Mehrere Neue waren gekommen, darunter auch zwei Gebirgsjäger. Ihre Sachen lagen herum, und füllten die Gasse: ganze Haufen und Bündel von Steigeisen, eine Garbe Alpenstöcke, lodene Ueberröcke, Gebirgshüte, eiserne Kochschüsseln und Anderes, und wieder Anderes - Krüge und Gläser mußten herbei; die Klöße kamen und wurden verzehrt, und da abgeräumt war, erschienen zwei Zittern auf dem Tische, die zusammen spielten, und die braunen Gesellen mit dem Blicke des Gebirges saßen herum, und thaten sich gütlich - und erzählten von ihren Fahrten und Tageserlebnissen. Und ein prachtvoll herrlicher Abend war mittlerweile über das Gebirge gekommen. Die Sonne war über die Waldwand hinunter, und warf kühle Schatten auf die Pernitz; im Rücken der Häuser glühten die Felsen, und wie flüssiges Gold schwamm die Luft über all den grünen Waldhäuptern weg. Alles schien sich zur Wochenruhe und zur Feier des Sonntags zu rüsten.

Die Jäger waren aus dem Gebirge gekommen, die Bergarbeiter waren auf dem Heimwege, und mancher sprach in der grünen Fichtau ein wenig vor. - Weiber und Mägde und Töchter wuschen am Bache Fenster, Schemel und jede Gattung hölzerner Geschirre; - das Rauschen der Sägemühle hatte aufgehört, und die Heerde, deren Geläute man schon lange einzeln oder harmonisch aus dem Gebirge herab gehört hatte, war nun endlich auch angekommen; - aus dem Seitenthale ging sie manierlich hervor, eine Sammlung der unterschiedlichsten Hausthiere, fast das gesammte Eigenthum der Fichtau. Vorerst kam das leichtfüßige und leichtfertige Geschlecht der Ziegen und Böcke von allen Flecken und Farben, fast jede eine Glocke um den Hals, so daß nun ein mißtönig Geklingel war, was von ferne so wunderschön läutete - dann kamen Schafe, schwarz und weiß, und mitten unter ihnen der so schöne glänzende, ernsthaft kluge Schlag der Gebirgsrinder. Mägde, Knechte, Buben, wie es eben kam, empfingen die Thiere, die hieher gehörten, und ihren Ställen zuschritten; die andern (Thiere) gingen ihres Weges weiter, oder blieben gelegentlich stehen, oder traten gar zu der zechenden Gesellschaft, sahen traulich herum und ließen sich schmeicheln, daß die Halsglocke erklang. - Zuletzt erschien auf der Wirthsgasse auch der verwitterte, gebirgsgraue Hirtenhund und sein Herr, der Hirte Gregor, mit einem Bündel Steigeisen beladen und einem jungen, todten Lamme, das er auf den Armen trug, gefolgt von dem Mutterschafe, das wedelnd und blökend zu ihm aufsah. In seiner Person war der letzte Gast gekommen, der Samstags in der grünen Fichtau zu sein, und sein bescheiden Glas Wein zu trinken pflegte - aber heute war er traurig; denn das gestürzte Lamm war das seinige; er hatte es auf die Bank gelegt, und sah unverwandt darauf, wie dessen Mutter davor stand, es beleckte und beroch.

»Vertrinkt den Aerger, Gregor,« sagte der Wirth, »heute kostet euer Wein nichts, und das Lamm kaufe ich euch morgen um gutes Geld ab.«

»Es ist nicht wegen dem,« antwortete Gregor, »aber es war ein gar so schönes, munteres Thier.« Und er setzte sich doch nieder und führte das Glas Wein langsam zum Munde.

Und immer feierlicher floß die Abenddämmerung um die dunklen Häupter der Gebirge, immer abendlicher rauschten die Wasser der Pernitz, und immer reizender klangen die Zittern.

