Hier hielt der Leutnant Leone della Rota mit den Tapfersten seiner Mannschaft stand, und zuletzt drängte das ganze Gefecht sich hier zusammen. Schon war der Boden schlüpfrig von Blut und bedeckt mit Leichen, manch wilder Geuse fiel von dem Schwert des italienischen Leutnants.
»Mut, Mut, tapfere Kameraden- an mich heran! Es kommt Hülfe vom Land! Mut, Mut!« rief Leone, einen Seeländer zu Boden streckend; aber an der Stelle desselben erstand ein neuer Kämpfer, über den Gefallenen wegtretend.
»Vorwärts, vorwärts, ihr Meergeusen! Nieder mit den welschen Tyrannen – nieder die Schandflagge! Herab vom Mast mit ihr! Kennst du mich, du welscher Schuft – du feiger Mädchenräuber?«
»Diavolo!« rief der Leutnant, starr vor Schrecken und Verwunderung; doch faßte er sich sogleich. »Nicht ersoffen bist du, du Bettler? Hei, desto besser – friß kaltes Eisen denn – da!«
»Da! Da! Myga! Myga! Rettung! Rache! Da, du Hund, fahr zur Hölle und grüß deinen Spießgesellen vom Jan Norris, dem Meergeusen!«
Zu Boden in sein Blut sank Leone della Rota aus Genua, und Jan Norris setzte dem Gefallenen den Fuß auf die Brust und schrie ihm ins Gesicht:
»Gerettet ist die Myga! Gewonnen ist das Schiff! Erzähl's in der Hölle!«
Damit stieß er seinem Todfeind das Schiffsmesser in den Hals.
Gefallen waren unterdessen auch die andern Genuesen, die sich nicht durch die Flucht gerettet hatten; der Kampf an Bord des Andrea Doria war beendet, und schon warfen sich die Geusen auf die Ketten, die das Schiff an den Kai fesselten.
In der Kajüte lag Myga van Bergen ohnmächtig in den Armen Jans, der die Braut aus dem schrecklichen Raum, aus der Gesellschaft des toten Kapitäns Antonio Valani forttrug die Trepp hinauf in die freie Luft.
Noch dauerte das Gefecht auf einigen der ebenfalls von den Niederländern überfallenen Fahrzeuge fort, aber schon glitten einige derselben, von Geusenhänden gelenkt, in den Strom hinaus, und wild harmonisch erschallte der Gesang der Sieger durch die Nacht:
Wilhelmus von Nassaue
Bin ich von deutschem Blut,
Dem Vaterland getreue
Bleib ich bis in den Tod –
Vom Stern des Andrea Doria blies jetzt der Trompeter der schwarzen Galeere dieselbe Weise zur Stadt hinüber, und im wilden Chor fiel die siegreiche Mannschaft ein:
Daß euch die Spanier kränken,
O Niederlande gut,
Wenn ich daran tu denken,
Mein edel Herz, das blut't.
Selbst die zu Tode wunden Geusen richteten sich unter den feierlichen harmonischen Klängen vom Boden auf – die nicht mehr singen konnten, bewegten doch die Lippen nach den Worten des Liedes. Auch Myga van Bergen erwachte dadurch wieder zum Leben, und lachend und weinend sang sie in den Armen Jans den Freiheitsgesang mit.
»Sieh, ich halte doch Wort; unter Kanonendonner und Glockengeläut und Trompetenklang führ ich dich heim! Gerettet, gerettet!« jauchzte Jan Norris.
Von der Zitadelle ertönte ein Alarmschuß über den andern. Trommel auf Trommel fiel auf den Mauern und Wällen der Stadt ein in den ängstlichen Ruf der ersten am Kaikranen. Und immer lauter regte sich hinter ihren Mauern und Wällen die große flandrische Stadt, und manch ein bedrücktes, zorniges Herz schlug höher bei den stolzen, verbotenen Tönen, die so trotzig den spanischen Trommeln entgegenwogten und immer höher schwollen, je mehr jene dagegen ankämpfen wollten. Die Sturmglocken läuteten dazu von allen Türmen. Und nun rasselte und klirrte es aus der Stadt und von der Zitadelle herab hervor gegen den Kai; Fähnlein auf Fähnlein rückte auf die Stadtmauern, Fähnlein auf Fähnlein drängte gegen den Fluß herab.
Aber immer stolzer klang es über allen Tumult:
Mein Schild und mein Vertrauen
Bist du, o Gott, mein Herr,
Auf dich so will ich bauen,
Verlaß mich nimmermehr,
Daß ich doch fromm mag bleiben,
Dir dienen zu aller Stund,
Die Tyrannei vertreiben,
Die mir mein Herz verwund't.
