Sie hießen Julius und Julianus. Julianus war der ältere, und da ihr Vater starb, war Julius in weiten Ländern, und kam auch gar nicht auf den Rothenstein, sondern auf unsrer Gasse sahen sie sich zum erstenmale seit Jahren wieder, und da hatten sie sich zum Willkomm umarmt, daß die Schwerter an ihnen rasselten, und dann sind sie in die grüne Oberstube hinaufgegangen, und die Pferde blieben auf der Gasse stehen. Die Kinder, nämlich mein Großvater und seine Schwester, dann auch ihre Mutter saßen beängstigt herunten in der Schenkstube, weil ihnen gleich nichts Gutes ahnte. Anfangs hörten sie nichts über sich, als den ruhigen Schritt der beiden Männer, wie sie oben taktgemäß auf und nieder gingen; dann war es stille, als ständen sie und als ob Einer spräche. - Mein Urgroßvater, der damalige Schenke, kam kreideweis zu den Kindern in die Stube, und sagte, als er oben nur zur Thür hineingeblickt, ob sie nichts brauchten, so hätten sie ihn gleich angefahren, und der Julius stehe an dem Tische, und schütte entsetzlich viel Wein hinunter. Der Urgroßvater blieb nun auch bei den Kindern herunten, und man horchte lange, lange hinauf, aber es blieb oben alles stille - immer stille - doch einmal geschah ein Fußtritt, daß man meinte, alle Tragbalken müßten knacken, und im Augenblicke, aber nur einige Secunden, rasselten wieder die Schwerter - dann ward's todtstille. - Sogleich aber rannte Julius die Treppe herunter, schwang sich mit glühenden Augen auf seinen schwarzen Hengst, warf ihn herum, und jagte so schnell dort an der Steinwand hinab, daß mein Großvater meinte, er sehe ordentlich ohne Unterbrechung die Hintereisen blitzen, als wolle sie der Rappe rücklings in die Luft schleudern, und Stücke rother Straßensteine flogen in die Pernitz. Alle aber liefen ungesäumt in die Oberstube, um dem gemordeten Julianus beizuspringen - dieser aber stand lebendig am Tische, und strich sich furchtbar mit der Hand den großen, rothen Schnurbart, den er immer trug - dann aber goß er einen ganzen Krug Wein in sich hinein, warf ein Stück Geld auf den Tisch, ging hinab, und ritt gelassen auf den Rothenstein zu. Er war von nun an Herr des Schlosses, wie es dem Erstgebornen auch gebührt; allein er war und blieb auch der Herr der Schätze und Einkünfte Seitens der früher verstorbenen Mutter, was von Rechtswegen dem jüngeren Julius gehört hätte. Von diesem aber ist seit jener Zeit kein Faden seines Gewandes mehr in der Fichtau sichtbar geworden.«
»Weil ihn doch der Julianus irgendwo erschlagen hat,« versetzte der Schmied.
