zerlegt in Stücken sie!

 

Sie tragen die Leiche fort.

 

HERMANN.

Komm, Eginhardt! Jetzt hab ich nichts mehr

An diesem Ort zu tun! Germanien lodert:

Laß uns den Varus jetzt, den Stifter dieser Greuel,

Im Teutoburger Walde suchen!

 

Alle ab.

 

 

Szene: Hermanns Zelt.

 

Siebenter Auftritt

Hermann tritt auf, mit Schild und Spieß. Hinter ihm Septimius. – Gefolge.

 

HERMANN.

Hast du die neuste Einrichtung getroffen?

Mir das Cheruskerheer, das vor den Toren liegt,

Nach Römerart, wie du versprachst,

In kleinere Manipeln abgeteilt?

SEPTIMIUS.

Mein Fürst, wie konnt ich? Deine deutschen Feldherrn

Versicherten, du wolltest selbst,

Bei dieser Neuerung zugegen sein.

Ich harrte, vor dem Tor, bis in die Nacht auf dich;

Doch du – warum? nicht weiß ich es – bliebst aus.

HERMANN.

Was! So ist alles noch im Heer, wie sonst?

SEPTIMIUS.

Auf jeden Punkt; wie könnt es anders?

Es ließ sich, ohne dich, du weißt, nichts tun.

HERMANN.

Das tut mir leid, Septimius, in der Tat!

Mich hielt ein dringendes Geschäft

Im Ort zurück; du würdest, glaubt ich,

Auch ohne mich hierin verfügen können.

Nun – wird es wohl beim alten bleiben müssen.

Der Tag bricht an; hast du das Heer,

Dem Plan gemäß, zum Marsch nach Arkon,

Dem Teutoburger Waldplatz angeschickt?

SEPTIMIUS.

Es harrt nur deines Worts, um anzutreten.

HERMANN indem er einen Vorhang lüftet.

– Ich denk, es wird ein schöner Tag heut werden?

SEPTIMIUS.

Die Nacht war heiß, ich fürchte ein Gewitter.

 

Pause.

 

HERMANN.

Nun, sei so gut, verfüg dich nur voran!

Von meinem Weib nur will ich Abschied nehmen,

Und folg, in einem Augenblick, dir nach!

 

Septimius ab.

Zu dem Gefolge.

 

Auf, folgt ihm, und verlaßt ihn nicht!

Und jegliche Gemeinschaft ist,

Des Heers mit Teutoburg, von jetzt streng aufgehoben.

 

Das Gefolge ab.

 

Achter Auftritt

HERMANN nachdem er Schild und Spieß weggelegt.

Nun wär ich fertig, wie ein Reisender.

Cheruska, wie es steht und liegt,

Kommt mir, wie eingepackt in eine Kiste, vor:

Um einen Wechsel könnt ich es verkaufen.

Denn käm's heraus, daß ich auch nur

Davon geträumt, Germanien zu befrein:

Roms Feldherr steckte gleich mir alle Plätze an,

Erschlüge, was die Waffen trägt,

Und führte Weib und Kind gefesselt übern Rhein. –

August straft den Versuch, so wie die Tat!

 

Er zieht eine Klingel; ein Trabant tritt auf.

 

Ruf mir die Fürstin!

DER TRABANT.

Hier erscheint sie schon!

 

 

Neunter Auftritt

Hermann und Thusnelda.

 

HERMANN nimmt einen Brief aus dem Busen.

Nun, Thuschen, komm; ich hab dir was zu sagen.

THUSNELDA ängstlich.

Sag, liebster Freund, um 's Himmelswillen,

Welch ein Gerücht läuft durch den Lagerplatz?

Ganz Teutoburg ist voll, es würd, in wenig Stunden,

Dem Crassus, der Kohorten Führer,

Ein fürchterliches Blutgericht ergehn!

