Die Sklavin
Friedrich Gerstäcker – Die
Sklavin
Erzählung
Mississippi-Bilder, Licht- und Schattenseiten
transatlantischen Lebens, Arnoldische Buchhandlung, Dresden und
Leipzig, 1847
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Das Mail- oder Post-Boot war eben von New-Orleans angelangt, und
über die von demselben ans Ufer geschobene Planke,
strömten in ununterbrochenem Zuge fast alle
Geschäftsleute und Müßiggänger der kleinen
Stadt Bayou Sarah an Bord, um theils für sie angekommene
Briefe und Packete in Empfang zu nehmen, theils ihre Neugierde zu
befriedigen und an dem zierlich ausgeschmückten
Schenkstande ein Glas Brandy und Eiswasser zu schlürfen.
Der Capitain des Postboots, ein kleiner Franzose mit grauem
Rock, schwarzem Filzhut und außerordentlich blank gewichsten
Stiefeln, schien überall zu sein, und während ihm
große Schweißtropfen an der gerötheten Stirn
glänzten, schimpfte er in fürchterlich gebrochenem
Englisch auf Gott und die Welt, vorzüglich aber auf den
Postmeister, der ihm aus seinem Comptoir eben, als er kaum den
Rücken gewandt, ein Packet Briefe in zu großem
Amtseifer entführt und mit hinauf auf die Post genommen
hatte.
God dam him! wetterte der kleine Mann, mit der Faust
auf das grünbeschlagene Pult niederschlagend, daß die
Tinte hoch empor spritzte – was hat der Pflasterschmierer
(der Postmeister hatte zu gleicher Zeit eine Apotheke und einen
Kramladen und ließ sich gern »Doctor« nennen) in
meinem Comptoir zu suchen? Schleppt Briefe hinauf, eh? Denkt
nachher Wunder, was er gethan hat; aber wart' – Du kommst mir
wieder.
Capitain! Briefe für mich angekommen? fragte ein junger
schlanker Mann, dem Erzürnten lachend dabei auf die Schulter
klopfend.
Geht in die Hölle oder zum Quacksalber hinauf! fluchte
dieser weiter, ohne sich nur die Mühe zu nehmen,
herumzuschauen, wer ihn angeredet habe.
Hallo! was ist wieder im Wind? lachte der junge Pflanzer –
die Kessel voll zum Zerplatzen? Dampf genug, um drei
gewöhnliche Boote in die Luft zu blasen! immer noch der Alte.
Ihr Franzosen seid doch sonderbares Volk; gleich Feuer und Flamme,
wie Dupont's Schießpulver!
Der Postmeister hat die Briefe mit hinaufgenommen, antwortete
der Buchhalter statt des Capitains.
Dam him! rief dieser und warf die Glasthür hinter
sich ins Schloß, daß die Scheiben klirrten.
Never mind, sagte der Pflanzer, er will gern seine
Viertel-Dollars dafür ziehen – Alles zu Onkel
Sam's1 Besten, 's ist ein gar uneigennütziger Mann,
ich kenne ihn wohl; wer einen Brief abholt, muß auch eine
Kleinigkeit im Laden kaufen, oder eine Schachtel Medicin mitnehmen.
Als mein Vater das letzte Mal in der Stadt war, schwatzte er ihm
eine Schachtel blutreinigender Pillen auf; glücklicherweise
wurde zuerst Einer von unsern Negern krank, an dem er die Dinger
probiren konnte. Vater gab Scipio (er hat das Schmiedehandwerk
gelernt) die Schachtel, und sagte ihm, er sollte Das einnehmen,
wenn ihm bis Morgen früh nicht besser würde! Scipio nahm
erst die eine Hälfte von den Pillen und dann die andere, und
wurde so krank darauf und bekam so heftige Schmerzen, daß er
in der Nacht meinen Vater mußte rufen lassen. Vater war
jedoch nicht da, sondern hinüber nach Pointe-Coupée
gefahren, und als er am andern Morgen zurück kam, fühlte
sich Scipio ein wenig leichter, nur klagte er noch über
Magendrücken. Der dumme Kerl hatte, da er keine andere
Hülfe wußte, erst die gedruckte Anweisung, und dann, als
ihm immer noch nicht besser wurde, die ganze Schachtel verschluckt,
und behauptete steif und fest er hätte, gleich nach dem
Deckel, merkliche Linderung verspürt; er wurde übrigens
wieder gesund, und lebt jetzt noch. Doch ich will hingehen und
sehen, ob etwas für mich angekommen ist.
