MARGOT.

Was? Eh wir sie

Begrüßt und angeredet?

LOUISON.

Sie gehört

Uns nicht mehr an, bei Fürsten ist ihr Platz

Und Königen – Wer sind wir, daß wir uns

Zu ihrem Glanze rühmend eitel drängen?

Sie war uns fremd, da sie noch unser war!

MARGOT.

Wird sie sich unser schämen, uns verachten?

BERTRAND.

Der König selber schämt sich unser nicht,

Er grüßte freundlich auch den Niedrigsten.

Sei sie so hoch gestiegen als sie will,

Der König ist doch größer!

 

Trompeten und Pauken erschallen aus der Kirche.

 

CLAUDE MARIE.

Kommt zur Kirche!

 

Sie eilen nach dem Hintergrund, wo sie sich unter dem Volke verlieren.

 

 

Achter Auftritt

Thibaut kommt, schwarz gekleidet, Raimond folgt ihm und will ihn zurückehalten.

 

RAIMOND.

Bleibt, Vater Thibaut! Bleibt aus dem Gedränge

Zurück! Hier seht Ihr lauter frohe Menschen,

Und Euer Gram beleidigt dieses Fest.

Kommt! Fliehn wir aus der Stadt mit eilgen Schritten.

THIBAUT.

Sahst du mein unglückselig Kind? Hast du

Sie recht betrachtet?

RAIMOND.

O ich bitt Euch, flieht!

THIBAUT.

Bemerktest du, wie ihre Schritte wankten,

Wie bleich und wie verstört ihr Antlitz war!

Die Unglückselige fühlt ihren Zustand,

Das ist der Augenblick, mein Kind zu retten,

Ich will ihn nutzen.

 

Er will gehen.

 

RAIMOND.

Bleibt! Was wollt Ihr tun?

THIBAUT.

Ich will sie überraschen, will sie stürzen

Von ihrem eiteln Glück, ja mit Gewalt

Will ich zu ihrem Gott, dem sie entsagt,

Zurück sie führen.

RAIMOND.

Ach! Erwägt es wohl!

Stürzt Euer eigen Kind nicht ins Verderben!

THIBAUT.

Lebt ihre Seele nur, ihr Leib mag sterben.

 

Johanna stürzt aus der Kirche heraus, ohne ihre Fahne, Volk dringt zu ihr, adoriert sie und küßt ihre Kleider, sie wird durch das Gedränge im Hintergrunde aufgehalten.

 

Sie kommt! Sie ists! Bleich stürzt sie aus der Kirche,

Es treibt die Angst sie aus dem Heiligtum,

Das ist das göttliche Gericht, das sich

An ihr verkündiget! –

RAIMOND.

Lebt wohl!

Verlangt nicht, daß ich länger Euch begleite!

Ich kam voll Hoffnung und ich geh voll Schmerz.

Ich habe Eure Tochter wieder gesehn,

Und fühle, daß ich sie aufs neu verliere!

 

Er geht ab, Thibaut entfernt sich auf der entgegengesetzten Seite.

 

Neunter Auftritt

Johanna. Volk. Hernach ihre Schwestern.

 

JOHANNA hat sich des Volks erwehrt und kommt vorwärts.

Ich kann nicht bleiben – Geister jagen mich,

Wie Donner schallen mir der Orgel Töne,

Des Doms Gewölbe stürzen auf mich ein,

Des freien Himmels Weite muß ich suchen!

Die Fahne ließ ich in dem Heiligtum,

Nie, nie soll diese Hand sie mehr berühren!

– Mir wars, als hätt ich die geliebten Schwestern,

Margot und Louison, gleich einem Traum

An mir vorüber gleiten sehen. – Ach!

Es war nur eine täuschende Erscheinung!

Fern sind sie, fern und unerreichbar weit,

Wie meiner Kindheit, meiner Unschuld Glück!

MARGOT hervortretend.

Sie ists, Johanna ists.

LOUISON eilt ihr entgegen.

O meine Schwester!

JOHANNA.

So wars kein Wahn – Ihr seid es – Ich umfaß euch,

Dich meine Louison! Dich meine Margot!

Hier in der fremden menschenreichen Öde

Umfang ich die vertraute Schwesterbrust!

MARGOT.

Sie kennt uns noch, ist noch die gute Schwester.

JOHANNA.

Und eure Liebe führt euch zu mir her

So weit, so weit! Ihr zürnt der Schwester nicht,

Die lieblos ohne Abschied euch verließ!