Dem Tode, wär die ganze Schar geweiht,

Die als Besatzung hier zurückgeblieben.

HERMANN.

Ja! Kind, die Sach hat ihre Richtigkeit.

Ich warte nur auf Astolf noch,

Deshalb gemeßne Ordre ihm zu geben.

Sobald ich Varus' Heer, beim Strahl des nächsten Tages,

Im Teutoburger Wald erreicht,

Bricht Astolf hier im Ort dem Crassus los;

Die ganze Brut, die in den Leib Germaniens

Sich eingefilzt, wie ein Insektenschwarm,

Muß durch das Schwert der Rache jetzo sterben.

THUSNELDA.

Entsetzlich! – Was für Gründe, sag mir,

Hat dein Gemüt, so grimmig zu verfahren?

HERMANN.

Das muß ich dir ein andermal erzählen.

THUSNELDA.

Crassus, mein liebster Freund, mit allen Römern –?

HERMANN.

Mit allen, Kind; nicht einer bleibt am Leben!

Vom Kampf, mein Thuschen, übrigens,

Der hier im Ort gekämpft wird werden,

Hast du auch nicht das mindeste zu fürchten;

Denn Astolf ist dreimal so stark, als Crassus;

Und überdies noch bleibt ein eigner Kriegerhaufen,

Zum Schutze dir, bei diesem Zelt zurück.

THUSNELDA.

Crassus? Nein, sag mir an! Mit allen Römern –?

Die Guten mit den Schlechten, rücksichtslos?

HERMANN.

Die Guten mit den Schlechten. – Was! Die Guten!

Das sind die Schlechtesten! Der Rache Keil

Soll sie zuerst, vor allen andern, treffen!

THUSNELDA.

Zuerst! Unmenschlicher! Wie mancher ist,

Dem wirklich Dankbarkeit du schuldig bist –?

HERMANN.

– Daß ich nicht wüßte! Wem?

THUSNELDA.

Das fragst du noch!

HERMANN.

Nein, in der Tat, du hörst; ich weiß von nichts.

Nenn einen Namen mir?

THUSNELDA.

Dir einen Namen!

So mancher einzelne, der, in den Plätzen,

Auf Ordnung hielt, das Eigentum beschützt –

HERMANN.

Beschützt! Du bist nicht klug! Das taten sie,

Es um so besser unter sich zu teilen.

THUSNELDA mit steigender Angst.

Du Unbarmherz'ger! Ungeheuerster!

– So hätt auch der Centurio,

Der, bei dem Brande in Thuiskon jüngst

Die Heldentat getan, dir kein Gefühl entlockt?

HERMANN.

Nein – Was für ein Centurio?

THUSNELDA.

Nicht? Nicht?

Der junge Held, der, mit Gefahr des Lebens,

Das Kind, auf seiner Mutter Ruf,

Dem Tod der Flammen mutig jüngst entrissen? –

Er hätte kein Gefühl der Liebe dir entlockt?

HERMANN glühend.

Er sei verflucht, wenn er mir das getan!

Er hat, auf einen Augenblick,

Mein Herz veruntreut, zum Verräter

An Deutschlands großer Sache mich gemacht!

Warum setzt' er Thuiskon mir in Brand?

Ich will die höhnische Dämonenbrut nicht lieben!

Solang sie in Germanien trotzt,

Ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!

THUSNELDA weinend.

Mein liebster, bester Herzens-Hermann,

Ich bitte dich um des Ventidius Leben!

Das eine Haupt nimmst du von deiner Rache aus!

Laß, ich beschwöre dich, laß mich ihm heimlich melden,

Was über Varus du verhängt:

Mag er ins Land der Väter rasch sich retten!

HERMANN.

Ventidius? Nun gut. – Ventidius Carbo?

Nun denn, es sei! – Weil es mein Thuschen ist,

Die für ihn bittet, mag er fliehn:

Sein Haupt soll meinem Schwert, so wahr ich lebe,

Um dieser schönen Regung heilig sein!

