Noch drei Stunden, und das genuesische Schiff trat seine Fahrt an, um sich mit den vier vorangegangenen Galeeren bei Biervliet zur Jagd auf die schwarze Galeere zu vereinigen. Das Schiffsvolk benutzte die kurze Frist, die ihm noch gegeben war, zum Schlaf, selbst die Wachtmannschaft an Deck schlief, und die Lunte des Mannes an der Laufplanke war erloschen, wie alle andern Lunten an Bord. Lag das Schiff nicht sicher genug unter den Mauern der Stadt und den Wällen der Zitadelle?

Vom Hauptmast wirft die Schiffslaterne ein unruhiges flackerndes Licht über das Verdeck. Aus den Fenstern der Kajüte fällt ein schwaches Leuchten auf die dunkeln Fluten der Schelde, die darunter vorüberschießen.

In der Kajüte richtet sich von dem Lager Antonio Valanis der Leutnant Leone della Rota in die Höhe.

»Es ist vorüber!« sagt er. »Er ist tot, hörst du, bella Fiamminga, er ist tot, und – Kapitän an Bord dieses Schiffes ist Leone della Rota! Hörst du, Schönste; ich trete meine Erbschaft an – auch du bist mein; mit dem letzten Atemzuge des Freundes bist du mein geworden.«

Von neuem füllte der Leutnant Spinolas den Becher mit Wein.

»Was wendest du dich ab und schauderst, schöne Myga? Er ist tot – sein Herz hat ausgeschlagen, aber meins schlägt noch wild und hoch. Wohl war er mein Freund; aber in deiner Liebe räche ich ja seinen Tod.«

Er hob den Becher und trank ihn aus.

»Ich bringe es dir, armer Antonio – auf hohem Meer sollst du ein edles Seemannsgrab haben. Nicht am Lande sollen sie dich verscharren; unter den lustigen Wogen sollst du schlafen, wie's einem genuesischen Kinde zukommt. In den Armen der Meerfräulein sollst du schlafen –«

»Erbarmen, heiliger Gott, sende den Tod, rette mich, rette mich!« wimmerte das verzweifelnde Mädchen; aber der trunkene Leone lachte wild und gell.

»Sieh mich nicht so an, Königin – heute mir, morgen einem andern – das ist der Krieg, das ist das Leben. Meinst du, ich soll jammern und Gebete murmeln wie ein Pfaff am Leichnam des Freundes? Ha, wären wir am Strande des Ligurischen Meeres, mit Rosen und Myrten wollten wir uns die Haare kränzen, die schöne Nacht zu feiern! Im Namen der Rache, im Namen des Sieges, so komm in meine Arme, du wilde Geusin, so komm und sei mein, du holde Ketzerin.«

Mit einem gellenden Schrei klammerte sich Myga van Bergen an den Pfosten des Lagers, auf welchem der bleiche, blutige Leib Antonio Valanis ausgestreckt lag. Bei dem Toten suchte sie Schutz; aber mit wildem Lachen riß Leone della Rota die Unglückliche empor und in seine Arme. Mit glühenden Küssen bedeckte er ihren Mund und ihre nackten Schultern – da klang ein dumpfer Fall über seinem Haupte, daß die Lampe an der Decke davon erzitterte. Ein Schrei – ein Ringen – ein zweiter Fall – ein Stampfen und Trappeln vieler Füße – ein wildes Geschrei – der scharfe Knall eines Handrohres – der schreckensvolle, unheilvolle Ruf:

»Die Geusen! Die Geusen! Die Geusen an Bord! Verrat! Verrat! All' arme! All' arme!«

»Was ist das? Diavolo!« rief der Leutnant, das Mädchen freilassend und nach dem Schwerte greifend. – – Von dem blutigen Lager hob sich noch einmal der Leib Antonio Valanis, noch einmal öffneten sich die Augen weit und starr und hafteten auf dem Leutnant:

»Schütze das Schiff – Ver-räter! Niederträchtig –«, ein Strahl schwarzen Blutes schoß aus dem Munde hervor, zurück sank Antonio Valani – der Tod hielt nun wirklich seine Beute.

Auf Deck ward nach dem Fall der ersten Wacht das Getümmel immer allgemeiner und lauter; das wirre, überraschte Schiffsvolk stürzte hervor mit den ersten besten Waffen in der Hand –

»Zu den Waffen! Verrat! Die Geusen!«

Flüche – Gestöhn – Rufe um Pardon.

