Die Poggenpuhls
Theodor Fontane
Die Poggenpuhls
Roman
© 2009 buecher.de, Augsburg
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1894 fertiggestellt
Erstes Kapitel
Die Poggenpuhls - eine Frau Majorin von Poggenpuhl mit ihren drei Töchtern Therese, Sophie und
Manon - wohnten seit ihrer vor sieben Jahren erfolgten Übersiedelung von Pommersch-Stargard nach
Berlin in einem gerade um jene Zeit fertig gewordenen, also noch ziemlich mauerfeuchten Neubau der
Großgörschenstraße, einem Eckhause, das einem braven und behäbigen Manne, dem
ehemaligen Maurerpolier, jetzigen Rentier August Nottebohm gehörte. Diese
Großgörschenstraßen-Wohnung war seitens der Poggenpuhlschen Familie nicht zum
wenigsten um des kriegsgeschichtlichen Namens der Straße, zugleich aber auch um der sogenannten
»wundervollen Aussicht« willen gewählt worden, die von den Vorderfenstern aus auf
die Grabdenkmäler und Erdbegräbnisse des Matthäikirchhofs, von den Hinterfenstern aus
auf einige zur Kulmstraße gehörige Rückfronten ging, an deren einer man, in
abwechselnd roten und blauen Riesenbuchstaben, die Worte »Schulzes Bonbonfabrik« lesen
konnte. Möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß nicht jedem mit dieser eigentümlichen
Doppelaussicht gedient gewesen wäre; der Frau von Poggenpuhl aber, einer geborenen Pütter -
aus einer angesehenen, aber armen Predigerfamilie stammend -, paßte jede der beiden
Aussichten gleich gut, die Frontaussicht, weil die etwas sentimental angelegte Dame gern vom Sterben
sprach, die Rückfrontaussicht auf die Kulmstraße aber, weil sie beständig an Husten
litt und aller Sparsamkeit ungeachtet zu gutem Teile von Gerstenbonbons und Brustkaramellen lebte.
Jedesmal, wenn Besuch kam, wurde denn auch von den großen Vorzügen dieser Wohnung
gesprochen, deren einziger wirklicher Vorzug in ihrer großen Billigkeit und in der vor mehreren
Jahren schon durch Rentier Nottebohm gemachten Zusicherung bestand, daß die Frau Majorin nie
gesteigert werden würde. »Nein, Frau Majorin«, so etwa hatte sich Nottebohm damals
geäußert, »was dieses angeht, so können Frau Majorin ganz ruhig sein und die
Fräuleins auch. Gott, wenn ich so alles bedenke... verzeihen Frau Majorin, das Manonchen war ja
noch ein Quack, als Sie damals, zu Michaeli, hier einzogen..., un als Sie dann Neujahr runterkamen
und die erste Miete brachten und alles noch leer stand von wegen der nassen Wände, was aber ein
Unsinn is, da sagte ich zu meiner Frau, denn wir hatten es damals noch nich:
>Linedas is Handgeld und bringt uns
Glück.
Wie sich von selbst versteht, war auch die Poggenpuhlsche Wohnungseinrichtung
ein Ausdruck der Verhältnisse, darin die Familie nun mal
lebte; von Plüschmöbeln existierte nichts und von Teppichen
nur ein kleiner Schmiedeberger, der mit schwarzen, etwas ausgefusselten
Wollfransen vor dem Sofa der zunächst am Korridor gelegenen
und schon deshalb als Empfangssalon dienenden »guten Stube«
lag. Entsprechend diesem Teppiche waren auch die schmalen, hier
und dort gestopften Gardinen; alles aber war sehr sauber und ordentlich
gehalten, und ein mutmaßlich aus einem alten märkischen
Herrenhause herstammender, ganz vor kurzem erst auf einer Auktion
erstandener, weißlackierter Pfeilerspiegel mit eingelegter
Goldleiste lieh der ärmlichen Einrichtung trotz ihres Zusammengesuchtseins
oder vielleicht auch um dessen willen etwas von einer erlöschenden,
aber doch immerhin mal dagewesenen Feudalität.