THUSNELDA sie küßt seine Hand.

O Hermann! Ist es wirklich wahr? O Hermann!

Du schenkst sein Leben mir?

HERMANN.

Du hörst. Ich schenk's ihm.

Sobald der Morgen angebrochen,

Steckst du zwei Wort ihm heimlich zu,

Er möchte gleich sich übern Rheinstrom retten;

Du kannst ihm Pferd' aus meinen Ställen schicken,

Daß er den Tagesstrahl nicht mehr erschaut.

THUSNELDA.

O Liebster mein! Wie rührst du mich! O Liebster!

HERMANN.

Doch eher nicht, hörst du, das bitt ich sehr,

Als bis der Morgen angebrochen!

Eh auch mit Mienen nicht verrätst du dich!

Denn alle andern müssen unerbittlich,

Die schändlichen Tyrannenknechte, sterben:

Der Anschlag darf nicht etwa durch ihn scheitern!

THUSNELDA indem sie sich die Tränen trocknet.

Nein, nein; ich schwör's dir zu! Kurz vor der Sonn erst!

Kurz vor der Sonn erst soll er es erfahren!

HERMANN.

So, wenn der Mond entweicht. Nicht eh, nicht später.

THUSNELDA.

Und daß der Jüngling auch nicht etwa,

Der törichte, um dieses Briefs,

Mit einem falschen Wahn sich schmeichele,

Will ich den Brief in deinem Namen schreiben;

Ich will, mit einem höhn'schen Wort ihm sagen:

Bestimmt wär er, die Post vom Untergang des Varus

Nach Rom, an seinen Kaiserhof, zu bringen!

HERMANN heiter.

Das tu. Das ist sehr klug. – Sieh da, mein schönes Thuschen!

Ich muß dich küssen. –

Doch, was ich sagen wollte – –

Hier ist die Locke wieder, schau,

Die er dir jüngst vom Scheitel abgelöst,

Sie war, als eine Probe deiner Haare,

Schon auf dem Weg nach Rom; jedoch ein Schütze bringt,

Der in den Sand den Boten streckte,

Sie wieder in die Hände mir zurück.

 

Er gibt ihr den Brief, worin die Locke eingeschlagen.

 

THUSNELDA indem sie den Brief entfaltet.

Die Lock? O was! Um die ich ihn verklagt?

HERMANN.

Dieselbe, ja!

THUSNELDA.

Sieh da! Wo kommt sie her?

Du hast sie dem Arkadier abgefordert?

HERMANN.

Ich? O behüte!

THUSNELDA.

Nicht? – Ward sie gefunden?

HERMANN.

Gefunden, ja, in einem Brief, du siehst,

Den er nach Rom hin, gestern früh,

An Livia, seine Kaisrin, abgefertigt.

THUSNELDA.

In einem Brief? An Kaiserin Livia?

HERMANN.

Ja, lies die Aufschrift nur. Du hältst den Brief.

 

Indem er mit dem Finger zeigt.

 

»An Livia, Roms große Kaiserin.«

THUSNELDA.

Nun? Und?

HERMANN.

Nun? Und?

THUSNELDA.

– Freund, ich versteh kein Wort!

– Wie kamst du zu dem Brief? Wer gab ihn dir?

HERMANN.

Ein Zufall, Thuschen, hab ich schon gesagt!

Der Brief, mit vielen andern noch,

Ward einem Boten abgejagt,

Der nach Italien ihn bringen sollte.

Den Boten warf ein guter Pfeilschuß nieder,

Und sein Paket, worin die Locke,

Hat mir der Schütze eben überbracht.

THUSNELDA.

Das ist ja seltsam, das, so wahr ich lebe! –

Was sagt Ventidius denn darin?

HERMANN.

Er sagt –:

Laß sehn! Ich überflog ihn nur. Was sagt er?