Tausend und aber tausend Herzen lauschten hinter den Mauern, die Paciotti um die Stadt Antwerpen baute, in süßem Zittern diesen Klängen; tausend und aber tausend Augen wurden darum feucht.
Nun aber galt kein Besinnen mehr; die schwarze Galeere hatte ihre schönste Waffentat ausgeführt, jetzt galt es, die Siegesbeute in Sicherheit zu bringen. Unter dem Schutz des Feuers der schwarzen Galeere gewann Jan Norris, der Befehlshaber an Bord des Andrea Doria, die Mitte der Schelde und fuhr stromab langsam an der Stadt hinunter. Sieben genommene kleinere Fahrzeuge schwammen bereits mit den Geusenschiffen voraus; die schwarze Galeere schloß den Zug.
Wie blitzte und krachte es von den Wällen Antwerpens; wie antworteten so gut die Geusenschiffe und der Andrea Doria, der jetzt unter der Bettlerflagge, die Segel lustig geschwellt vom Morgenwind, stromab fuhr, wie raufte Don Federigo Spinola die Haare über solch unerhörte Tat!
Feuer von allen Schanzen und Forts den Strom entlang!
Hoiho, hoiho, Geusenglück, Geusenglück! Was kümmert's die Meergeusen, ob die Spanier gut oder schlecht schießen? Die Wunden unter Deck, die Toten über Bord – – – hoiho, hoiho, da flammt's wieder von der schwarzen Galeere auf, vor Fort Philipp! Bum – bum, das ist Cruysschanz auf der brabantischen Seite.
Nun aber haltet euch gut, ihr niederländischen Männer, der letzte Riegel, aber auch der gewaltigste, ist zu sprengen.
Drunten im Morgennebel liegt Fort Liefkenhoek.
Drunten im Morgennebel liegt Fort Lillo.
Jetzt gilt's, ihr Geusen, an die Geschütze, wer noch Hand und Fuß rühren kann!
Geusenglück! Geusenglück! – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Es war alles bereit auf Liefkenhoek; der Kommandant hatte Zeit genug gehabt, seine Anordnungen zu treffen: bereits um zwei Uhr hatte ihn der Hauptmann Jeronimo geweckt. »Nun, was gibt es, Señor?« hatte der Oberst gefragt, und der Alte hatte die Achseln gezuckt und gesagt: »'s mag sein Meuterei zu Callao. 's mag sein Aufruhr zu Antwerpen, ich ersuche Euch jedenfalls, auf den Wall zu kommen, Señor.« Ärgerlich war der Kommandant auf der südöstlichen Bastion seines Forts erschienen und hatte lange gehorcht. Eine Viertelstunde nachher hatte die Trommel wieder einmal die Besatzung auf die Wälle gerufen, und eine Stunde nachher hatte der Hauptmann gesagt:
»Señor Oberst, ich würde die Schildwachen dieser ganzen Nacht erschießen lassen.« – – –
Wie lange dauerte nun schon der Geschützdonner stromab die Schelde? Es war kein Wunder, daß alles zum Empfang der schwarzen Galeere bestens auf dem Fort Liefkenhoek vorbereitet war!
Vor seiner Kompanie schritt der Hauptmann Jeronimo finster auf und ab, und je näher das Feuer kam, desto finsterer wurde er, das war so seine Art. Er hatte das Spiel so lange mitgespielt, bis er desselben überdrüssig geworden war – nein, nicht überdrüssig! –, bis es ihm so gleichgültig geworden war wie – wie das Atemholen. Der Hauptmann Jeronimo hatte nur nach gewohnter Art die Achseln gezuckt, als der reitende Bote quer über Land von Fort Perle aus die erste nähere Kunde über das vor Antwerpen Geschehene brachte. Wie grimmig die Kameraden sich gebärdet hatten; der alte Soldat von Alba, Requesens und Farnese hatte nur dem Boten den Rücken gedreht und war zu seiner Kompanie hingeschritten.
»Und dieses Volk vermeinen sie noch immer zwingen zu können?« murmelte er. »Wie lange schon liegt die Blüte Spaniens, der Kern seiner Kraft in diesem Boden begraben! Wehe dir, armes Vaterland!«
Die Kanonen von der Cruysschanze hatten sein Selbstgespräch unterbrochen. In den Morgennebel hinein fing es leise an zu schneien; man sah nicht drei Schritte weit.
