JUDITH.
Karl – verlorst du es?
KARL.
Sage mir du, ob ich es noch besitze!
War's Dankbarkeit, war's Mutterliebe nur,
Die dir für ihn so heiß das Wort entflammte,
Oder –
JUDITH.
Karl! Karl!
KARL.
Oder – o einen Raum mir
Öde und leer, wo nie der süße Laut
Der Menschlichkeit erklang – oder ist's wahr,
Daß sich ein Räuber schlich in meinen Himmel?
Mutter, man sagt – weh, unter diesem Worte
Zerbricht die Zunge wie ein Scherben mir
Mutter, man sagt mir, daß du Bernhard liebst?
Pause. Judith wendet sich zum Abgehen.
KARL springt auf.
Mutter!
JUDITH bleibt stehen.
Darfst du der Richter deiner Mutter sein?
KARL.
Nacht, wirf dich über die entweihte Erde,
Das Heilige ist tot! So sei die Krone
Verflucht, die Ihr mir botet, und die Hände,
Die sie mir reichten –
JUDITH.
Karl – was tust du mir?
Willst du der Mutter fluchen?
KARL.
Sage »nein«,
Und Segen einem jeden, der dich segnet!
O, nur die Lippen rege, denn mein Herz
Spart deinem Wort den Weg und ruft »unschuldig«.
JUDITH.
Denk', o gedenk', im Lauf so vieler Jahre
Wie viele Bitten hab' ich dir erfüllt,
Für all die tausende, nur eine einz'ge:
Karl, frage nicht!
KARL.
Ah!
JUDITH.
Bohre nicht die Augen
Ins Herz, an dem ich dich getragen!
KARL.
Ah!
JUDITH sinkt in die Knie.
Natur, sieh mich nicht knien vor meinem Kinde.
In Schmerzen gab ich Leben dir, in Schmerzen
Bewahrte ich dein Leben unter Feinden,
Sei dankbar, Sohn; ich lernte Haß ertragen,
Nur deinen nicht; Karl, Karl, nicht deinen Haß.
KARL tritt zurück.
Ich habe nichts zu schaffen mehr mit dir.
JUDITH.
Das meines Kindes Dank.
KARL.
Dank dir? Wofür?
Für diese Krone? Ah, des schändlichen
Ersatzes für mein Herz! Für dieses Leben?
O, eine Blume war's, die ihren Duft
Aus deinem Leben sog – heut aus der Wurzel,
Aus der vergifteten, sog es sich Gift.
Die Schuld ist abgetragen – Weib, steh auf.
JUDITH.
Schrecklicher Sohn! Gott, sprich zu ihm!
KARL zeigt nach links.
Sieh dorthin!
So redet Gott! – – Sieh an, o sieh ihn an,
Den alten, heil'gen Mann. – Mutter, o Mutter,
Heut muß auch ich ihn hintergehen, komm,
Vor seinem Antlitz bin ich noch dein Sohn.
Judith erhebt sich, von Karl unterstützt.
JUDITH.
Betrug ist seine Liebe, nur sein Haß
Ist Wahrheit – so erfüllte sich mein Sehnen.
Vierter Auftritt
Kaiser Ludwig auf Diener gestützt, von links zu den vorigen.
KARL.
Fühlt sich mein gnäd'ger Herr und Vater besser?
LUDWIG.
Ja – denn zwei Stunden näher meinem Gott.
Die Luft ist dumpf und schwer in diesem Zelte,
Öffnet den Vorhang – o, der Mattigkeit! –
Läßt sich in einen Armsessel nieder, den Diener hereingetragen haben. Der Zeltvorhang wird aufgezogen.
Wie schön die Erde ist – und wie so häßlich
Die Menschen auf der Erde. – Seht, der Tag
Kommt wie ein heiliger Apostel Gottes,
Sanft und voll Frieden; seine lichten Füße,
Sie werden waten durch der Menschen Blut,
Und wenn er schaudernd in die Nacht versinkt,
Dann wird das Angesicht des Gottgesandten
Unkenntlich sein durch Menschenfreveltat. –
Vier Söhne hatt' ich – Gott, ich danke dir,
Daß ihrer einer meinen Tod nicht wünscht!
