LOTHAR.
Sehr wahr gesprochen.
Doch wenn es mehr ist als ein Pergament,
Wenn das Geschriebene festgeankert liegt
Mit heil'gem Eidschwur an dem Grund des Rechts,
Wie schafft man solch Versprechen aus der Welt?
ELISACHAR.
Kein redlich Mittel kenn' ich, Herr, dafür.
LOTHAR.
Und wenn zu Aachen Kaiser Ludwig einst
Sein Reich verteilte unter die drei Söhne,
Die ihm die blonde Irmengard gebar –
HUGO.
Ja, Irmengard ist tot und Judith lebt.
LUDWIG.
Doch ihre Söhne leben.
MATFRIED.
Judiths Sohn lebt auch.
LOTHAR.
Wenn er nach Worms den Reichstag dann beruft,
Ratschläge hält mit Geistlichen und Herrn –
Welch Mittel sann er aus, ich will es wissen,
Daß ihn zu Worms der Eidschwur nicht mehr hält,
Der ihn zu Aachen band? Liegt dieses Worms
Auf anderem Planeten denn als Aachen?
Gilt hier ein ander Menschenrecht als dort?
ELISACHAR.
Schmäht Euren Vater nicht, sein weiches Herz
Ringt bitterlichen Kampf, von zwei Gewalten
Heiß angefallen: An dem Tag zu Aachen
Verteilt' er unter Euch das Reich der Franken
Und »Amen« schrie das Volk, »so soll es sein«.
HUGO.
Auf ewig soll es sein, so rief das Volk.
ELISACHAR.
Auf ewig, ja. Gesprochen war das Wort,
Doch Irmengard ging hin und Judith kam.
LOTHAR.
Fluch sei dem Tage!
ELISACHAR.
Und statt dreier Söhne
Zählt Kaiser Ludwig vier.
LOTHAR.
Und dieser vierte
Er ist zu viel!
LUDWIG.
Wahr ist's. Wo Raum für drei ist,
Da ist nicht Platz für vier.
ELISACHAR.
Doch Kaiser Ludwig,
Wie er Lothar, Pipin und Ludwig liebte,
So liebt er Karl.
LOTHAR.
Unwahr gesprochen, Kanzler,
Den Nachgebornen liebt er mehr als uns.
LUDWIG.
Und Karl zuliebe will er neu verteilen?
LOTHAR.
Kanzler Elisachar, Ihr seid ein Mann,
Der Ludwigs Herz, dies große Meer der Launen,
Öfter befuhr und besser kennt als wir
Welche der Stimmen wird in seiner Brust
Die Macht behalten: Ehre, Pflicht und Recht?
Oder das lüstern buhlende Geflüster
Erhitzter Sinne?
ELISACHAR.
Nennt Ihr so die Liebe,
Die er zu Judith hegt?
LOTHAR.
Geht mir mit Liebe!
Ein alter Mann bei einem jungen Weib –
LUDWIG.
Sprich nicht von unsrem Vater so, ich will nicht.
LOTHAR.
Welche der Stimmen? Sagt!
ELISACHAR.
Ich weiß es nicht.
LUDWIG.
So wär' es möglich –
ELISACHAR.
Aber dieses weiß ich,
Daß wer ein Schwert im Frankenreiche trägt
Und wer den Krummstab fuhrt der heil'gen Kirche,
Ihm sagen wird: bleib deinem Worte treu.
LOTHAR.
Ist das gewiß?
ELISACHAR.
Ich kenne die Gemüter
Von Volk und Geistlichkeit; es ist gewiß.
LOTHAR.
Dann steht es gut. –
Wohlan, Ihr fränk'schen Herren,
Ihr wart dabei, als er auf unsre Häupter
Die Kronen der drei Königreiche setzte.
Soll nun die Tochter Welfs, die kecke Judith,
Zerbrechen unsre Kronen und die Zacken
Hinwerfen in den Schoß dem Buben Karl?
HUGO.
Solang' ich lebe nicht!
