Der Himmel behüte mich vor beiden! Hätte ich aber Verdacht geschöpft und Feindseliges gegen dich gesonnen, jetzt da ich dein Antlitz sehe, stünde ich entwaffnet, denn wahrlich du blickst nicht wie eine Mörderin. Wärest du eine Böse, woher nähmest du das Recht und die Stirn, das Böse aufzudecken und zu richten? Dawider empört sich die Natur!«
Ein Schweigen trat ein. »Aber was ist das für ein dumpfes Dröhnen, das den Boden schüttert?« »Das ist der Strom«, sagte die Richterin, »der den Felsen benagt und unter der Burg zu Tale stürzt.«
»Wahr ist es, Frau«, fuhr der Höfling treuherzig fort, »daß ich dich nie leiden mochte, und ich sage dir warum. Dieser Greis hier mein Vater war ein roher und gewaltsamer Mann. Ich sage es ungern: er hat an meinem Mütterlein mißgetan, ich glaube, er schlug es. Ich mag nicht daran denken. Ins Kloster hat er es gesperrt, sobald es abwelkte. Da ist es nicht zu wundern, wie wir Menschen sind, daß ich von dir nichts wissen wollte, die es von seinem Platze verstieß.«
»Nicht ich. Hier tust du mir Unrecht. Da wir so zusammensitzen, Wulfrin, warum soll ich es dir nicht erzählen? Ich habe deiner Mutter nichts zuleide getan. Kälter und lebloser als diese steinerne war meine Hand, da sie gewaltsam in die deines Vaters gedrückt wurde. Aus dem Kerker hergeschleppt, zugeschleudert wurde ich ihm von dem Judex, der mir einen zitternden und zagenden Liebling von niederer Geburt erwürgt hatte. Nicht jedes Weib würde dir solches anvertrauen, Wulfrin.«
»Ich glaube dir«, sagte dieser.
»Einer Gezwungenen und Entwürdigten«, betonte sie, »gab dein Vater sterbend die Freiheit. Und ich wurde Herrin von Malmort. Du hast Grund, Wulfrin, dir die Sache zu besehen. Sie ist dunkel und schwer. Betrachte sie von allen Seiten! Denn du räumst mir ein, vernichtete ich deinen Vater, so bin ich oder du bist zuviel auf der Erde.«
»Verhöhnst du mich?« fuhr er auf, »doch nein, du blickst ernst und traurig. Siehe, Frau, das ewige Verhören und Richten hat dich quälend und peinlich gemacht und wahrhaftig, ich glaube« – seine Augen deuteten auf den Stein – »auch eine Frömmlerin bist du.« Er hatte rings um das Frauenhaupt die Worte gelesen: »Orate pro magna peccatrice.« »Das hier ist großgetan.«
»Ich bin eine kirchliche Frau«, antwortete Stemma, »doch wahrlich, ich bin keine Frömmlerin, denn ich glaube nur, was ich an dem eigenen Herzen erfahren habe. Dein Knecht der Steinmetz Arbogast fragte mich in seiner einfältigen Art, was er mir um das Haupt schreiben dürfe. In seiner schwäbischen Heimat sei bei vornehmen Frauen die Umschrift gebräuchlich: Betet für eine Sünderin. ›Schreibe mir‹, sagte ich, ›Betet für die große Sünderin‹, denn, Wulfrin, du hast recht gesagt, was ich tue, tue ich groß.«
»Hübsch!« rief der Höfling, aber nicht als Antwort auf diesen Selbstruhm, sondern das Haupt in die Höhe richtend, wo Palma stand und das helltönige Glöcklein zog. Sie hatte sich lange auf der Wendeltreppe gesäumt und aus den Luken nach dem ihr vorenthaltenen Bruder zurückgeblickt. In der weiten Bogenöffnung des von den ersten Sonnenstrahlen vergoldeten Turmes wiegte sich ein lichtes Geschöpf auf dem klingenden Morgenhimmel. Der Höfling sah einen läutenden Engel, wie ihn etwa in der zierlichen Initiale eines kostbaren Psalters ein farbenkundiger Mönch abbildet. Eine Innigkeit, deren er sich schämte, rührte und füllte sein Herz. Hatte ihn doch dieses lobpreisende Kind vom Tode errettet.
Inzwischen sammelte sich im Burghofe das Gesinde der Richterin, wohl einhundert Köpfe stark, Männer und Weiber, ein finsteres, sehniges, sonneverbranntes Geschlecht, das den Behelmten eher feindlich als neugierig musterte. Dieser, die wieder zur Erde gestiegene Palma darunter erblickend, machte sich Bahn, und als wollte er sich für die flüchtige Andacht rächen, welche er zu einem Geschöpf aus irdischem Stoffe empfunden, legte er ihr die Hand auf die Achsel und den blühenden Mund findend küßte er ihn kräftig. Sie zitterte vor Freude und wollte erwidern, doch schneller faßte die Richterin mit der Linken ihre Hand, die Rechte Wulfrin bietend, und führte die beiden in die Mitte ihres Volkes.
»Bruder und Schwester«, verkündigte sie und sich auf die andere Seite wendend noch einmal: »Schwester und Bruder.«
So ungefähr hatten es sich Knechte und Mägde schon zurechtgelegt, denn die Ähnlichkeit Wulfrins mit dem steinernen Comes war unverkennbar, nur daß sich der Vater in dem Sohne beseelt und veredelt hatte, des Hifthorns an der Seite Wulfrins zu geschweigen, das anschauliches Zeugnis gab von seiner Abstammung.
Nur das runzlige stocktaube Mütterchen, die Sibylle, hatte nichts vernommen und nichts begriffen. Sie trippelte kichernd um das Mädchen, zupfte und tätschelte es, grinste zutulich und sprudelte aus dem zahnlosen Munde: »O du mein liebes Herrgöttchen! Was für einen hat dir da die Frau Mutter gekramt! Zum Wieder-jung-Werden. Von Paris ist er verschrieben, aus den Buben, die dem Großmächtigen dienen.
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