Der Wanderer saß mitten unter diesen Gebirgssöhnen. Er hatte sein Abendmahl verzehrt, und sprach und scherzte bald mit Diesem, bald mit Jenem. Er freute sich immer auf diese Samstagabende, und ob man gleich sein Thun und Treiben für nutzlos und lächerlich hielt, so hatten ihn doch Alle lieb, weil er so sehr in ihr Wesen einging und zu Zeiten recht vernünftig sprach. Vater Erasmus war bald hier, bald da, sprach zu Allen, und trank gemessen sein abgesondertes Glas guten, alten Gebirgswein. Seine Leute und Mägde hatten das Haus für den Sonntag gescheuert und geputzt, frische Fenstervorhänge eingehangen, und die Feiertagskleider für morgen herausgelegt. So ging es lustig fort, ein gut Stück in die Nacht hinein. Aber nach und nach ward es wieder stiller und die Gesellschaft lichtete sich. Die Arbeit dieser Bergsöhne macht sie heiter und mäßig, versüßet ihnen die Nahrung und dann die Ruhe. Der Erste, der aufbrach, war der Boten-Simon; er ging in den Stall zu seinem schnaufenden Schecken, und suchte sein Heulager - gleich darauf ging der Schmied über den Steg - und so bald der Eine, bald der Andere, sein Geräthe aufraffend und den oft langen Weg antretend, den er noch zurückzulegen hatte, ehe er zu den Seinen gelangte - und ehe der Mond, dessen Silberschein schon lange an den gegenüberliegenden Felsen glitzerte, auch auf die Häuser hereinschien, war nur mehr Einer da, der bloß auf den Brief wartete, den der Wanderer in der Oberstube schrieb, daß er noch heute in der Nacht nach Priglitz getragen würde. Aber auch der Brief erschien, sein Träger verschwand in den Schatten der Steinwand, an der der wüthende Julius fortgeritten war, und die vorher so belebte Gasse der grünen Fichtau war leer und finster; nur in der Schenkstube brannte noch ein trübselig Nachtlicht, bei dem der Wanderer dem Wirthe seine Wochenrechnung auszahlte, die dem Vertrage nach nie auf den Sonntag stehen bleiben durfte.

»Und nun gute Nacht, Vater Erasmus.«

»Gute Nacht, Ohm, und rechnet ein andermal besser nach, daß ihr mir nicht wieder zu viel gebt; es ist frevelhaft, mit dem Gelde und dem Feuer nicht vorsichtig umzugeh'n - gute Nacht! - Geht ihr morgen in die Kirche hinaus?«

»Ja freilich, ich fahre sogar mit dem einen eurer Füchse, um die Thrine abzuholen, falls ihr nichts dagegen habt.«

»Gar nichts, und somit schlaft wohl.«

»Gute Nacht.«

Und nach einer halben Stunde war es finster und still im ganzen Hause der grünen Fichtau, als wär' es im Tode begraben. Gleichwohl entfaltete sich noch ein anderes Bild in dieser Nacht, das wir beschreiben müssen.

Die Stunden der ersten süßen Nachtruhe begannen zu fließen. - Die Nacht rückte immer weiter auf ihrem Wege gen Westen, und ward immer stiller; nur daß die Wässer, wo sie hinter die Felsen rannen, unaufhörlich plätscherten und rieselten - aber ihr eintönig Geräusche war zuletzt auch wie eine andere Stille, und so war jene Einfachheit und Pracht der Nacht gekommen, die unsrem Gemüthe so feierlich und ruhend ist.

Der Mond stand senkrecht über der Häusergruppe, und legte einen fahlgrauen Schimmer über die Bretterdächer, und blitzende Demanten auf den Staubbach. - In dem Garten stand jedes Gräschen und jedes Laubblatt stille, und hielt eine Lichtperle, als horchten sie dem in der Nacht weithin vernehmlichen Rauschen der Pernitz: da ging den Gartenweg entlang eine weiße Mädchengestalt, und hinter ihr der riesig große Wirthshund, ruhig und fromm, wie ein Lamm, und an Beiden floß das volle, stille, klare Mondlicht nieder. Das Mädchen schien unschlüssig und zaghaft; sie ging zusehends langsamer, je weiter sie kam, und einmal blieb sie gar stehen, und legte die weiche Hand auf das struppige Genick ihres Begleiters, als horche sie oder zage - - dicht neben ihr in der Laube hielt sich ein Athem an - aus Seligkeit oder Bangen; - der Hund schoß mit einem Satze hinein, und sprang freundlich wedelnd an dem Erwartenden empor.

»Anna!« flüsterte eine gedrückte Stimme.

