Der Wind trieb ihm damals die blonden Locken der Jungfrau in das Gesicht – – –
›Nein, nein, nein, Antonio Valani, dein Recht an die schöne Beute endet mit deinem Leben! Kriegsrecht, Antonio Valani, streiche die Flagge und sinke – mir das Glück jetzt, das dir bestimmt war, und morgen – morgen mir das Unterliegen und einem andern der Sieg! Kriegsrecht, Kriegsglück – armer Antonio!‹
Mit solchen Gedanken war in der Abenddämmerung der Leutnant in die Kajüte getreten, und nun stand er, wie wir geschildert haben, zwischen dem Sterbenden und der zitternden Myga im Schimmer der trüben Schiffslampe.
Man hat den verwundeten Kapitän ans Land schaffen wollen; aber mit aller Gewalt einer erlöschenden Existenz hat sich Antonio Valani dagegen gewehrt; auf seinem Schiff will er sterben, nicht im Hospital. In seinem Fieberwahnsinn hat er nicht vergessen, daß Leone das flamländische Mädchen, das er liebt, an Bord des Andrea Doria geführt hat. Je näher der Tod kommt, desto fester klammert er sich an diese Liebe, desto heftiger tritt sie hervor. Im Leben hätte er sie fest in sich verschlossen, ohne das Dazwischentreten seines wilden Gesellen Leone della Rota. Im Sterben, im Fieberwahnsinn wirft sein Geist alle einengenden Fesseln ab: nichts von dem, was er früher gefühlt und verborgen hat, verbirgt Antonio Valani mehr.
Arme Myga! Wie sie da kniet, zu den Füßen des Lagers des todwunden Genuesen, mit aufgelösten Haaren, geisterbleich, mit wundgerungenen Händen! Keine Rettung, keine!
Die Wellen der Schelde haben den Freund verschlungen, der ohnmächtig gegen das Verderben der Geliebten rang und sich in die kalten Wasser gestürzt hat, ihre Schmach nicht zu erleben!
Und Gott? Wehe, zu dunkel ist die Nacht, zu finster ist's im Gehirn der Unglücklichen, als daß sie an den großen Retter in allen Gefahren sich zu erinnern vermöchte. Keine Macht im Himmel und auf der Erde, die Schmach und Schande abzuwehren – wehe dir, Myga van Bergen!
Dumpf klingt vom Turm der Kathedrale die elfte Stunde herüber – langsam folgen sich die einzelnen Schläge und hallen nach in dem Gehirn des Mädchens.
Wieder nimmt der Lärm der Stadt allmählich ab, wieder erlischt ein Licht nach dem andern in den Häusern hinter der Mauer Paciottis, des italienischen Ingenieurs.
Immer tiefer ward die Stille. Nur zuweilen klang ein wilder Schrei, ein Jauchzen auf; nur zuweilen ertönte der rauhe Gesang einer wüsten Soldatenschar oder der Ruf der Nachtwächter und Patrouillen.
Und wiederum rasselte das Uhrwerk im Turm von Unserer Lieben Frauen Dom; – Mitternacht!
Von seinen Kissen hob sich Antonio Valani und warf wahnsinnige Blicke aus seinen fieberglühenden Augen um sich her.
»Wo ist sie? Leone, Leone – Wein, Lichter und Liebe! Leone, wo bist du, wo hast du sie? Wo hältst du sie verborgen? Mein ist sie – o Verräter – verräterischer Leone – mein, mein ist das Mädchen! Hahaha, ich bin nicht tot, wie du meinst, Leone; – ich lebe und halte, was mein ist –«
Die Stirne Mygas van Bergen berührte den Boden der Kajüte; der Leutnant della Rota drückte sanft den Wahnsinnigen auf sein Lager zurück und suchte ihn auf alle Weise zu beruhigen; aber es war, als ob alle Kräfte und Leidenschaften des Sterbenden noch einmal in voller Glut aufflammen mußten, ehe sie auf ewig erloschen.