»Dann müßte er ihn tiefer begraben haben, als Regen und Thau dringen können,« versetzte der Wirth, »daß ihn nicht die Pernitz oder unsre Bergwässer zu Tage gewaschen hätten - geht, geht, Ohm, das steht nur so in den Ritterbüchern eurer Thrine. «
»Mein Schwiegersohn, der Stadtschreiber,« sagte der Schmied, »meint selber - seit der letzte Abkömmling des Julian todt ist, und nun bereits das Schloß mit Lieg- und Fahrnissen in die Jahre lang allwärts ausgeschrieben ist, sei es seltsam, daß sich keine Klaue, und kein Hufnagel gefunden, der Anspruch machen könne - also ist der Julius damals erschlagen worden.«
»Das ist nur so, Kinder,« sagte der Boten-Simon, indem er die Pfeife ausklopfte, und wieder anstopfte, und alles umständlich that, und seine Rede beim Wiederanzünden durch kräftige »Paff, Paff,« häufig unterbrach - »das ist nur so: im Lande draußen erzählte mir vor langen Jahren ein Krämer, daß der Julius in Kriegsdienste des französischen Königs gegangen sei - aber da widerredete es ein alter Stelzfuß, und sagte: der Julius habe nicht gar so weit von der Fichtau gelebt, eine Bauerndirne geheirathet, und seine Tochter wieder an einen niedrigen Mann gegeben, und so sei nach und nach das Geschlecht im Volke verronnen, wie es ja auch einst daraus entstanden war.«
»So mag es sein,« sagte der Wirth, »oder es mag auch anders sein, aber daß er ihn erschlagen, glaube ich nicht; so schlecht waren sie nicht, sondern bloß alle närrisch.«
Der Wandersmann hatte bisher mit steigendem Interesse zugehört; nun stellte er seinen Krug zurück, und sagte: »Ja, wie weiß man denn, daß sie närrisch waren?«
»Nun Gott sei Dank,« antwortete der Wirth, »närrisch genug, junger Oheim; habt ihr denn das nicht schon an dem Schlosse erkennen mögen, da es weder Thor noch Eingang hat, und in keinem Style gebaut ist, wie ihr selber sagt. Oder ist es etwa vernünftig, wie der letzte Zweig aus dem Stamme des Julian that, oder wie sein Vater der Vorletzte that? Mit unsrem letzten Herrn war es so: Da haben die Franzosen, um die Unbill gut zu machen, die sie vordem an unsern Ländern verübt, Kriegsvölker in das Mohrenland geschickt, um Alles in Bausch und Bogen christlich zu machen, und da ließ Graf Christoph eines schönen Tages das Schloß zumauern, und ritt dann den Berg hinab gerade in das Mohrenland, um die Heiden gegen Christum zu unterstützen, und da haben sie ihn denn auch glücklich niedergeschossen; man weiß nicht, die Christen oder die Heiden. Sein Vater, Graf Jodok, war noch ärger. Ich habe ihn noch recht gut gekannt; er hat sich im Alter den Bart wachsen lassen, wie einer der heiligen drei Könige - und da sah ich ihn oft, nachdem er das Schloß angezündet hatte, vor seinem kleinen Häuschen unten am Berge sitzen.«
»Das Schloß hat er angezündet?«
»Ja, er selber hatte es an einem Pfingstsonntage angezündet, und wehrte allen Denjenigen, die da zu löschen kamen, weil er sagte, daß hundert Zentner Pulver in den Gewölben seien, und losgehen würden, aber es ging nichts los, und das Gebäude brannte friedlich und fast lieblich nieder. Er hatte die vielen Jahre vorher ganz ruhig und ordentlich darinnen gewirthschaftet, nur daß über dem Thore die Aufschrift stand: @Hier wird keinem Bettler etwas gegeben.«
»Ist denn nicht die Herrschaft ein Fideicommiß? wie durfte er denn das Schloß zerstören?«
»Freilich ist sie eines, aber da hat er innerhalb der Schloßfriedigung abseits den andern Gebäuden einen seltsamen Tempel aufgeführt, mit vielen Säulen, wie man sie oft als Lusthaus in hochherrschaftlichen Gärten sieht, und in diesem Tempel hat er gewohnt, wie man sagt, in ungewöhnlicher Pracht und Ueppigkeit, mit seiner Frau, einer wunderschönen Zigeunerin, die er einmal brachte - und dieses Bauwerk hat er dann angezündet. Es war freilich sein Eigenthum, aber man erzählt, er habe für diese That viel Geld in dem Lehenhofe niederlegen müssen. Unten am Berge hatte er sich schon vorher ein kleines, steinernes Haus mit zwei Zimmern gebaut, und daselbst verlebte er die ferneren Tage seines Alters, bis er starb. Sein Sohn Christoph war bei Lebzeiten des Vaters nie anwesend; nach seinem Tode ist er gekommen, und hat sich wieder an einer andern Stelle innerhalb der Schloßmauer ein anderes Gebäude aufgeführt, den Christophbau, aber ein Theil davon ist bereits vor drei Jahren wieder eingestürzt. Und so hatten alle einen Sporn im Haupte. Mein Großvater hat uns erzählt, daß der Vater des Julius und Julianus, Graf Prokopus, oft ganze Nächte auf einem hohen Thurme saß - der Thurm steht noch - dort habe er lange Röhre auf die Sterne gerichtet, oder auf einem Instrumente musicirt, das lange, furchtbare Töne gab, die man Nachts weit im Gebirge hörte, als stöhnten alle Wälder.«
»Und Grafen waren die Besitzer des Rothensteines?« fragte der Wandersmann.
