Der lange
Sklavenhändler und der Ankläger und Vetter des
Entflohenen schienen sie anzuführen.
Still, sagte Willis, wir wissen, daß der freche Schuft,
der sich so schändlicher Weise zwischen uns eingeschlichen
hatte, hier links am Wege bei Mutter Hoyer sitzt, wir wollen jetzt
das Haus umzingeln und den Burschen fangen; er soll doch auch
wissen, wie Peitschenhiebe in Louisiana schmecken.
Wozu den armen Teufel noch einmal aufsuchen? fiel Guston
gutmüthig ein, Ihr habt ihn einmal abgestraft, laßt ihn
laufen; er wird sich so bald nicht wieder zwischen weiße
Männer hineinwagen.
Still, Mann, aus Dir spricht der Europäer, entgegnete
trocken Willis; mit so leichter Strafe kommt kein Neger davon, wenn
ich's verhindern kann.
Es thut mir nur leid, daß wir ihn nicht gleich banden und
in den Fluß warfen, fiel ärgerlich, doch mit
unterdrückter Stimme der Vetter des Unglücklichen ein
– ich konnte den Jungen nie leiden; aber kommt, wir verlieren
unsere Zeit und dort schimmert das Licht.
Guston drehte den gefühllosen Menschen verächtlich den
Rücken und wandte sich nach der Stadt, während der Haufe
leise gegen das kleine Blockhaus hinanschlich; plötzlich aber,
wie von einem andern Gedanken ergriffen, kehrte er schnell um und
folgte seinen Freunden, leise dabei vor sich hinmurmelnd –
sie sollen ihn doch wenigstens nicht umbrigen!
Wenige Schritte nur war er nach der Hütte
zurückgegangen, als es ihm schien, als ob eine dunkle Gestalt
über den Weg glitt. Er blieb stehen und rief sie mit
unterdrückter Stimme an, aber keine Antwort erfolgte und bald
hatte er das Häuschen erreicht, das schon von den Männern
geräuschlos umzingelt war, während die, nichts Böses
ahnenden Bewohner, sich noch bei dem matten Schein der Lampe mit
leiser Stimme unterhielten und dann und wann ein leises Schluchzen
durch die Nacht drang. Willis trat jetzt vor und mit dem starken
Ende einer ungeheuren ledernen Negerpeitsche, die er unterwegs
mitgenommen, an die Thür schlagend, verlangte er
Einlaß.
Einen Augenblick herrschte Todtenstille; erst auf seine zweite
Aufforderung ertönte die Stimme der Alten, die ihn ruhig
bedeutete, weiter zu gehen – es sei Nacht und sie mache
keinem Fremden die Thür auf, da sie nur zwei einzelne Frauen
wären.
Das wissen wir besser, Du verwünschte Hexe! rief jetzt
Willis mit voller Stimme, indem er mit aller Kraft einen Schlag
gegen die Thür führte – öffne augenblicklich,
oder wir reißen Dir Dein morsches Dach über dem Kopfe
zusammen.
Die Uebrigen waren jetzt ebenfalls von allen Seiten
hinzugetreten, und das Haus engeinschließend, schienen sie
die Drohung im wahren Sinne des Worts ausführen zu wollen, als
der Riegel zurückgeschoben wurde. Ohne das Oeffnen der
Thür abzuwarten, sprang Willis mit aller Gewalt gegen
dieselbe, und sie aufstoßend, warf er sie mit solcher Gewalt
gegen den Kopf der Mulattin, daß die Unglückliche, von
dem Schlage betäubt, besinnungslos zurücktaumelte und
niederstürzte.
Laut aufschreiend, warf sich das Mädchen über den
Körper der Mutter; ihrer jedoch wenig achtend, stürmte,
so schnell es ihnen der enge Eingang erlaubte, ein Theil der
Verfolger in das Gemach, um ihr Opfer zu erfassen.