Immer wieder von neuem suchte sich der Rasende den Armen Leones zu entziehen.
»Alle Hände an Deck! An die Ruder, an die Ruder! Es lebe der König! – Da zeigen sie die Flagge – die Bettlerflagge, Feuer, Feuer auf sie! Evviva Genova – da geht der Admiral in die Luft – Feuer, Feuer – Hölle, Hölle – Leone, schütze das Schiff! Schütze das Schiff, Leone! – Es ist aus – weh, die Geusenflagge – an die Geschütze – verloren – verloren! Schütze das Schiff, schütze das Schiff, Leone!«
Der Kranke sank zusammen; der Leutnant legte ihm das Kissen zurecht; dann trat er zu der knienden Jungfrau:
»Was ängstet Ihr Euch, Signorina? Richtet Euch doch auf; – was windet Ihr Euch am Boden? Süßes Täubchen, härme dich nicht; Königin sollst du werden, unumschränkte Herrscherin an Bord dieses guten Schiffes. Das ist der Krieg – der eine muß die Flagge streichen, und hoch läßt sie der andere von der Gaffel wehen. Der arme Antonio! Er hat es vorausgesagt – ihm wird das Grab, mir die schöne Beute zuteil; – ich liebe dich, ich liebe dich, Stern von Flandern, weiße Rose von Antwerpen. Ich liebe dich und halte dich – laß das Sträuben – blicke nicht so wild – mein bist du, und niemand wird dich mir entreißen!«
»Jan, Jan! Hilf, rette!« schrie das Mädchen, ohne zu wissen, was es rief.
»Laß den Geusen«, flüsterte Leone. »Hat er sich nicht gerächt, wird nicht der arme Antonio tot sein in einer Stunde? Was kümmert dich der Leib des Geusen, laß ihn treiben auf den Wellen – auf, auf, sage ich, du sollst nicht mehr die weiße Stirn dir wund drücken auf dem Boden. Was willst du? Tot ist der Geuse, es stirbt Antonio Valani; nun nimm den Leone, den lebendigen Leone in deine seligen Arme als schöne, stolze Herrin.«
»Barmherzigkeit, Barmherzigkeit!« stöhnte das Mädchen; aber der Leutnant lachte:
»Horch, ein Uhr! Um fünf Uhr lichten wir die Anker; bis dahin hast du Zeit, dich auszujammern; dann aber fort mit dem Klagen und Seufzen! Bis fünf Uhr ist's Zeit genug, zu sterben, armer Antonio, armer Freund; richte dich nicht empor, deine Wunden bluten wieder – lege dich nieder – was willst du auch mit dem Mädchen?«
»Leone, Leone, schütze das Schiff! Die schwarze Galeere – schütze das Schiff!« kreischte der Sterbende im Fiebertraum.
»Bah, die schwarze Galeere!« murmelte Leone della Rota. »um fünf Uhr erst beginnt die Jagd; – ruhig, ruhig, Antonio – alles wohl an Bord – habe keine Sorgen, schlaf – schlafe ein.«
Wieder sank der Kapitän zurück und schloß die Augen. Auf die letzte wilde Aufregung folgte nun augenscheinlich die letzte Erschöpfung. Es ging zu Ende mit Antonio Valani, dem Kapitän des Andrea Doria.
Der Leutnant bemerkte es wohl; er seufzte und schüttelte den Kopf:
»Armer Antonio! Armer Freund! So bald mußt du die Segel streichen? Ach, was hilft das Klagen, und doch – ich wollte, der Morgen dämmerte erst, ich wollte, diese Nacht wäre vorüber! Auf offener See – wenn – wenn die Leiche über Bord ist, wird mir erst wieder wohl werden. Ich wollte wahrhaftig, der Morgen käme!«
Er schritt auf und ab in der engen Kajüte; mehr als einmal streifte er die unglückliche Myga, und jedesmal zuckte die Arme zusammen und drückte sich dichter an die Wand.