LOUISON.

Dich führte Gottes dunkle Schickung fort.

MARGOT.

Der Ruf von dir, der alle Welt bewegt,

Der deinen Namen trägt auf allen Zungen,

Hat uns erweckt in unserm stillen Dorf,

Und hergeführt zu dieses Festes Feier.

Wir kommen deine Herrlichkeit zu sehn,

Und wir sind nicht allein!

JOHANNA schnell.

Der Vater ist mit euch!

Wo, wo ist er? Warum verbirgt er sich?

MARGOT.

Der Vater ist nicht mit uns.

JOHANNA.

Nicht? Er will sein Kind

Nicht sehn? Ihr bringt mir seinen Segen nicht?

LOUISON.

Er weiß nicht, daß wir hier sind.

JOHANNA.

Weiß es nicht!

Warum nicht? – Ihr verwirret euch? Ihr schweigt

Und seht zur Erde! Sagt, wo ist der Vater?

MARGOT.

Seitdem du weg bist –

LOUISON winkt ihr.

Margot!

MARGOT.

Ist der Vater

Schwermütig worden.

JOHANNA.

Schwermütig!

LOUISON.

Tröste dich!

Du kennst des Vaters ahndungsvolle Seele!

Er wird sich fassen, sich zufrieden geben,

Wenn wir ihm sagen, daß du glücklich bist.

MARGOT.

Du bist doch glücklich? Ja du mußt es sein,

Da du so groß bist und geehrt!

JOHANNA.

Ich bins,

Da ich euch wieder sehe, eure Stimme

Vernehme, den geliebten Ton, mich heim

Erinnre an die väterliche Flur.

Da ich die Herde trieb auf unsern Höhen,

Da war ich glücklich wie im Paradies –

Kann ichs nicht wieder sein, nicht wieder werden!

 

Sie verbirgt ihr Gesicht an Louisons Brust. Claude Marie, Etienne und Bertrand zeigen sich und bleiben schüchtern in der Ferne stehen.

 

MARGOT.

Kommt, Etienne! Bertrand! Claude Marie!

Die Schwester ist nicht stolz, sie ist so sanft

Und spricht so freundlich, als sie nie getan,

Da sie noch in dem Dorf mit uns gelebt.

 

Jene treten näher und wollen ihr die Hand reichen, Johanna sieht sie mit starren Blicken an, und fällt in ein tiefes Staunen.

 

JOHANNA.

Wo war ich? Sagt mir! War das alles nur

Ein langer Traum und ich bin aufgewacht?

Bin ich hinweg aus Dom Remi? Nicht wahr!

Ich war entschlafen unterm Zauberbaum,

Und bin erwacht, und ihr steht um mich her,

Die wohlbekannten traulichen Gestalten?

Mir hat von diesen Königen und Schlachten

Und Kriegestaten nur geträumt – es waren

Nur Schatten, die an mir vorübergingen,

Denn lebhaft träumt sichs unter diesem Baum.

Wie kämet ihr nach Reims? Wie käm ich selbst

Hieher? Nie, nie verließ ich Dom Remi!

Gesteht mirs offen und erfreut mein Herz.

LOUISON.

Wir sind zu Reims. Dir hat von diesen Taten

Nicht bloß geträumt, du hast sie alle wirklich

Vollbracht. – Erkenne dich, blick um dich her,

Befühle deine glänzend goldne Rüstung!

 

Johanna fährt mit der Hand nach der Brust, besinnt sich und erschrickt.

 

BERTRAND.

Aus meiner Hand empfingt Ihr diesen Helm.

CLAUDE MARIE.

Es ist kein Wunder, daß Ihr denkt zu träumen,

Denn was Ihr ausgerichtet und getan,

Kann sich im Traum nicht wunderbarer fügen.

JOHANNA schnell.

Kommt, laßt uns fliehn! Ich geh mit euch, ich kehre

In unser Dorf, in Vaters Schoß zurück.

LOUISON.

O komm! komm mit uns!

JOHANNA.

Diese Menschen alle

Erheben mich weit über mein Verdienst!

Ihr habt mich kindisch, klein und schwach gesehn,

Ihr liebt mich, doch ihr betet mich nicht an!

MARGOT.

Du wolltest allen diesen Glanz verlassen!

JOHANNA.

Ich werf ihn von mir, den verhaßten Schmuck,

Der euer Herz von meinem Herzen trennt,

Und eine Hirtin will ich wieder werden.