 

Er guckt mit hinein.

 

THUSNELDA liest.

»Varus, o Herrscherin, steht, mit den Legionen,

Nun in Cheruska siegreich da;

Cheruska, faß mich wohl, der Heimat jener Locken,

Wie Gold so hell und weich wie Seide,

Die dir der heitre Markt von Rom verkauft.

Nun bin ich jenes Wortes eingedenk,

Das deinem schönen Mund, du weißt,

Als ich zuletzt dich sah, im Scherz entfiel.

Hier schick ich von dem Haar, das ich dir zugedacht,

Und das sogleich, wenn Hermann sinkt,

Die Schere für dich ernten wird,

Dir eine Probe zu, mir klug verschafft;

Beim Styx! so legt's am Kapitol,

Phaon, der Krämer, dir nicht vor:

Es ist vom Haupt der ersten Frau des Reichs,

Vom Haupt der Fürstin selber der Cherusker!«

– Ei der Verfluchte!

 

Sie sieht Hermann an, und wieder in den Brief hinein.

 

Nein, ich las wohl falsch?

HERMANN.

Was?

THUSNELDA.

Was!

HERMANN.

– Steht's anders in dem Briefe da?

Er sagt –:

THUSNELDA.

»Hier schick ich von dem Haar«, sagt er,

»Das ich dir zugedacht, und das sogleich,

Wenn Hermann sinkt – die Schere für dich ernten wird –«

 

Die Sprache geht ihr aus.

 

HERMANN.

Nun ja; er will –! Verstehst du's nicht?

THUSNELDA.

 

Sie wirft sich auf einen Sessel nieder.

 

O Hertha! Nun mag ich diese Sonne nicht mehr sehn.

 

Sie verbirgt ihr Haupt.

 

HERMANN leise, flüsternd.

Thuschen! Thuschen! Er ist ja noch nicht fort.

 

Er folgt ihr und ergreift ihre Hand.

 

THUSNELDA.

Geh, laß mich sein.

HERMANN beugt sich ganz über sie.

Heut, wenn die Nacht sinkt, Thuschen,

Schlägt dir der Rache süße Stunde ja!

THUSNELDA.

Geh, geh, ich bitte dich! Verhaßt ist alles,

Die Welt mir, du mir, ich: laß mich allein!

HERMANN er fällt vor ihr nieder.

Thuschen! Mein schönes Weib! Wie rührst du mich!

 

Kriegsmusik draußen.

 

 

Zehnter Auftritt

Eginhardt und Astolf treten auf. Die Vorigen.

 

EGINHARDT.

Mein Fürst, die Hörner rufen dich! Brich auf!

Du darfst, willst du das Schlachtfeld noch erreichen,

Nicht, wahrlich! einen Augenblick mehr säumen.

HERMANN steht auf.

Gertrud!

EGINHARDT.

Was fehlt der Königin?

HERMANN.

Nichts, nichts!

 

Die Frauen der Thusnelda treten auf.

 

Hier! Sorgt für eure Frau! Ihr seht, sie weint.

 

Er nimmt Schild und Spieß.

 

Astolf ist von dem Kriegsplan unterrichtet?

EGINHARDT.

Er weiß von allem.

HERMANN zu Astolf.

Sechshundert Krieger bleiben dir

In Teutoburg zurück, und ein Gezelt mit Waffen,

Cheruskas ganzes Volk damit zu rüsten.

Teuthold bewaffnest, und die Seinen, du,

Um Mitternacht, wenn alles schläft, zuerst.

Sobald der Morgen dämmert brichst du los.

Crassus und alle Führer der Kohorten,

Suchst du in ihren Zelten auf;

Den Rest des Haufens fällst du, gleichviel, wo?

Auch den Ventidius empfehl ich dir.

Wenn hier in Teutoburg der Schlag gefallen,

Folgst du, mit deinem ganzen Troß,

Mir nach dem Teutoburger Walde nach;

Dort wirst du weiteren Befehl erhalten. –

Hast du verstanden?