Über dem Sofa derselben »guten Stube« hing ein
großes Ölbildnis (Kniestück) des Rittmeisters
von Poggenpuhl vom Sohrschen Husarenregiment, der 1813 bei Großgörschen
ein Carré gesprengt und dafür den Pour le mérite
erhalten hatte - der einzige Poggenpuhl, der je in der Kavallerie
gestanden. Das halb wohlwollende, halb martialische Gesicht des
Rittmeisters sah auf eine flache Glasschale hernieder, drin im
Sommer Aurikeln und ein Vergißmeinnichtkranz, im Winter
Visitenkarten zu liegen pflegten. An der andern Wand aber, genau
dem Rittmeister gegenüber, stand ein Schreibtisch mit einem
kleinen erhöhten Mittelbau, drauf, um bei Besuchen eine Art
Gastlichkeit üben zu können, eine halbe Flasche Kapwein
mit Liqueurgläschen thronte, beides, Flasche wie Gläschen,
auf einem goldgeränderten Teller, der beständig klapperte.
Neben dieser »guten Stube« lag die einfensterige Wohnstube,
daran sich nach hinten zu das sogenannte »Berliner Zimmer«
anschloß, ein bloßer Durchgang, wenn auch im übrigen
geräumig, an dessen Längswand drei Betten standen, nur
drei, trotzdem es eine viergliedrige Familie war. Die vierte Lagerstätte,
von mehr ambulantem Charakter, war ein mit Rohr überflochtenes
Sofagestell, drauf sich, wochenweis wechselnd, eine der zwei jüngeren
Schwestern einzurichten hatte.
Hinter diesem »Berliner Saal« (Nottebohm selbst hatte
den Grundriß dazu entworfen) lag die Küche mitsamt
dem Hängeboden. Hier hauste das alte Dienstmädchen Friederike,
eine treue Seele, die noch den gnädigen Herrn gekannt und
als Vertraute der Frau Majorin alles Glück und Unglück
des Hauses und zuletzt auch die Übersiedelung von Stargard
nach Berlin mit durchgemacht hatte.
So wohnten die Poggenpuhls und gaben der Welt den Beweis, daß
man auch in ganz kleinen Verhältnissen, wenn man nur die
rechte Gesinnung und dann freilich auch die nötige Geschicklichkeit
mitbringe, zufrieden und beinahe standesgemäß leben
könne, was selbst von Portier Nebelung, allerdings unter
Kopfschütteln und mit einigem Widerstreben, zugegeben wurde.
Sämtliche Poggenpuhls - die Mutter freilich weniger - besaßen
die schöne Gabe, nie zu klagen, waren lebensklug und rechneten
gut, ohne daß sich bei diesem Rechnen etwas störend
Berechnendes gezeigt hätte.
Darin waren sich die drei Schwestern gleich, trotzdem ihre sonstigen
Charaktere sehr verschieden waren.
Therese, schon dreißig, konnte (was denn auch redlich geschah)
auf den ersten Blick für unpraktisch gelten und schien von
allerhand kleinen Künsten eigentlich nur die eine, sich in
einem Schaukelstuhle gefällig zu wiegen, gelernt zu haben;
in Wirklichkeit aber war sie geradeso lebensklug wie die beiden
jüngeren Schwestern und bebaute nur ein sehr andres Feld.