Wie eine niedre Magd will ich euch dienen,

Und büßen will ichs mit der strengsten Buße,

Daß ich mich eitel über euch erhob!

 

Trompeten erschallen.

 

 

Zehnter Auftritt

Der König tritt aus der Kirche, er ist im Krönungsornat, Agnes Sorel, Erzbischof, Burgund, Dunois, La Hire, Du Chatel, Ritter, Hofleute und Volk.

 

ALLE STIMMEN rufen wiederholt, während daß der König vorwärtskommt.

Es lebe der König! Karl der Siebente!

 

Trompeten fallen ein. Auf ein Zeichen, das der König gibt, gebieten die Herolde mit erhobenem Stabe Stillschweigen.

 

KÖNIG.

Mein gutes Volk! Habt Dank für eure Liebe!

Die Krone, die uns Gott aufs Haupt gesetzt,

Durchs Schwert ward sie gewonnen und erobert,

Mit edelm Bürgerblut ist sie benetzt,

Doch friedlich soll der Ölzweig sie umgrünen.

Gedankt sei allen, die für uns gefochten,

Und allen, die uns widerstanden, sei

Verziehn, denn Gnade hat uns Gott erzeigt,

Und unser erstes Königswort sei – Gnade!

VOLK.

Es lebe der König! Karl der Gütige!

KÖNIG.

Von Gott allein, dem höchsten Herrschenden,

Empfangen Frankreichs Könige die Krone.

Wir aber haben sie sichtbarer Weise

Aus seiner Hand empfangen.

 

Zur Jungfrau sich wendend.

 

Hier steht die Gottgesendete, die euch

Den angestammten König wieder gab,

Das Joch der fremden Tyrannei zerbrochen!

Ihr Name soll dem heiligen Denis

Gleich sein, der dieses Landes Schützer ist,

Und ein Altar sich ihrem Ruhm erheben!

VOLK.

Heil, Heil der Jungfrau, der Erretterin!

 

Trompeten.

 

KÖNIG zur Johanna.

Wenn du von Menschen bist gezeugt wie wir,

So sage, welches Glück dich kann erfreuen;

Doch wenn dein Vaterland dort oben ist,

Wenn du die Strahlen himmlischer Natur

In diesem jungfräulichen Leib verhüllst,

So nimm das Band hinweg von unsern Sinnen

Und laß dich sehn in deiner Lichtgestalt,

Wie dich der Himmel sieht, daß wir anbetend

Im Staube dich verehren.

 

Ein allgemeines Stillschweigen, jedes Auge ist auf die Jungfrau gerichtet.

 

JOHANNA plötzlich aufschreiend.

Gott! Mein Vater!

 

 

Eilfter Auftritt

Die Vorigen. Thibaut tritt aus der Menge und steht Johanna gerade gegenüber.

 

MEHRERE STIMMEN.

Ihr Vater!

THIBAUT.

Ja ihr jammervoller Vater,

Der die Unglückliche gezeugt, den Gottes

Gericht hertreibt, die eigne Tochter anzuklagen.

BURGUND.

Ha! Was ist das!

DU CHATEL.

Jetzt wird es schrecklich tagen!

THIBAUT zum König.

Gerettet glaubst du dich durch Gottes Macht?

Betrogner Fürst! Verblendet Volk der Franken!

Du bist gerettet durch des Teufels Kunst.

 

Alle treten mit Entsetzen zurück.

 

DUNOIS.

Rast dieser Mensch?

THIBAUT.

Nicht ich, du aber rasest,

Und diese hier, und dieser weise Bischof,

Die glauben, daß der Herr der Himmel sich

Durch eine schlechte Magd verkünden werde.

Laß sehn, ob sie auch in des Vaters Stirn

Der dreisten Lüge Gaukelspiel behauptet,

Womit sie Volk und König hinterging.

Antworte mir im Namen des Dreieinen,

Gehörst du zu den Heiligen und Reinen?

 

Allgemeine Stille, alle Blicke sind auf sie gespannt, sie steht unbeweglich.

 

SOREL.

Gott, sie verstummt!

THIBAUT.

Das muß sie vor dem furchtbarn Namen

Der in der Höllen Tiefen selbst

Gefürchtet wird! – Sie eine Heilige,

Von Gott gesendet! – An verfluchter Stätte

Ward es ersonnen, unterm Zauberbaum,

Wo schon von alters her die bösen Geister

Den Sabbat halten – hier verkaufte sie

Dem Feind der Menschen ihr unsterblich Teil,

Daß er mit kurzem Weltruhm sie verherrliche.