MATFRIED.
Sie soll es nicht!
Bernhard, der bisher schweigend unter den übrigen gestanden hat, geht in den Hintergrund und dann nach dem Garten ab.
LOTHAR.
Wohlan – hier stehn die Söhne Irmengards,
Wer ist für sie?
ALLE.
Wir alle!
LOTHAR.
Wer für Judith?
Tiefe Stille.
LUDWIG.
Wer war der Herr, der eben uns verließ?
ELISACHAR.
Wen meint Ihr, König Ludwig?
LUDWIG.
Ein Gesicht,
Das ich noch nie am Hof des Kaisers sah.
LOTHAR.
Ich gab nicht acht; er ging?
LUDWIG.
Ja, eben jetzt,
Da du die Herren frugst: wer ist für uns.
LOTHAR.
So laßt uns sehn –
Geht auf den Garten zu.
Fünfter Auftritt
Karl aus dem Garten zu den vorigen.
LOTHAR.
Ah – seht, welch ein Besuch.
KARL geht auf Lothar zu.
Ich grüße Euch, mein kaiserlicher Bruder.
LOTHAR streckt ihm die Hand zum Kusse entgegen.
Ich grüß' dich, Karl – wie nun?
KARL tritt zurück.
Dem Bruder brauch' ich nicht die Hand zu küssen!
LOTHAR.
O hört doch, wie die Mutter aus ihm spricht.
LUDWIG.
Er ist nicht schuld, daß er geboren wurde,
Quäle ihn nicht.
LOTHAR.
Die Augen aus dem Kopf
Lass' ich dir stechen! Sage, Bruder Karl,
Was meinst du zu der Kutte eines Mönchs?
KARL.
Ich will kein Mönch sein.
LOTHAR.
Überlege dir's.
Die Welt ist voll Gefahren. Schwerter gibt es,
Die sich verirren.
Er tritt auf ihn zu und blickt ihm in die Augen.
Denke, welch ein Schade,
Wenn sich in diese hellen jungen Augen
Stahlspitzen tauchten.
KARL weicht vor ihm zurück, ihn entsetzt anblickend.
O mein Bruder Ludwig –
Sechster Auftritt
Judith aus dem Garten zu den vorigen. Bei ihrem Eintritt entsteht eine peinliche Stille, während sich alle ehrfurchtsvoll verneigen.
JUDITH zu Lothar.
Ihr seid bei Laune, kaiserlicher Sohn,
Ihr scherzt mit Eurem Bruder, wie ich hörte.
LOTHAR.
Euer kluger Geist, wie immer, hohe Mutter,
Traf ganz die Sache.
KARL zu Mutter gewandt.
Heiß' ihn anders scherzen!
Mir graust vor seinen Scherzen!
JUDITH leise zu Karl.
Törichter –
Zu den andern.
Verzeiht ihm – er ist jung.
KARL flüsternd.
Hör' was er sprach!
JUDITH hastig, leise.
Still – sprich kein Wort!
KARL ebenso.
Aus meinem Haupt die Augen –
JUDITH.
Ich weiß – sei stumm!
Sie geht mit Karl bis in den Vordergrund der Bühne und bleibt mit ihm, den Rücken gegen die anderen gewendet, stehen, so daß ein Zwischenraum zwischen ihnen entsteht. Lothar unterhält sich flüsternd mit den anderen, Ludwig blickt stumm auf die Gruppe vorn.
LUDWIG.
Wie steht es mit der Jagd?
Wir wollten jagen.
LOTHAR.
Ja, wir wollen jagen.
LUDWIG.
Nun, Bruder Karl, gehst du mit uns zur Jagd?
JUDITH.
Geht, bitt' ich, heute ohne ihn zur Jagd,
Ich hab' ein Wort mit meinem Sohn zu sprechen.
LUDWIG.
Wie Ihr es wünscht.
LOTHAR zu Judith.
Erhabene Frau Mutter,
Wir nehmen Urlaub.
JUDITH.
