Dunois fährt aus seiner Erstarrung auf, wirft noch einen Blick auf Johanna und geht ab. Diese steht einen Augenblick ganz allein. Endlich erscheint Raimond, bleibt eine Weile in der Ferne stehen, und betrachtet sie mit stillem Schmerz. Dann tritt er auf sie zu und faßt sie bei der Hand.

 

RAIMOND.

Ergreift den Augenblick. Kommt! Kommt! Die Straßen

Sind leer. Gebt mir die Hand. Ich will Euch führen.

 

Bei seinem Anblick gibt sie das erste Zeichen der Empfindung, sieht ihn starr an und blickt zum Himmel, dann ergreift sie ihn heftig bei der Hand und geht ab.

 

Fünfter Aufzug

 

Ein wilder Wald, in der Ferne Köhlerhütten. Es ist ganz dunkel, heftiges Donnern und Blitzen, dazwischen Schießen.

 

Erster Auftritt

Köhler und Köhlerweib.

 

KÖHLER.

Das ist ein grausam, mördrisch Ungewitter,

Der Himmel droht in Feuerbächen sich

Herabzugießen, und am hellen Tag

Ists Nacht, daß man die Sterne könnte sehn.

Wie eine losgelaßne Hölle tobt

Der Sturm, die Erde bebt und krachend beugen

Die alt verjährten Eschen ihre Krone.

Und dieser fürchterliche Krieg dort oben,

Der auch die wilden Tiere Sanftmut lehrt,

Daß sie sich zahm in ihre Gruben bergen,

Kann unter Menschen keinen Frieden stiften –

Aus dem Geheul der Winde und des Sturms

Heraus hört ihr das Knallen des Geschützes;

Die beiden Heere stehen sich so nah,

Daß nur der Wald sie trennt, und jede Stunde

Kann es sich blutig fürchterlich entladen.

KÖHLERWEIB.

Gott steh uns bei! Die Feinde waren ja

Schon ganz aufs Haupt geschlagen und zerstreut,

Wie kommts, daß sie aufs neu uns ängstigen?

KÖHLER.

Das macht, weil sie den König nicht mehr fürchten.

Seitdem das Mädchen eine Hexe ward

Zu Reims, der böse Feind uns nicht mehr hilft,

Geht alles rückwärts.

KÖHLERWEIB.

Horch! Wer naht sich da?

 

 

Zweiter Auftritt

Raimond und Johanna zu den Vorigen.

 

RAIMOND.

Hier seh ich Hütten. Kommt, hier finden wir

Ein Obdach vor dem wütgen Sturm. Ihr haltets

Nicht länger aus, drei Tage schon seid Ihr

Herumgeirrt, der Menschen Auge fliehend,

Und wilde Wurzeln waren Eure Speise.

 

Der Sturm legt sich, es wird hell und heiter.

 

Es sind mitleidge Köhler. Kommt herein.

KÖHLER.

Ihr scheint der Ruhe zu bedürfen. Kommt!

Was unser schlechtes Dach vermag, ist euer.

KÖHLERWEIB.

Was will die zarte Jungfrau unter Waffen?

Doch freilich! Jetzt ist eine schwere Zeit,

Wo auch das Weib sich in den Panzer steckt!

Die Königin selbst, Frau Isabeau, sagt man,

Läßt sich gewaffnet sehn in Feindes Lager,

Und eine Jungfrau, eines Schäfers Dirn,

Hat für den König unsern Herrn gefochten.

KÖHLER.

Was redet Ihr? Geht in die Hütte, bringt

Der Jungfrau einen Becher zur Erquickung.

 

Köhlerweib geht nach der Hütte.

 

RAIMOND zur Johanna.

Ihr seht, es sind nicht alle Menschen grausam,

Auch in der Wildnis wohnen sanfte Herzen.

Erheitert Euch! Der Sturm hat ausgetobt,

Und friedlich strahlend geht die Sonne nieder.

KÖHLER.

Ich denk, ihr wollt zu unsers Königs Heer,

Weil ihr in Waffen reiset – Seht euch vor!

Die Engelländer stehen nah gelagert,

Und ihre Scharen streifen durch den Wald.

RAIMOND.

Weh uns! Wie ist da zu entkommen?

KÖHLER.

Bleibt,

Bis daß mein Bub zurück ist aus der Stadt.

Der soll euch auf verborgnen Pfaden führen,

Daß ihr nichts zu befürchten habt. Wir kennen

Die Schliche.

RAIMOND zur Johanna.

Legt den Helm ab und die Rüstung,

Sie macht Euch kenntlich und beschützt Euch nicht.

 

Johanna schüttelt den Kopf.

 

KÖHLER.

Die Jungfrau ist sehr traurig – Still! Wer kommt da?

