Giles, Cripplegate

Die Woche darauf Bis zum ungemein 1. August angestiegen

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Das Schließen von Häusern wurde zuerst als ein sehr grausames und unchristliches Verfahren angesehen, und die armen Menschen, die so festgesetzt wurden, erhoben bitteres Wehklagen. Täglich gingen beim Lordbürgermeister Beschwerden über die Härte des Vorgehens ein, wenn Häuser ohne Grund (und manche aus Bosheit) verschlossen wurden. Ich kann dazu nichts sagen; aber bei Prüfung fanden sich viele, die sich so laut beschwert hatten, in einem Zustand, der eine weitere Schließung rechtfertigte; andere wiederum, wenn die Untersuchung, der die kranke Person unterzogen wurde, ergab, daß die Krankheit offenbar nicht ansteckend war, oder wenn der Fall zwar ungewiß, der Kranke jedoch einverstanden war, ins Pesthaus überführt zu werden, wurden freigegeben.

Es ist wahr, den Leuten einfach die Haustür abzuschließen und Tag und Nacht einen Wächter davorzustellen, der ihnen verbot, sich herauszurühren oder einen Besuch zu empfangen, das sah sehr hart und grausam aus, wenn man bedenkt, daß die Gesunden der Familie vielleicht davonkommen können, wenn sie von den Kranken entfernt worden wären; und viele, das kann man mit gutem Grund annehmen, sind in dieser elenden Gefangenschaft zugrunde gegangen, die, hätten sie ihre Freiheit gehabt, gar nicht erkrankt wären, obschon die Pest im Haus war; hierüber waren die Leute anfangs sehr aufgebracht und bestürzt, und es kam des öfteren zu Tätlichkeiten gegen die Männer, die geschickt waren, die solchermaßen verschlossenen Häuser zu bewachen, und sie wurden mit Feindseligkeiten bedroht; auch brachen vielerorts immer wieder Leute gewaltsam aus, wie ich noch nach und nach berichten werde. Aber die Sache des Gemeinwohls rechtfertigte das private Mißgeschick, und zu der Zeit wurde niemandem auch nur die geringste Milderung zugestanden, ob er bei der Stadtverwaltung oder bei der Regierung darum ersuchte, jedenfalls nicht daß ich es gehört hätte. Dies verwies die Leute auf alle möglichen Listen, um wenn möglich doch noch frei zu kommen; und es würde einen kleinen Band anfüllen, alle die Kunstgriffe anzuführen, welche die Bewohner dieser Häuser anwandten, um den aufgestellten Wachmännern die Augen zu schließen, sie irrezuführen und ihnen in einem Ausbruch zu entkommen, wobei sich häufig ein Handgemenge und mancherlei Ungemach ergab; davon bei Gelegenheit mehr.
Als ich eines Morgens gegen acht Uhr in Houndsditch meines Weges ging, hörte ich einen großen Lärm. Zwar waren kaum Menschen zu sehen, weil es den Leuten nicht ohne weiteres erlaubt war, eine Ansammlung zu bilden oder lange beisammen zu stehen, wenn sie schon einmal da waren; auch ich blieb nicht lange. Aber der Aufschrei war laut genug, meine Neugier zu erwecken, und ich rief jemand an, der aus einem Fenster schaute, und fragte, was es gebe.

Ein Wachmann, so scheint es, war geschickt worden, vor der Tür eines befallenen, oder angeblich befallenen, und darob geschlossenen Hauses seinen Posten einzunehmen. Er war die ganze Nacht über dort gewesen, zwei Nächte hintereinander, wie er erzählte, und der Tages-Wachmann war einen Tag lang dort gewesen und war jetzt wiedergekommen, ihn abzulösen. Diese ganze Zeit hindurch hatte man in dem Hause keinen Laut gehört und kein Licht gesehen; die Leute baten um nichts, gaben ihm keine Bestellungen auf, was das Hauptgeschäft der Wachmänner zu sein pflegte; und sie hatten ihn nicht mehr gestört, wie er sagte, seit sie am Montagnachmittag ein so großes Geschrei und Heulen hatten hören lassen, wahrscheinlich dadurch veranlaßt, daß zu der Zeit gerade jemand in der Familie gestorben sei.

Die Nacht zuvor, so meinte er, war der Totenkarren vorgefahren, und eine Dienstmagd war tot zur Tür herausgebracht worden, und die Totenbestatter oder die »Träger«, wie sie hießen, hatten sie auf den Karren geladen, nur in ein grünes Bettuch gehüllt, und sie fortgefahren.

Der Wachmann habe, so hieß es weiter, als er den oben erwähnten Lärm und das Weinen hörte, an die Tür geklopft, und eine ganze Weile habe niemand geantwortet; aber schließlich habe jemand herausgeschaut und in ärgerlichem, barschem Ton, jedoch mit weinerlicher Stimme oder mit der Stimme jemandes, der weint, gesagt: »Was wollt Ihr, daß Ihr so laut klopft?« Er habe geantwortet: »Ich bin der Wachmann! Geht es Euch gut? Was gibt es?«

Der Mann habe geantwortet: »Was geht es Euch an? Ruft den Totenkarren her.« Dies müsse gegen ein Uhr gewesen sein. Bald darauf habe er, wie der Mann ihm aufgetragen, den Totenkarren angehalten und dann wieder geklopft, aber niemand habe geantwortet. Er habe weiter geklopft, und der Klingler habe mehrere Male gerufen: »Bringt heraus eure Toten!«; aber niemand habe geantwortet, bis der Mann, der den Wagen fuhr, da er auch zu anderen Häusern bestellt war, nicht mehr länger bleiben wollte und weggefahren sei.

