– Er ist das
Doppelte werth, fuhr er ungeduldig fort, als er sah, daß ihn
der Yankee mistrauisch und aufmerksam in der Hand wog und dann
betrachtete; es bedurfte jedoch keiner weiteren Betheuerung. Der
Sklavenhändler kannte zu gut den Werth des Goldes, um nicht
augenblicklich sich überzeugt zu haben, daß der junge
Mann die Wahrheit rede, und reichte ihm eins seiner Loose,
während er selbst an das Billard trat und seine drei
Würfe that. Das Glück war ihm nicht hold, und ruhig das
Resultat des Spiels abwartend, zog er sich in eine Ecke des Zimmers
zurück.
Der Doctor hatte jetzt seinen letzten Wurf gethan und rief
triumphirend: Sechs und vierzig! – Das Mädchen ist
mein!
Sechs und vierzig! bester Wurf! schrie der Anschreiber
eintönig nach.
Halt! ich habe noch ein Loos! rief jetzt der junge Mann und
drängte sich zur Tafel.
Warum habt Ihr denn da nicht schon lange geworfen? entgegnete
ärgerlich der Doctor.
Hatte ich nicht das Recht so gut wie Ihr, bis zuletzt zu warten?
fragte ihn dieser empfindlich.
Meinetwegen, lachte der Doctor jetzt dagegen, Ihr werft doch
keine Sechsundvierzig und hättet Eure fünf Dollars sparen
können; aber halt! rief er aus und erfaßte den Arm des
jungen Mannes, der eben würfeln wollte – die Dirne
gefällt mir, sie hat ein verdammt hübsches Gesicht
– ich gebe Euch 50 Dollars, wenn Ihr zurücktretet!
–
Die Würfel mögen entscheiden, rief der junge Fremde,
indem er sich von der Hand des Doctors losmachte und ihm für
einen Augenblick das Blut so in die Schläfe trat, daß es
ihm die Adern zu zersprengen drohte; in derselben Minute kehrte es
aber zu seinem Herzen zurück und ließ nicht einen
Tropfen in seinen Wangen. Die Würfel rasselten und
eintönig zählte der Wirth die Augen.
Siebzehn!
Beim Himmel, ein guter Wurf! riefen Alle, die jetzt mit
gespannter Erwartung die grüne Tafel umstanden.
Wieder rasselten die verhängnißvollen Stücke
Elfenbein in dem ledernen Becher. Todtenstille herrschte und Aller
Augen hingen an der Hand des Werfenden, während das arme
geängstigte Mädchen betend in die Kniee gesunken war und
ihr Gesicht mit den Händen bedeckt hielt. Ihr verhaltenes
Schluchzen war das Einzige, was die grabesähnliche Stille
unterbrach. Die Würfel lagen.
Siebzehn! noch einmal!
Verdammt! brummte der Doctor.
Den dritten Wurf, den dritten Wurf! riefen Alle ungeduldig, als
sie sahen, daß der Fremde ängstlich sinnend einen
Augenblick einhielt.
Wieder rasselte der Becher; vorgebeugt umdrängten Alle das
Billard, die Würfel fielen – es waren nur elf.
Hurrah! jubelte der Doctor, mit einem Satze auf das Billard
springend – ich habe gewonnen! Wer will trinken? ich tractire
Alles, was im Hause ist. Müller, heh! holla! hierher!
füllt die Gläser, gebt Jedem so viel, als er trinken
will, ich bezahle Alles! und sich dann auf dem Billard
niederlassend, rief er aus: Bringt das Mädchen her, ich will
sie betrachten!
Als Selinde den jubelnden Triumphruf des Doctors hörte,
wollten sie fast ihre Kräfte verlassen, und sie wäre
gesunken, hätte sie nicht der Fremde unterstützt; doch
jetzt ermannte sie sich mit wunderbarer Kraft und flüsterte
nur, ehe sie dem Befehl ihres neuen Herrn Folge leistete, ihrem
Beschützer leise zu! Fliehe, Alfons, fliehe, ehe man Dich
entdeckt! und trat dann festen und sichern Schrittes vor ihren
Gebieter, seine Befehle zu vernehmen.
Sie ist ein hübsches Mädchen! lallte dieser, von
heftigem Schlucken unterbrochen, indem er sich mit dem rechten
Ellbogen auf den Billardrand legte und mit gläsernen Augen zu
ihr aufsah, gut, gut – meine Frau wird scheel sehen, wenn ich
ihr den Nigger ins Haus bringe, aber ....
