Ich sage, sie hatten auf anderem Grund bereits mehrere Gruben gegraben, als die Seuche sich in unserem Sprengel auszubreiten begann und besonders als dann der Totenkarren herumfahren mußte, was in unserer Pfarre nicht vor Anfang August war. In diese Grube hatten sie vielleicht je fünfzig oder sechzig Leichen getan; dann machten sie größere Gräber, in denen sie alle, die der Totenkarren in einer Woche brachte, beerdigen konnten, was sich von Mitte bis Ende August auf zwischen 200 und 400 belief; und sie konnten sie nicht gut größer ausheben, weil die Verordnung des Magistrates ihnen die Auflage machte, keinen Leichnam weniger als sechs Fuß unter der Oberfläche zu belassen; und da sie bei siebzehn oder achtzehn Fuß Tiefe auf Grundwasser stießen, konnten sie, sage ich, nicht gut mehr Tote in eine Grube tun. Aber als dann, anfangs September, die Pest aufs grausigste zu wüten begann und die Anzahl der Beerdigungen in unserer Pfarre alles überstieg, was in irgendeiner Pfarre von der gleichen Größe im Umkreis Londons je begraben worden war, ließen sie diesen garstigen Abgrund, denn das war es eher als nur eine Grube, ausheben.

Sie hatten gemeint, als sie das taten, dies würde ihnen für einen Monat oder noch länger ausreichen, und manche Leute machten den Kirchenpflegern schon Vorwürfe, daß sie etwas so Fürchterliches zuließen, so als treffe man Vorbereitungen, die ganze Pfarre zu begraben oder dergleichen; aber die Zeit erwies, daß die Kirchenpfleger über die Umstände der Gemeinde besser Bescheid wußten; denn nachdem die große Grube, ich glaube, am 4. September fertig geworden war, fingen sie am sechsten an, sie für Beerdigungen zu benutzen, und bis zum zwanzigsten, also in nur zwei Wochen, hatten sie 1114 Tote hineingeworfen, und dann mußten sie sie zuschütten, da die Leichen schon bis sechs Fuß unter die Oberfläche reichten. Ich möchte bestimmt annehmen, daß noch ein paar alte Personen am Leben sind, die dies als Tatsache bestätigen können und die vielleicht sogar sagen können, besser als ich, an welcher Stelle des Friedhofs diese Grube lag. Sie zeichnete sich auch noch viele Jahre lang auf dem Friedhofsgrund ab, und man konnte sehen, wie sie in ihrer Länge parallel zu dem Weg verlief, der an der Westmauer des Friedhofs entlang aus Houndsditch herausführt und sich dann nach Whitechapel wendet, wo er in der Nähe von der Dreinonnen-Schänke herauskommt.

Es war um den 10. September, als meine Neugier mich dazu trieb oder vielmehr mir das heftige Verlangen eingab, diese Grube nochmals sehen zu gehen; es waren bis dahin etwa 400 Tote darin begraben worden; und es genügte mir nicht, sie nur bei Tage anzuschauen, wie ich es schon vordem getan hatte, denn da hätte es nichts zu sehen gegeben als lose Erde; alle Leichen nämlich, die sie hineinwarfen, bedeckten die Totengräber, die man auch einfach die Träger nannte, sogleich mit Erde; aber ich nahm mir vor, in der Nacht hinzugehen und zuzuschauen, wenn einige hineingeworfen wurden.

Es war durch einen Erlaß streng verboten, daß jemand zu den Gruben ging, und das war nur, um Ansteckungen zu verhindern. Aber nach kurzer Zeit wurde dieses Verbot noch wichtiger, denn es kam vor, daß Menschen, die krank lagen und schon im Fieberwahn und dem Ende nahe waren, zu den Gruben liefen, in Decken oder Bettücher gehüllt, und sich hinunterstürzten, um, wie sie sagten, sich selbst zu begraben. Ich möchte nicht behaupten, daß die Beamten jemals einen dort mit Absicht haben liegen lassen; aber ich habe gehört, daß in einer großen Grube in Finsbury, in der Pfarre Cripplegate, da damals dort der Friedhof noch nicht ummauert war, sondern offen im Freien lag –, daß sie kamen und sich hineinstürzten und dort verschieden, bevor man noch Erde auf sie warf; als man dann kam, um andere zu bestatten, fand man sie bereits tot, wenn auch noch nicht erkaltet.