Es war ihr, das stand ihr fest, ihrer ganzen Natur nach die Aufgabe
zugefallen, die Poggenpuhlsche Fahne hochzuhalten und sich mehr,
als es durch die Schwestern geschah, in die Welt, in die die Poggenpuhls
nun mal gehörten, einzureihen. In den Generals- und Ministerfamilien
der Behren- und Wilhelmstraße war sie denn auch heimisch
und erzielte hier allemal große Zustimmung und Erfolge,
wenn sie beim Tee von ihren jüngeren Schwestern und deren
Erlebnissen in der »seinwollenden Aristokratie« spöttisch
lächelnd berichtete. Selbst der alte Kommandierende, der,
im ganzen genommen, längst aufgehört hatte, sich durch
irgend etwas Irdisches noch besonders imponieren zu lassen, kam
dann in eine vergnüglich liebenswürdige Heiterkeit,
und der der Generalsfamilie befreundete, schräg gegenüber
wohnende Unterstaatssekretär, trotzdem er selber von allerneustem
Adel war (oder vielleicht auch eben deshalb), zeigte sich dann
jedesmal hingerissen von der feinen Malice des armen, aber standesbewußten
Fräuleins. Eine weitere Folge dieser gesellschaftlichen Triumphe
war es, daß Therese, wenn es irgend etwas zu bitten gab,
auch tatsächlich bitten durfte, wobei sie, wie bemerkt werden
muß, nie für sich selbst oder aber, klug abwägend,
immer nur um solche Dinge petitionierte, die man mühelos
gewähren konnte, was dann dem Gewährenden eine ganz
spezielle Befriedigung gewährte.
So war Therese von Poggenpuhl.
Sehr anders erwiesen sich die beiden jüngeren Schwestern,
die, den Verhältnissen und der modernen Welt sich anbequemend,
bei ihrem Tun sozusagen in Compagnie gingen.
Sophie, die zweite, war die Hauptstütze der Familie, weil
sie das besaß, was die Poggenpuhls bis dahin nicht ausgezeichnet
hatte: Talente. Möglich, daß diese Talente bei günstigeren
Lebensverhältnissen einigermaßen zweifelvoll angesehen
und mehr oder weniger als »unstandesgemäß«
empfunden worden wären, bei der bedrückten Lage jedoch,
in der sich die Poggenpuhls befanden, waren diese natürlichen
Gaben Tag für Tag ein Glück und Segen für die Familie.
Selbst Therese gab dies in ihren ruhigeren Momenten zu. Sophie
- auch äußerlich von den Schwestern verschieden, sie
hatte ein freundliches Pudelgesicht mit Löckchen - konnte
eigentlich alles; sie war musikalisch, zeichnete, malte, dichtete
zu Geburtstagen und Polterabenden und konnte einen Hasen spicken;
aber alles dies, soviel es war, hätte für die Familie
doch nur die halbe Bedeutung gehabt, wenn nicht neben ihr her
noch die jüngste Schwester gewesen wäre, Manon, das
Nesthäkchen.
Manon, jetzt siebzehn, war, im Gegensatze zu Sophie, ganz ohne
Begabung, besaß aber dafür die Gabe, sich überall
beliebt zu machen, vor allem in Bankierhäusern, unter denen
sie die nichtchristlichen bevorzugte, so namentlich das hochangesehene
Haus Bartenstein. Bei dem Kindersegen der Mehrzahl dieser Häuser
war nie Mangel an angehenden Backfischen, die mit den Anfängen
irgendeiner Kunst oder Wissenschaft bekannt gemacht werden sollten,
und ein über die verschiedensten Disziplinen angestrengtes
längeres oder kürzeres Gespräch endete regelmäßig
mit der leicht hingeworfenen Bemerkung Manons: »Ich halte
es für möglich, daß meine Schwester Sophie da
aushelfen kann«, eine Bemerkung, die sie gern machen durfte,
weil Sophie tatsächlich vor nichts erschrak, nicht einmal
vor Physik und Spektralanalyse.
So war die Rollenverteilung im Hause Poggenpuhl, aus der sich,
wie schon angedeutet, allerlei finanzielle Vorteile herausstellten,
Vorteile, die zuzeiten nicht unbeträchtlich über die
kleine Pension hinauswuchsen, die den eisernen Einnahmebestand
der Familie bildete. Sämtliche drei junge Damen vergaben
sich dabei nicht das geringste, waren vielmehr (besonders die
zwei jüngeren) ebenso leichtlebig wie dankbar, vermieden
es taktvoll, in geschmacklose Huldigungen oder gar in Schmeichelei
zu verfallen, und standen überall in Achtung und Ansehen,
weil ihr Tun, und das war die Hauptsache, von einer großen
persönlichen Selbstlosigkeit begleitet war. Sie brauchten
wenig, wußten sich, zumal auf dem Gebiete der Toilette -
was aber ein gefälliges Erscheinen nicht hinderte -, mit
einem Minimum zu behelfen und lebten in ihren Gedanken und Hoffnungen
eigentlich nur für die »zwei Jungens«, ihre Brüder,
Wendelin und Leo, von denen jener schon ein älterer Premier
über dreißig, dieser ein junger Dachs von kaum zweiundzwanzig
war. Beide, wie sich das von selbst verstand, waren in das hinterpommersche,
neuerdings übrigens nach Westpreußen verlegte Regiment
eingetreten, drin schon ihr Vater seine Laufbahn begonnen und
am denkwürdigen 18. August in Ruhm und Ehre beschlossen hatte.