Vergebens sahen sie sich indessen nach ihrer Beute um, vergebens
leuchteten sie in jeden Winkel, hinter jeden Kasten, vergebens
warfen sie selbst die Betten der armen Frauen auf den Boden, den
vielleicht darunter Versteckten zu entdecken, er blieb spurlos
verschwunden, und drohend wandte sich jetzt Willis an die arme
Alte, die sich, noch betäubt von dem Schlage, erschöpft
an die Schulter ihrer Tochter lehnte:
Wo ist der Bursche, der noch vor wenigen Minuten hier war?
Willst Du reden, Alte, oder ich drehe Dir den Hals um.
Laßt meine arme Mutter, Herr! rief das Mädchen, den
schon nach ihr ausgestreckten Arm des wüthenden Willis
zurückstoßend – laßt sie, Ihr habt sie ja
schon beinahe getödtet.
Nigger! rief dieser, sich zornig emporrichtend, willst Du mir
sagen, was ich thun oder lassen soll? und mit der Peitsche
ausholend, wollte er eben das furchtlos ihm gegenüberstehende
junge Mädchen niederschlagen, als er seinen Arm von Guston
gefaßt und festgehalten fühlte, der ihm leise
zuflüsterte: Du schlägst das Mädchen nicht,
oder Du hast es mit mir zu thun!
Was zum Henker mischest Du Dich in mein Thun? fuhr Willis heftig
gegen den Freund herum; aber dessen ernstem Blicke begegnend,
ließ er den Arm sinken und sagte halb lachend, halb
ärgerlich: Warum ist das dumme Ding so trotzig? ich wollte ihr
übrigens kein Leid thun; sie soll nur sagen wo der Bursche
ist, der noch vor wenigen Minuten hier war!
Einen ängstlichen Blick warf das junge Mädchen auf
Guston, um zu erforschen, ob er sie verrathen habe; bald aber
schien sie diese Furcht aufzugeben, denn sie schüttelte leise
mit dem Kopfe und hauchte: Ich habe Niemand gesehen.
Lügen! riefen jetzt mehrere Stimmen aus dem Haufen –
er war hier, wir wissen es; seit wann ist er fort?
Ich habe Niemanden gesehen, wiederholte leise das zitternde
Mädchen.
Gentlemen! sagte jetzt Guston, sich an die ihn dicht
umdrängenden Männer wendend – Sie sehen, der Mann
ist fort, wohin? darf uns für den Augenblick sehr
gleichgültig sein, denn wie könnten wir dem Einzelnen in
der stockfinstern Nacht folgen? Also kommen Sie mit mir in die
Stadt zurück und wir wollen noch ein halb Stündchen
zusammen trinken, ich tractire; morgen haben wir
vielleicht mit dem Auffinden des Burschen mehr Glück. Wer geht
mit mir?
Nun, ich denke, sagte der Sklavenhändler, indem er sich mit
großer Seelenruhe von einer breiten Tafel Kautabak ein
ungeheures Stück abschnitt und in den Mund schob – wir
gehen Alle.
Ja, laßt uns gehen; zum Teufel mit dem Nigger! riefen Alle
untereinander, und drängten sich wieder aus der Thür
hinaus, um im Wirthshause ihr Gelage auf's Neue zu beginnen.
Guston verließ das Haus zuletzt, und das Mädchen
folgte ihm mit dem thränenden, dankbar ihm zugekehrten Blick
– sie sah in ihm den Retter ihrer Mutter.
Lachend und jubelnd wanderten die Männer der Stadt zu und
erreichten bald wieder das Haus, wo Guston, seinem Versprechen
gemäß, sie auf seine Kosten trinken ließ, so viel
sie wollten.
Die Unterhaltung war sehr laut und besonders schimpfte und
fluchte der Sklavenhändler auf den Entflohenen, den er
versicherte, mehr als zwanzigmal gesehen, immer aber für einen
Weißen gehalten zu haben, als plötzlich der Doctor mit
verschlafenem, bleichem Gesicht, sich dehnend und streckend, in der
Thür erschien.