ASTOLF.

Wohl, mein erlauchter Herr.

EGINHARDT besorgt.

Mein bester Fürst! Willst du nicht lieber ihn

Nach Norden, an den Lippstrom, schicken,

Cheruska vor dem Pästus zu beschirmen,

Der dort, du weißt, mit Holm, dem Herrn der Friesen, kämpft.

Cheruska ist ganz offen dort,

Und Pästus, wenn er hört, daß Rom von dir verraten,

Beim Styx! er sendet, zweifle nicht,

Gleich einen Haufen ab, in deinem Rücken,

Von Grund aus, alle Plätze zu verwüsten.

HERMANN.

Nichts, nichts, mein alter Freund! Was fällt dir ein?

Kämpf ich auch für den Sand, auf den ich trete,

Kämpf ich für meine Brust?

Cheruska schirmen! Was! Wo Hermann steht, da siegt er,

Und mithin ist Cheruska da.

Du folgst mir, Astolf, ins Gefild der Schlacht;

Wenn Varus, an der Weser, sank,

Werd ich, am Lippstrom, auch den Pästus treffen!

ASTOLF.

Es ist genug, o Herr! Es wird geschehn.

HERMANN wendet sich zu Thusnelda.

Leb wohl, Thusnelda, mein geliebtes Weib!

Astolf hat deine Rache übernommen.

THUSNELDA steht auf.

An dem Ventidius?

 

Sie drückt einen heißen Kuß auf seine Lippen.

 

Überlaß ihn mir!

Ich habe mich gefaßt, ich will mich rächen!

HERMANN.

Dir?

THUSNELDA.

Mir! Du sollst mit mir zufrieden sein.

HERMANN.

Nun denn, so ist der erste Sieg erfochten!

Auf jetzt, daß ich den Varus treffe:

Roms ganze Kriegsmacht, wahrlich, scheu ich nicht!

 

Alle ab.

 

 

Fünfter Akt

 

Szene: Teutoburger Wald. Nacht, Donner und Blitz.

 

Erster Auftritt

Varus und mehrere Feldherrn, an der Spitze des römischen Heeres, mit Fackeln treten auf.

 

VARUS.

Ruft Halt! ihr Feldherrn, den Kohorten zu!

DIE FELDHERRN in der Ferne.

Halt! – Halt!

VARUS.

Licinius Valva!

EIN HAUPTMANN vortretend.

Hier! Wer ruft?

VARUS.

Schaff mir die Boten her, die drei Cherusker,

Die an der Spitze gehn!

DER HAUPTMANN.

Du hörst, mein Feldherr!

Du wirst die Männer schuldlos finden;

Arminius hat sie also unterrichtet.

VARUS.

Schaff sie mir her, sag ich, ich will sie sprechen! –

Ward, seit die Welt in Kreisen rollt,

Solch ein Verrat erlebt? Cherusker führen mich,

Die man, als Kundige des Landes, mir

Mit breitem Munde rühmt, am hellen Mittag irr!

Rück ich nicht, um zwei Meilen zu gewinnen,

Bereits durch sechzehn volle Stunden fort?

War's ein Versehn, daß man nach Pfiffi– mich,

Statt Iphikon geführt: wohlan, ich will es mindstens,

Bevor ich weiterrücke, untersuchen.

ERSTER FELDHERR in den Bart.

Daß durch den Mantel doch, den sturmzerrißnen,

Der Nacht, der um die Köpf uns hängt,

Ein einz'ges Sternbild schimmernd niederblinkte!

Wenn auf je hundert Schritte nicht,

Ein Blitzstrahl zischend vor uns niederkeilte,

Wir würden, wie die Eul am Tage,

Haupt und Gebein uns im Gebüsch zerschellen!

ZWEITER FELDHERR.