Der Wachmann war aus all dem nicht mehr klug geworden und hatte daher die Leute in Frieden gelassen, bis der Tagwächter oder Morgenmann, wie er genannt wurde, ihn ablösen kam. Er berichtete ihm in allen Einzelheiten, was vorgefallen war, und sie klopften wieder lange an der Tür, erhielten aber keine Antwort; und dann fiel ihnen auf, daß das Fenster oder die Klappe, zu welcher die Person, als sie ihnen zuvor antwortete, herausgeschaut hatte, immer noch offenstand, und das war im zweiten Stock.

Darauf nahmen die beiden, um ihre Wißbegier zu befriedigen, eine lange Leiter, und einer von ihnen stieg zu dem Fenster hinauf und schaute in das Zimmer hinein; dort sah er eine Frau tot auf dem Boden liegen, in einer schrecklichen Art, da sie keine Kleider am Leibe hatte als ihr Hemd. Aber obwohl er laut rief und mit seiner langen Stange hart auf den Boden klopfte, so rührte sich dennoch keine Seele oder kam eine Antwort; und keinen Laut konnte er in dem Hause hören.

Er kam darauf wieder herab und setzte seinen Genossen ins Bild, der dann auch hinaufstieg; und als er das gleiche feststellte, beschlossen sie, entweder den Bürgermeister oder sonst einen bei der Behörde zu verständigen, aber durch das Fenster ins Haus zu steigen, getrauten sie sich nicht. Der Amtmann, heißt es, gab auf die Meldung der beiden hin Anweisung, das Haus aufzubrechen, und beorderte einen Konstabler und andere Personen, sich dazu einzufinden, damit nichts geplündert würde; und als es so geschah, fand man niemanden in dem Hause außer jener jungen Frau; sie war erkrankt, und als keine Hoffnung mehr für sie bestand, hatten die übrigen sie ihrem Schicksal überlassen und waren verschwunden, indem sie auf irgendein Mittel verfielen, den Wachmann irrezuführen und die Tür aufzubringen oder zu einer Hintertür oder über die Dächer hinauszugelangen, so daß er von nichts wußte; und was das Weinen und die Schreie betrifft, welche er gehört hatte, so nahm man an, es seien die schmerzlichen Wehrufe der Familie beim bitteren Abschied gewesen, denn schmerzlich muß es ihnen allen sicher gewesen sein, da dies doch die Schwester der Frau des Hauses war. Der Hausherr, seine Gattin, mehrere Kinder und Bedienstete, alle waren sie fort und geflohen – ob krank oder gesund, das habe ich nie erfahren können; noch habe ich auch etwa große Nachforschungen angestellt.

Auf diese Art flohen viele aus ihren verseuchten Häusern, besonders wenn der Wachmann mit einem Auftrag fortgeschickt worden war; denn es war seine Pflicht, jeden Gang zu machen, den die Familie ihm auftrug; das heißt, soweit es sich um Lebensnotwendiges wie Nahrung und Medikamente handelte und den Arzt zu holen (falls einer kommen wollte) oder einen Feldscher oder einen Pfleger, oder einen Totenkarren zu bestellen und dergleichen; aber auch dies nur unter der Bedingung, daß er, wenn er ging, die Außentür des Hauses abzuschließen und den Schlüssel mit sich fortzunehmen hatte. Um dies zu umgehen und um den Wachmann zu täuschen, ließen die Leute sich zwei oder drei Schlüssel für ihr Schloß anfertigen, oder sie fanden einen Weg, die Halteschrauben, mit denen das Schloß befestigt war, abzuschrauben und so, von drinnen, das Schloß abzunehmen und, derweil sie den Wachmannn auf den Markt oder zum Backhaus oder nach dieser oder jener Kleinigkeit wegschickten, die Tür zu öffnen und sooft es ihnen beliebte auszugehen. Aber dies wurde entdeckt, und dann hatten die Beamten Order, die Haustüren von außen mit Hängeschlössern zu sichern und Riegel an ihnen anzubringen, wenn sie es für gut hielten.

In einem anderen Haus, in der Straße gleich bei Aldgate, so erzählte man mir, war eine ganze Familie eingesperrt und abgeschlossen, da ihre Dienstmagd erkrankt war. Der Hausherr hatte durch Freunde beim zuständigen Bezirksstadtrat und beim Lordbürgermeister Beschwerde eingelegt und sich bereit erklärt, das Mädchen ins Pesthaus überführen zu lassen, war aber abgewiesen worden; die Haustür wurde also mit einem roten Kreuz markiert, an der Außenseite ein Vorhängeschloß, wie oben erwähnt, angebracht, und ein Wachmann vor der Tür postiert, den Vorschriften entsprechend.

Als der Hausherr sah, daß alles nichts half und er und seine Familie nun doch mit dieser armen kranken Magd zusammen eingeschlossen sein sollten, rief er dem Wachmann zu und trug ihm auf, ihnen eine Krankenschwester zu holen, denn es würde den sicheren Tod für sie alle bedeuten, wollte man sie selber nötigen, das arme Ding zu warten; und er machte ihm deutlich, daß, wenn er das nicht tue, das Mädchen entweder an der Seuche umkommen oder Hungers sterben müsse, denn er sei fest entschlossen, keinen aus seiner Familie ihr nahekommen zu lassen; und sie liege in der Dachkammer, vier Stockwerke hoch, wo sie nicht schreien oder um Hilfe rufen könne.