Dies mag ein wenig dazu dienen, die gräßlichen Zustände jener Zeit zu veranschaulichen, obwohl es unmöglich ist, mit Worten denen, die es nicht gesehen haben, einen wahrheitsgetreuen Begriff davon zu geben; alles was man sagen kann, ist, daß es sehr, sehr, sehr grauenvoll war und so, wie keine Zunge es auszudrücken vermag.

Ich erhielt Zutritt zu dem Friedhof durch meine Bekanntschaft mit dem Küster, der dort Dienst tat; obwohl er mich nicht rundweg abwies, versuchte er dennoch ernstlich, mich von meinem Vorhaben abzubringen, indem er mir – guter, frommer und verständiger Mann, der er war – sehr eindringlich erklärte, es sei ausschließlich ihr Geschäft und ihre Pflicht, dies zu wagen und alle Gefahren auf sich zu nehmen, und daß sie dabei hoffen dürften, bewahrt zu bleiben; daß ich jedoch keine sichtliche Berufung dafür hätte, außer meiner eigenen Neugier, was, so meinte er, ich wohl nicht als einen ausreichenden Grund anführen wolle, dieses Risiko auf mich zu nehmen. Ich sagte ihm, ich fühlte mich in meinem Innern gedrängt zu gehen und es könne vielleicht auch ein lehrreicher Anblick sein, der mir wahrscheinlich Nutzen bringe. »Freilich«, sagte der gute Mann, »wenn Ihr es auf die Rechnung unternehmen wollt, dann in Gottes Namen, geht hinein; denn, verlaßt Euch drauf, es wird eine Predigt für Euch sein, vielleicht die beste, die Ihr Euer Leben lang hörtet. Es ist ein sprechender Anblick«, sagte er, »und spricht mit einer Stimme, und einer lauten, die uns alle zur Buße ruft«; und damit öffnete er das Tor und sagte: »Geht, wenn Ihr wollt.«

Seine Rede hatte meinen Entschluß ein wenig erschüttert, und ich stand eine gute Weile schwankend, aber dann sah ich plötzlich zwei Fackeln von den Minoriten her herankommen und hörte den Klingler, und dann erschien ein Totenkarren, wie sie ihn nannten, auf der Straße; da konnte ich meinem Verlangen zuzuschauen nicht länger widerstehen und ging hinein. Es war niemand, soweit ich zuerst erkennen konnte, auf dem Friedhof, und es betrat ihn auch keiner als die Totengräber und der Bursche, der den Karren fuhr oder vielmehr Pferd und Wagen an der Hand führte; aber als sie bei der Grube anlangten, sahen sie einen Mann hin- und hergehen, in einen braunen Umhang vermummt und mit den Händen unter dem Mantel Bewegungen vollführend, als ringe er mit einem großen Schmerz, und die Totengräber umstellten ihn sogleich, in dem Glauben, er sei eins dieser bedauernswerten fieberwahnsinnigen oder außer sich geratenen Geschöpfe, die, wie ich schon sagte, sich selbst zu begraben vermeinten. Er sagte kein Wort, während er umherging, aber zwei oder drei Mal stöhnte er sehr tief und laut und seufzte, als ob ihm das Herz breche.