Auf die Knie sank wieder Myga van Bergen, während der Leutnant, das Schwert aus der Scheide reißend, die Kajütentreppe hinaufeilte. Auf dem Verdeck stolperte sein Fuß schon über Leichen und zu Boden liegende Verwundete. Wild wogte es hin und her, und das Triumphgeschrei der Niederländer und der schreckliche Geusenruf »Lieber Türk als Pfaff!« fingen bereits an, den Waffenruf der so schrecklich aus dem Schlaf erweckten Genuesen zu übertönen.

Und immer noch kletterte es katzengleich an den Wänden des Andrea Doria empor. Auch die nächstliegenden Handelsschiffe und kleinen Kriegsfahrzeuge schienen überfallen zu sein, denn auch auf ihnen erhob sich Kampfgeschrei, fielen Schüsse, leuchteten Fackeln auf.

In Verzweiflung warf sich Leone della Rota den nächsten Feinden in den Weg, mit Zuruf und Tat seine Leute zum Widerstand ermutigend. Auf dem Wachthaus am Kai erwachte eine Trommel und wirbelte den spanischen Weckruf.

»Die Geusen, die Geusen! Die Geusen vor Antwerpen! Verrat! Verrat, die Geusen in der Stadt!«

Fackeln irrten am Ufer umher, Lichter erschienen in den Häusern hinter der Stadtmauer.

»Lieber Türk als Pfaff! Viktoria, Viktoria! Die schwarze Galeere! Die schwarze Galeere! Viktoria, Viktoria!« riefen die Geusen an Bord der genuesischen Galeone, alles vor sich niederwerfend. Pardon wurde nicht gegeben, was nicht niedergestochen und -gehauen ward, wurde über Bord gestürzt. Das Wort »Die schwarze Galeere!« erfüllte die Herzen der Italiener mit wildem Grauen und brach mehr als alles ihren Mut. Ein Teil floh an das Land, ein größerer Teil wurde im ersten Überfall niedergehauen; am Hauptmast, in dem Lichtkreis der Schiffslaterne kämpfte noch eine verzweifelte Schar. Hier hielt der Leutnant Leone della Rota mit den Tapfersten seiner Mannschaft stand, und zuletzt drängte das ganze Gefecht sich hier zusammen. Schon war der Boden schlüpfrig von Blut und bedeckt mit Leichen, manch wilder Geuse fiel von dem Schwert des italienischen Leutnants.

»Mut, Mut, tapfere Kameraden- an mich heran! Es kommt Hülfe vom Land! Mut, Mut!« rief Leone, einen Seeländer zu Boden streckend; aber an der Stelle desselben erstand ein neuer Kämpfer, über den Gefallenen wegtretend.

»Vorwärts, vorwärts, ihr Meergeusen! Nieder mit den welschen Tyrannen – nieder die Schandflagge! Herab vom Mast mit ihr! Kennst du mich, du welscher Schuft – du feiger Mädchenräuber?«

»Diavolo!« rief der Leutnant, starr vor Schrecken und Verwunderung; doch faßte er sich sogleich. »Nicht ersoffen bist du, du Bettler? Hei, desto besser – friß kaltes Eisen denn – da!«

»Da! Da! Myga! Myga! Rettung! Rache! Da, du Hund, fahr zur Hölle und grüß deinen Spießgesellen vom Jan Norris, dem Meergeusen!«

Zu Boden in sein Blut sank Leone della Rota aus Genua, und Jan Norris setzte dem Gefallenen den Fuß auf die Brust und schrie ihm ins Gesicht:

»Gerettet ist die Myga! Gewonnen ist das Schiff! Erzähl's in der Hölle!«

Damit stieß er seinem Todfeind das Schiffsmesser in den Hals.

Gefallen waren unterdessen auch die andern Genuesen, die sich nicht durch die Flucht gerettet hatten; der Kampf an Bord des Andrea Doria war beendet, und schon warfen sich die Geusen auf die Ketten, die das Schiff an den Kai fesselten.

In der Kajüte lag Myga van Bergen ohnmächtig in den Armen Jans, der die Braut aus dem schrecklichen Raum, aus der Gesellschaft des toten Kapitäns Antonio Valani forttrug die Trepp hinauf in die freie Luft.

