Als er einmal aussetzt, um Athem zu schöpfen, macht sich Pinchinat die Pause gleich zunutze.

»Das ist ja alles ganz schön und gut, sagt er; Ihre Milliard-City hat aber nie etwas andres gehört, als Sachtelmusik, als conservierte Melodien, die man ihr wie conservierte Sardinen oder Salt-beef zusendet…

– Verzeihen Sie, Herr Bratschist…

– Ja, ja, ich verzeihe Ihnen, bleibe aber doch dabei, daß Ihre Phonographen immer nur Dagewesenes enthalten, daß in Milliard-City niemals ein Künstler in dem Augenblick der Ausübung seiner Kunst gehört werden kann…

– Da möcht’ ich noch einmal um Verzeihung bitten.

– Unser Freund Pinchinat verzeiht Ihnen gewiß so oft, wie Sie es wünschen, bemerkt Frascolin. Sein Einwurf ist aber dennoch richtig. Ja, wenn Sie sich mit den Theatern Amerikas und Europas in unmittelbare Verbindung setzen könnten…

– Halten Sie das für unmöglich, lieber Frascolin? ruft der Oberintendant, der die Bewegungen seines Schaukelstuhles hemmt.

– Sie behaupten das wirklich?

– Ich sage nur, daß das ausschließlich eine Geldfrage ist, und unsre Stadt ist reich genug, um sich alle Liebhabereien, jedes Verlangen bezüglich der lyrischen Kunst gewähren zu können.

Das ist auch bereits geschehen…

– Aber wie?

– Mittelst der Theatrophone, die im Concertsaale des Casinos aufgestellt sind. Die Gesellschaft besitzt ja zahlreiche unterseeische Kabel, die den Großen Ocean durchziehen und von denen das eine Ende an der Madeleinebay ausläuft und das andre durch unsre großen Bojen schwimmend erhalten wird.

Wünscht nun einer unsrer Mitbürger einen Sänger der Alten oder Neuen Welt zu hören’ so fischt man eines jener Kabel auf und benachrichtigt telephonisch die Beamten an der Madeleinebay. Diese stellen dann die Verbindung mit Europa oder Amerika her. Man verbindet die Drähte oder Kabel mit dem oder jenem Theater, dem oder jenem Concertsaale, und unsre, hier im Casino weilenden Dilettanten wohnen den entferntesten Aufführungen bei und applaudieren…

– Ja, da draußen hört man ihre Beifallsbezeugungen aber gar nicht! ruft Yvernes.

– Da muß ich um Verzeihung bitten, lieber Herr Yvernes, gewiß hört man sie mittelst einer vorhandenen Rückleitung.«

Hierauf verliert sich Calistus Munbar in transscendentale Erörterungen über die Musik nicht allein als Kunst, sondern auch als therapeutisches Agens. Nach dem Systeme I.

Harford’s, von der Westminster-Abtei, haben die hiesigen Milliardäre mit der Ausnützung der lyrischen Künste schon ganz erstaunliche Erfolge erzielt. Dieses System gewährleistet ihnen einen Zustand vollkommener Gesundheit. Die Musik übt eine Reflexwirkung auf die Nervencentren aus, ihre harmonischen Vibrationen helfen zur Erweiterung der arteriellen Gefäße und beeinflussen den Blutumlauf, den sie nach Bedarf beschleunigen oder verlangsamen. Sie bewirkt eine Anregung der Herzthätigkeit und der Athembewegungen je nach Klangfarbe und Intensität des Tones, wobei sie gleichzeitig die Ernährung der Gewebe unterstützt. Deshalb hat man in Milliard-City auch Einrichtungen getroffen, durch die beliebige Mengen musikalischer Energie auf telephonischem Wege in die Einzelwohnungen geleitet werden können.

Das Quartett hört ihm mit offnem Munde zu. Noch nie hat es über seine Kunst von medicinischem Standpunkte aus reden hören, und wahrscheinlich ist es darüber nicht gerade entzückt.

Nichtsdestoweniger geht der phantastische Yvernes sofort auf diese Theorien ein, die übrigens – man denke an den berühmten Harfenisten David – bis zur Zeit des Königs Saul zurückreichen.

»Jawohl, jawohl!… ruft er nach der letzten Tirade des Oberintendanten, das ist ganz richtig. Es gehört nur eine gute Diagnose dazu! Wagner und Berlioz z. B. sind indiciert für anämische Constitutionen…

– Gewiß, und Mendelssohn oder Mozart für sanguinische Temperamente, bei denen sie das Strontiumbromür vortheilhaft ersetzen!« fügt Calistus Munbar hinzu.

Da mischt sich Sebastian Zorn ein und schleudert einen rauhen Mißklang in diese hochfliegende Plauderei.

»Um alles das handelt es sich gar nicht, ruft er barsch.

Warum haben Sie uns überhaupt hierher geführt?

– Weil die Saiteninstrumente es sind, die grade die mächtigste Wirkung ausüben.

– Wirklich? Also um Ihre männlichen und weiblichen Nervenkranken zu beruhigen, haben Sie unsre Reise unterbrochen, uns verhindert, in San Diego einzutreffen, wo wir morgen ein Concert geben sollen…

– Ja, ja, deshalb, meine vortrefflichen Freunde!

– Und Sie erblickten in uns nichts andres, als musikalische Carabiner, als lyrische Apotheker? ruft Pinchinat.

– O nein, meine Herren, versichert Calistus Munbar sich erhebend.