Als die Totengräber ihn einholten, fanden sie bald heraus, daß er weder einer der kranken und verzweifelten Personen war, von denen ich oben sprach, noch geistesgestört, sondern jemand, der mit einem fürwahr grauenhaft schweren Gram beladen war, hatte er doch seine Frau und mehrere seiner Kinder alle auf dem Karren liegen, der eben mit ihm hergekommen war und den er in einem Todeskampf übermäßigen Leids begleitete. Er trauerte tief, wie man sehen konnte, aber mit einer Art männlichen Grams, der sich nicht in Tränen Erleichterung verschaffen konnte; und mit ruhiger Bestimmtheit gebot er den Totengräbern, ihn in Frieden zu lassen, da er nur die Toten begraben sehen wolle und dann fortgehen werde; also behelligten sie ihn nicht weiter. Aber kaum hatten sie den Karren umgewendet und die Leichen alle miteinander in die Grube gekippt, worauf er nicht gefaßt war, denn er hatte zum mindesten erwartet, daß man sie mit Anstand einfahren werde, was, wie er freilich sich später überzeugen ließ, nicht durchführbar war – ich sage, kaum nahm er diesen Anblick wahr, als er laut aufschrie, nicht imstande sich zu beherrschen. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte, aber er trat zwei oder drei Schritte zurück und fiel in einer Ohnmacht zu Boden. Die Totengräber liefen zu ihm und hoben ihn auf, und nach kurzer Zeit kam er zu sich, und sie brachten ihn fort, zu der Pie Taverne hinüber, am Ende von Houndsditch; wo, wie es schien, der Mann bekannt war und wo man sich seiner annahm. Er schaute, bevor er ging, noch einmal in die Grube, aber die Totengräber hatten die Toten so rasch mit Erdwürfen bedeckt, daß, obwohl es hell genug war (es waren nämlich auf Erdhaufen Laternen mit Kerzen darin, deren sieben oder acht oder vielleicht noch mehr, die ganze Nacht über rund um den Rand der Grube aufgestellt), nichts mehr zu sehen war.

Dies war in der Tat eine traurige Szene, und sie bedrückte mich beinahe so sehr wie das übrige; aber das andere war schaurig und voll der Schrecken. Der Karren hatte sechzehn oder siebzehn Leichen geladen; einige waren in Leinenlaken gehüllt, andere in Lumpen, manche waren kaum anders als nackt oder so lose bekleidet, daß alles, was sie am Leibe hatten, beim Auskippen aus dem Karren von ihnen gefallen war und sie völlig nackt unter die übrigen fielen; aber das machte ihnen nicht viel aus, und auch sonst konnte niemand daran Anstoß nehmen, da man doch sah, daß sie tot waren und alle zusammen im gemeinsamen Grab der Menschheit, wie wir es nennen können, vermengt wurden; denn hier gab es keinen Unterschied, sondern arm und reich gingen miteinander; eine andere Art der Beerdigung gab es nicht, wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn Särge waren nicht zu haben für die Anzahl der Opfer, die ein Unheil wie dieses forderte.

Von den Totengräbern wurde, als ein großes Ärgernis, erzählt, daß, wenn ihnen ein Leichnam in geziemender Einhüllung abgeliefert wurde, und darunter verstanden wir damals, in ein Wickellaken eingewickelt, das an Kopf und Fuß verschnürt wurde, (manche taten das auch damals, und man nahm gutes Leinen dazu) – ich sage, es wurde erzählt, daß die Totengräber so schlimm waren, daß sie sie auf dem Totenkarren auszogen und sie ganz nackt ins Grab schafften. Aber da ich von Christenmenschen etwas so Niederträchtiges nicht leicht glauben kann, noch dazu in einer Zeit, die so von Grauen erfüllt war wie jene, kann ich es nur berichten und stelle es anheim.

Unzählige Geschichten gingen auch über das herzlose Betragen und die üblen Bräuche der Wärter und Wärterinnen um, die die Kranken pflegten, und daß sie das Schicksal derer, die in ihrer Krankheit ihrer Sorge anvertraut waren, beschleunigten.