Mit allgemeinem Jubel wurde er empfangen und vernahm jetzt, mit
Erstaunen über die unerhörte Frechheit des Niggers, die
Erzählung Dessen, was während er schlief, vorgefallen
war.
Der Nigger! rief er endlich ganz entrüstet aus;
ich glaubte selbst, er sei einer jener dunkelhäutigen Creolen,
die man oft kaum von Mulatten, viel weniger von Quadroonen
unterscheiden kann – aber Ihr habt ihn doch gleich geknebelt
und abgestraft, oder wenigstens in Sicherheit gebracht? Etwas
kleinlaut erzählte jetzt Willis, daß er ihnen entkommen
sei, sie aber ernstliche Nachforschungen am andern Morgen anstellen
wollten. Ich habe einen vorzüglichen Negerhund, fuhr er in
seinem Argumente fort – und wenn wir den auf die Spur bringen
...
Pah, rief der Doctor ärgerlich, glaubt Ihr, der wird sich
lange hier in den Büschen oder Sümpfen herumtreiben, wo
so viel Boote am Ufer liegen? Der stiehlt diese Nacht
ein's, wenn das nicht schon jetzt geschehen ist, und hat bis morgen
Früh wenig Spuren zurückgelassen, dafür steh' ich.
Nun – tröstete er sich endlich – er kommt uns
vielleicht ein ander Mal wieder in den Wurf, und – ich kenne
den Burschen jetzt. – Aber glaubt Ihr, ich sei ein
Pulvermagazin, daß Ihr Euch hier Alle um mich her drängt
und mich so trocken haltet, als ob mich ein Tropfen Spiritus
verderben könnte? Heh, Wirth! etwas zu trinken! Ihr habt doch
mein Mädchen ordentlich aufgehoben?
Alles in Sicherheit, entgegnete dieser, dem Doctor ein Glas und
eine Flasche hinschiebend; aber Doctor, die Fährleute werden
gleich zum letzten Mal hinüberfahren, Punkt 10 Uhr will Mr.
Taylor am Ufer sein.
Mr. Taylor, sagte der Doctor, sein Glas halb füllend und
leerend, mag zu – Grase gehen! – – Es wird aber
doch besser sein, ich fahre mit; so bringt das Mädchen
herunter und laßt sie sich bereit halten.
Ihr Bündel liegt in der Küche, sagte der Yankee; viel
hat sie zwar nicht, aber ...
Ihr Yankees werdet auch einen Sklaven viel Plunder mitnehmen
lassen! unterbrach ihn lachend der Doctor, da müßte man
Euch nicht kennen; nun, wenn sie fleißig und ordentlich ist,
kaufe ich ihr ein paar neue Fähnchen.
Guston hatte, an das Billard gelehnt, eine Zeit lang starr vor
sich niedergesehen und dem Gespräch gehorcht; als er aber
hörte, daß das Mädchen vor die Thür
geführt ward und der Doctor sich selbst zum Ueberfahren
rüstete, trat er auf diesen zu und bat ihn, einen Augenblick
mit ihm zu gehen, da er ihm etwas zu sagen habe.
Der Doctor folgte und Beide standen bald in der sternhellen
Nacht auf der offenen, menschenleeren Straße, unfern des
unglücklichen Mädchens, das, die Hände auf dem
Rücken befestigt, an einen Balken, der eigentlich zum
Anhängen der Pferde diente, gebunden war und, an diesen
gelehnt, in ihrem dünnen weißen Kleide traurig empor zu
den goldenen Sternen blickte.
Nun, was wollen Sie von mir, Sir? fragte endlich der Doctor, nur
wenige Schritte von der Sklavin stehen bleibend.
Ich wünsche Ihnen dies Mädchen abzukaufen, antwortete
Guston fest und ruhig.
Den Teufel noch einmal, rief erstaunt der Doctor; was fällt
Ihnen auf einmal ein?
Sie gefällt mir, entgegnete in gleichgültigem Ton der
junge Pflanzer.