KARL kniet neben ihm nieder, während Judith sich über die Lehne des Sessels beugt.
Nein teurer Vater, lebe! Laß mich nicht!
O, diese Stunde voller Schmerzen bricht
Die lang getragene Fessel kalter Sitte –
Du nicht mein Herr, nicht Kaiser, du mein Vater,
O, dies mein Herz, das sich an deines klammert,
Hält flehend dich in diesem Leben fest!
LUDWIG drückt Karl an sich, streckt Judith die Hand zu.
Judith, hab' Dank, daß du den Sohn mir schenktest.
JUDITH.
Danke mir nicht – o Ludwig – mein Gemahl!
LUDWIG.
Ja, Ihr verliert heut viel, Ihr, meine Teuren.
Der Mensch braucht Liebe, wie die Blume Licht,
Das Herz, das Euch geliebt, nehm' ich hinunter
Und lass' Euch einsam in feindsel'ger Welt.
Allmächt'ger, der du Berge rückst vom Ort,
Du kannst noch mehr, du läßt das Herz des Menschen
Den weiten Weg vom Bösen gehn zum Guten,
Gott rühre meiner ältern Söhne Herz!
Ein Hornruf hinter der Szene.
LUDWIG.
Horch – hörtet Ihr?
KARL steht auf.
Gott hörte deine Bitte,
Und Gott erfüllt sie!
LUDWIG.
Was bedeutet das?
Fünfter Auftritt
Rudthardt, Ottgar, Humfried, andere Deutsche aufgeregt von rechts.
RUDTHARDT.
Verzeiht den hast'gen Eintritt, gnäd'ger Herr,
Die beiden Kön'ge, Ludwig und Lothar,
Verlangend, Euer Angesicht zu sehn,
Sind vor dem Lager.
LUDWIG aufschreiend.
Meine Kinder kommen!
KARL.
Ja, diese Teile deines Herzens, Vater,
Die sich in Haß und Hader losgerissen,
Ich bringe sie zurück in deine Brust.
Kein Haß, kein Streit mehr – wir sind Brüder wieder
Und Friede, Vater, ist in deinem Haus!
Sechster Auftritt
Ludwig der Deutsche, Lothar, Bernhard, andere Deutsche von rechts.
LUDWIG DER DEUTSCHE.
Lebt unser Vater noch? Gott sei gepriesen,
Daß sich mein Knie vor ihm noch beugen kann!
Kniet nieder.
Schenk' deinem Sohne Ludwig deinen Segen!
LOTHAR kniet nieder.
Vergib auch deinem ältsten Sohne.
KAISER LUDWIG richtet sich langsam auf.
Ach –
Ein König bin ich heut – denn ich bin reich –
Greift mit zitternden Händen um sich.
Legt meine Händ' auf ihrer aller Haupt –
Wankt.
Ach – meine Kinder – meine lieben Kinder –
Sinkt zurück, stirbt.
Siebenter Auftritt
Wala. Matfried. Hugo. Eine große Zahl von Rittern und Edlen sind unterdessen eingetreten und füllen den Hintergrund. Karl, Ludwig und Lothar knien am Sessel des Kaisers. Judith lehnt über die Rücklehne des Sessels. Rudthardt kommt mit Bernhard in den Vordergrund. Ottgar, Humfried zu ihnen.
RUDTHARDT.
Was wird aus dem, was wir vorhin besprachen,
Da er mit seinen Brüdern sich versöhnte?
BERNHARD.
Seid stark und fest, Lothar und Ludwig dürfen
Nicht lebend mehr hinaus aus diesem Zelt!
Karl, Ludwig, Lothar erheben sich.
LOTHAR.
Nun kraft des zwiefach heil'gen Rechts, das mir
Natur verlieh und dieses Reiches Satzung,
Leg' ich die Hand auf diese Krone.