Noch dauerte das Gefecht auf einigen der ebenfalls von den Niederländern überfallenen Fahrzeuge fort, aber schon glitten einige derselben, von Geusenhänden gelenkt, in den Strom hinaus, und wild harmonisch erschallte der Gesang der Sieger durch die Nacht:

 

Wilhelmus von Nassaue

Bin ich von deutschem Blut,

Dem Vaterland getreue

Bleib ich bis in den Tod –

 

Vom Stern des Andrea Doria blies jetzt der Trompeter der schwarzen Galeere dieselbe Weise zur Stadt hinüber, und im wilden Chor fiel die siegreiche Mannschaft ein:

 

Daß euch die Spanier kränken,

O Niederlande gut,

Wenn ich daran tu denken,

Mein edel Herz, das blut't.

 

Selbst die zu Tode wunden Geusen richteten sich unter den feierlichen harmonischen Klängen vom Boden auf – die nicht mehr singen konnten, bewegten doch die Lippen nach den Worten des Liedes. Auch Myga van Bergen erwachte dadurch wieder zum Leben, und lachend und weinend sang sie in den Armen Jans den Freiheitsgesang mit.

»Sieh, ich halte doch Wort; unter Kanonendonner und Glockengeläut und Trompetenklang führ ich dich heim! Gerettet, gerettet!« jauchzte Jan Norris.

Von der Zitadelle ertönte ein Alarmschuß über den andern. Trommel auf Trommel fiel auf den Mauern und Wällen der Stadt ein in den ängstlichen Ruf der ersten am Kaikranen. Und immer lauter regte sich hinter ihren Mauern und Wällen die große flandrische Stadt, und manch ein bedrücktes, zorniges Herz schlug höher bei den stolzen, verbotenen Tönen, die so trotzig den spanischen Trommeln entgegenwogten und immer höher schwollen, je mehr jene dagegen ankämpfen wollten. Die Sturmglocken läuteten dazu von allen Türmen. Und nun rasselte und klirrte es aus der Stadt und von der Zitadelle herab hervor gegen den Kai; Fähnlein auf Fähnlein rückte auf die Stadtmauern, Fähnlein auf Fähnlein drängte gegen den Fluß herab.

Aber immer stolzer klang es über allen Tumult:

 

Mein Schild und mein Vertrauen

Bist du, o Gott, mein Herr,

Auf dich so will ich bauen,

Verlaß mich nimmermehr,

Daß ich doch fromm mag bleiben,

Dir dienen zu aller Stund,

Die Tyrannei vertreiben,

Die mir mein Herz verwund't.

 

Tausend und aber tausend Herzen lauschten hinter den Mauern, die Paciotti um die Stadt Antwerpen baute, in süßem Zittern diesen Klängen; tausend und aber tausend Augen wurden darum feucht.

Nun aber galt kein Besinnen mehr; die schwarze Galeere hatte ihre schönste Waffentat ausgeführt, jetzt galt es, die Siegesbeute in Sicherheit zu bringen. Unter dem Schutz des Feuers der schwarzen Galeere gewann Jan Norris, der Befehlshaber an Bord des Andrea Doria, die Mitte der Schelde und fuhr stromab langsam an der Stadt hinunter. Sieben genommene kleinere Fahrzeuge schwammen bereits mit den Geusenschiffen voraus; die schwarze Galeere schloß den Zug.

Wie blitzte und krachte es von den Wällen Antwerpens; wie antworteten so gut die Geusenschiffe und der Andrea Doria, der jetzt unter der Bettlerflagge, die Segel lustig geschwellt vom Morgenwind, stromab fuhr, wie raufte Don Federigo Spinola die Haare über solch unerhörte Tat!

Feuer von allen Schanzen und Forts den Strom entlang!

Hoiho, hoiho, Geusenglück, Geusenglück! Was kümmert's die Meergeusen, ob die Spanier gut oder schlecht schießen? Die Wunden unter Deck, die Toten über Bord – – – hoiho, hoiho, da flammt's wieder von der schwarzen Galeere auf, vor Fort Philipp! Bum – bum, das ist Cruysschanz auf der brabantischen Seite.

Nun aber haltet euch gut, ihr niederländischen Männer, der letzte Riegel, aber auch der gewaltigste, ist zu sprengen.

Drunten im Morgennebel liegt Fort Liefkenhoek.

Drunten im Morgennebel liegt Fort Lillo.

Jetzt gilt's, ihr Geusen, an die Geschütze, wer noch Hand und Fuß rühren kann!

Geusenglück! Geusenglück! – – – – – – – – – –

 

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war alles bereit auf Liefkenhoek; der Kommandant hatte Zeit genug gehabt, seine Anordnungen zu treffen: bereits um zwei Uhr hatte ihn der Hauptmann Jeronimo geweckt.