Die Karolinger

Wildenbruch, Ernst von

Die Karolinger

 

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Ernst von Wildenbruch

Die Karolinger

Trauerspiel in vier Akten

Motto:

Der Historiker liest im Buch der Geschichte die Zeilen,

Zwischen den Zeilen den Sinn liest und erklärt der Poet.

 

Vorwort zur zweiten Auflage

 

In die erfreuliche Notwendigkeit versetzt, der ersten Ausgabe meiner »Karolinger« jetzt schon eine zweite Auflage folgen zu lassen, fühle ich mich im Hinblick darauf, daß diese neue Auflage gleichzeitig als eine teilweise neue Bearbeitung des Stückes erscheint und einen von der früheren Fassung abweichenden, nicht unerheblich veränderten Schluß aufweist, denjenigen gegenüber, welche das vorliegende Drama in seiner ersten Gestalt kennen gelernt und für dasselbe Interesse gewonnen haben, zu einigen Worten der Erklärung veranlaßt.

Die Eigenartigkeit der dramatischen Dichtungsweise bringt es mit sich, daß das Werk mit seiner Entstehung auf dem Papiere noch nicht vollendet und abgeschlossen ist, sondern erst in der Berührung mit der Bühne, unter der lebendigen Mitwirkung der Zuhörerschaft zu voller Körperlichkeit sich entwickelt.

Erst wenn er als Zuschauer unter Zuschauern die eigenen Gestalten an sich vorüberwandeln sieht, ist der dramatische Dichter in die perspektivisch richtige Entfernung von seinem Werke geruckt, um prüfen zu können, ob sein dramatischer Gedanke imstande gewesen ist, sich einen dramatischen Leib zu schaffen; das eigene Werk löst sich von ihm los und tritt ihm wie ein fremdes gegenüber, und je mächtiger der in ihm treibende dramatische Instinkt ist, um so energischer wird diese Loslösung sich vollziehen.

Mit der Stunde der Aufführung, mit welcher das Publikum das Werk des Dramatikers für beendet hält, beginnt daher für letzteren, vorausgesetzt, daß er sich nicht am eigenen Werke berauscht, und daß er ein nicht nur für kurze Augenblicke blendendes, sondern auf fernere Zeiten hinaus wirkendes Gebilde zu schaffen sich bestrebt, die eigentliche Tätigkeit, denn mit dem Bewußtsein von den Unzulänglichkeiten seiner Schöpfung wird ihm gleichzeitig das unabweisliche Bedürfnis geboren werden, nachbessernd in das eigene Werk zu greifen, um alles, was an dramatischer Wirkungsfähigkeit in seiner Erfindung schlummert, zu nachdrücklichstem Leben hervorzurufen.

Dieses Bedürfnis erscheint mir als ein so entscheidendes Merkmal wahrhaft dramatischer Begabung, daß ich nicht anstehe, zu behaupten, daß aus dem Maße der Schonungslosigkeit, mit welcher der Dichter sein eigenes Gebilde wieder und immer wieder in die umgestaltenden Hände nimmt, ein unmittelbarer Rückschluß auf das Maß seiner dramatischen Fähigkeit überhaupt gezogen werden kann.

Nicht Willkür, sondern innerste drängende Notwendigkeit ist es daher gewesen, welche mich trieb, den Karolingern denjenigen Schluß zu verleihen, mit dem sie jetzt vor das Auge des Lesers treten. Durch das Gesagte aber hoffe ich den Einwendungen derer begegnet zu sein, die geneigt sein möchten, dem Dichter dieses unaufhörliche Ringen mit seinem Stoffe als Schwäche auszulegen.

Diejenigen, welche so urteilen, befinden sich im Irrtum; es ist nicht Schwäche, denn nur derjenige, der das Feuer des Prometheus in seiner Hand empfindet, darf es wagen, die eigenen Gestalten zu vernichten, um neue, bessere an ihre Stelle zu setzen.

Berlin, am 31. Dezember. 1881.

Ernst von Wildenbruch

 

 

Personen.

Ludwig (genannt der Fromme), Kaiser der Franken.

 

Judith (Tochter Welfs), seine Gemahlin zweiter Ehe (etwa vierunddreißig Jahre alt).

 

Lothar, König von Italien,

Ludwig (der Deutsche), König von Bayern, , seine Söhne aus erster Ehe mit Irmengard, im besten Mannesalter.

 

Karl, Ludwigs und Judiths Sohn (etwa sechzehn Jahre alt).

 

Ebo, Bischof von Rheims.

 

Agobard, Bischof von Lyon.

 

Wala, Abt von Corvey.

 

Elisachar, Kanzler des Kaisers.

 

Matfried, Herzog von Orleans.

 

Hugo, Graf von Tours.

 

Bernhard, Graf von Barcelona.

 

Rudthardt,

Ottgar,

Humfried, , deutsche Große.

 

Hamatelliwa, eine Maurin.

 

Abdallah, ein alter Maure in Bernhards Diensten.

 

Satilatlas,

Temin, , edle Mauren.

 

Frechulf, Hausmeister des kaiserlichen Palastes.

 

Diener und Ritter. Drei Herolde.

