Sie waren beide gute, ehrliche Herzen, und da sie von den Tagen ihrer Ehe kaum im Voraus geträumt oder sich ein paradiesisches Glück ausgemalt, so wurden sie auch in nichts enttäuscht. Die Sitte band sie, das gemeinsame Schaffen, die gegenseitige Achtung und darum auch die gegenseitige Treue. So ging Alles im ruhigen, hergebrachten Geleise, und als Chane ihrem Gatten nach Jahresfrist ein Kind gebar, da fühlte dieser in seinem Innern sogar wieder jenes geheimnisvolle Etwas sich regen, das so lange geschwiegen. Das Kind starb nach wenigen Wochen, aber die große Trauer brachte die Gatten nur einander näher. Dann mußten sie den guten, hochbetagten Manasse begraben, und nun lastete auch die Leitung des ganzen großen Geschäfts allein auf ihren Schultern. Nathan mußte nun viel auswärts sein, aber Chane war die getreueste Verwalterin des großen Hauswesens. Sie lernte deutsch schreiben und lesen, um ihrem Gatten im Geschäfte helfen zu können, und sorgte insbesondere mit rührender Umsicht für alle seine persönlichen Bedürfnisse. Auch er hielt sie hoch und wert und bekleidete ihren holden Leib mit den schwersten Seidenstoffen und dem massivsten Goldschmuck aus den Läden von Lemberg und Czernowitz. Sie waren zufrieden mit einander, wohl auch glücklich. Denn was fehlte zu ihrem Glücke? Sie liebten einander nicht. Aber sie wußten von der Liebe nur, das sei eine Mode der Christen, bevor sie sich verheiraten. Wozu braucht ein jüdisch Kind christliche Moden mitzumachen?
Sie waren glücklich, und das Haus ihrer Ehe stand stark und fest gefügt auf dem Boden der Achtung und der Arbeit und der Gewohnheit, bis der Sturm der Leidenschaft herangebraust kam und das Haus zu Boden warf wie ein Kartenhaus und sie ohne Erbarmen in seinen Bann nahm und hinausstieß in Kampf und Schmerz! ...
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Das Städtchen Barnow ist sehr klein, ein ödes, schmutziges Nest in einem gottverlassenen Winkel der Erde, und der große Strom des Lebens und der Bildung wirft kaum das Atom einer Welle hierher, aber – ein »Kasino« hat Barnow doch. Es sieht freilich bescheiden genug aus. Hinten im Hofe, hinter Nathan's Laden liegt es, ein kleines Zimmer, in dem zwei Tische stehen und mehrere Stühle. Das hat Nathan für seine Stammgäste eingerichtet. Hier trinken die Beamten und sonstigen Honoratioren von Barnow ihren Frühschoppen und politisieren dabei, und wenn es ihre Frauen erlauben, so politisieren sie auch hier des Abends und trinken ihren Abendschoppen dazu. Der hochgeborene Florian von Bolwinski, ein Gutsbesitzer ohne Gut, der keine Frau hat, trinkt hier seinen Morgen-, Vormittags-, Mittags-, Nachmittags-, Abend- und Nachtschoppen und unterbricht sich nur zuweilen, um einen Spaziergang zu machen, einer Köchin seine Liebe zu erklären, einen Juden anzupumpen oder sonst ein wichtiges Geschäft zu verrichten. Auch der frühere Bezirksrichter, Herr Hippolyt Lozinski, war hier Stammgast, und ein Verdienst dieses Zimmerchens war's, daß mindestens die Nase rot wurde in seinem gelben, magern Gesicht. Aber eben als sie durch fortgesetzte Bemühungen zum leuchtenden Rubin geworden, starb der Wackere, zur ziemlichen Freude des Bezirks, zum unaussprechlichen Schmerze seiner überaus zahlreichen Gläubiger. Frau Kasimira zog sich auf die Güter Derer von Cybulski zurück, einen kleinen, überschuldeten Meierhof bei Tarnopol, und in das erste Stockwerk des weißen Hauses zog der neue Bezirksrichter, Herr Julko von Negrusz. Er nahm auch den Platz des Verewigten im »Kasino« ein, freilich ohne ihn so häufig und so ausgiebig zu benützen, wie dieser.
Herr von Negrusz war ein junger Mann, etwa im Anfang der Dreißig. Man achtete ihn gleich von Anfang an als ausgezeichneten Juristen und bald auch als guten Menschen. Ein Bezirksrichter in Podolien ist ein Halbgott und kann zum Fluch oder zum Segen seines Bezirkes werden. Herr von Negrusz übte seine Macht nur zum Guten. Was sein Äußeres anbelangt, so läßt sich nicht viel darüber sagen: er war ein schlanker Mann und stille braune Augen standen in einem Gesichte, das man weder schön noch häßlich nennen konnte. Die drei grünlichen, überaus erwachsenen Töchter des Herrn Steueramtsvorstehers behaupteten, er sei ein Barbar und gegen Frauenreize ganz unempfindlich. In der That liebte er Damengesellschaft nicht sonderlich.
Also auch Herr von Negrusz wurde, wie erwähnt, Stammgast in der kleinen Weinstube. Er pflegte sich dort täglich, nachdem er aus dem Amte gekommen, eine halbe Stunde aufzuhalten, und die Zeitung zu lesen, ehe er in seine Wohnung zum Mittagessen hinaufging, das ihm seine alte Wirtschafterin bereitete. Und da der Zugang durch den Hof so unbequem und schmutzig war, so ging auch er, wie die meisten Gäste, durch den Laden, wo die schöne Frau des Kaufmanns immer selbst das Geschäft beaufsichtigte. Doch begnügte er sich, sie im Vorbeigehen stumm zu grüßen, und sprach und scherzte nie mit ihr, wie es wohl die anderen, älteren Herren zu thun pflegten oder die jungen Offiziere.
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