Damit trat er hinaus auf den Gang, stieg die Kajütentreppe
hinunter und war eben über die Planke ans Ufer gesprungen, als
er eine Hand auf seiner Schulter fühlte und ihn eine
freundliche, wohlbekannte Stimme anredete:
Hoho, Ned, wohin so eilig, rennst Du doch, als ob Du von einer
Wahl kämst und die wichtigsten Neuigkeiten
mitbrächtest!
Guston! bei allen Teufeln und Engeln der vier Elemente, rief der
also Angeredete in freudigem Erstaunen aus, – Guston! aber
wie um des Himmels willen kommst Du denn jetzt hierher, wo ich Dich
ehrbar und fest in Connecticut angesiedelt glaubte; hast Du die
östlichen Staaten schon satt?
Vollkommen, mein alter Junge, vollkommen, entgegnete Guston
– der Böse hole die freien Staaten; ein Pflanzer kann
nun einmal da nicht existiren, wo kein Sklavenhandel ist. Ich hatte
erst allerlei phantastische Ideen von der Freiheit und Gleichheit
der Menschen, fuhr er fort, als er seinen Arm in den des jungen
Mannes hing und mit ihm an das Ufer hinaufschlenderte – ich
glaubte es eine Sünde, meinen »schwarzen Bruder«,
wie die Methodisten sagen, zu schinden und zu plagen, bat daher
meinen Alten um Reisegeld und ging nach Newyork. Von dort aus
schrieb ich Dir, daß ich gesonnen sei, mir ein Landgut zu
kaufen und mich im Norden des Staats, oder in Connecticut, zwischen
den dort eingewanderten gemüthlichen Pennsylvaniern
niederzulassen. Es war damals meine Absicht, und hätte ich es
gethan, so ständen wir jetzt nicht hier auf louisianischem
Grund und Boden zusammen; gerade damals lernte ich aber einen
jungen Mann kennen, dem ich mich anschloß und dessen intimer
Freund ich wurde, so daß ich, da er in Geschäften nach
Europa mußte, mit ihm ging und mit dem Great Western
hinüber nach dem »alten Lande« segelte.
So bist Du indessen in Europa gewesen? unterbrach ihn erstaunt
der junge Pflanzer.
Gewiß, nickte Guston, in England, Irland und Deutschland;
durch die ersten beiden Länder begleitete ich meinen
neugefundenen Freund, bis dieser sich plötzlich in ein
irländisches Mädchen, und zwar so rasend verliebte,
daß er in vier Wochen Hochzeit hielt, gegenwärtig mit
allen möglichen alten Squires und jungen Gentlemen nach
Füchsen und Kirchthürmen rennt, über alle nur
aufzufindenden Hecken, Gräben und Mauern wegsetzt, und sich
jetzt, wenn er nicht unter der Zeit den Hals gebrochen hat, ganz
wohl befindet. Ich selbst hatte es da bald satt, ging zurück
nach England und ließ mich von da nach Deutschland
übersetzen. Nach längerem Aufenthalt in Deutschland
kehrte ich über Hamburg nach Neworleans zurück, und bin
heute, wie Du mich siehst, mit dem Postboote heraufgekommen, um
hier zu Lande meines Vaters Plantagen zu erreichen.
Topp! rief Guston, doch laß uns den Schatten suchen, die
Hitze hier am Ufer ist unausstehlich. Du wirst mich übrigens
führen müssen, denn ich kenne Bayou Sarah ja gar nicht
wieder; kaum zehn Häuser waren's, wie ich fort von hier ging,
und jetzt steht eine ordentliche Stadt da.
Nun, die Mulattin Nelly lebt immer noch, lachte Willis, und
führt so guten Brandy wie früher; da wollen wir denn vor
allen Dingen einmal einsprechen, vielleicht findest Du dort einige
alte Bekannte.
