Das wäre, wenn auch keine Stadt, so doch im Atlantischen Meere eine Station geworden, mit Restaurants, Hôtels, Theatern, Clublocalen u. s. w. wo die Touristen alle Annehmlichkeiten der beliebtesten Badeorte gefunden hätten. Eben dieses Project war nun hier, nur in mehr vollkommener Weise, zur Ausführung gebracht… statt des festliegenden Flosses hatte man eine bewegliche Insel geschaffen.
Sechs Jahre vor der Zeit, wo unsre Geschichte beginnt, war eine amerikanische Gesellschaft unter der Firma Standard-Island Company limited mit einem Capitale von fünfhundert Millionen Dollars (zwei Milliarden Mark), getheilt in fünfhundert Antheilscheine, gegründet worden, um die künstliche Insel herzustellen, die den Nabobs der Vereinigten Staaten alle die Vortheile bieten sollte, welche den an die Stelle gebundnen Gebieten der Erdkugel fehlen. Die Antheilscheine wurden schnell untergebracht, so zahlreich sind in Amerika die ungeheuern Vermögen, die der Ausbeutung der Eisenbahnen oder Bankoperationen, dem Ertrage von Petroleumquellen oder dem Handel mit gepöckeltem Schweinefleisch entsprangen.
Die Herstellung der Insel nahm vier Jahre in Anspruch. Es dürfte hier angebracht sein, die wichtigsten Größenverhältnisse, die innere Einrichtung und die Apparate zur Fortbewegung anzugeben, die ihr gestatten, immer die angenehmsten Theile der ungeheuern Fläche des Stillen Weltmeers aufzusuchen.
Schwimmende Dörfer giebt es in China auf dem Yang-Tse-Kiang, in Brasilien auf dem Amazonenstrome, in Europa auf der Donau und wenn man will, in kleinerem Maßstabe auf vielen schiffbaren Gewässern. Das sind aber nur für kurze Zeit berechnete Constructionen mit einigen Häuschen, die auf langen Flößen errichtet wurden. Am Bestimmungsorte angelangt, wird der Holzbau auseinandergenommen, die Häusergruppe abgebrochen und das Dörfchen hat ausgelebt.
Mit der Insel, von der wir hier reden, liegt die Sache ganz anders; sie sollte auf dem Meere schwimmen… für immer, soweit das Werk der Menschenhand eben Bestand hat.
Wer weiß denn, ob die Erde nicht eines Tages zu klein werden wird für ihre Bewohner, deren Anzahl im Jahre 2072
der Rechnung nach auf sechstausend Millionen steigen dürfte, wie es Ravenstein und andre Gelehrte mit erstaunlicher Sicherheit behaupten? Wenn das Festland dann überfüllt ist, muß man sich doch entschließen, als Wohnstätte das Meer zu Hilfe zu nehmen.
Standard-Island ist eine Insel aus Stahlplatten, und die Tragfähigkeit und Widerstandskraft ihres Rumpfes wurden unter Berücksichtigung des ungeheuern Gewichtes, das darauf lasten sollte, berechnet. Sie ist aus zweihundertsiebzigtausend Einzelbehältern zusammengesetzt, von denen jeder sechzehn Meter siebzig Centimeter hoch und je zehn Meter lang und breit ist. Die Oberfläche jedes Behälters mißt also zehn Meter an jeder Seite oder umfaßt ein Ar, gleich hundert Quadratmetern. Alle durch Bolzen und Nieten miteinander verbundene Behälter bilden die etwa siebenundzwanzig Millionen Quadratmeter oder siebenundzwanzig Quadratkilometer große Insel. Bei der ihr gegebenen ovalen Gestalt mißt sie sieben Kilometer in der Länge und fünf Kilometer in der größten Breite, und hat in runder Zahl einen Umfang von achtzehn Kilometern. Zur Vergleichung diene, daß die Befestigungslinie von Paris neununddreißig, die alte Mauer um die Stadt dreiundzwanzig Kilometer lang ist. Der eingetauchte Theil des Rumpfes hat bei voller Belastung etwa zehn Meter, der über Wasser stehende gegen sieben Meter Höhe. Daraus ergiebt sich, daß das Volumen von Standard-Island vierhundertzweiunddreißig Millionen Cubikmeter mißt und sein Deplacement (Wasserverdrängung), gegen drei Fünftel des Volumens, zweihundertneunundfünfzig Millionen Cubikmeter erreicht.
Der ganze untertauchende Theil der Behälter ist mit einem, lange Zeit vergeblich gesuchten Präparate – der Erfinder desselben wurde dadurch Milliardär – bestrichen, das jedes Anlegen von Muscheln und Seethieren verschiedner Art an die vom Wasser bespülten Theile unbedingt verhindert.
Der »Untergrund« der neuen Insel ist gegen Form veränderung und Bruch vollständig gesichert, denn der stählerne Rumpf wird durch mächtige Querriegel versteift und auf das Vernieten und Verbolzen aller Theile wurde die denkbarste Sorgfalt verwendet.
Natürlich mußten zur Herstellung dieses riesenhaften Bauwerkes erst besondre Werfte geschaffen werden. Das übernahm die »Standard-Island Company«, nachdem sie die Magdalenenbucht nebst deren Uferland am Ausläufer der langen Halbinsel Nieder-Californien, ganz nahe dem Wendekreise des Krebses, zu diesem Zwecke erworben hatte.
In dieser Bucht wurde die Arbeit ausgeführt, und zwar unter Leitung der Ingenieure der Standard-Island Company und unter der Oberleitung des berühmten William Terson, der wenige Monate nach Vollendung seines Riesenwerkes ebenso mit Tod abging, wie Brunnel, nachdem er seinen, leider ziemlich nutzlosen »Great-Eastern« vom Stapel gelassen hatte.
Standard-Island ist ja auch kaum etwas andres als ein modernisierter Great-Eastern, nur nach einem tausendfach vergrößerten Modell geschaffen.
Selbstverständlich konnte von einem wirklichen Stapellauf der Insel keine Rede sein. Sie wurde vielmehr stückweise hergestellt, indem man die einzelnen Stahlbehälter auf dem Wasser der Bucht selbst mit einander verband.
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