Mir auch, sagte der Doctor lachend, und ich verkaufe sie nicht
wieder; nein, meine Frau wollte lange ein Hausmädchen haben
und die scheint mir wie geschaffen dafür: leicht,
behende, hübsch und stark.
Doctor, es kommt mir auf einige Dollars nicht an; ich
möchte aber das Mädchen haben und wenn Sie nicht einen zu
horrenden Preis fordern, so ...
Nein, nein, unterbrach ihn der Doctor, mit unserem Handel wird
nichts; wenn ich das Geld nöthig brauchte, ja, dann wär'
es vielleicht etwas Anderes, ich habe aber just gestern einen
Wechsel von tausend Dollars bekommen, gut wie Silber und da ist mir
jetzt das Mädchen nicht feil: fraget jedoch Weihnachten einmal
wieder nach und – ich stehe Euch nicht dafür, daß
das Geld so lange ausreicht – vielleicht noch früher;
nur für den Augenblick wird nichts daraus.
Das Mädchen hatte im Anfang, da sie hörte, wie nahe
sie die Unterhaltung anging, erschrocken aufgehorcht, und versuchte
vergebens, eine Zeit lang mit ihren scharfen Augen die
Finsterniß zu durchdringen, um die Züge Dessen zu
erforschen, der sie zu erhandeln wünschte; da sie das aber
unmöglich fand, verfiel sie wieder in ihre träumerische
Stellung, wenig den Fortgang des Gesprächs und die Folgen, die
es für sie haben mußte, beachtend. Sie war daran
gewöhnt, als ein Stück Waare betrachtet und verhandelt zu
werden, und ihr schien es gleichgültig, wer von den Beiden ihr
neuer Herr werde, da Alfons doch unwiederbringlich für sie
verloren war; nur zwei große Thränen traten ihr in die
dunkeln Augen und fanden, von anderen gefolgt, ihre Bahn die
sammetweichen Wangen der Unglücklichen hinab. – Sie
konnte sie nicht abtrocknen, ihre Hände waren gebunden.
Jetzt traten auch die übrigen Pflanzer und Kaufleute aus
dem Hause und wanderten zusammen dem nicht fernen Flußufer
zu, um den Doctor noch auf das Boot zu begleiten. Guston wandte
sich ab und schritt schweigend an Willis' Seite, der ihm tausend
tolle Streiche und Schwänke erzählte und sich wenig darum
bekümmerte, ob sein Gefährte ihm zuhörte oder nicht,
dem kleinen Städtchen St.-Francisville zu, um dort zu
übernachten und am nächsten Morgen seines Vaters
Pflanzung zu erreichen.
Das Schicksal der beiden Unglücklichen hatte Guston, da er
lange Zeit von den Sklavenstaaten entfernt gelebt, wirklich
geschmerzt und manch gutmüthiger Plan für die Zukunft der
Beiden seinen Kopf durchkreuzt, als er dem Doctor das Mädchen
abkaufen wollte. Da dieser aber nicht darauf eingegangen war, so
glaubte er das Seinige gethan zu haben und vergaß bald das
Unglück von Leuten, denen er doch nicht helfen konnte. Noch
hatte er nicht die Höhe des Hügels und mit ihm die ersten
Häuser des Städtchens erreicht, als er schon ganz in
Willis' Laune einstimmte und diesem von seinen Reisen und
Wanderungen erzählte.
Unterdessen waren die Passagiere, die noch nach
Pointe-Coupée übersetzen wollten, auf der
Dampffähre eingeschifft und Selinde wurde ebenfalls an Bord
gebracht, jetzt jedoch, als das Boot vom Lande abstieß,
losgebunden, und sie stand vorn am Bugspriet des kleinen, breiten
Fahrzeugs, schaute über das niedere Geländer hinab in den
dunkeln, reißenden Strom und hing ihren trüben,
traurigen Gedanken nach.
In der Kajüte hatte sich indessen der Doctor mit noch zwei
anderen Pflanzern zu Taylor's Familie gesellt und erzählte
diesen von den heutigen Vorfällen, während das Boot
langsam am Ufer hinauflief und eben vor der kleinen Bayou, von der
das Städtchen seinen Namen hat, vorüberfahren wollte.