Er konnte nicht vollenden; die geistigen Getränke, die er
an diesem Tage genossen hatte, gewannen durch die letzte Aufregung
endlich die Oberhand, und bewußtlos sank er aufs Billard
zurück, von dem er fortgetragen und in ein Bett gelegt wurde,
um seinen Rausch auszuschlafen.
Der Wirth nahm die Negerin in seine Obhut und schloß sie
in ein Zimmer ein, um sie ihrem Herrn nach dessen Erwachen zu
überliefern.
Indessen hatten einige junge Leute, unter denen sich auch Willis
befand, eifrig mit einander geflüstert und forschende Blicke
auf den bleichen jungen Mann geworfen, den die Negerin Alfons
genannt, und der theilnahmlos in einer Ecke saß.
Sein krauses, rabenschwarzes Haar hing ihm in langen Locken
über die bleiche Stirn herunter, seine Lippen waren bleich und
seine Augen geröthet; plötzlich trat einer der jungen
Leute auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und rief in
barschem Ton: Alfons!
Wie von einer Schlange gebissen, sprang bei dem Klange dieses
Namens der Unglückliche empor und starrte wild umher, auf den
Kreis fremder, unbekannter Gesichter, die ihn umgaben, bis seine
umherirrenden Blicke auf dem des ihm Gegenüberstehenden haften
blieben, der ihn fest und durchdringend betrachtete. Als ihm aber
dessen Züge klarer und deutlicher aufdämmerten, schlug er
sich mit der geballten Faust vor die Stirn, stieß einen
tiefen Seufzer aus und sank wie vernichtet auf seinen Stuhl
zurück. Der junge Mann dagegen, der solche Veränderung in
seinem ganzen Wesen hervorgebracht hatte, wandte sich triumphirend
nach seinen Kameraden um und rief:
Ich kannte den Burschen, und Ihr mögt mich einen Schurken
nennen, wenn es nicht ein erbärmlicher Nigger ist.
Was, ein Neger? riefen Alle, sich um den regungslos Dasitzenden
drängend, ein Neger? und mischt sich zwischen Weiße?
Hinaus mit ihm! schlagt ihn zu Boden, den Hund! werft ihn aus
dem Fenster! das waren die Ausrufungen, die mit Blitzesschnelle
einander folgten, und nicht allein bei Ausrufungen blieb es,
sondern in demselben Augenblick fühlte sich auch der
Unglückliche von kräftigen Händen gefaßt, zu
Boden geworfen, wieder aufgerissen und dem Fenster zugeschleppt,
aus dem er durch klirrende Scheiben hindurch geschleudert
wurde.
Die Höhe, von der er hinunterstürzte, betrug jedoch
kaum sieben Fuß und nur wenig beschädigt fiel er zu
Boden; schon aber hörte er das Rachegeschrei der Verfolger,
die nicht gedachten, ihr Opfer so leichten Kaufs entwischen zu
lassen, auf der Hausflur.
Wohl sprang er empor und wandte das blutende Antlitz seinen
Feinden entgegen, aber nicht Todesfurcht, nein, kalter Trotz und
Verachtung des Schrecklichen, was ihm begegnen könnte, lag in
dem Blicke, mit dem er seine Peiniger zu erwarten schien. Da scholl
aus einem der oberen Fenster die Stimme Selinde's, die ihm, den
Untergang des Geliebten voraussehend, in Todesangst zurief:
Flieh, Alfons, flieh' – um meinetwillen!
Einen Blick warf er hinauf zu der halb aus dem Fenster gebogenen
schlanken Gestalt des armen Mädchens, einen Blick voll Liebe,
Angst und Trotz; dann aber, wie von einem neuen Gedanken durchzuckt
und ehe ihn noch der heranstürmende Haufe erreichen konnte,
floh er mit Windesschnelle die Straße hinauf, und war bald in
den ihn verbergenden Baumgruppen, welche die Stadt umgaben,
verschwunden.
Taumelnd und fluchend folgten ihm wol noch einige der
Nüchternsten eine kurze Strecke, gaben es aber bald auf, den
schnellfüßigen Flüchtling zu erreichen, und kehrten
in das Wirthshaus zurück, indem sie schwuren, dem verdammten
Neger, wo er sich nur wieder blicken ließe, Füße
und Hände zu binden und ihn in die Bayou zu werfen.