Mit diesen Worten nahm er seines neugefundenen Freundes Arm
wieder in den seinigen und schlenderte mit ihm dem nahen
Kaffeehause zu, aus dem ihnen lautes Lachen und Jubeln
entgegentönte.
Es war ein nicht sehr großes, nach der Straße zu
offenes Zimmer, in das sie traten, und dessen Hintergrund ein
langer Schenktisch ausfüllte.
Der eigentliche Schenktisch (Bar) bestand aus einem aus
gemaßertem Holz verfertigten, etwas hohen Aufsatze, über
den weiße Marmorplatten gelegt waren, um die darauf
verschütteten Flüssigkeiten wieder hinwegwischen zu
können. Aus einem großen, mit weißem Tuch
überdeckten Präsentirteller standen mehrere Dutzend
reiner Trinkgläser, während auf einem andern dicht
daneben eine gläserne große Schale mit einem plattirten
Deckel, geriebenen Zucker enthaltend, prangte, an deren Seite sich
wiederum zwei kleine Fläschchen befanden, die fest zugekorkt
und mit einer durch den Stöpsel laufenden federpfuhle
versehen, dazu dienten, die in ihnen enthaltenen Flüssigkeiten
(Staunton-Bitters und Pfefferminze) in die Getränke zu
tröpfeln, um diesen einen piquanten Geschmack mitzutheilen.
Hinter dem Schenktische waren in langer Reihe alle möglichen
Arten von Getränken, Weine und Liqueure, in zierlichen,
farbigen und feingeschliffenen Flaschen und Caraffen geordnet, und
zwischen ihnen Orangen und Citronen aufgeschichtet lagen, was dem
Ganzen einen frischen, heitern Anschein gab. Unter dem Schenktische
stand eine große Schüssel mit Eis, das in Stücken
in die Gläser geworfen wurde, den Trank abzukühlen, und
ein junger Mann in einer weißleinenen Jacke und eben solchen
weiten Beinkleidern war emsig beschäftigt, den durstigen
Gästen, die sich bei der übergroßen Hitze in
beträchtlicher Anzahl eingefunden hatten, einzuschenken. Ein
langer Doctor von der andern Seite des Mississippi, von
Pointe-Coupée, schien übrigens besonders thätig,
sein Glas immer wieder aufs Neue zu leeren, bei welchem
Geschäft ihm denn alle Anderen helfen mußten, weil er
schwur, daß er nicht allein trinken wollte; und immer wieder
ließ er das seinige wie die aller Anwesenden frisch
füllen, obgleich er sich kaum noch selbst auf den
Füßen erhalten konnte. Oft zwar versuchte ihm Einer oder
der Andere zu entschlüpfen, aber mit Adlerblicken entdeckte
und erwischte er die Deserteure, und ein frisches Glas war die
Strafe, die ihrer wartete. Mehre, unfähig noch einen Tropfen
zu genießen, saßen in der Ecke, als unsere beiden
Freunde zur Verstärkung anrückten und augenblicklich von
dem Doctor mit offenen Armen empfangen wurden.
Willis – eh? redete er diesen an, durstig? immer
durstig?
Hier, Doctor, ist ein Freund von mir, ein gewisser –
Ein Freund von Euch? er muß mit mir trinken. Sir, geben
Sie mir Ihre Hand – so – ich bin der Doctor Siel von
Pointe-Coupée, Sie müssen von mir gehört haben.
Was wollt Ihr trinken? Hier, Barkeeper, schnell, hier ist ein Mann,
der durstig ist – so recht, Gläser, und Eis hinein,
– mir aber kein Eis, ich will's heiß haben, heiß
wie Lava, will Hitze mit Hitze curiren. Zum Henker, wem gehört
das lange Gesicht, was da zum Fenster hereinstiert? Kommen Sie
herein, Sir; was wollen Sie trinken?
Danke, danke, sagte der Neuangekommene, indem er rasch in die
Thüre trat und sich ohne weitere Umstände sein Glas
füllen ließ.
Es war ein Mann von außergewöhnlicher Länge, der
noch um mehrere Zoll über den schon ungeheuer langen Doctor
hinausreichte, mit vorstehenden Backenknochen und grauen, scharf
und klug umherblickenden Augen, dessen ganze Gesichtszüge aber
den Yankee nicht verkennen ließen. Ein blauer
langschößiger Frack war trotz des heißen,
schwülen Wetters fest zugeknöpft, und ein hoher
weißer Filzhut, den er etwas nach hinten gedrückt, auf
dem Kopfe trug, machte die lange Gestalt noch länger.
