Boroda steigt durch dieses in das Kämmerchen. Befindet er sich dann einmal im Innern des Hauses, so ist es ihm leicht, Dobronitsch zu wecken und mit ihm zu sprechen.“
„Ah, dabei sollte ich sie erwischen! Aber wie dies anfangen?“
„Da laß mich nur sorgen! Ich kenne das Haus. Neben dem Kämmerchen, auf dessen Fenster die Nahrung für die ‚armen Leute‘ gestellt wird, liegt die Räucherkammer, in der alles Fleisch und die Fischvorräte für den Winter geräuchert werden. Da hinein stecken wir uns.“
„Uns? Du willst auch mit?“
„Natürlich. Du mußt bedenken, daß du den Boroda nicht allein bezwingen kannst.“
„Ich würde einige Kosaken mit hinein in das Räucherkämmerchen nehmen.“
„Es ist nur für zwei Personen Platz, und du müßtest mit ihnen teilen. Wir zwei sind Manns genug, Boroda zu überwältigen; wir werden uns gut bewaffnen, und dann gehört die ganze Summe dir.“
„Wenn es so ist, so bin ich vollständig einverstanden. Ich sehe ein, daß du ein tüchtiger Kerl bist und freue mich, Vertrauen zu dir gefaßt zu haben!“
„Oh, du wirst mich noch viel besser kennenlernen, Wachtmeister! Vor allen Dingen müssen wir uns besprechen, wann und wo wir uns treffen.“
„Wann? Natürlich heute abend.“
„Das versteht sich ganz von selbst, denn bereits heute abend, nicht aber später, wird dieser Boroda zurückkehren.“
„Ja, und zwar denke ich, daß er nicht warten wird, bis die Nacht vergangen ist. Darum dürfen auch wir uns nicht zu spät einstellen.“
„Ich bin kurz nach Eintritt der Dunkelheit bereit.“
„Ich auch.“
„Aber wo finden wir uns?“
„Hm, natürlich an einem Ort, wo wir nicht gesehen werden können, also nicht zu nahe an der Wohnung des Bauern.“
„Das denke ich auch. Es muß an einer Stelle sein, die leicht zu finden ist, die aber auch ein gutes Versteck bietet.“
„Die riesige Pechtanne, die am Felsen steht, wenn man von hier hinab nach dem See geht, würde sich am besten dazu eignen. Kennst du sie?“
„Natürlich! Es ist der größte Baum wohl hundert Werst in der Runde.“
„Also dort, eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit, das wird ungefähr neun Uhr sein, wollen wir uns treffen.“
„So laß uns scheiden. Da ist der Fluß. Ich will hinüber. Ich habe zu Hause noch mehreres zu besorgen und muß mich sputen, wenn ich zur rechten Zeit bei der Tanne sein will.“
„Laß mich nicht warten! Und bring dein Pferd nicht mit zur Tanne, sondern binde es vorher irgendwo an. Es könnte uns verraten.“
Die beiden Männer waren am Ufer des Mückenflusses angekommen, der hier, kurz vor seiner Vereinigung mit dem Baikalsee, eine ziemliche Tiefe und Breite besaß. Ein Sibirier fürchtet sich zwar keineswegs, durch einen Fluß zu reiten, immerhin aber wird man naß dabei und sucht dies möglichst zu vermeiden, und deshalb hatte Peter Dobronitsch, dem der Grund und Boden gehörte, da hier in dieser wenig belebten Gegend eine Brücke nicht anzubringen war, eine Fähre gebaut, die aus einem kräftigen, fest zusammengezimmerten Floß bestand, das an einem Seil von einem Ufer zum anderen lief. Dieses Seil war hüben und drüben an dem hohen, felsigen Ufer befestigt.
Propow ritt auf dieses Floß und stieg dann vom Pferd, um sich am Seil hinüberzuziehen. Doch er hatte die Mitte des Stroms noch nicht erreicht, da wurden drüben zwei Reiter sichtbar, die, wie es schien, ebenfalls die Fähre benutzen wollten, um herüberzukommen.
Der Kosak war nicht umgekehrt, sondern hielt am linken Ufer des Flusses, um achtzugeben, wie sein Verbündeter das rechte Ufer erreichen werde. Als er die beiden Reiter sah – als Grenzwächter hatte er die Verpflichtung, auf alles zu achten –, beschloß er sofort, da das Mißtrauen ihm zur zweiten Natur geworden war, zu warten, bis dieselben herüberkommen würden.
Jetzt langte Sergius Propow drüben an. Er kannte den einen der Reiter sehr gut.
„Gisa, du bist es?“ begrüßte er ihn. „Wie kommst du hierher?“
Es war wirklich Gisa, der alte Tunguse, den Karpala ihrem Geliebten als Führer nach dem Mückenfluß mitgegeben hatte. Der andere war Georg Adlerhorst, der flüchtige Kosak Nummer zehn. Er trug jetzt nicht die Uniform, sondern ein tungusisches Gewand, das Gisa ihm unterwegs verschafft hatte.
„Ja, ich bin es“, antwortete letzterer. „Wie geht es dir, Sergius?“
„Sehr gut. Doch was willst du so allein oder vielmehr nur zu zweien hier am Mückenfluß?“
„Ich will zu Peter Dobronitsch. Ich führe diesen Herrn zu ihm.“
„So, so! Was will er denn bei Dobronitsch?“
„Brüderchen, wir haben nicht viel Zeit zum Plaudern. Du wirst es noch erfahren, wenn du zu Peter Dobronitsch kommst. Du bist ja ein guter Freund von ihm.“
„Gewesen!“
„Brüderchen, Brüderchen! So hast du dich mit ihm veruneinigt? Weshalb denn?“
„Das wirst du erfahren, wenn du zu ihm kommst. Auch ich habe keine Zeit zum Schwatzen übrig. Lebe wohl!“
„Sage mir erst, wer da drüben am anderen Ufer hält! Meine alten Augen sind schwach. Es ist ein Reiter.
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