Geht denn der Herr nicht mehr mit, der da noch am Ufer steht?
rief plötzlich der Steuermann, ein Deutscher, dem Master des
Boots zu, der unten, unfern der Sklavin, am Geländer
lehnte.
Nein, hat sein eigenes Boot, war die lakonische Antwort, und der
Ingenieur, der auch zugleich die Stelle des Feuermanns mit vertrat,
gab dem Boote die ganze Kraft, um so schnell wie möglich die
nächtliche Fahrt zu beenden.
Das Boot erreichte jetzt die ungefähre Höhe, von der
aus sie hoffen durften, die gegenüberliegende Landung zu
gewinnen; der Steuermann ließ also den Bug nach der
Backbordseite abfallen, und bald zeigte das stärkere Rauschen
am Bugspriet, daß es in reißendere Strömung
gerathen sei. Langsam bewegte es sich der Sandbank zu, die sich in
den Sommermonaten, mitten im Flusse von einer kleinen Insel
unterhalb ausgehend, wol zwei Meilen hinaufzieht, und welche die
Fähre, um an dem gewöhnlichen Landungsplatze in
Pointe-Coupée anzulegen, umfahren mußte.
Das Boot mochte kaum 300 Schritt von dem waldigen Ufer ab sein,
als von der Mitte des Stromes aus dreimal der Ton eines
Loon6 klagend über die glatte Wasserfläche
herüberschallte. Der Master schien die oft gehörten
Töne wenig zu beachten, Selinde aber fuhr schon beim zweiten
Rufe, wie von einem plötzlichen Schreck durchschauert, auf,
und lauschte mit verhaltenem Athem dem dritten. Wenige Minuten war
Alles still, und dann schallten wieder dieselben drei
wehmüthigen Rufe des menschenscheuen Wasservogels zu ihr
herüber, während sie mit vorgebeugtem Oberkörper und
weitgeöffneten Augen die Finsternis zu durchdringen suchte,
wie um den Urheber dieser Töne zu entdecken.
Der Loon schreit recht kläglich heut' Abend! rief der
Steuermann.
Ja, wir bekommen Regen, sagte der Master, indem er einen
prüfenden Blick nach oben warf. Der Himmel schien aber seine
Wetterprophezeiung nicht zu rechtfertigen, denn kein Wölkchen
umhüllte die Myriaden Sterne, die in glühender Pracht von
dem dunkelblauen Firmament herniederschimmerten.
Das Boot durchschnitt jetzt, in die Nähe der Sandbank und
dadurch in etwas stilleres Wasser kommend, mit größerer
Schnelle den Strom, während der Loon noch zweimal in kurzen
Zwischenräumen seinen Ruf ertönen ließ, aber
schwieg, sobald die Fähre heranrauschte.
Halte stromauf! rief der Master jetzt dem Steuermann zu, Du
rückst dem Sande zu nahe. So – das wird genug sein!
Sie liefen von da an ziemlich geschwind in ganz todtem Wasser an
der Sandbank hinauf und näherten sich mehr und mehr der
Spitze, als der Steuermann ausrief, er sähe etwas Schwarzes
vorn auf dem Wasser, was einem Kahne gliche.
Ich kann nichts erkennen, rief der Master, seine Augen
anstrengend und sich vorn überbiegend.
Kommt hierher, es muß ein losgerissenes Boot sein, was
dort auf den Sand getrieben ist; wenn wir unsere Jolle mit
hätten, könnten wir es fangen.
Schändlich! rief der Master ärgerlich, die Burschen,
die hinter uns mit dem Ruderboote kommen, werden es jetzt finden;
wir dürfen aber nicht näher hinfahren, sonst bleiben wir
sitzen.