Wir können keinen Schritt fortan,

In diesem feuchten Mordgrund, weiter rücken!

Er ist so zäh, wie Vogelleim geworden.

Das Heer schleppt halb Cheruska an den Beinen,

Und wird noch, wie ein bunter Specht,

Zuletzt, mit Haut und Haar, dran klebenbleiben.

DRITTER FELDHERR.

Pfiffikon! Iphikon! – Was das, beim Jupiter!

Für eine Sprache ist! Als schlüg ein Stecken

An einen alten, rostzerfreßnen Helm!

Ein Greulsystem von Worten, nicht geschickt,

Zwei solche Ding, wie Tag und Nacht,

Durch einen eignen Laut zu unterscheiden.

Ich glaub, ein Tauber war's, der das Geheul erfunden,

Und an den Mäulern sehen sie sich's ab.

EIN RÖMER.

Dort kommen die Cherusker!

VARUS.

Bringt sie her!

 

 

Zweiter Auftritt

Der Hauptmann mit den drei cheruskischen Boten. – Die Vorigen.

 

VARUS.

Nach welchem Ort, sag an, von mir benannt,

Hast du mich heut von Arkon führen sollen?

DER ERSTE CHERUSKER.

Nach Pfiffikon, mein hochverehrter Herr.

VARUS.

Was, Pfiffikon! hab ich nicht Iphi– dir

Bestimmt, und wieder Iphikon genannt?

DER ERSTE CHERUSKER.

Vergib, o Herr, du nanntest Pfiffikon.

Zwar sprachst du, nach der Römermundart,

Das leugn ich nicht: »führt mich nach Iphikon«;

Doch Hermann hat bestimmt uns gestern,

Als er uns unterrichtete, gesagt:

»Des Varus Wille ist nach Pfiffikon zu kommen;

Drum tut nach mir, wie er auch ausspricht,

Und führt sein Heer auf Pfiffikon hinaus.«

VARUS.

Was!

DER ERSTE CHERUSKER.

Ja, mein erlauchter Herr, so ist's.

VARUS.

Woher kennt auch dein Hermann meine Mundart?

Den Namen hatt ich: Iphikon,

Ja schriftlich ihm, mit dieser Hand gegeben?!

DER ERSTE CHERUSKER.

Darüber wirst du ihn zur Rede stellen;

Doch wir sind schuldlos, mein verehrter Herr.

VARUS.

O wart! – – Wo sind wir jetzt?

DER ERSTE CHERUSKER.

Das weiß ich nicht.

VARUS.

Das weißt du nicht, verwünschter Galgenstrick,

Und bist ein Bote?

DER ERSTE CHERUSKER.

Nein! Wie vermöcht ich das?

Der Weg, den dein Gebot mich zwang,

Südwest quer durch den Wald hin einzuschlagen,

Hat in der Richtung mich verwirrt:

Mir war die große Straße nur,

Von Teutoburg nach Pfiffikon, bekannt.

VARUS.

Und du? Du weißt es auch nicht.

DER ZWEITE CHERUSKER.

Nein, mein Feldherr.

VARUS.

Und du?

DER DRITTE CHERUSKER.

Ich auch bin, seit es dunkelt, irre. –

Nach allem doch, was ich ringsum erkenne,

Bist du nicht weit von unserm Waldplatz Arkon.

VARUS.

Von Arkon? Was! Wo ich heut ausgerückt?

DER DRITTE CHERUSKER.

Von eben dort; du bist ganz heimgegangen.

VARUS.

Daß euch der Erde finstrer Schoß verschlänge! –

Legt sie in Stricken! – Und wenn sie jedes ihrer Worte

Hermann ins Antlitz nicht beweisen können,

So hängt der Schufte einen auf,

Und gerbt den beiden anderen die Rücken!

 

Die Boten werden abgeführt.

 

 

Dritter Auftritt

Die Vorigen ohne die Boten.