»Jaja«, murmelte der alte Soldat, »feuert nur blind zu! Und horch – da ist sie schon wieder, diese gottverfluchte Weise, das Grablied von Spaniens Macht und Ehre – paff, paff, so spart doch euer Pulver, ihr vernichtet sie doch nicht damit – jaja, schießt nur, schießt, das Lied klingt nur um so heller! O Teufel, man hat's zuletzt schon auswendig gelernt.«
In den Geschützdonner hinein und den Klang der niederländischen Trompeten summte der Hauptmann Jeronimo:
Ein Prinze von Oranien
Bin ich frei unverfehrt,
Den König von Hispanien
Hab ich allzeit geehrt.
Er war noch nicht damit zu Ende, als eine Kugel dicht neben ihm in seine Kompanie einschlug und sechs Mann derselben tot oder verwundet zu Boden streckte. Von der genuesischen Galeone kam diese Kugel; Jan Norris auf dem Andrea Doria eröffnete sein Feuer im Vorüberfahren vor Fort Liefkenhoek. Das Fort antwortete sogleich auf die kräftigste Weise, jedoch ohne den Geusen einen bedeutenden Schaden zuzufügen.
Auf dem Deck des Andrea Doria stand neben dem Geliebten Myga van Bergen.
Ihre Augen funkelten; was kümmerten sie die Kugeln der Spanier! Über dem Haupte des Brautpaares flatterte sieghaft das Geusenbanner, die herabgerissene Flagge Spinolas lag unter den Füßen der beiden.
»Noch eine volle Lage, Burschen! Feuer! Feuer! Feuer der Myga, meiner Braut, zu Ehren!« rief Jan Norris, den Hut schwingend. »Da geht die Bramsegelstange über Bord; 's tut nichts! Hoiho, Myga, süße Braut – frei Wasser, frei Wasser! Horch, wie die schwarze Galeere vor Lillo ins Zeug geht! Hoiho, hoiho, lieber Türk als Pfaff! Frei Wasser! Freie See! O süße, süße Myga, o holde, liebe Braut, wie lieb ich dich!«
»O Jan, Jan, auf so stolze Art ist noch nie eine Braut erobert worden! Was hast du getan um mich!«
»Ach, was ist's denn?« lachte Jan Norris. »Einen welschen Schiffsleutnant hab ich niedergehauen und den Kadaver eines welschen Kapitäns über Bord geworfen. Die schwarze Galeere hat dich und mich gerettet – bis an die Sterne hoch die schwarze Galeere!«
»Hoch! Hoch die schwarze Galeere!« jauchzte das Schiffsvolk auf dem Andrea Doria, und weiter links donnerte das schwarze Schiff seinen Gegengruß, unter den Mauern von Fort Lillo hinstreichend. –
»Laßt es gut sein«, sagte der Hauptmann Jeronimo zu den Kameraden, die ihn vom Walle herabtragen wollten. »Laßt mich in freier Luft sterben, es wird mir leichter abgehen. Lebt wohl, Kameraden, lebt alle wohl – und haltet euch gut. Ich sehe lauter junge, jugendliche Gesichter um mich her – Kameraden, ich wünsche euch mehr Glück, als der alten Armee zuteil geworden ist. Wir haben unsere Pflicht getan – grabt nach auf dem Felde von Jemmingen, auf der Mockerheide, bei Gemblours und vor Antwerpen – es ist nicht unsere Schuld, daß – wir – noch – am alten Flecke stehen! – Lebt – wohl, Kame-raden – das alte – Heer geht zu – Grabe! Lebt wohl und – Spanien – für immer, das arme – Spanien! ...«
Der Hauptmann Jeronimo war tot, und stumm umstanden ihn Offiziere und Soldaten der Besatzung von Fort Liefkenhoek.
Der Geschützdonner war verstummt. Glücklich hatten alle niederländischen Schiffe die spanischen Festungen mit ihrer Beute passiert. Aus der Ferne klang aber noch immer das Lied von fûnfzehnhundertachtundsechzig:
Vor Gott will ich bekennen
Und seiner ganzen Macht,
Daß ich zu seinen Zeiten
Den König hab veracht't,
Weil daß ich Gott dem Herrn,
Der höchsten Majestät,
Hab müssen obedieren
In der Gerechtigkeit.
Meerwärts verhallten leise die Klänge, als das stolze Geusengeschwader mit seiner Beute, seinen blutigen Wunden und seiner Glorie in dem immer dichter werdenden Nebel stromab glitt.
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