»Um Gotteswillen, ich bin ein schlechtes, unfolgsames Kind!«

»Nein, du bist das süßeste, geliebteste Wesen auf der ganzen weiten Erde Gottes - Anna! fürchte dich nicht vor mir.«

»Ich fürchte mich auch nicht vor euch. Das weiß ich ja, daß ihr gut seid, aber schon, daß ich gekommen bin, ist schlecht, und macht mich fürchten.«

»Es ist nicht schlecht, weil es so selig ist, es ist nur anders gut, als dein Vater und deine Mutter meinen.«

»Gut ist es wohl nicht, allein ich kam, weil ihr so sehr darum batet, und weil ihr so seid, daß ihr Jemanden brauchet, der euch gut ist.«

»Und also darum bist du mir gut? - - bist du, Anna?«

»Ich bin es freilich, obwohl es mir zu Zeiten recht Angst macht, daß es so heimlich ist - - und sagt nur, warum muß ich denn jetzt in später Nacht bei euch in dem Garten sein?«

»Frage nicht, Anna; siehe, daß du frägst, könnte mich fast schon kränken. Ich habe dir sehr Wichtiges zu sagen; aber ich bin aufrichtig, und bekenne es - nicht was ich sagen werde, scheint mir die Seligkeit, sondern eben daß du da bist; - es ist so lieb, daß ich dich bei der Hand fasse, und fühle, wie du sie mir nicht gerne lässest, und sie mir doch gerne lässest, daß ich dein Kleid streife, daß du neben mir niedersitzest - - siehe, schon daß ich deinen Athem empfinde, dünkt mir lieblich - ist es dir denn nicht auch so? - - ist es nicht so?«

Sie antwortete nicht, aber die Hand, die er ergriffen hatte, ließ sie ihm; zu dem Sitze ließ sie sich niederziehen - und wie das Luftsilber des Mondes durch das Zweiggitter auf ihre beiden Angesichter hereinsank, so sagte ihm ihr Auge, das nachgebend und zärtlich gegen seines blickte, daß es so ist.

Er zog sie gegen den Sitz nieder, und sie folgte wiederstrebend, weil fast kein Raum war; denn Anna hatte ihn einst so klein machen lassen, da sie noch nicht wußte, wie selig es zu Zweien ist. Jetzt aber wußte sie es, und bebend, mehr schwankend als sitzend stützte sie sich auf das zu kleine Bänkchen - auch der Mann war beklommen; denn in Beiden wallte und zitterte das Gefühl, wodurch der Schöpfer seine Menschheit hält - das seltsam unergründliche Gefühl, im Anfange so zaghaft, daß es sich in jede Falte der Seele verkriechen will, und dann so riesenhaft, daß es Vater und Mutter und Alles besiegt und verläßt, um dem Gatten anzuhangen - es ist ein Gefühl, das Gott nur an dem Menschen, an seinem vernünftigen Freunde, so schön gemacht hat, weil er seiner zermalmenden Urgewalt ein zartes Gegengewicht angehängt - ein zartes aber unzerreißbares - die Scham. Darum, was das Thier erst recht thierisch macht, das hebt den Menschen zum Engel des Himmels und der Sitte, und die rechten Liebenden sind heilig im menschenvollen Saale, und in der Laube, wo bloß die Nachtluft um sie zittert - ja gerade da sind sie es noch mehr, und bei ihnen fällt kein Blättchen zu frühe oder unreif aus der großen Glücksblume, die der Schöpfer ihnen zugemessen hatte; es fällt nicht, eben weil es nicht fallen kann. Und so saßen die Zwei, und hatten noch nicht die Macht gewonnen die Rede zu beginnen. Er sann auf einen Anfang, und konnte ihn nicht finden; sie fühlte es ihm an, und dennoch konnte auch sie das Wort nicht vorbringen, das ihm das seine erleichtert hätte. Ihr dritter Gesellschafter blickte zu ihnen auf, als begriffe er Alles, und es war fast lächerlich, wie er, obwohl er Beide liebte, doch auf Beide eifersüchtig war und sich stets bemühte, sein ungeschlachtes Haupt zwischen sie zu drängen.

Anna in der Güte ihres Herzens sah freundlich auf ihn nieder, ja sie legte ihre Hand auf seine Stirne, weil er sie dauerte, daß sie ihm nun - ja nicht nur ihm, sondern auch dem Vater und der Mutter fast alle Liebe entzog, und einem fremden Manne zuwende.