»Grafen Scharnast seit dem Hussitenkriege, früher waren sie bloß Barone und Ritter; aber es war ein reiches Geschlecht, und wäre es noch, wenn der Julian nicht so viel verschleudert hätte.«
»Da muß ich gleich einen Brief in dieser Geschichte schreiben,« sagte der Wandersmann, »und ihr müßt ihn heute noch durch einen eigenen Boten nach Priglitz hinausschicken.«
Alle, selbst der Boten-Simon, der neben ihm auf der Bank saß, schauten bei diesen Worten dem Wanderer ins Gesicht, und hoben an zu lachen - der Wirth aber sagte: »wenn ihr das Schloß und die Grafen beschreiben wollt, so ist es freilich mehr der Mühe werth, als wenn ihr unsre Feldsteine und die Pernitz oder gar das Heu beschreibt, wie bisher; aber da kann euch nur der uralte Ruprecht die beste Auskunft geben. - - - «
»Ich werde gar nichts davon beschreiben; aber indessen geht doch, und besorgt mir noch heute einen Boten nach Priglitz.«
»Nichts leichter, als das,« sagte der Wirth; »es ist heute Samstag, und da müssen Abends die Holzknechte aus den Bergen kommen; ich erwarte sie jeden Augenblick, und um Geld und gute Worte geht wohl einer hinaus.«
»Das ist wahr,« entgegnete der Wanderer, »ich habe im Drange der heutigen Dinge auf die Holzknechte gar nicht gedacht; es geht ja ohnedieß mancher des Weges, nicht wahr? oder nicht weit daneben?«
»Allerdings, allerdings,« sagte der Wirth schmunzelnd, und gleichsam, als könne er den aufkeimenden Gedanken nicht unterdrücken, hob er nach einer Weile lauernd an: »Wenn ihr also die Burg nicht beschreiben wollt, so meint ihr etwa gar ....?«
»Ich meine gar? ....«
»Ein Nachkomme des Julius zu sein,« endete der Wirth den Satz, und sah sehr verschmitzt aus.
Ohne aber eine Miene zu verziehen, versetzte sein Gegenmann: »Das könnte weit eher der Fall sein, Vater Erasmus.«
Der Wirth, an die ungeheuersten Aussprüche seines Miethmannes gewöhnt, war gleichwohl durch die trockene Art ein wenig beirrt; allein um sich im Wortkampfe nicht übertreffen zu lassen, nahm er sich gleich die noch größere Freiheit, und sagte: »Wenn das ist, dann ist es freilich nicht mehr wahr, was ich mir eben dachte.«
»Nun und was dachtet ihr euch denn eben?«
»Ich dachte mir, wenn der Julius eine Bauerndirne geheirathet hat, so könnte uns, weil die Art gewechselt wurde, wie man es mit dem Samenkorn der Felder thut, daß es wieder frisch anschlägt - es könnte uns so, was man sagt .... ein gesetzterer Herr kommen.«
Aber wie früher, ohne sich im Geringsten aus der Fassung bringen zu lassen, antwortete der Wandersmann, indem er seinen Blick auf den Wirth heftete: »Was werdet ihr aber sagen, Erasmus, wenn ich mich hinsetze, und zu eurem eigenen Erstaunen eines lichten Tages gescheidter bin, als ihr alle und die ganze Fichtau zusammen - die ausgenommen,« fügte er lustig hinzu, »die dort kommen; denn das sind die herrlichsten Bursche der Welt.«