 

VARUS.

Was ist zu machen? – – Sieh da! Ein Licht im Walde!

ERSTER FELDHERR.

He, dort! Wer schleicht dort?

ZWEITER FELDHERR.

Nun, beim Jupiter!

Seit wir den Teutoburger Wald durchziehn,

Der erste Mensch, der unserm Blick begegnet!

DER HAUPTMANN.

Es ist ein altes Weib, das Kräuter sucht.

 

 

Vierter Auftritt

Eine Alraune tritt auf, mit Krücke und Laterne. Die Vorigen.

 

VARUS.

Auf diesem Weg, den ich im Irrtum griff,

Stammütterchen Cheruskas, sag mir an,

Wo komm ich her? Wo bin ich? Wohin wandr ich?

DIE ALRAUNE.

Varus, o Feldherr Roms, das sind drei Fragen!

Auf mehr nicht kann mein Mund dir Rede stehn!

VARUS.

Sind deine Worte so geprägt,

Daß du, wie Stücken Goldes, sie berechnest?

Wohlan, es sei, ich bin damit zufrieden!

Wo komm ich her?

DIE ALRAUNE.

Aus Nichts, Quintilius Varus!

VARUS.

Aus Nichts? – Ich komm aus Arkon heut.

– Die Römische Sibylle, seh ich wohl,

Und jene Wunderfrau von Endor bist du nicht.

– Laß sehn, wie du die andern Punkt' erledigst!

Wenn du nicht weißt, woher des Wegs ich wandre:

Wenn ich südwestwärts, sprich, stets ihn verfolge,

Wo geh ich hin?

DIE ALRAUNE.

Ins Nichts, Quintilius Varus!

VARUS.

Ins Nichts? – Du singst ja, wie ein Rabe!

Von wannen kommt dir diese Wissenschaft?

Eh ich in Charons düstern Nachen steige,

Denk ich, als Sieger, zweimal noch

Rom, mit der heiteren Quadriga, zu durchschreiten!

Das hat ein Priester Jovis mir vertraut.

– Triff, bitt ich dich, der dritten Frage,

Die du vergönnt mir, besser auf die Stirn!

Du siehst, die Nacht hat mich Verirrten überfallen:

Wo geh ich her? Wo geh ich hin?

Und wenn du das nicht weißt, wohlan:

Wo bin ich? sag mir an, das wirst du wissen;

In welcher Gegend hier befind ich mich?

DIE ALRAUNE.

Zwei Schritt vom Grab, Quintilius Varus,

Hart zwischen Nichts und Nichts! Gehab dich wohl!

Das sind genau der Fragen drei;

Der Fragen mehr, auf dieser Heide,

Gibt die cheruskische Alraune nicht!

 

Sie verschwindet.

 

 

Fünfter Auftritt

Die Vorigen ohne die Alraune.

 

VARUS.

Sieh da!

ERSTER FELDHERR.

Beim Jupiter, dem Gott der Welt!

ZWEITER FELDHERR.

Was war das?

VARUS.

Wo?

ZWEITER FELDHERR.

Hier, wo der Pfad sich kreuzet!

VARUS.

Saht ihr es auch, das sinnverrückte Weib?

ERSTER FELDHERR.

Das Weib?

ZWEITER FELDHERR.

Ob wir's gesehn?

VARUS.

Nicht? – Was war's sonst?

Der Schein des Monds, der durch die Stämme fällt?

ERSTER FELDHERR.

Beim Orkus! Eine Hexe! halt't sie fest!

Da schimmert die Laterne noch!

VARUS niedergeschlagen.

Laßt, laßt!

Sie hat des Lebens Fittich mir

Mit ihrer Zunge scharfem Stahl gelähmt!

 

 

Sechster Auftritt

Ein Römer tritt auf. Die Vorigen.

 

DER RÖMER.

Wo ist der Feldherr Roms! Wer führt mich zu ihm?

