Das Bewußtsein, ein junges Wesen in den Armen zu halten, das noch keinem vor ihm gehört, erfüllte ihn mit Wonne. Anfangs fürchtete er, dieses reine Geschöpf durch die Glut seiner Zärtlichkeiten zu entweihen, aber als sie sich ihm bald mit der gleichen Rückhaltlosigkeit entgegenbrachte, gab er sich seinem Glücke völlig hin. Da ihre Ehe kinderlos blieb, änderten sich die Beziehungen zwischen ihnen durch viele Jahre gar nicht. Sein Haus war für ihn zugleich die Stätte des Friedens und der Freude. Von seinen früheren Bekannten zog er sich zurück. Nur wenige Leute besuchten das junge Paar, und diese nur selten: Theresens Vater und eine ihrer Freundinnen, ein verblühendes Mädchen, das für Gustav nur dadurch eine gewisse Bedeutung hatte, daß sie Therese zuweilen zum Singen begleitete.[320] Häufig aber sang Therese ganz allein, und das war ihm das liebste. In ihrer Stimme erklang ihm ihre ganze aus Reinheit und Leidenschaftlichkeit wunderbar gemischte Seele. Manchmal bat er sie des Nachts, ganz leise ein Schubertsches Lied zu singen. Das tat sie dann, indem sie ihn an sich heranzog, ihre Lippen ganz nah an sein Ohr brachte, und nun war die Dunkelheit des Zimmers von Schauern des Entzückens und der Bewunderung ganz erfüllt.
Therese hatte ein kleines Vermögen in die Ehe gebracht, das eben dazu ausreichte, eine einfache Wohnung behaglich auszustatten; leben mußten sie von dem Gehalt des Mannes. Aber die Wirtschaftlichkeit der jungen Frau ließ nirgends das Gefühl einer Entbehrung aufkommen, ja im Sommer durften sie sich sogar während der Urlaubszeit von drei Wochen einen Aufenthalt in irgendeinem kleinen Walddorf Niederösterreichs gönnen. Die Zukunft stellte sich ihnen bei den als ein ungestörtes Miteinanderleben dar, die Schwermut des Alters lag noch in weiter Ferne, und an ein Ende dachte keines von ihnen. Sie waren nach siebenjähriger Ehe ein Paar von Liebenden.
Im September, kurz nachdem sie von dem Landaufenthalt heimgekehrt, wurde Therese krank. Der Arzt gab von Anfang an keine Hoffnung, aber Gustav glaubte ihm nicht. Es schien ihm vollkommen unmöglich, daß Therese sterben könnte. Sie klagte wenig, sie schwand dahin. Er begriff es gar nicht recht. Erst in den letzten Tagen begann er es zu verstehen, was ihm bevorstand; da blieb er zu Hause und rührte sich von ihrem Bett nicht mehr weg. Eine ungeheure Angst kam über ihn. Er ließ zwei berühmte Professoren rufen; sie konnten nichts tun, als ihn vorbereiten, daß es bald zu Ende sein werde. Erst in der letzten Nacht fühlte Therese selbst, daß sie verloren sei, und nahm Abschied von ihm. Diese Nacht verging, dann kam noch ein endloser Tag, an dem es regnete. Gustav saß an Theresens Bett und sah sie sterben. Es war um die Stunde, da die Nacht hereinbrach.
Dann war der fürchterliche Winter gekommen, der ihm jetzt beim Wehen der ersten Frühlings winde erschien wie eine lange schwere, dumpfe Nacht. Auch seine Berufspflichten hatte er wie in einem Halbschlaf erfüllt, aus dem er nun allmählich erwachte. Aber mit jedem dieser Frühlingstage schien er sich selbst mehr zur Besinnung zu kommen. Sein Schmerz, der ihn wie ein grimmiger Feind umfangen gehalten, ließ ihn allmählich los. Gustav atmete auf; er fühlte, daß er wieder am Leben war. Abends ging[321] er spazieren. Er machte lange Wege, wie er sie vor Jahren gern zurückzulegen pflegte, anfangs nur in den Straßen der Stadt, dann, als die Tage länger wurden, weiter hinaus ins Freie, zu den Wiesen, Wäldern und Hügeln. Er liebte es, sich müde zu gehen.
1 comment