Geht mit Gott, Ihr Herren.
All meine Wünsche folgen Euch.
LOTHAR.
Wir wissen
Und danken Eurer Gnade – kommt Ihr Herren.
Alle verneigen sich ehrerbietig vor Judith, welche ihren Gruß leicht erwidert und gehen nach dem Garten ab.
JUDITH bleibt unbeweglich stehen, bis daß der letzte aus dem Saale ist, dann öffnet sie die Arme und umarmt Karl, während sie in leidenschaftliche Tränen ausbricht, die ihr zuerst die Sprache rauben.
Ihr Sterne meines Trosts, geliebte Augen,
Euch will er blenden! Kind und Kindeskinder,
Verdirb ihm, Gott, wenn du gerecht dich nennst!
Karl weint.
Nicht weine, Knabe, laß die Mutter weinen,
Sie ist ein Weib, du aber bist ein Mann,
Du hasse ihn!
KARL.
Ich wollt' ihn lieben, Mutter,
Doch warum haßt er mich?
JUDITH.
Nicht lieben sollst du!
Ein Tiger ist er, Tiger liebt man nicht!
Komm, laß mich deine süßen Augen küssen –
In diese Augen seine Stachel bohren –
KARL.
Nicht er alleine, alle diese Männer,
Sie alle hassen mich. Für welche Schuld?
JUDITH.
Daß du geboren wardst ist deine Schuld,
Daß du zum Vater einen Kaiser hast,
Doch keinen Mann, das ist dein Unheil, Karl!
Verlaßner Sohn – unglücklich du wie ich,
Und dennoch glücklicher als deine Mutter,
Dir lebt ein Herz, in diesem Busen schlägt,
An das du flüchten kannst in deiner Not –
Doch ich – in diese böse Welt gestoßen –
Gekrönt mit Ehren, die mein Leid verhöhnen –
Weib eines Mannes, der mich nicht beschirmt –
Bin ich nicht Fleisch und Blut? Ich brauche Menschen,
Und wilde Tiere lagern um mich her!
Im Zwinger leb' ich! – Still – der Kaiser naht –
Glätte dich, Stirne, lächle, Angesicht –
Lächeln ist der Gekrönten bittre Pflicht.
Siebenter Auftritt
Kaiser Ludwig. Ebo von Rheims. Agobard von Lyon. Wala von Corvey treten auf von links.
Judith und Karl sinken beim Eintritt des Kaisers in die Knie.
LUDWIG die Knienden betrachtend.
Seht, welch ein Bild – Liebreizende Gemahlin,
Erhebt Euch, kommt, ich biet' Euch meine Hand.
Er reicht ihr die Hand.
JUDITH erhebt sich, ebenso Karl.
Erhabner Kaiser –
LUDWIG.
Nein, von diesen Lippen,
Die heute noch in gleicher Blüte prangen
Wie damals, als ich sie zuerst geküßt,
Laßt meinen Namen zärtlicher ertönen. –
Wie geht es meinem süßen Sohne Karl?
JUDITH.
Es geht ihm wohl mein gnädiger Gemahl,
Wenn ihn sein Vater liebt.
LUDWIG.
O dann mein Sohn,
Geht es dir wohl. Glaubst du, daß ich dich liebe?
KARL küßt seine Hand.
Ja, gnäd'ger Vater.
LUDWIG.
Ihr geliebten beiden –
Ihr strengen Männer, seht den Knaben an:
Ist dieses Haupt nicht ganz so königlich
Wie meiner andren Söhne?
JUDITH.
Ja, das ist's!
EBO.
Wir wissen wohl –
JUDITH.
Das Blut in seinen Adern
Stammt aus dem Quell, aus welchem seine Brüder
Das ihre tranken. Judith, Tochter Welfs,
Ist schlechter nicht als Irmengard es war!
AGOBARD zu Ludwig.
Mein gnäd'ger Herr, wir hören, was wir wissen,
All dies ist uns bekannt und wohl erwogen.
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