Laßt sie den Arm aufstreifen, seht die Punkte,

Womit die Hölle sie gezeichnet hat!

BURGUND.

Entsetzlich! – Doch dem Vater muß man glauben,

Der wider seine eigne Tochter zeugt!

DUNOIS.

Nein, nicht zu glauben ist dem Rasenden,

Der in dem eignen Kind sich selber schändet!

SOREL zur Johanna.

O rede! Brich dies unglückselge Schweigen!

Wir glauben dir! Wir trauen fest auf dich!

Ein Wort aus deinem Mund, ein einzig Wort

Soll uns genügen – Aber sprich! Vernichte

Die gräßliche Beschuldigung – Erkläre,

Du seist unschuldig, und wir glauben dir.

 

Johanna steht unbeweglich, Agnes Sorel tritt mit Entsetzen von ihr hinweg.

 

LA HIRE.

Sie ist erschreckt. Erstaunen und Entsetzen

Schließt ihr den Mund. – Vor solcher gräßlichen

Anklage muß die Unschuld selbst erbeben.

 

Er nähert sich ihr.

 

Faß dich, Johanna. Fühle dich. Die Unschuld

Hat eine Sprache, einen Siegerblick,

Der die Verleumdung mächtig niederblitzt!

In edelm Zorn erhebe dich, blick auf,

Beschäme, strafe den unwürdgen Zweifel,

Der deine heilge Tugend schmäht.

 

Johanna steht unbeweglich. La Hire tritt entsetzt zurück, die Bewegung vermehrt sich.

 

DUNOIS.

Was zagt das Volk? Was zittern selbst die Fürsten?

Sie ist unschuldig – Ich verbürge mich,

Ich selbst, für sie mit meiner Fürstenehre!

Hier werf ich meinen Ritterhandschuh hin,

Wer wagts, sie eine Schuldige zu nennen?

 

Ein heftiger Donnerschlag, alle stehen entsetzt.

 

THIBAUT.

Antworte bei dem Gott, der droben donnert!

Sprich, du seist schuldlos. Leugn es, daß der Feind

In deinem Herzen ist, und straf mich Lügen!

 

Ein zweiter stärkerer Schlag, das Volk entflieht zu allen Seiten.

 

BURGUND.

Gott schütz uns! Welche fürchterliche Zeichen!

DU CHATEL zum König.

Kommt! Kommt, mein König! Fliehet diesen Ort!

ERZBISCHOF zur Johanna.

Im Namen Gottes frag ich dich. Schweigst du

Aus dem Gefühl der Unschuld oder Schuld?

Wenn dieses Donners Stimme für dich zeugt,

So fasse dieses Kreuz und gib ein Zeichen!

 

Johanna bleibt unbeweglich. Neue heftige Donnerschläge. Der König, Agnes Sorel,

Erzbischof, Burgund, La Hire und Du Chatel gehen ab.

 

 

Zwölfter Auftritt

Dunois. Johanna.

 

DUNOIS.

Du bist mein Weib – Ich hab an dich geglaubt

Beim ersten Blick, und also denk ich noch.

Dir glaub ich mehr als diesen Zeichen allen,

Als diesem Donner selbst, der droben spricht.

Du schweigst in edelm Zorn, verachtest es,

In deine heilge Unschuld eingehüllt,

So schändlichen Verdacht zu widerlegen.

– Veracht es, aber mir vertraue dich,

An deiner Unschuld hab ich nie gezweifelt.

Sag mir kein Wort, die Hand nur reiche mir

Zum Pfand und Zeichen, daß du meinem Arme

Getrost vertraust und deiner guten Sache.

 

Er reicht ihr die Hand hin, sie wendet sich mit einer zuckenden Bewegung von ihm hinweg; er bleibt in starrem Entsetzen stehen.

 

 

Dreizehnter Auftritt

Johanna. Du Chatel. Dunois. Zuletzt Raimond.

 

DU CHATEL zurückkommend.

Johanna d'Arc! Der König will erlauben,

Daß Ihr die Stadt verlasset ungekränkt.

Die Tore stehn Euch offen. Fürchtet keine

Beleidigung. Euch schützt des Königs Frieden –

Folgt mir, Graf Dunois – Ihr habt nicht Ehre,

Hier länger zu verweilen – Welch ein Ausgang!

 

Er geht.