»Sterben, sterben!« flüsterte Myga van Bergen – »o käme doch der Tod, mich zu retten – – ergriffe mich doch der Tod, wie er den Geliebten ergriffen hat!«
Die Lampe drohte zu erlöschen, Leone della Rota rief nach neuem Licht, nach Wein. Er hatte beides nötig in dieser Nacht; es sah wild und wüst in seiner Seele aus. –
VI
Die schwarze Galeere
Auf Fort Liefkenhoek flattert stolz das Banner mit dem Löwen von Leon und den Türmen von Kastilien. Dasselbe Banner weht auf Fort Lillo und all den andern von Feuerschlünden starrenden Befestigungswerken auf beiden Ufern der Schelde bis zu den gewaltigen Mauern der Zitadelle von Antwerpen.
Scharfe Augen halten Wacht auf allen diesen Mauern und Wällen, und Ruf und Gegenruf der Wachen schweigt weder bei Tag noch bei Nacht.
Nahe und wachsam ist aber auch der Feind. In jedem Augenblick kann er erscheinen. Wer kennt die Stunde, in welcher er kommen wird?
Um Seelands Küsten brandet die Nordsee. Da wohnt auf Tholen, auf Schouwen, auf Nord- und Südbeveland, auf Walcheren das wilde, eiserne Geschlecht, das zuerst geschworen hat, lieber türkisch als papistisch zu werden, welches den silbernen Halbmond am Hute und den unauslöschlichen Todeshaß gegen die Spanier im Herzen trägt. Welch eine Jugend gebären auf diesen meerumspülten Sanddünen die Mütter! Schirmt nur, ihr Türme von Kastilien, halte gute Wache vor dem Bollwerk von Flandern, du Löwe von Leon; »besser verdorben Land als verloren Land« – das waren seeländische Matrosen, welche den niedergeworfenen Spaniern vor Veere, vor Leyden die Herzen aus der Brust rissen, hineinbissen und sie den Hunden vorwarfen:
»Freßt, aber es ist bitter!«
Auf Fort Liefkenhoek, auf Fort Lillo, auf der Cruysschanze, auf Fort Perle und Sankt Philipp, auf Fort Maria, Ferdinand und Isabella ertönt fort und fort der Ruf:
»Habt gute Wacht! Habt gute Wacht!«
Die Feuerschlünde auf dem Ufer von Brabant, die Feuerschlünde auf dem flandrischen Ufer sind bereit, Tod und Verderben auf das verwegene Fahrzeug zu speien, welches ihnen zum Trotz seinen Weg stromaufwärts gen Antwerpen suchen will.
»Habt gute Wacht! Habt gute Wacht!«
Aber die Nacht ist dunkel, weder Mondenschein noch Sternenflimmer erhellt sie. Es ist schwer, gute Wacht zu halten in solcher Nacht.
Wie still und warm es ist! Nur das Rauschen des gewaltigen Stromes tönt fort und fort in den warnenden Ruf der Krieger auf den Wällen:
»Habt gute Wacht! Habt gute Wacht!«
Was kreuzt von Südbeveland her die Westerschelde, wo Meer und Fluß sich begegnen und nicht mehr zu unterscheiden sind voneinander? Was gleitet über die Wogen in der dunkeln Nacht? Hundert unheimliche Arme regt's, pfeilschnell schießt's einher, gleich dem Gespensterschiff, gleich dem Fliegenden Holländer. Ein mächtiger Schiffskörper durchschneidet die Fluten, ihm folgen andere, weniger gewaltige.