Sie waren unterdessen in gleiche Höhe mit dem dunkeln
Gegenstande gekommen, der sich wirklich als ein Kahn auswies, aber
nicht als ein leerer, sondern ein einzelner Mann saß darin
und ruderte, etwas vor dem Boote, auf dasselbe zu, als ob er dicht
an demselben vorüberfahren wollte. In demselben Augenblick
ließ sich auch der Loonruf, doch ganz in der Nähe und
äußerst leise hören.
Habt Acht! Ihr kommt unter die Fähre! schrie der Master vom
Verdeck aus dem einsamen Ruderer zu, der jetzt fast auf
Kahnlänge herangekommen war; die Warnung wurde aber nicht
beachtet, und – »Selinde!« rief der fremde Mann
leise herüber. In dem Augenblick berührte auch sein Kahn
die Dampffähre, und mit einem Sprung lag das Mädchen an
der Brust des Geliebten, glitt aber, wohl wissend, daß dieser
seine Arme jetzt nöthiger brauche, als sie zu umfassen,
behende in den Stern des Boots, und dasselbe mit einem
dortliegenden kurzen Ruder abstoßend, trieb der kleine
Nachen, ehe sich die Fährleute nur von ihrer Ueberraschung
erholen konnten, schnell in das Fahrwasser des Dampfers.
Halt! verdamm Euch! Hülfe! haltet sie! riefen der Master
und Steuermann zu gleicher Zeit, und ersterer sprang, mit
Hintansetzung der Furcht für seine Gliedmaßen, mit einem
Satz vom Steuer aus das untere Deck hinunter, um das Entkommen des
Boots zu verhindern; aber zu spät, schon verschwand es in der
dichten Finsterniß, und deutlich hörten sie, wie es, von
kräftigen, regelmäßigen Ruderschlägen
getrieben, schnell über die Fläche des Stromes
dahinschoß.
Was schreit Ihr denn so, als ob Ihr am Spieße stäkt?
rief der Doctor, als er jetzt mit den anderen Männern aus der
Kajüte kam – ist das nicht ein Höllenlärm
....
Die Negerin ist fort! rief der Master.
Was ist sie? schrie der Doctor und war mit wenigen Schritten an
der Seite des selbst zum Tode erschrockenen Masters, der seinem
Steuermann nur schnell zurief, das Boot zu wenden und stromab den
Flüchtigen zu folgen, und dann dem Doctor mit wenigen Worten
den ganzen Vorfall erzählte. Fluchend und tobend aber sprang
dieser zum Steuer, bot dem Steuermann zehn Dollars, wenn er die
Entflohenen wieder einhole, und vertrieb sich dann die Zeit damit,
daß er, auf- und abgehend, überdachte, wie er die
Beiden, wenn er sie erst wieder eingefangen hätte,
züchtigen wollte.
Der Master war indessen auch zu ihm herangetreten und den Doctor
in seinem Eifer und seinen Gesticulationen unterbrechend, rief er
ihm zu, einen Augenblick ruhig zu sein, denn er glaube, er
höre Ruderschläge.
Sie horchten jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit und vernahmen
deutlich das regelmäßige Einschlagen von Rudern in das
Wasser; es konnten aber nicht die Flüchtlinge sein, denn es
kam von Bayou Sarah herüber, und der Steuermann brach endlich
das Schweigen, indem er versicherte, daß es das Segelboot
wäre.
Gut, rief der Master, die wollen wir doch bei unserer Jagd zu
Hülfe rufen, es müßte dann mit dem Bösen
zugehen, wenn wir das Pärchen nicht einfingen, ehe es Waterlow
erreichen kann. Und die Hände trichterförmig an den Mund
haltend, schrie er mit kräftiger Stimme sein »Boot a
hoy-y!« über die ruhige Stromfläche
hinüber.
Schon sein zweiter Ruf wurde von drüben beantwortet, und
bald tönte auch auf sein langsam und deutlich
ausgestoßenes Kommt herüber! ein befriedigendes Ay
– Ay! zurück.
