»Setzen wir uns doch noch ein bißl in den Stadtpark und plauschen weiter.«
Sie kehrten um, gingen die paar Schritte zum Stadtpark, und in einer recht dunklen Allee setzten sie sich auf eine Bank. Sie saß ganz nahe bei ihm, er schloß halb die Augen, und da sie schwieg, hatte er wieder ganz die Empfindung, als säße seine Frau neben ihm. Doch als sie wieder zu reden anfing, zuckte er zusammen. Es war ihm, als hätte diese Frau neben ihm, gerade während sie schwieg und ihn ihre Nähe und Wärme fühlen ließ, wie mit Absicht die Tote nachzuäffen versucht. Und wieder fuhr ihm die Idee durch den Kopf, sie wüßte, was in ihm vorging. Ein leichter Ärger regte sich in ihm. Er fühlte, daß hier eine gewisse Macht über ihn ausgeübt wurde, zu der es kein Recht gab und von der er sich befreien muß. Wer war denn diese Person? Eine Frau wie viele andere, die ihn gar nichts anging; die Geliebte eines jungen Mannes, der jetzt mit seinen Eltern auf dem Land war, und vorher wohl die Geliebte von zehn oder hundert andern. Und doch – es half nichts, durch ihr Kleid strömte dieselbe Wärme zu ihm herüber wie von seiner gestorbenen Frau. Sie hatte den gleichen Gang, den gleichen Nacken und ein sonderbares Zucken um die Lippen, ganz wie sie. Er drängte sich näher an sie. Von ihren Haaren kam ein Duft, den er begierig einatmete. Es verlangte ihn, ihren Hals zu küssen, er tat es, sie ließ es geschehen. Jetzt sagte sie irgend etwas, so leise, daß er es nicht verstand. Er fragte, die Lippen noch an ihrem Hals: »Was, Therese?«
»Ich muß nach Hause gehen, es wird spät.«
»Was haben Sie denn zu tun?«[332]
»Ah, nicht deswegen«, antwortete sie und stand plötzlich auf. Jetzt war sie wieder vollkommen eine andere. Er bekam eine wahre Lust, ihr zu drohen wie jemandem, der sich etwas anmaßt, das ihm nicht zukommt. Es war ihm, als hätte er eine zu verteidigen, die selbst nicht mehr dazu imstande wäre. Er stand auf, griff nach ihrer Hand, drückte ihr Handgelenk, wollte ihr weh tun. Aber da schwand sein Zorn wieder, sein Druck wurde leiser, zärtlicher, und nah, beinah aneinandergeschmiegt, verließen sie den Garten.
Sie sprachen auf dem Heimweg nichts. Beim Haustor blieb sie stehen. »Ich danke schön für die Begleitung«, sagte sie.
»Darf ich nicht mit Ihnen ...?«
»Oh!« sagte sie, »was fallt Ihnen ein! Wenn der Hausmeister was merkt – gleich wüßt's das ganze Haus. Na, und dann ...«
Gustavs Augen glühten. Sie sah ihn beinah mitleidig, aber sehr angenehm berührt an.
»Wissen Sie was«, sagte sie dann ganz leise, »morgen Nachmittag um vier – da is' 's nicht auffallend. Da kommen Sie noch bei Tag aus 'm Haus.«
Er nickte wie befreit.
»Also adieu, jetzt müssen S' gehen.« Sie entzog ihm ihre Hand, die er noch in der seinen hatte, und eilte die Treppen hinauf.
Gustav tat in dieser Nacht kein Auge zu. Im dumpfen Halbschlummer dachte er an die Tote, und es war ihm, als müßte er sie an der Lebenden rächen, die ebenso duftete, die gleiche Wärme von sich strömte und dieselben Begierden entfesselte wie jene, die nun im Grabe ruhte. Er dachte auch daran, daß es noch hundert, noch tausend Weiber gäbe wie die, mit der er heut nacht im Stadtpark gesessen und die nichts viel Besseres war als eine Dirne. Er fühlte mit einer Deutlichkeit wie nie zuvor die ungeheure Ungerechtigkeit, die an der Toten geschehen war, und ahnte einen lächerlichen Betrug, der an ihm verübt werden sollte. Und wenn er an den kommenden Nachmittag dachte, war es ihm unmöglich, sich eine andere in seinen Armen vorzustellen als seine Frau. Er fühlte sich wehrlos, und das erfüllte ihn mit Zorn.
Vormittags im Büro kam für eine kurze Zeit Ruhe über ihn.
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