Berührt die Stirnbinde auf Kaiser Ludwigs Haupt.
Sprecht –
Soll dieses Zeichen heil'ger Majestät,
Das seinen altehrwürd'gen Platz verlor,
Auf meinem Haupte wieder Ruhe finden?
BERNHARD.
Das soll es nicht!
LOTHAR läßt die Hand sinken.
Wer sprach?
RUDTHARDT.
Er sprach für uns!
Wir wollen nicht, daß Ihr der Kaiser seid.
BERNHARD.
Hier steht der Kaiser, den uns Gott bestimmte:
Karl, Judiths Sohn!
ALLE DEUTSCHEN.
Karl sei der Frankenkaiser!
BERNHARD.
Und Tod auf jeden, der sich widersetzt!
RUDTHARDT.
Tod jedem!
ALLE DEUTSCHEN.
Nieder mit den Söhnen Irmengards!
BERNHARD tritt auf Kaiser Ludwig zu.
Zu Karl.
Aus meiner Hand ward Euch die Königskrone,
Empfangt nun hier den dreimal heil'gen Reif. –
KARL.
Fort, deine blut'ge Hand von meinem Vater!
Siehst du nicht, wie der Tote auferwacht
Und wie die welke Hand, zur Faust geballt,
Nach deinem mörderischen Herzen zuckt?
BERNHARD.
Das mir – von Euch – –
KARL.
Das dir vom Sohne Ludwigs! –
Das dir von dem, den du dreimal Verdammter
Zum Werkzeug deiner Höllenpläne schufst!
Das dir, du Mörder meines Vaters!
JUDITH.
Karl!
RUDTHARDT.
Mörder? Was sagt Ihr?
OTTGAR.
Mörder? Wessen?
HUMFRIED.
Wer?
BERNHARD.
Und wärst du König der geschaffnen Erde
Und nicht ein König nur durch meine Gunst –
Du sollst mir Rede stehn –
Wirft den Handschuh hin.
nimm auf mein Pfand!
KARL ruft.
Wo ist der Maure? Ruft Abdallah her!
BERNHARD.
Abdallah? Fluch und Hölle!
KARL.
Kennst du ihn?
Achter Auftritt
Abdallah erscheint in der Zeltpforte.
ABDALLAH.
Hier ist Abdallah! – Wer verlangt nach ihm?
BERNHARD.
Schleichender Hund!
ABDALLAH.
Bernhard, was schmähst du mich?
Da du mir danken solltest! – Dort sieh hin –
Pünktlich, wie du befahlst, ist er gekommen,
Der Tod, den ich aus Afrika berief. –
RUDTHARDT.
Wem schufst du Tod?
OTTGAR.
Wer gab dir Auftrag?
ABDALLAH.
Wißt:
Nicht in dem dunklen Schoße der Natur,
Im Hirn des Menschen ward der Keim geboren,
Der dieses Leben tödlich überwuchernd,
Zu Tod den Kaiser streckte. – – Dieser da –
Bernhard von Barcelona ist der Mann –
RUDTHARDT wütend.
Nieder den Kaisermörder!
ALLE.
Nieder! – Nieder! –
JUDITH.
Sag, daß sie dich verleumden, Bernhard!
ABDALLAH mit gellender Stimme.
Ach!
Die Buhle hört, die für den Buhlen spricht!
JUDITH sinkt am Sessel des Kaisers nieder, ihr Gesicht in die Hände gedrückt.
KARL.
Schurke! Ergreift den Mauren, schleppt ihn fort!
Gebt ihm zehnfachen Tod. –
ABDALLAH.
Hamatelliwa,
Du bist gerächt, nun lache ich des Todes!
Abdallah wird abgeschleppt, kurze Pause.
KARL.
Ich weiß, es ist nicht einer unter Euch,
Der glauben könnte – –
LOTHAR.
Nein, doch nach dem Recht
Laßt uns verfahren; und es scheint mir gut,
Daß Ludwigs Mörder falle durch den Spruch
Von Ludwigs Witwe. –
RUDTHARDT.