 

 

Dritter Auftritt

Vorige. Köhlerweib kommt aus der Hütte mit einem Becher. Köhlerbub.

 

KÖHLERWEIB.

Es ist der Bub, den wir zurückerwarten.

 

Zur Johanna.

 

Trinkt, edle Jungfrau! Mögs Euch Gott gesegnen!

KÖHLER zu seinem Sohn.

Kommst du, Anet? Was bringst du?

KÖHLERBUB hat die Jungfrau ins Auge gefaßt, welche eben den Becher an den Mund setzt; er erkennt sie, tritt auf sie zu und reißt ihr den Becher vom Munde.

Mutter! Mutter!

Was macht Ihr? Wen bewirtet Ihr? Das ist die Hexe

Von Orleans!

KÖHLER UND KÖHLERWEIB.

Gott sei uns gnädig!

 

Bekreuzen sich und entfliehen.

 

 

Vierter Auftritt

Raimond. Johanna.

 

JOHANNA gefaßt und sanft.

Du siehst, mir folgt der Fluch, und alles flieht mich,

Sorg für dich selber und verlaß mich auch.

RAIMOND.

Ich Euch verlassen! Jetzt! Und wer soll Euer

Begleiter sein?

JOHANNA.

Ich bin nicht unbegleitet.

Du hast den Donner über mir gehört.

Mein Schicksal führt mich. Sorge nicht, ich werde

Ans Ziel gelangen, ohne daß ichs suche.

RAIMOND.

Wo wollt Ihr hin? Hier stehn die Engelländer,

Die Euch die grimmig blutge Rache schwuren –

Dort stehn die Unsern, die Euch ausgestoßen,

Verbannt –

JOHANNA.

Mich wird nichts treffen, als was sein muß.

RAIMOND.

Wer soll Euch Nahrung suchen? Wer Euch schützen

Vor wilden Tieren und noch wildern Menschen?

Euch pflegen, wenn Ihr krank und elend werdet?

JOHANNA.

Ich kenne alle Kräuter, alle Wurzeln,

Von meinen Schafen lernt ich das Gesunde

Vom Giftgen unterscheiden – ich verstehe

Den Lauf der Sterne und der Wolken Zug

Und die verborgnen Quellen hör ich rauschen.

Der Mensch braucht wenig und an Leben reich

Ist die Natur.

RAIMOND faßt sie bei der Hand.

Wollt Ihr nicht in Euch gehn?

Euch nicht mit Gott versöhnen – in den Schoß

Der heilgen Kirche reuend wiederkehren?

JOHANNA.

Auch du hältst mich der schweren Sünde schuldig?

RAIMOND.

Muß ich nicht? Euer schweigendes Geständnis –

JOHANNA.

Du, der mir in das Elend nachgefolgt,

Das einzge Wesen, das mir treu geblieben,

Sich an mich kettet, da mich alle Welt

Ausstieß, du hältst mich auch für die Verworfne,

Die ihrem Gott entsagt –

 

Raimond schweigt.

 

O das ist hart!

RAIMOND erstaunt.

Ihr wäret wirklich keine Zauberin?

JOHANNA.

Ich eine Zauberin!

RAIMOND.

Und diese Wunder,

Ihr hättet sie vollbracht mit Gottes Kraft

Und seiner Heiligen?

JOHANNA.

Mit welcher sonst!

RAIMOND.

Und Ihr verstummtet auf die gräßliche

Beschuldigung? – Ihr redet jetzt, und vor dem König,

Wo es zu reden galt, verstummtet Ihr!

JOHANNA.

Ich unterwarf mich schweigend dem Geschick,

Das Gott, mein Meister, über mich verhängte.

RAIMOND.

Ihr konntet Eurem Vater nichts erwidern!

JOHANNA.

Weil es vom Vater kam, so kams von Gott,

Und väterlich wird auch die Prüfung sein.

RAIMOND.

Der Himmel selbst bezeugte Eure Schuld!

JOHANNA.

Der Himmel sprach, drum schwieg ich.

RAIMOND.

Wie? Ihr konntet

Mit einem Wort Euch reinigen, und ließt

Die Welt in diesem unglückselgen Irrtum?

JOHANNA.

Es war kein Irrtum, eine Schickung wars.

RAIMOND.

Ihr littet alle diese Schmach unschuldig,

Und keine Klage kam von Euren Lippen!

– Ich staune über Euch, ich steh erschüttert,

Im tiefsten Busen kehrt sich mir das Herz!

O gerne nehm ich Euer Wort für Wahrheit,

Denn schwer ward mirs, an Eure Schuld zu glauben.

Doch konnt ich träumen, daß ein menschlich Herz

Das Ungeheure schweigend würde tragen!

JOHANNA.