Diesen Ruhm der Familie womöglich noch zu steigern war das,
was die schwesterliche Trias mit allen Mitteln anstrebte.
Hinsichtlich Wendelins, der ihrem eigenen Bemühen in allen
Stücken entgegenkam, besonders auch darin, daß er zu
sparen verstand, hinsichtlich dieses älteren Bruders unterlag
das Erreichen höchster Ziele kaum einem Zweifel. Er war klug,
nüchtern, ehrgeizig, und soviel durch Aufhorchen in dem militär-exzellenzlichen
Hause zur Kenntnis Theresens gekommen war, konnte sich's bei Wendelin
eigentlich nur noch darum handeln, ob er demnächst in das
Kriegsministerium oder in den Generalstab abkommandiert werden
würde. Nicht so glücklich stand es mit Leo, der, weniger
beanlagt als der ältere Bruder, nur der »Schneidigkeit«
zustrebte. Zwei Duelle, von denen das eine einem Gerichtsreferendarius
einen Schuß durch beide Backen und den Verlust etlicher
Oberzähne eingetragen hatte, schienen ein rasches Sichnähern
an sein Schneidigkeitsideal zu verbergen und hätten ebensogut
wie Wendelins Talente zu großen Hoffnungen berechtigen dürfen,
wenn nicht das Gespenst der Entlassung wegen beständig anwachsender
Schulden immer nebenher geschritten wäre. Leo, der Liebling
aller, war zugleich das Angstkind, und immer wieder zu helfen
und ihn vor einer Katastrophe zu bewahren, darauf war alles Dichten
und Trachten gerichtet. Kein Opfer erschien zu groß, und
wenn die Mutter auch gelegentlich den Kopf schüttelte, für
die Töchter unterlag es keinem Zweifel, daß Leo, »wenn
es nur möglich war, ihn bis zu dem entsprechenden Zeitpunkt
zu halten«, die nächste große Russenschlacht,
das Zorndorf der Zukunft, durch entscheidendes Eingreifen gewinnen
würde.
»Aber er ist ja nicht Garde du Corps«, sagte die Mama.
»Nein. Aber das ist auch gleichgültig. Die nächste
Schlacht bei Zorndorf wird durch Infanterie gewonnen werden.«
Zweites Kapitel
Es war ein Wintertag, der dritte Januar.
Eben kam Friederike von ihrem regelmäßigen Morgeneinkauf
zurück, einen Korb mit Frühstückssemmeln in der
einen, einen Topf mit Milch in der andern Hand, beides, Semmeln
und Milch, aus dem Keller gegenüber. Die Finger, trotz wollener
Handschuhe, waren ihr bei der Kälte klamm geworden, und so
nahm sie denn beim Eintreten in ihre Küche den Teekessel
aus dem Kochloch und wärmte sich an der Glut. Aber nicht
lange, denn sie hatte sich, weil sie gegen Morgen noch einmal
eingeschlafen war, um eine halbe Stunde verspätet, was natürlich
wieder eingebracht werden mußte.
So machte sie sich denn eifrig an ihre vom Brett genommene Kaffeemühle,
schüttete, so daß sie nachher nur noch aufzugießen
brauchte, das braune Pulver in den Beutel und ging nun, nachdem
sie schließlich noch den Teekessel wieder in die Glut gestellt
hatte, mit ihrem Holzkorb (dessen Boden übrigens jeden Augenblick
herauszufallen drohte) nach vorn, um da das einfensterige Wohnzimmer
zu heizen.
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