Guston hatte an dem ganzen Vorgange keinen Antheil genommen
und ruhig, in einem Fenster lehnend, dem Auftritt zugesehen; einmal
zwar, gerade als der Haufe den Unglücklichen auf die
Straße schleuderte, war er zusammengezuckt, als ob er im
Begriff gewesen wäre, ihm beizuspringen; hatte es aber nur so
den Anschein gehabt, oder er sich eines Bessern besonnen, er fiel
wieder in seine nachlässige Stellung zurück und blieb bei
dem Ganzen ein unthätiger, ja, wie es fast schien,
theilnahmloser Zuschauer. Nur erst als die Gemüther sich
wieder beruhigt hatten und der lärmende Haufe zum erneuerten
Trinken in die Gaststube zurückgekehrt war, entfernte er sich
leise, selbst nicht von Willis bemerkt, und ging nachdenkend die
Straße nach St.-Francisville hinauf.
Die Sonne war indessen untergegangen und tiefe Dämmerung
lagerte sich über das Thal, als Guston den Fuß des
Hügels erreichte, auf dem das Nachbarstädtchen erbaut
ist. Zu seiner Linken sah er ein mattes Licht zwischen den Spalten
eines kleinen Blockhauses hindurchschimmern, das, wie er noch von
früher wußte, von zwei Mulattinnen, Mutter und Tochter,
bewohnt war. Der Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, daß sich
dorthin der Verfolgte geflüchtet haben könne, und obwohl
sich keines klaren Zwecks bewußt, ging er schnell an dem
sanften Abhang des Hügels hinauf und stand bald an der von
innen verriegelten Thür des kleinen Hauses, aus dem leise
flüsternde Stimmen heraustönten.
Guston legte sein Ohr an eine der Spalten und unterschied bald
die tröstende Stimme des Mädchens, die Jemandem Muth
zusprach und dabei selbst dann und wann einen recht tiefen, tiefen
Seufzer ausstieß.
Guston war überzeugt, daß der Unglückliche hier
Schutz gefunden hatte, aber noch unschlüssig, wie er sich
Eingang verschaffen wollte, da die Inwohnenden in ihm
unmöglich einen freundlich Gesinnten vermuthen konnten, als er
die Stimme der Alten hörte, die, an die Thür tretend, zu
ihrer Tochter sagte:
Ich muß nur noch die Wäsche hereinnehmen, die
draußen hängt, sonst dürfte morgen früh wenig
davon übrig geblieben sein; setze Du indessen den Kessel aufs
Feuer – der arme Mensch wird Nahrung und Ruhe
bedürfen.
Zu gleicher Zeit wurde der große, schwere eiserne Riegel
zurückgeschoben, und die alte Frau trat in die Thür,
erblickte aber in demselben Augenblick den jungen Pflanzer und
wollte, zurückschreckend, dieselbe wieder zuschlagen, als
Guston schnell vorsprang und das Verriegeln derselben hinderte.
Die Frauen stießen einen Angstschrei aus, und Alfons, der
sich matt und erschöpft aufs Bett geworfen hatte, sprang
erschrocken empor und riß ein verborgen gehaltenes Messer aus
seinem Gürtel; Guston aber hob die Hand zum Zeichen des
Stillschweigens, half selbst die Thür verriegeln und dann
einen Stuhl an den Tisch rückend, setzte er sich mit einer
solchen Ruhe und Kaltblütigkeit nieder, als ob nicht das
Geringste vorgefallen sei.
Mr. Guston, rief die alte Mulattin, die ihn erst jetzt erkannte,
ganz erstaunt aus, Mr. Guston! wie um des Himmels willen kommen Sie
wieder nach Louisiana und in unsere Hütte? Sie wollen doch
nicht dem armen Mann da ....?
Sei nicht bange, Alte, unterbrach sie der junge Pflanzer, ich
habe keine bösen Absichten, ich komme einzig und allein aus
Neugierde und kann dem armen Menschen sogar nützlich sein. Wie
aber konntest Du es wagen, – wandte er sich jetzt an den
stumm und regungslos vor sich hinstierenden Quadroon
–5 Dich so dreist zwischen Weiße zu
drängen und mit ihnen zu spielen und zu trinken?
Ich habe nicht mit ihnen getrunken, antwortete eintönig
Alfons.
Gleich viel, entgegnete Guston, Du mußtest recht gut
wissen, welcher Gefahr Du Dich aussetztest, und das ohne irgend
einen Zweck oder Nutzen davon zu haben; denn wenn Du wirklich das
Mädchen gewannst, so wäre sie Dir, unter den
Verhältnissen, doch nicht gelassen worden.