DER HAUPTMANN.

Was gibt's? Hier steht er!

VARUS.

Nun? Was bringst du mir?

DER RÖMER.

Quintilius, zu den Waffen, sag ich dir!

Marbod hat übern Weserstrom gesetzt!

Auf weniger, denn tausend Schritte,

Steht er mit seinem ganzen Suevenheere da!

VARUS.

Marbod! Was sagst du mir?

ERSTER FELDHERR.

Bist du bei Sinnen?

VARUS.

– Von wem kommt dir die aberwitz'ge Kunde?

DER RÖMER.

Die Kunde? Was! Beim Zeus, hier von mir selbst!

Dein Vortrab stieß soeben auf den seinen,

Bei welchem ich, im Schein der Fackeln,

Soeben durch die Büsche, ihn gesehn!

VARUS.

Unmöglich ist's!

ZWEITER FELDHERR.

Das ist ein Irrtum, Freund!

VARUS.

Fulvius Lepidus, der Legate Roms,

Der eben jetzt, aus Marbods Lager,

Hier angelangt, hat ihn vorgestern

Ja noch jenseits des Weserstroms verlassen?!

DER RÖMER.

Mein Feldherr, frage mich nach nichts!

Schick deine Späher aus und überzeuge dich!

Marbod, hab ich gesagt, steht, mit dem Heer der Sueven,

Auf deinem Weg zur Weser aufgepflanzt;

Hier diese Augen haben ihn gesehn!

VARUS.

– Was soll dies alte Herz fortan nicht glauben?

Kommt her und sprecht: Marbod und Hermann

Verständen heimlich sich, in dieser Fehde,

Und so wie der im Antlitz mir,

So stände der mir schon im Rücken,

Mich hier mit Dolchen in den Staub zu werfen:

Beim Styx! ich glaubt es noch; ich hab's, schon vor drei Tagen,

Als ich den Lippstrom überschifft, geahnt!

ERSTER FELDHERR.

Pfui doch, Quintilius, des unrömerhaften Worts!

Marbod und Hermann! In den Staub dich werfen!

Wer weiß, ob einer noch von beiden

In deiner Nähe ist! – Gib mir ein Häuflein Römer,

Den Wald, der dich umdämmert, zu durchspähn:

Die Schar, auf die dein Vordertrab gestoßen,

Ist eine Horde noch zuletzt,

Die hier den Uren oder Bären jagt.

VARUS sammelt sich.

Auf! – Drei Centurien geb ich dir!

– Bring Kunde mir, wenn du's vermagst,

Von seiner Zahl; verstehst du mich?

Und seine Stellung auch im Wald erforsche;

Jedoch vermeide sorgsam ein Gefecht.

 

Der erste Feldherr ab.

 

 

Siebenter Auftritt

Varus. – Im Hintergrunde das Römerheer.

 

VARUS.

O Priester Zeus', hast du den Raben auch,

Der Sieg mir zu verkünd'gen schien, verstanden?

Hier war ein Rabe, der mir prophezeit,

Und seine heisre Stimme sprach: das Grab!

 

 

Achter Auftritt

Ein zweiter Römer tritt auf. Die Vorigen.

 

DER RÖMER.

Man schickt mich her, mein Feldherr, dir zu melden,

Daß Hermann, der Cheruskerfürst,

Im Teutoburger Wald soeben eingetroffen;

Der Vortrab seines Heers, dir hülfreich zugeführt,

Berührt den Nachtrab schon des deinigen!

VARUS.

Was sagst du?

ZWEITER FELDHERR.

Hermann? – Hier in diesem Wald?

VARUS wild.

Bei allen Furien der flammenvollen Hölle!

Wer hat ihm Fug und Recht gegeben,

Heut weiter, als bis Arkon, vorzurücken?

DER RÖMER.

Darauf bleib ich die Antwort schuldig dir.