Was kümmert die Männer von Seeland die Finsternis? Sie wissen ihren Weg zu finden auf den Wassern, welche ihre Heimat sind. Ein dunkler Schatten folgt dem andern; in einer Linie gleiten sie – kein Laut ertönt an Bord, selbst die Ruder greifen geräuschlos ein in die Wogen. Geflüstert gehen die Kommandoworte von Mund zu Munde; ein jeder weiß, was ihm zu tun obliegt, jeder ist verpflichtet durch schweren Eid, seinem Nebenmann das Messer in die Kehle zu stoßen, wenn er durch ein Geräusch, einen unbedachten Ausruf das Gelingen des Unternehmens gefährden wird.
Jeder wird unbedingt seinen Schwur halten, und wäre es Bruder, Vater, Sohn, den er niederstechen müßte.
Ein Licht zur Linken –
Fort Lillo!
Ein Licht zur Rechten –
Fort Liefkenhoek!
Klar und vernehmlich schlägt der Ruf der spanischen Wachen an jedes Ohr an Bord der – schwarzen Galeere und der sie begleitenden Fahrzeuge.
Jedes Messer, jedes Enterbeil ist bereit – es glimmen die verdeckten Lunten neben den Geschützen; hoch schlagen die Herzen der verwegenen Männer.
»Habt gute Wacht! Habt gute Wacht!« verhallt es in der Ferne; eine große Gefahr liegt hinter den kühnen Seeleuten. Es lebe das Geusenglück!
Was flimmert zur Rechten?
Die Lichter von Dorf und Fort Callao.
Was flackert auf der Seite von Brabant?
Die Lichter des Dorfes Ordam.
Wie still es jetzt an dieser schrecklichen Stelle ist, wo die Brücke, die Estacada Alexanders von Farnese einst sich erhob, das Wunderwerk des Jahrhunderts! Welches Genie leuchtete hier! Welches Blut floß hier!
An dieser Stelle wirkten Johann Baptista Plato und Barocci; an dieser Stelle sprang das Feuerschiff Friedrich Gianibellis und füllte Luft, Land und Wasser mit Trümmern und verstümmelten Menschenleibern.
Noch jetzt, nach so langen Jahren, fährt manch ein republikanisch gesinnter Bürger von Antwerpen nachts aus dem Schlaf empor und denkt, er sei soeben von dem Krachen der großen Explosion, welche die große Stadt retten konnte und nicht errettete, geweckt.
Lautlos gleitet die schwarze Galeere mit ihrem Schattengefolge über die unheilvolle Stelle fort –
»Habt Wacht! Habt gute Wacht!« ertönt der Ruf von den Schanzen von San Pedro und Santa Barbara.
Die Lichter von Predigerhof! Die Lichter von Fort Maria, die Lichter von Fort Ferdinand – eine Glocke, dumpf und feierlich, erklingt in der Finsternis – – die Glocke vom Turm Unserer Lieben Frau zu Antwerpen –
Zwei Uhr!
An seinem Platze steht der Kapitän der schwarzen Galeere, das blanke Schwert in der Hand; aber ein anderer führt in dieser Nacht das Schiff und seine Mannschaft.
Fiele nur der geringste Lichtstrahl auf das Gesicht dieses Führers, ihr würdet erschrecken über dieses Gesicht.
Jan Norris, der Verlobte Mygas, die gefangen ist an Bord des Andrea Doria, Jan Norris, der Wassergeuse, der seine Braut in der Gewalt der Todfeinde zurückgelassen hat, Jan Norris, der nicht zum Tode sich vom Deck der genuesischen Galeone stürzte, Jan Norris führt in dieser Nacht die schwarze Galeere!
Jan Norris' Auge sieht in der Nacht, es durchbohrt die Finsternis wie den hellsten Tag. –
Rettung – Rache!
Hüte dich, Leone della Rota, Unheil brütet die Nacht. Achtung, Leone della Rota; es ist nicht die Zeit, in Frauenliebe und Sizilianerwein sich zu betäuben! Habe acht auf dein Schiff, schütze dein Schiff, Leone della Rota, hüte dich – hüte dich vor der – schwarzen Galeere!– – – – – – – – – –
An Bord des Andrea Doria waren alle Befehle gegeben und ausgeführt.
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