 

Ort der Handlung:

In den ersten drei Akten Worms. Im vierten Akt bei Kolmar.

 

 

Erster Akt.

 

Szene: Ein geräumiger Saal in der Pfalz zu Worms. Türen rechts und links. Die Hinterwand ist durch eine offene Säulenreihe gebildet, durch welche man in einen Garten hinausblickt, der die Tiefe der Bühne füllt. Stufen leiten aus dem Saale zum Garten hinunter. An den Wänden des Saales einige altertümliche Stühle. Rechts ein Ruhebett.

 

Erster Auftritt

Hamatelliwa. Abdallah.

 

HAMATELLIWA sitzt an eine der Säulen der Hinterwand zurückgelehnt. Ihre Augen sind geschlossen, sie bietet das Bild äußerster Erschöpfung.

ABDALLAH steht hinter ihr, düster auf sie niederblickend.

HAMATELLIWA ohne die Augen zu öffnen.

Abdallah –

ABDALLAH.

Was begehrt Hamatelliwa?

HAMATELLIWA ebenso.

Sieh mich nicht an mit deinen düstern Augen,

Sie scheuchen von den Wimpern mir die Ruh'.

ABDALLAH.

Dein Auge ist geschlossen, und du siehst?

HAMATELLIWA ebenso.

Durch die geschlossnen Augenlider fühl' ich

Wie kummervoll du blickst.

ABDALLAH.

So geh' ich!

HAMATELLIWA.

Nein!

 

Sie öffnet die Augen und ergreift seine Hand.

 

Wer bleibt der Tochter El Moheiras noch

Wenn auch Abdallah geht?

ABDALLAH.

Dann bleibt ihr niemand –

Die weite Reise, die von Barcelona

Nach Worms uns führte, raubte deine Kraft –

HAMATELLIWA.

Worms nanntest du die Stadt?

ABDALLAH.

Das ist ihr Name.

Hier ist der Hof des Christenkaisers Ludwig.

HAMATELLIWA.

Wie weit von hier mag unsre Heimat sein?

ABDALLAH.

Wohl hundert Meilen sind's von Saragossa.

HAMATELLIWA.

Wie dieser holde grüne Garten mich

An meines Vaters Haus erinnert. Vater,

Den ich verließ, um diesem Mann zu folgen –

O Bernhard, der du wie ein Meteor

Am Himmel meines jungen Lebens aufgingst,

Warst du ein Stern des Unheils?

ABDALLAH.

Beim Allmächtigen –

HAMATELLIWA.

Nein. – du Prophet des Zorns. – Du sahest ihn,

Als er am Tage nach der Maurenschlacht,

Verfolgt von meines Vaters grimmen Schwertern

Verzweifelnd kam ins Schloß, darin ich wohnte –

ABDALLAH.

Daß ihm zehntausend Damaszenerklingen

Den Weg versperrten in das stille Tal,

In dem die Tochter El Moheiras wohnte!

HAMATELLIWA.

Blutdürstend griff nach ihm der Tod – Abdallah –

Du sahst ihn, wie er mir zu Füßen sank,

Mein zitternd Knie anpressend an sein Herz –

Und seine Augen – weh' mir, diese Augen –

Wie sie sich rollend, eine Welt voll Leid,

Flehend zu mir erhoben! Schuld und Sünde,

Daß ich ihn rettete vor meinem Vater!

Zwiefache Schuld – Abdallah, könnt' es sein,

Daß er vergäße was ich tat für ihn?

ABDALLAH.

Solang wir reisten mied er deine Augen –

Seit wir in Worms sind kennt er dich nicht mehr.

HAMATELLIWA.

Du Echo meiner stummen Sorgen, nein!

ABDALLAH.

Hamatelliwa, Tochter meines Herrn,

Mit der ich floh aus unsrem Vaterlande,

Weißt du, warum ich solche schwere Schuld

Aufs graue Haupt mir lud? Weil ich dich liebe,

Wie man sein Kind liebt; nahe dir zu sein,

Wenn niemand nahe sein wird der Verlornen,

Wenn dich der Christenhund verlassen wird.

HAMATELLIWA.

Dann wär' das Blut in seinen Adern Gift!

Es kann nicht sein!

ABDALLAH.

Es kann's, doch darf es nicht.

Hüte dich, Bernhard, Graf von Barcelona,

Die Rose, die du brachst in Spaniens Flur,

Hat einen Dorn nur, doch er heißt Abdallah.

HAMATELLIWA.

O still –

ABDALLAH.

In sein Vertrauen bohrt' ich mich,

An jedem Tag ein hundertfacher Heuchler

Versteckt' ich unter Demut meinen Haß,

Und er, der keinem seines Volkes traut,

Er traut auf mich. Er weiß, daß ich sie kenne

Die Pflanzen, deren Saft den Tod gebiert,

Er traut mir, wie der Schlangenbändiger

Der Klapperschlange, die er sich gezähmt.

Hüte dich, Christ –

HAMATELLIWA.

Still, grausenvoller Mann!

Nach Liebe dürst' ich, und du gibst mir Rache?