Die Dampffähre schoß unterdessen mit bedeutender
Schnelle an der Sandbank hin, gleichwohl immer sich etwa 150
Schritt von ihr entfernt haltend, um nicht aufzulaufen, und
aufmerksam beobachteten die Männer den zwischen ihnen und der
Bank liegenden Wasserstreifen, da sie nicht ohne Grund vermutheten,
daß der Entflohene eher versuchen würde, ihnen unter dem
Schutze der Nacht zu entgehen, als sich auf seine eigene Kraft zu
verlassen und die Mitte des Stromes zu suchen, wo ihm, wenn
entdeckt, auch nicht die mindeste Hoffnung auf Entrinnen geblieben
wäre.
Schon hatten sie sich auf wenige hundert Schritt der kleinen
Insel genähert, als der Master plötzlich des Doctors Arm
faßte und gerade sich gegenüber nach der Sandbank
deutend, die hier etwa drei Fuß über die
Wasserfläche herausragte, ausrief: Dort sind sie, so wahr ich
ein Christ bin; seht Ihr dort?
Wo? wo? rief der Doctor, der nur das dunkle Boot mit den Augen
gesucht hatte.
Dort der weiße Punkt, rief der Master – das Kleid
des Mädchens! und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, sprang
er mit einem Satz an das Steuerrad, und das Boot schnell wieder
stromauf wendend, führte er es gerade auf den weißen
Punkt zu. Der Flüchtige war aber hier allerdings in der
Hoffnung angelaufen, unter dem mehre Fuß hohen steilen
Sandufer unbemerkt liegen zu bleiben und, wenn die Fähre
vorbeigefahren wäre, schnell die Mitte des Stroms zu
erreichen, wonach er dann, stromab, bald aus dem Bereiche
augenblicklicher Verfolgung kommen konnte.
Jetzt haben wir sie! rief der Master aus, als er sich, etwas
näher rückend, wirklich überzeugt hatte, daß
es die Flüchtigen waren; hier ist das Wasser tief und ich
müßte mich sehr irren, wenn wir nicht an den Burschen
dicht heranlaufen könnten; auf alle Fälle wollen wir's
versuchen.
Die armen Flüchtigen befanden sich unterdessen in einer gar
mislichen Lage, denn in der That hätte die nicht sehr tief im
Wasser gehende Dampffähre gerade an dieser Stelle an sie
heranlaufen können. In diesem kritischen Augenblick
verließ aber den in der Schule des Unglücks
Gestählten die so nöthige Geistesgegenwart nicht; mit
raschen Ruderschlägen flog er, etwa fünfzig Schritt,
seinen Verfolgern gerade entgegen, und als diese schon, in der
Hoffnung, ihn bald in ihrer Gewalt zu haben, laut aufjubelten, der
Doctor sogar ein Tau zurechtlegte, um den »damned
nigger«, wie er sich ausdrückte, zu knebeln,
schoß dieser plötzlich, einen schmalen Streifen seichten
Wassers benutzend, der sich zwischen zwei langen Sandzungen hinzog,
in seinem kleinen Boote rechts von der Fähre ab, die gleich
nachher, durch das nur wenige Zoll tief gehende Boot irre
geführt, in zu seichtes Wasser kam und auflief.
Im nächsten Augenblick waren die Flüchtigen in der
Alles umlagernden Finsterniß verschwunden.
Da schallte plötzlich ein nahes deutliches Halloh!
herüber, und das angerufene, von Bayou Sarah kommende
Segelboot lag wenige Augenblicke später neben dem auf dem
Sande sitzenden Dampffährboote.
Halloh! rief noch einmal der im Stern des ersteren behaglich
hingestreckte Creole – was flucht Ihr denn hier so
gotteslästerlich durch die stille Nacht? Das ist der Doctor,
nicht wahr?
Beauvais! rief dieser, Euch sendet uns der Himmel!
Wol durch Euer Beten erweicht? lachte Beauvais.
Kommt schnell heran, nehmt uns auf; mein Negermädchen ist
mir hier vom Boote weg durch den weißen Nigger gestohlen, und
vor kaum drei Minuten sind sie erst fort, wir müssen sie
einholen.
