Mir war schon bange nach dir, Harald.“
„Ja, Mama, du weisst ja: ich bin nicht Herr meiner Zeit.“ Haralds Stimme und seine Bewegungen haben noch die Maasse des Saales und es fällt ihm schwer, sie an die kleine Stube zu gewöhnen. Deshalb wendet er sich an Marie. „Aber, wollen wir das nicht gleich durchsehen?..“
Die Holzer bemerkt die Enttäuschung von Haralds Mutter und versucht ihn zurückzuhalten. „Nein, Harald, jetzt will ich dich erst mal wiedersehen, weisst du. Wenn du deine Augen erst wieder in diese schrecklichen Papiere steckst, sind sie mir doch für heute verloren. Und ich hab' doch auch ein Recht auf sie – nicht?“
„Ja, ja, Marie,“ und Harald ist es, als ob man etwas ausgedacht hätte, um ihn zu quälen. „Ihr habt alle ein Recht auf mich, ich weiss. Alle, – alle, alle ...“
Frau Malcorn ist sehr erschrocken. „Komm, setz dich da an den Ofen, du musst ganz durchgekältet sein.“
„Ja, ja, an den Ofen, immer sich an den Ofen setzen, hinter den Ofen womöglich ...“ Aber plötzlich tritt Harald auf die Mutter zu, ganz beschämt. „Mama, verzeih mir ... Du siehst, es steckt wieder mal so ein boshafter Aerger in mir, der noch nicht herauskam. Marie weiss, das hat nichts zu bedeuten, nicht wahr? Das kommt schon so mit. Und hier soll er mir, weiss Gott, nicht heraus, hier nicht!“ Er führt Frau Malcorn sanft zu ihrem Lieblingsplatz bei der Lampe, und seine Stimme findet eine ungeahnte Zärtlichkeit. „Du hast ganz rote Augen, Mama. Wahrhaftig, deine Augen sind ganz rot! Hast du mir auch nicht zu viel gearbeitet? Was? – Dieses schreckliche Rot in deinem Stickmuster ... Ja, muss es denn gerade dieses Rot sein, dieses blutige? – Was wird es denn überhaupt?“
Frau Malcorn kann so viel Glück gar nicht glauben. „Ein Tischläufer –,“ sagt sie leise, mit vor Rührung zitternder Stimme.
„Soso“ macht Harald, schon wieder weit, von ganz Fremdem erfüllt und wendet sieh an Marie. „Es ist nämlich wichtig, dass wir die Sache heute noch erledigen. Es kommt jetzt so viel. Als ob es auch in den Herzen nicht Tag würde jetzt, – wie draussen. So viel Elend überall. Physisches Elend, Not, Armut, Krankheit; – geistiges Elend, Dünkel, Vorurteil und Eigennutz. Und zu allem: Das Beharren darin, die Trägheit. Die fürchterliche, dumpfe, unheilbare Trägheit! Dieses grosse Joch des Gestern, in dem sie alle gehen. Sie haben ihre Leiden und ihre Freuden. Unbedeutende, gehässige Schmerzen und ein banges, falsches, ängstliches Glück. Aber sie bleiben dabei. Versuch's, sie heraus zu heben: sie wehren sich. Und reisst du sie einfach los von ihrer armseligen Gewohnheit, – so sind sie wie Ausgestossene und wollen zurück in die Pesthütte ihrer Vergangenheit. Alles umsonst.“ Und nach einer ratlosen Pause: „Und dabei hat man doch diesen ehrlichen Willen, diese ehrfürchtige Kraft, die nicht herrschen will, die bereit ist zu dienen und die kleinste, geringste Arbeit nicht scheut, wenn sie nur auf dem Wege nach vorwärts liegt.
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