Seine Stiefeln waren nach der modernsten Facon gearbeitet und
ganz neu, mochten ihn aber wohl gedrückt haben, denn auf
beiden hatte er, gerade über den Zehen, mit einem Messer einen
Kreuzschnitt gemacht, um seinen Füßen Raum zu
gewähren; überhaupt schien er das Bequeme zu lieben, denn
er setzte sich augenblicklich mit größtmöglicher
Gemüthsruhe auf den Ladentisch, wobei ihm seine Ausdehnung
sehr zu statten kam, und leerte das ihm mit Wachholder und Wasser
dargereichte Glas.
Gentlemen, begann jetzt der Yankee, nachdem er einige Kreuz- und
Querfragen des Doctors mit eben so vielen anderen Fragen
beantwortet hatte, ich denke, wir können ein Geschäft
zusammen machen.
Ihr habt doch um Gottes willen keine Wanduhren
zu verkaufen? fragte mit komischem Schrecken der Doctor.
Nein, nein, entgegnete lachend der Yankee, das ist nicht mein
Geschäft.
Ihr Herren scheint Euch sonst nicht gerade an etwas Bestimmtes
zu binden; wandte Guston ein, indem er dem Langen näher
trat.
Für diesmal doch, antwortete der Yankee, ich habe mich auf
den Menschenfleischhandel gelegt und mit dem läßt sich
nicht gut ein anderer vereinigen, Vieh- und Pferdehandel
ausgenommen; doch habe ich meine letzten Mustangs2 in
Baton rouge3 verkauft und nur noch ein Negermädchen
von ungefähr 15 Jahren übrig behalten, die ich heute
Nachmittag um 4 Uhr in Müller's Kaffeehaus ausspielen will, um
am Mittwoch wieder mit dem Mailboot nach New-Orleans und von da
nach meiner Heimath zurückkehren zu können.
Und was kostet das Loos? fragte Willis.
Fünf Dollars – wir wollen sie auswürfeln!
lautete die Antwort; es ist ein capitales Mädchen, gesund und
kräftig, und die schönste Negerin, die Ihr je gesehen
habt.
Aber wo steckt denn die Dirne? unterbrach ihn der Doctor;
schafft sie doch einmal her, und sieht sie gut aus, so nehme ich
drei oder vier Loose.
Sie ist nur wenige Schritte von hier entfernt, sagte der Yankee,
von seinem Sitz aufstehend – warten Sie einen Augenblick, ich
bringe sie herüber; es wollen sie überdies noch einige
Herren hier ansehen. Mit diesen Worten verließ er das
Schenkzimmer und kehrte bald mit einem schönen jungen
Negermädchen zurück.
Das kurze, wollige Haar hatte Rabenschwärze; die Nase war,
ihrer äthiopischen Abkunft treu, breit gedrückt, aber
klein und zierlich, und nur leicht aufgeworfen zeigten sich die
kirschrothen Lippen, zwischen denen, wenn sie sprach, ein Paar
blendend weiße Reihen Zähne sichtbar wurden und um so
mehr gegen die sammetartige, schwarze Haut und die dunkeln,
glühenden Augen abstachen. Sie war nicht groß, aber
schlank gewachsen und ungemein zierlich gebaut, so daß selbst
der seiner Sinne kaum noch halb mächtige Doctor einen Fluch
ausstieß und schwur, sie wäre eine verteufelt
hübsche kleine Hexe.
Mehre Pflanzer aus der Umgegend waren jetzt noch hinzugetreten,
von denen fast Alle Loose genommen hatten, und der Yankee
führte das Mädchen wieder fort, um in St. Francisville
oben noch mehr Theilnehmer für das Würfelspiel um ein
menschliches Wesen zu finden.
