Es wäre nicht schön gewesen, den wackern Leuten eine so leicht zu erweisende Gefälligkeit abzuschlagen. Der Gouverneur giebt also dem Anliegen nach und erntet dafür die Danksagungen nicht nur der Malayen, sondern auch der Maristen von Tonga-Tabu, für die jene hierher geholt worden waren.
Wer hätte ahnen können, daß der Kapitän Sarol sich damit nur Helfershelfer verschaffte, daß diese Neu-Hebridier ihn zur gelegnen Zeit in seinen schwarzen Plänen unterstützen würden!
Und konnte er sich nicht Glück wünschen, jene auf Tonga-Tabu getroffen und nach Standard-Island eingeschmuggelt zu haben?
Für den nächsten Tag ist die Abreise der Milliardeser aus dem Archipel geplant.
Am Nachmittage können sie noch einem halb weltlichen, halb geistlichen Feste beiwohnen, an dem die Eingebornen eifrigst theilnehmen.
Das Programm dazu enthält unter anderm verschiedne Tanzaufführungen, und da das das Interesse unsrer Pariser erweckt, begeben sie sich gegen drei Uhr aus Land.
Der Oberintendant begleitet sie, doch diesmal schließt sich ihnen auch Athanase Dorémus an, denn einer derartigen Festlichkeit kann ein Tanz- und Anstandslehrer ja unmöglich fern bleiben. Sogar Sebastian Zorn hat sich entschlossen, seinen Kameraden zu folgen, gewiß mehr in der Absicht, die tongische Musik anzuhören, als die choreographischen Leistungen der Landesbevölkerung zu bewundern.
An Ort und Stelle angelangt, war das Fest schon in vollem Gange. Der Kavaliqueur, ein Auszug der getrockneten Pfefferbaumwurzel, macht fleißig die Runde und rinnt durch die Kehlen von etwa hundert Tänzern, Männern und Frauen, jungen Burschen und jungen Mädchen, von denen die letzteren aus ihrem langen Haar einen koketten Kopfschmuck gebildet haben, wie sie ihn bis zu ihrem Hochzeitstage tragen müssen.
Das Orchester ist höchst einfach. Es besteht aus einer scharf klingenden, Fanghu-Fanghu genannten Flöte und einem Dutzend Nasas, das sind Trommeln, die mit derben Schlägen –
sogar im Takt, wie Pinchinat bemerkt – bearbeitet werden.
Offenbar blickt der »allzeit fertige« Athanase Dorémus mit vollster Verachtung auf die Tänze, wovon sich keiner in die Kategorie der Quadrillen, Mazurkas, Polkas oder der Walzer einreihen läßt. Er geniert sich nicht einmal, darüber die Achseln zu zucken, im Gegensatz zu Yvernes, der an diesen Tänzen wenigstens die Originalität zu schätzen weiß.
Die ersten davon sind nur Tänze im Sitzen und bestehen ausschließlich aus Körperbewegungen und Pantomimen, die von einem getragnen, traurigen Rhythmus begleitet werden.
Hierauf folgen wirkliche Tänze, an denen sich Männlein und Weiblein mit allem Feuer ihres Temperaments betheiligen und die einmal aus graziösen Pas bestehen und dann wieder den Kampfesmuth des Eingebornen, der auf dem Kriegspfade wandelt, darstellen.
Das Quartett betrachtet dieses Schauspiel und fragt sich, wie die Leute sich wohl benehmen würden, wenn sie eine anregende europäische Ballmusik noch mehr belebte.
Da macht Pinchinat den Vorschlag, ihre Instrumente aus dem Casino holen zu lassen und den Tänzern und Tänzerinnen die flottesten »sechs Achtel« und die beliebtesten »zwei Viertel«
(Tact-Tänze) von Lecoq, Audran und Offenbach aufzuspielen.
Die andern stimmen zu und Calistus Munbar ist überzeugt, daß das eine wunderbare Wirkung hervorbringen müsse.
Eine halbe Stunde später sind die Instrumente zur Stelle und der »Ball« beginnt von neuem.
Die Eingebornen sind ebenso erstaunt wie entzückt, das Violoncell und die drei Violinen zu hören, die eine ihnen ganz fremde Musik erzeugen.
Gewiß sind sie nicht unempfindlich gegen dieselbe; auch ist zweifellos nachgewiesen, daß ihre charakteristischen Tänze nur Producte augenblicklicher Eingebung und nicht eingelernt und eingeübt sind… wie sehr das Athanase Dorémus auch bestreiten mochte. Tongier und Tongierinnen überbieten sich in Bewegungen und grotesken Sprüngen, während Sebastian Zorn, Yvernes, Frascolin und Pinchinat teuflische Melodien aus »Orpheus in der Unterwelt« zum Besten geben. Der Oberintendant selbst kann sich nicht mehr halten und tanzt ein Quadrillensolo vor allem Volke, während der Tanz- und Anstandslehrer sich vor solchem Greuel die Augen zuhält. Zur reinen Kakophonie wird die Tanzmusik freilich, als auch noch die scharfen Flöten und die Trommeln mit einfallen, das steigert aber den Feuereifer der Tänzer bis aufs höchste, und man weiß kaum, wie das enden sollte, als ein Zwischenfall dem infernalischen Treiben ein unerwartetes Ziel setzte.
Ein Tongier, ein großer kräftiger Bursche, stürzt sich, entzückt über die Töne, die der Violoncellist seinem Instrumente entlockte, plötzlich auf dieses, reißt es an sich und entflieht damit unter dem Ausrufe:
»Tabu… Tabu!«
Das Violoncell steht unter dem Tabu! Niemand darf es, ohne eine Heiligthumsschändung zu begehen, mehr anrühren! Der Oberpriester, der König Georg, die Hofwürdenträger und das ganze Volk… alles würde sich empören, wenn Einer sich solcher Todsünde schuldig machte.
Sebastian Zorn kehrt sich nicht daran. Er hängt an dem Meisterwerke von Gand und Bernardel. So macht er sich also auf, den Flüchtigen zu verfolgen, und seine Kameraden eilen ihm zu Hilfe. Die Eingebornen mischen sich ebenfalls ein…
alles stürmt und tobt wild durcheinander.
Der Tongier ist aber so schnellfüßig, daß man darauf verzichten muß, ihn einzuholen.
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