Ja, das scheint mir auch!
ALLE.
Die Kaiserin soll richten!
KARL halblaut zu Judith.
Hörtest du –
JUDITH erhebt sich, von Karl unterstützt.
Ihr Herrn – ich bin ein Weib – bin nicht geschaffen
Zu solchen schweren Dingen.
WALA.
Kaiserin,
Gekrönte Frauen tragen Mannespflichten.
JUDITH.
Und dieses – Urteil – wäre –
LOTHAR.
Tod durchs Schwert,
Wie es dem Mörder zukommt.
JUDITH lallend.
Tod durchs Schwert.
Sie steht, die Hände ineinander gekrampft; ihre Lippen bewegen sich lautlos; dann wendet sie langsam das Haupt zu Bernhard hin.
Bernhard – ich soll dich – ach – –
Sinkt ohnmächtig zusammen.
KARL stürzt zu ihr.
Mutter!
BERNHARD stürzt zu ihr.
Judith!
KARL fährt zurück.
Vermaledeiter – fort von diesem Weib!
BERNHARD kniend bei Judith.
Aus meinem Wege du! Verderben jedem,
Der mir mein Recht an diesem Weibe nimmt!
Mein war sie, eh sie Eures Vaters war,
Mein ist sie heute, und mein soll sie bleiben
Diesseits und jenseits, mag der Schlund der Hölle
Sich vor uns öffnen, jauchzen werden wir
In ihren Flammen, und Euch nicht beneiden
Um Euren Himmel!
KARL reißt sein Schwert heraus.
Wehr' dich deines Lebens!
BERNHARD springt auf, zieht.
Feuer der Hölle, stähle meinen Arm,
Judith, so räch' ich dich an deinem Sohne!
LOTHAR, LUDWIG ziehen.
Stirb, Schänder unsres väterlichen Betts! –
RUDTHARDT zieht.
Stirb, Kaisermörder!
Sie dringen auf Bernhard ein, kurzer Kampf, Bernhard fällt.
BERNHARD.
O – –
WALA.
Das Urteil Gottes!
BERNHARD.
Zerrissen von der Karolinger Meute –
Die Flammen, die die Welt durchloderten,
Erstickt vom Schwalle der Alltäglichkeit!
Richtet sich halb auf, starrt auf Judith.
Wer tat mir das? Wer riß die tote Maurin
Aus ihrem Grab? Ihr wollt mich glauben machen,
Sie lebe – doch ich weiß es, sie ist tot!
Bleib – sie erhebt vom Boden sich – sie kommt –
Das tote Antlitz beugt sie über mich –
Hamatelliwa – o – kalt ist der Tod. – –
Stirbt.
KARL wirft das Schwert weg.
Dich rufe nie mehr der Drommeten Stimme
Aus deiner Scheide, Waffe des Gerichts –
Ins Grab, ins Grab, wo unser aller Ende. –
Die Welt ist tot. – Das schweigende Entsetzen
Sitzt auf den Trümmern und gebiert das Nichts.
LUDWIG.
Bruder, dir lebt dein Bruder!
LOTHAR.
Hör' auch mich –
Reich' mir die Hand, mein Bruder.
KARL zu Lothar.
Nein, dir nicht. –
Nach Recht verfuhrst du, sieh hier, was dein Recht
An mir getan hat – von der Stunde heut –
Sei zwischen dir und mir nur noch das Recht. –
Kniet zu Judith, wendet sich zu den Anwesenden.
Der König hat gesprochen und gerichtet,
Geht, laßt den Sohn mit seiner Mutter sein.
WALA tritt zu Karl.
Reißt vom Vergangnen Eure Seele los –
Zeigt hinaus.
Dort ist das Licht, das Leben und die Tat.
Kommt, auf die Zukunft richtet Eure Augen,
Die Zukunft ist des Mannes wahre Zeit.
Der Vorhang fällt.
Ende.
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