Verdient ichs, die Gesendete zu sein,

Wenn ich nicht blind des Meisters Willen ehrte!

Und ich bin nicht so elend, als du glaubst.

Ich leide Mangel, doch das ist kein Unglück

Für meinen Stand, ich bin verbannt und flüchtig,

Doch in der Öde lernt ich mich erkennen.

Da, als der Ehre Schimmer mich umgab,

Da war der Streit in meiner Brust, ich war

Die Unglückseligste, da ich der Welt

Am meisten zu beneiden schien – Jetzt bin ich

Geheilt, und dieser Sturm in der Natur,

Der ihr das Ende drohte, war mein Freund,

Er hat die Welt gereinigt und auch mich.

In mir ist Friede – Komme, was da will,

Ich bin mir keiner Schwachheit mehr bewußt!

RAIMOND.

O kommt, kommt, laßt uns eilen, Eure Unschuld

Laut, laut vor aller Welt zu offenbaren!

JOHANNA.

Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen!

Nur wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht!

Ein Tag wird kommen, der mich reiniget.

Und die mich jetzt verworfen und verdammt,

Sie werden ihres Wahnes inne werden,

Und Tränen werden meinem Schicksal fließen.

RAIMOND.

Ich sollte schweigend dulden, bis der Zufall –

JOHANNA ihn sanft bei der Hand fassend.

Du siehst nur das Natürliche der Dinge,

Denn deinen Blick umhüllt das irdsche Band.

Ich habe das Unsterbliche mit Augen

Gesehen – ohne Götter fällt kein Haar

Vom Haupt des Menschen – Siehst du dort die Sonne

Am Himmel niedergehen – So gewiß

Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit,

So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit!

 

 

Fünfter Auftritt

Die Vorigen. Königin Isabeau mit Soldaten erscheint im Hintergrund.

 

ISABEAU noch hinter der Szene.

Dies ist der Weg ins engelländsche Lager!

RAIMOND.

Weh uns! die Feinde!

 

Soldaten treten auf, bemerken im Hervorkommen die Johanna, und taumeln erschrocken zurück.

 

ISABEAU.

Nun! was hält der Zug!

SOLDATEN.

Gott steh uns bei!

ISABEAU.

Erschreckt euch ein Gespenst!

Seid ihr Soldaten? Memmen seid ihr! – Wie?

 

Sie drängt sich durch die andern, tritt hervor und fährt zurück, weil sie die Jungfrau erblickt.

 

Was seh ich! Ha!

 

Schnell faßt sie sich und tritt ihr entgegen.

 

Ergib dich! Du bist meine

Gefangene.

JOHANNA.

Ich bins.

 

Raimond entflieht mit Zeichen der Verzweiflung.

 

ISABEAU zu den Soldaten.

Legt sie in Ketten!

 

Die Soldaten nahen sich der Jungfrau schüchtern, sie reicht den Arm hin und wird gefesselt.

 

Ist das die Mächtige, Gefürchtete,

Die eure Scharen wie die Lämmer scheuchte,

Die jetzt sich selber nicht beschützen kann?

Tut sie nur Wunder, wo man Glauben hat,

Und wird zum Weib, wenn ihr ein Mann begegnet?

 

Zur Jungfrau.

 

Warum verließest du dein Heer? Wo bleibt

Graf Dunois, dein Ritter und Beschützer?

JOHANNA.

Ich bin verbannt.

ISABEAU erstaunt zurücktretend.

Was? Wie? Du bist verbannt?

Verbannt vom Dauphin!

JOHANNA.

Frage nicht! Ich bin

In deiner Macht, bestimme mein Geschick.

ISABEAU.

Verbannt, weil du vom Abgrund ihn gerettet,

Die Krone ihm hast aufgesetzt zu Reims,

Zum König über Frankreich ihn gemacht?

Verbannt! Daran erkenn ich meinen Sohn!

– Führt sie ins Lager. Zeiget der Armee

Das Furchtgespenst, vor dem sie so gezittert!

Sie eine Zauberin! Ihr ganzer Zauber

Ist euer Wahn und euer feiges Herz!

Eine Närrin ist sie, die für ihren König

Sich opferte, und jetzt den Königslohn

Dafür empfängt- Bringt sie zu Lionel –

Das Glück der Franken send ich ihm gebunden,

Gleich folg ich selbst.

JOHANNA.

Zu Lionel! Ermorde mich

Gleich hier, eh du zu Lionel mich sendest.

ISABEAU zu den Soldaten.

Gehorchet dem Befehle. Fort mit ihr!

 

Geht ab.

 

 

Sechster Auftritt

Johanna. Soldaten.

 

JOHANNA zu den Soldaten.

Engländer, duldet nicht, daß ich lebendig

Aus eurer Hand entkomme! Rächet euch!