Unmittelbar hinter dem Mädchen war, als ihr Herr sie zur
Schau in die Schenkstube führte, ein junger blasser Mann
eingetreten, der mit gespannter Aufmerksamkeit den ganzen
Verhandlungen horchte und zuletzt, als jeder ein Loos nahm, seine
Baarschaft ebenfalls hervorholte. Unstreitig hatte er beabsichtigt,
zwei Loose zu kaufen, denn er überzählte sein Geld mehre
Mal, es mußte aber wohl nicht zureichen, denn seufzend schob
er einige Dollarnoten wieder in sein schmächtiges, stark
abgenutztes Taschenbuch zurück und löste für
fünf einzelne derselben ein einziges Loos.
Bald darauf, als sich der Doctor wieder nach ihm umsah und bei
Allem, was im Himmel und auf Erden lebe, schwur, daß er mit
ihm trinken oder sich mit ihm schlagen müsse, war er
verschwunden.
Unterdessen rückte die vierte Nachmittagsstunde heran und
eine große Anzahl von Menschen hatte sich vor dem eben
erwähnten Kaffeehause versammelt, wo sie ungeduldig den Yankee
erwarteten. Endlich kam er – an seiner Seite ging das
Negermädchen und nicht weit von ihr entfernt, doch etwas
zurück, der bleiche junge Mann.
Lärmender Jubel empfing die Neuankommenden und der Doctor
war der Ausgelassenste und Lustigste von Allen.
Das Billard im großen Schenkzimmer wurde jetzt schnell zum
Würfeltisch hergerichtet, die Liste der Würfelnden noch
einmal verlesen und der Wirth postirte sich dann mit einem
Stück Kreide an die Billardtafel, um den Namen Dessen, der den
höchsten Wurf thun würde, aufzuschreiben und die Zahl der
geworfenen Augen dabei zu bemerken.
Das Mädchen stand in einer Ecke auf einem zu diesem Zweck
erhöhten Platze, um von Allen gesehen zu werden, und zwei
große helle Thränen hingen an ihren dunkeln,
niedergeschlagenen Augenwimpern.
Ein Herz nur, in all dem Drängen und Treiben, fühlte
ihren Schmerz und theilte ihn – es war der bleiche junge
Mann, der, nur wenige Schritte von ihr entfernt, an ein Fenster
gelehnt, mit zusammengepreßten Lippen und für den
Augenblick von Fieberhitze gerötheten Wangen, die Arme fest
ineinander verschränkt, da stand, vor sich niederstarrte und
nur dann und wann schnell und mit einem die höchste Angst
ausdrückenden Blicke das große, dunkle Auge zu ihr
erhob. Als aber das Zeichen zum Anfang gegeben wurde und Aller
Aufmerksamkeit sich dem Billard zuwandte; als selbst das Opfer
einen Moment schüchtern und bebend aufschaute, begegneten sich
ihre Blicke; im Nu war er an ihrer Seite und flüsterte ihr,
dicht bei ihr vorbeistreichend, zu. Muth, Selinde, Muth, Du sollst
mein werden und wenn ich Dich aus ihrer Mitte stehlen
müßte.
Ein mattes Lächeln überflog für einen Augenblick
das thränenfeuchte Antlitz des armen Kindes, bald aber schwand
es wieder, und traurig senkte sie das Köpfchen und weinte
still.
Das Spiel hatte unterdessen seinen Anfang genommen: dicht um das
Billard gedrängt standen die Theilnehmer, mit gespannter
Aufmerksamkeit die rollenden Würfel betrachtend, um schnell
die fallenden Augen zu zählen.
Fünfundvierzig! rief Willis, als sein dritter Wurf gefallen
war – überbietet das, Doctor, wenn Ihr könnt.
Nun, ich habe fünf Loose und kann es schon eine Weile mit
ansehen, entgegnete dieser; aber einmal will ich es doch jetzt auch
versuchen.
Er nahm die drei Würfel in den Becher, schüttelte sie
und warf drei Einer.
Das ist ein guter Anfang! rief er ärgerlich, als lautes
Gelächter ihn von allen Seiten begrüßte –
aber laßt nur, für dies erste Loos werfe ich nicht mehr;
könnte ja so nur, im günstigsten Fall, 39 bekommen
– ich will unterdessen eins trinken.
Er trat vom Billard zurück, Andere drängten sich
hinzu, und eine Zeit lang herrschte ein gespanntes,
ängstliches Stillschweigen, das nur von dem Klappern des
Elfenbeins unterbrochen wurde.