 

 

Zweiter Auftritt

Bernhard kommt von rechts und bleibt in einiger Entfernung von den vorigen stehen.

 

BERNHARD.

Abdallah!

HAMATELLIWA.

Horch die Stimme!

ABDALLAH leise.

Es ist er.

 

Abdallah tritt mit tiefer Verbeugung auf Bernhard zu.

 

Was forderst du, Gebieter?

BERNHARD leise auf Hamatelliwa deutend.

Führ' sie fort

Zu den Gemächern, die ich Euch gewiesen.

HAMATELLIWA leise zu Abdallah.

Was sagt er dir?

ABDALLAH ebenso zu ihr.

Ich soll hinweg dich führen

Zu deinen Zimmern.

HAMATELLIWA zu Bernhard.

Währt der Augenblick

Da ich dich sehen darf nach langen Tagen

Dir schon zu lang?

BERNHARD.

Wir sind am Hof des Kaisers.

HAMATELLIWA.

Doch du – bist du nicht Bernhard mehr?

BERNHARD.

Ich bin's,

Allein der Kaiser naht – es ist nicht Zeit

Zu Liebeständeleien Barcelonas.

HAMATELLIWA.

Was sagst du, Bernhard? Liebeständelei?

War es ein Spiel, was mich von meinem Vater –

BERNHARD.

Nein, es ist Ernst, was dich und mich verband.

Meinst du, daß ich vergaß was du getan?

HAMATELLIWA.

O sprich noch einmal das geliebte Wort.

Nein – du vergaßest nicht?

BERNHARD.

Heißblütig Kind,

Ein jeder Pulsschlag, der mir sagt, ich lebe,

Mahnt mich an dich.

HAMATELLIWA.

O, Himmel Spaniens,

Tiefblauer, heißer, wahre mir sein Herz,

Daß es der fahle Himmel nicht erkalte

Der hier herabsieht. O, geliebter Christ,

Nun geh' ich ruhig –

BERNHARD.

Geh, Hamatelliwa.

HAMATELLIWA.

Wie hold und süß von diesen fränk'schen Lippen

Mein Name tönt. – Abdallah laß uns gehn.

 

Hamatelliwa, Abdallah nach rechts ab.

 

BERNHARD allein.

O Liebe, du Betrügerin der Frauen. –

Gutherzig Kind, du rettetest mein Leben,

Doch nicht in Barcelonas sonn'ger Flur

Gedenk' ich's dir am Herzen zu vertändeln.

Mein Leben ist mein Gut; ich will es mir

Zu einem Bau von Macht und Ehre türmen.

Dein Werk ist abgetan; du warst die Schwelle,

Hier sei die Werkstatt, hier am Hof zu Worms;

Dies Haupt der Meister, Werkzeug dieser Arm;

Maurin fahr' wohl – mir winken andre Sterne.

 

 

Dritter Auftritt

König Lothar. König Ludwig. Hugo von Tours. Matfried von Orleans und andere Großen treten aus dem Garten in den Saal ein. Bernhard mischt sich unbemerkt unter das Gefolge.

 

LOTHAR.

'nen Preis für den, der etwas ausersinnt,

Das diesen Tagen, die wie Greise schleichen,

Den gliederlahmen Stundenlauf beschwingt!

Wo ist der fromme Kaiser, unser Vater?

HUGO.

Mit Ebo ging er und mit Agobard,

Den Bischöfen von Rheims und von Lyon,

Versunken in Gesprächen.

LOTHAR.

Wette biet' ich –

LUDWIG.

Wette worauf?

LOTHAR.

Daß er im Psalter Davids

Mit seinen beiden Heiligkeiten forscht,

Wie man Beschwornes unbeschworen macht,

Wie man geschmeidig das Gewissen macht,

Daß es die läst'ge Fessel des Versprechens

Glatt von sich streife – wie man seinen Söhnen

Gelobtes Erbteil kürzt.

LUDWIG.

Auf deinen Vater

Laß deiner Worte gift'gen Regen sprühn,

Doch von dem meinen will ich es nicht hören.

MATFRIED.

Eintracht, Ihr Herren, es verlangt's die Zeit.

 

 

Vierter Auftritt

Elisachar von links zu den vorigen.

 

LOTHAR.

Wir werden sehen was die Zeit uns bringt!

Hier kommt der Schreibefinger Kaiser Ludwigs,

Kanzler Elisachar.

LUDWIG.

Ihr wart beim Kaiser?

ELISACHAR.

Ja, mein gnäd'ger Herr.

MATFRIED UND HUGO.

Nun, was bespracht Ihr?

ELISACHAR.

Edle Herren, erlaubt –

LOTHAR.

Ja, diese Herren sind zu ungestüm.

Von andrem laßt uns plaudern. Kanzler sagt,

Ihr wißt mit Pergamenten umzugehen –

LUDWIG.

Wo führt das hin?

LOTHAR.

Wenn auf ein Pergament

Ich gestern schrieb, was heute mich gereut,

Wißt Ihr's wie man sich Ruhe schafft dafür?

ELISACHAR.

Ist's weiter nichts, als nur ein Pergament,

Nun, so vernichtet man's.