Alfons seufzte tief auf.
Aber sage mir, wo bist Du her? Du bist so weiß wie irgend
einer von uns; ich selbst würde nie einen Verdacht
geschöpft haben, daß Du von schwarzem Blute abstammtest.
In welchem Verhältnisse stehst Du zu der Negerin? denn einen
geheimen Grund mußt Du gehabt haben, Du hättest sonst
nie etwas so Tollkühnes unternommen.
Und was hülfe es mir und Euch, wenn ich die Geschichte
meiner Leiden erzählte? sagte Alfons traurig, es ist die
Geschichte Tausender meiner Brüder, und Ihr mögt dieselbe
in all den südlichen Staaten dieses freien, gesegneten Landes
finden! O ein freies Land ist es! fuhr er, mit beiden Händen
krampfhaft seine Schläfe fassend, fort!
Du selbst bist doch kein Sklave? fragte, schnell vom Stuhl
aufstehend, der Pflanzer.
Nicht ich, murmelte, traurig mit dem Kopf schüttelnd, der
Unglückliche; doch überzeugt Euch, fuhr er, mehrere
Papiere aus seiner Tasche hervorlangend, fort –
überzeugt Euch selbst. Mein Vater schenkte mir die Freiheit; o
ich glaubte es damals, ein schönes Geschenk, ich wurde nicht
mit den anderen Negerkindern, wie die jungen Mustang-Füllen,
aufgezogen, ich durfte lesen und schreiben lernen und glaubte mich,
durch die Weiße meiner Haut getäuscht, so frei und
glücklich wie die Amerikaner. Es war ein kurzer, aber
schöner Jugendtraum; überall kannte man mich,
wußte, daß meine Mutter eine Mulattin sei, und der
»verdammte Neger« durfte sich an keinem Orte, wo sich
Weiße aufhielten, sehen lassen, ohne die schmerzlichsten
Kränkungen und Demüthigungen zu erfahren.
Mit leichtem Herzen würde ich auch das Land meiner Geburt
verlassen haben, hätte nicht eine Sklavin meines Vaters
– dasselbe junge Mädchen, welches heute
ausgewürfelt wurde – fuhr er mit leisem, zitterndem Tone
fort – mein Herz und meine Seele auf jener Pflanzung
gefesselt gehalten. Selinde liebte mich wieder und Priesterhand
sollte uns vereinigen, denn mein Vater hatte mir versprochen, sie
frei zu geben und mir zu schenken. Da entriß mir der Tod
plötzlich das einzige Wesen, das noch einen schützenden
Einfluß auf mich ausgeübt hatte, denn auch meine Mutter
war ein Jahr vorher gestorben, und Fremde nahmen das Eigenthum in
Besitz, das durch unvorsichtige Speculationen, wie mir gesagt
wurde, verschuldet und verpfändet war.
Ich wurde mit wenigen Dollars in die Welt hinausgestoßen,
und Selinde, mit anderen Sklaven und Sklavinnen, da der neue
Eigenthümer selbst deren einige 50 aus Georgien
mitgebracht hatte, an einen Sklavenhändler verkauft.
Dieser verließ Alabama und wandte sich nach New-Orleans,
um dort für einen höheren Preis die billig eingehandelten
Schwarzen zu verkaufen, was ihm auch mit allen gelang, Selinde
ausgenommen, die er für sich behalten wollte, bis er mit ihr
hier nach Bayou-Sarah kam und es ihm einfiel, sie
auszuwürfeln.
Ich war ihnen von meinem Geburtsort aus gefolgt und hatte oft
mit Lebensgefahr das Mädchen, an dem mein Herz hing, zu sehen
getrachtet; da hörte ich heute Morgen, hier eben angelangt,
von dem beabsichtigten Würfelspiele. Neue Hoffnung
belebte mich, ich glaubte mich hier von Niemandem gekannt, der
weißen Farbe meiner Haut vertrauend, wagte ich mich in das
Wirthshaus und wendete meinen letzten Cent, selbst einen Ring
daran, den mir meine Mutter auf dem Sterbebette gegeben, um zwei
Loose zu kaufen. Sie wissen das Uebrige. Der junge Mann, der mich
erkannte, ist ein Neffe meines Vaters – mein eigener
Vetter.
Alfons schwieg, die beiden Frauen aber saßen in der Ecke
und schluchzten; selbst Guston war gerührt.