Der bleiche junge Mann, den Niemand im Zimmer zu kennen schien,
trat jetzt hinzu und rief mit leiser, aber fester Stimme: Mir die
Würfel!
Nur schwach war der Laut, mit dem diese Worte gesprochen wurden;
wie ein elektrischer Schlag aber durchzuckten sie den Körper
des jungen Mädchens, das krampfhaft emporfuhr und mit
geöffneten Lippen und angehaltenem Athem aufmerksam dem
geringsten Laut horchte.
Einen Blick nur warf der Spieler auf die vorgebeugt lauschende
Gestalt, einen andern an die Decke, wie um da Hülfe zu
erflehen, und dann rasselten mit fester Hand die entscheidenden
Würfel auf das grüne Tuch, – zwei Sechsen und eine
Vier. Sechzehn! zählte monoton der Anschreiber; noch einmal!
– wieder lagen dieselben Augen – zum dritten Mal warf
er die Würfel in den Becher, schüttelte und – drei
Zweien rollten hervor. Achtunddreißig! – schlecht!
schrie der Ausrufer, und leichenblaß trat der
Unglückliche vom Billard zurück. Ein Anderer nahm seinen
Platz ein, und in sich zusammenschaudernd hielt die Negerin kaum
ihre zitternde Gestalt aufrecht; doch ermannte sie sich nach
wenigen Augenblicken wieder, und bat mit leiser Stimme einen nicht
sehr entfernt von ihr stehenden weißen Mann um ein Glas
Wasser.
Verdamm' Dich – hol' es selber; glaubst Du, daß ich
Dein Nigger4 bin! rief dieser, sich unwirsch von ihr
abwendend. Ohne ein Wort zu erwiedern, schwankte sie zum
Schenktisch, nahm ein dort stehendes Glas, füllte es mit dem
kühlenden Eiswasser und trank es leer; neugestärkt
hierdurch, schritt sie leichten, fast elastischen Schrittes zu
ihrem Platz zurück und barg, an die Wand gelehnt, das Gesicht
in ihren Händen: sie nahm sichtbar keinen weiteren Theil an
ihrem ferneren Geschick, und nur manchmal, wenn der rohe, freudige
Ausruf eines glücklichen Würflers an ihr Ohr drang,
schien eine plötzliche Angst ihr ganzes Innere zu durchbeben,
und ein leichtes Zittern überflog ihre Glieder.
Wohl eine halbe Stunde mochte das Spiel so ununterbrochen
fortgedauert haben und näherte sich jetzt seinem Ende, als der
bleiche Mann, der sich auf kurze Zeit entfernt hatte und dem so
viel an dem Besitz des jungen Mädchens gelegen zu sein schien,
plötzlich zu dem Sklavenhändler wieder herantrat und ihn
leise, mit verhaltener, aber zitternder Stimme um ein anderes Loos
bat.
Gut, mein Herr, ich habe gerade noch zwei, wollte sie selbst
werfen, aber um Ihnen einen Gefallen zu thun, ist hier eins davon,
antwortete dieser artig – jedoch, fuhr er, sich höflich
verneigend, fort – werden Sie einsehen, daß ich eine
Gelegenheit, mein Eigenthum selbst wieder zu gewinnen, nicht ganz
umsonst aus den Händen geben sollte – ich kann Ihnen
jetzt das Loos nur für zehn Dollars lassen.
Mann, fuhr der Unglückliche empor, indem er krampfhaft
seine Schulter faßte, ich habe Alles veräußert,
was ich bei mir hatte, um die lumpige Summe von fünf Dollars
zu erschwingen, und jetzt wollt Ihr zehn; ich habe es nicht, mein
ganzes Vermögen besteht in sechs Dollars.
Freilich kaum bedeutend genug, ein
Geschäft anzufangen, bedauerte der Yankee; doch erinnere
ich mich, daß mein Bruder Jesaiah einst ....
Hier ist noch ein Ring, unterbrach ihn plötzlich der
Andere, indem er einen einfachen goldenen Reif von seinem Finger
zog; er ist das Vermächtniß meiner Mutter, aber nehmt
– nehmt ihn und gebt mir ein anderes Loos.
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