Zieht eure Schwerter, taucht sie mir ins Herz,

Reißt mich entseelt zu eures Feldherrn Füßen!

Denkt, daß ichs war, die eure Trefflichsten

Getötet, die kein Mitleid mit euch trug,

Die ganze Ströme engelländschen Bluts

Vergossen, euren tapfern Heldensöhnen

Den Tag der frohen Wiederkehr geraubt!

Nehmt eine blutge Rache! Tötet mich!

Ihr habt mich jetzt, nicht immer möchtet ihr

So schwach mich sehn –

ANFÜHRER DER SOLDATEN.

Tut, was die Königin befahl!

JOHANNA.

Sollt ich

Noch unglückselger werden als ich war!

Furchtbare Heilge! deine Hand ist schwer!

Hast du mich ganz aus deiner Huld verstoßen?

Kein Gott erscheint, kein Engel zeigt sich mehr,

Die Wunder ruhn, der Himmel ist verschlossen.

 

Sie folgt den Soldaten. Das französische Lager.

 

 

Siebenter Auftritt

Dunois zwischen dem Erzbischof und Du Chatel.

 

ERZBISCHOF.

Bezwinget Euern finstern Unmut, Prinz!

Kommt mit uns! Kehrt zurück zu Euerm König!

Verlasset nicht die allgemeine Sache

In diesem Augenblick, da wir aufs neu

Bedränget, Eures Heldenarms bedürfen.

DUNOIS.

Warum sind wir bedrängt? Warum erhebt

Der Feind sich wieder? Alles war getan,

Frankreich war siegend und der Krieg geendigt.

Die Retterin habt ihr verbannt, nun rettet

Euch selbst! Ich aber will das Lager

Nicht wieder sehen, wo sie nicht mehr ist.

DU CHATEL.

Nehmt bessern Rat an, Prinz. Entlaßt uns nicht

Mit einer solchen Antwort!

DUNOIS.

Schweigt, Du Chatel!

Ich hasse Euch, von Euch will ich nichts hören.

Ihr seid es, der zuerst an ihr gezweifelt.

ERZBISCHOF.

Wer ward nicht irr an ihr und hätte nicht

Gewankt an diesem unglückselgen Tage,

Da alle Zeichen gegen sie bewiesen!

Wir waren überrascht, betäubt, der Schlag

Traf zu erschütternd unser Herz – Wer konnte

In dieser Schreckensstunde prüfend wägen?

Jetzt kehrt uns die Besonnenheit zurück,

Wir sehn sie, wie sie unter uns gewandelt,

Und keinen Tadel finden wir an ihr.

Wir sind verwirrt – wir fürchten schweres Unrecht

Getan zu haben. – Reue fühlt der König,

Der Herzog klagt sich an, La Hire ist trostlos,

Und jedes Herz hüllt sich in Trauer ein.

DUNOIS.

Sie eine Lügnerin! Wenn sich die Wahrheit

Verkörpern will in sichtbarer Gestalt,

So muß sie ihre Züge an sich tragen!

Wenn Unschuld, Treue, Herzensreinigkeit

Auf Erden irgend wohnt – auf ihren Lippen,

In ihren klaren Augen muß sie wohnen!

ERZBISCHOF.

Der Himmel schlage durch ein Wunder sich

Ins Mittel, und erleuchte dies Geheimnis,

Das unser sterblich Auge nicht durchdringt –

Doch wie sichs auch entwirren mag und lösen,

Eins von den beiden haben wir verschuldet!

Wir haben uns mit höllschen Zauberwaffen

Verteidigt oder eine Heilige verbannt!

Und beides ruft des Himmels Zorn und Strafen

Herab auf dieses unglückselge Land!

 

 

Achter Auftritt

Ein Edelmann zu den Vorigen, hernach Raimond.

 

EDELMANN.

Ein junger Schäfer fragt nach deiner Hoheit,

Er fodert dringend, mit dir selbst zu reden,

Er komme, sagt er, von der Jungfrau –

DUNOIS.

Eile!

Bring ihn herein! Er kommt von ihr!

 

Edelmann öffnet dem Raimond die Türe, Dunois eilt ihm entgegen.

 

Wo ist sie?

Wo ist die Jungfrau?

RAIMOND.

Heil Euch, edler Prinz,

Und Heil mir, daß ich diesen frommen Bischof,

Den heilgen Mann, den Schirm der Unterdrückten,

Den Vater der Verlaßnen bei Euch finde!

DUNOIS.

Wo ist die Jungfrau?

ERZBISCHOF.

Sag es uns, mein Sohn!

RAIMOND.

Herr, sie ist keine schwarze Zauberin!

Bei Gott und allen Heiligen bezeug ichs.

Im Irrtum ist das Volk.