Wie aber entgingst Du der Aufmerksamkeit des
Sklavenhändlers? fragte er endlich nach einer Pause; der
mußte Dich doch auf Deines Vaters Pflanzung gesehen
haben.
Oft genug, fuhr Alfons fort; da ich aber mit im Herrenhause
schlief und von den Sklaven stets als »Mr. Alfons«
angeredet wurde, hatte er nicht den leisesten Verdacht
geschöpft, daß ich selbst zu jener verachteten Race
gehören könne.
Und was denkst Du jetzt zu thun? fragte Guston teilnehmend, als
er ihm die schnell durchgesehenen Papiere zurückgab.
Was kann ich thun? hauchte leise der Quadroon.
Sei morgen Abend wieder hier in diesem Hause, sagte Guston
aufstehend, ich will mit dem Doctor morgen früh reden,
vielleicht kann ich Dir helfen.
Alfons schüttelte, bitter lächelnd, den Kopf.
Heute ist so nichts mehr zu hoffen, fuhr Guston, mehr zu sich
selbst als zu dem Andern redend, fort, um 10 Uhr fährt der
Doctor mit der Dampffähre nach Pointe-Coupée, und da
wird für diesen ...
Heut Abend um 10 Uhr? fragte Alfons hochaufhorchend.
Die Dampffähre geht doch bei diesem niedrigen Wasserstande
nicht mehr so spät in der Nacht? sagte die alte Mulattin, sich
die Augen trocknend.
Es sind, wie ich eben hörte, Damen von Taylor's Pflanzung
auf dieser Seite des Flusses, und die verlangen noch
übergesetzt zu werden, erwiederte Guston; da wollen sie den
Doctor so lange schlafen lassen und dann mitnehmen; bis dahin ist
er nüchtern und kann auf seine Sklavin Acht geben. Doch genug
für heut Abend, unterbrach er sich selbst, ich habe vielleicht
Unrecht gethan, Dir so theilnehmend zuzuhören, da Du nach den
Gesetzen des Staates, in dem wir nun einmal leben, eigentlich eher
Strafe als Mitgefühl verdient hättest; doch wollen wir
das für jetzt dahingestellt sein lassen; also leb' wohl, bis
morgen Abend will ich sehen, was sich für Dich thun
läßt, und halte Dich ein wenig verborgen, daß Du
Deinem Vetter nicht wieder vor die Augen kommst, er
scheint keinen großen Gefallen an seiner Verwandtschaft zu
finden ... Schon gut, sagte er, etwas zurücktretend und eine
abwehrende Bewegung machend, als er sah, daß Alfons seine
Hand ergreifen wollte – schon gut, Du bist mir weiter keinen
Dank schuldig, als daß ich Dich nicht verrathe, und dazu
fühle ich nicht die mindeste Lust. Also gute Nacht, Alte, gute
Nacht, Anna; und den Riegel wieder zurückschiebend, sprang er
von der hohen Schwelle hinunter und war bald in der Dunkelheit
verschwunden.
Er hatte aber kaum die nach Bayou Sarah führende breite
Straße wieder erreicht und war auf dieser einige Schritte
fortgegangen, als aus dem dichten Gestrüpp, das zu beiden
Seiten des Weges wuchs, zwei dunkle Gestalten auf ihn zusprangen
und ihn festhielten. Schon hatte er sein Messer ergriffen und
wollte sich, nichts Gutes erwartend, Bahn machen, als er Willis'
Stimme erkannte, der, ihn loslassend, lachend, aber mit
unterdrückter Stimme ausrief:
Zum Henker! Einen von unseren Flüchtlingen haben wir
gefangen, aber nicht den rechten; wie um Gottes willen kommst Du
hierher?
Ich wollte erst nach St.-Francisville gehen, habe mich jedoch
anders besonnen, sagte Guston; aber was im Namen alles gesunden
Menschenverstandes macht Ihr denn hier wie Straßenräuber
auf dem breiten Fahrwege? Ich glaubte wahrhaftig im ersten
Augenblick, ich wäre einigen entlaufenen Negern in die
Hände gefallen, und wollte schon anfangen, mir mit meinem
Messer Bahn zu hauen, als ich noch glücklicherweise Deine
Stimme erkannte. Wer sind Diese und was wollt Ihr denn Alle hier?
fuhr er, erstaunt umherblickend, fort, als er eine Menge Menschen
nahen hörte, die in wenigen Secunden an seiner Seite waren und
in denen er die ganze Würfelgesellschaft erkannte.
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