Er hatte noch das Wort im Munde, als eben Zwei jener malerischen Gestalten, wie wir sie so gerne als Staffage auf Gebirgslandschaften sehen, um die Ecke bogen, und fröhlich ihre Siebensachen, als da sind: Aexte, Sägen, Alpenstöcke, Steigeisen, Kochgeschirre u.s.w. auf die Gasse oder auf die lange Bank niederwarfen, und sich anschickten, ebenfalls Platz zu nehmen. Die abendliche Scene auf der Gasse vor der grünen Fichtau begann sich nun zu ändern, und jener Lebhaftigkeit zuzuschreiten, die unser Wanderer an jedem Samstage zu erleben gewohnt war, und die er so liebte. Er achtete des Wirthes nicht mehr weiter, sondern saß bereits bei den zwei Knechten, und war schon im lebhaften Gespräche mit ihnen begriffen. Sie hatten den grünen Hut mit Federn und Gemsbart abgelegt, den grauen Gebirgsrock zurückgeschlagen, und zwei verbrannte, lustige Gesichter sahen mit dem gesundesten Durste dem Wirthe entgegen, der ihnen eben zwei Gläser voll jenes unerbittlichen Gebirgsweines brachte, den nur ihre harte Arbeit bezwinglich, ja sogar zum erquickenden Labsale macht.
»Laßt Klöße durch eure Weiber richten,« rief Einer, - »aber viele; denn der Melchior und die Andern kommen nach - und fett genug laßt sie machen, daß sie euren Wein bändigen. - Auch die aus den Laubgräben kommen, und aus der Grahnswiese; ich sah sie drüben den Hochkogel niedersteigen, als wir gegen die Pernitz herausgingen, und hörte ihr Jauchzen. - Dem Gregor ist ein Lamm gestürzt, hinten beim schwarzen Stock; er hat darum fast geweint, und trägt es jetzt auf seinen Schultern die Riese herab.«
»D'rum kommt er wieder so langsam hervor,« sagte der Wirth; »ich höre das Heerdeläuten schon eine halbe Stunde.«
»Das wirft nur die Kaiserwand und der Grahns so herüber; er ist noch weit hinten. Wir gingen im Fichtauergraben bei ihm vorbei, wie eben die Böcke das Gerölle niederstiegen, und die Rinderglocken noch weit oben längs dem Gesteine läuteten.«
Wieder kam eine Gruppe, während er noch redete, jodelnd und singend die Straße an der Perniz heraus, und sammelte sich an dem Gassentische der grünen Fichtau, um einen Labetrunk zu thun, und fröhlichen Wochenschluß zu feiern, da ihnen der Holzmeister Geld gegeben, und sie sechs Tage lang nur grüne Bäume und graue oder rothe Steine gesehen hatten.
»Gott zum Gruß! - Gott zum Dank!« scholl es hin und wieder.
»Habt viel Arbeit gethan: die Kaiserwiese liegt wie überschwemmt von Scheitern.«
»Geht an, geht an, über die Hochkogelwand warfen wir noch einige Klafter mehr herunter.«
»Schöne Tage! Wir waren auf dem Grat des Kogels, ich habe seit fünfzehn Jahren nicht so weit gesehen; die Ebene lag wie ein Bild da, und in der Stadt hätte ich fast die Fenster zählen können; euren Rauch sahen wir aus den Laubgräben steigen.«
»Ja wir waren in den Laubgräben, und sind es nun schon sechs Wochen. Der alte todte Prokopus geht auch wieder um; ich weiß es gewiß; er hat in der Nacht musicirt, ich hörte es selber, und auch heute Nachmittags hörte ich es; denn da so um vier Uhr herum ein schwacher Wind aufstand und durch die Föhren ging, da trug er deutlich den schweren Ton von dem zerfallenen Schlosse herüber.«
»Hab' auch schon davon reden gehört, aber glaub es nicht.«
»Der Wein ist wie @Enzian,« rief wieder Einer.
»Trink ihn nur, Gevatter Melchior,« sagte der Wirth, »du trinkst Gesundheit hinein, wie Stahl und Eisen.«
So scherzten und lachten sie.
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