Kommt herein denn, schnell! rief der Creole, das Boot an die
Fähre anlenkend – und wenn meine vier Burschen den
bleichen Schurken nicht in zehn Minuten haben, so will ich mein
Leben lang keinen Gumbo7 mehr anrühren und, Doctor,
fuhr er lachend fort, das würde mir so sauer werden, als Euch,
wenn Ihr dem Brandy entsagen solltet.
Mit unglaublicher Schnelle verließ das Segelboot, das den
Doctor, den Master und den andern Pflanzer aufgenommen, die
gestrandete Fähre und flog der Mitte des Stromes zu, um die
Flüchtigen einzuholen.
Ich höre das Ruder! rief der Master, der, die Hände
hinter die Ohren haltend, einen Augenblick gelauscht hatte, ich
höre das Ruder deutlich, gerade unter jenem hellen Stern. So
– noch ein wenig rechts! rief er, als Beauvais schnell seinen
Lauf danach änderte – so – jetzt sind wir auf der
Spur; nun, meine Burschen, streckt Euch!
Das Boot berührte kaum die Wasserfläche und hochauf
spritzte der weiße Schaum am Bugspriet.
Unterdessen war Alfons nicht müßig gewesen;
große Schweißtropfen perlten ihm an der durch die
übermäßige Anstrengung des Ruderns erhitzten Stirn,
und lange war kein Wort zwischen den Liebenden gewechselt; jetzt
brach Selinde das Schweigen und flüsterte leise und
bebend:
Ich habe Dich verrathen, Alfons, mein weißes Kleid zeigte
den Verfolgern unser Versteck; – o wie bin ich
unglücklich!
Mein armes Mädchen, tröstete sie Alfons, ohne einen
Augenblick in seiner Arbeit nachzulassen, beruhige Dich, ich
entgehe ihnen dennoch; wäre nur das Segelboot nicht; ich
hörte aber, wie sie es anriefen, und ich fürchte, wir
werden landen und uns im Sumpfe verbergen müssen. Ich
möchte ihnen nicht gern auf dem Wasser in die Hände
fallen.
Aber sie müssen uns hören, Alfons, seufzte das
Mädchen, die bösen Ruder knarren so, das tönt gar
weit über das Wasser; ich höre das Boot ebenfalls hinter
uns.
Ich habe nichts, um die Ruder zu umwickeln, jeder Augenblick,
den ich verzögere, bringt uns dem gewissen Verderben
näher, sprach leise Alfons.
Mein Kleid hat uns verrathen, mein Kleid mag uns retten,
lächelte das Mädchen unter Thränen hervor, riß
das dünne Zeug in Streifen herunter und legte es unter die
Ruder. Geräuschlos glitt jetzt das Boot über die ruhige
Wasserfläche, und leise betend sank die schlanke Gestalt des
armen Kindes im Stern des kleinen Boots nieder.
Verdamm die Hunde! rief der Doctor, als die Neger einen
Augenblick rasteten und Alle aufmerksam, aber vergebens horchten,
um aufs Neue einen Ruderschlag der Entflohenen zu hören.
Dort unten treibt ein Flatboat8, rief der Master,
vielleicht haben die Leute darauf etwas von den Flüchtigen
gesehen.
Sie steuerten, als kein Laut weiter gehört ward, schnell
auf das unbehülfliche Fahrzeug zu, das sie auch gar bald
erreichten, und der Doctor rief es ohne Weiteres an:
Habt Ihr ein Boot gesehen?
Etwa hundert Schritt an uns vorbei ruderte Einer.
Welche Richtung?
Mehr nach dem Lande zu.
Wer saß darin?
Weiß nicht, rief der Flatboatmann. Ihr sucht einen
weggelaufenen Sklaven?
Ja wohl, Freund, antwortete Beauvais; woher wißt Ihr
das?
Gut, ich denke, Ihr seid auf der rechten Fährte; der
Bursche, der hier hinunterging, hatte die Ruder umwickelt, kam mir
gleich verdächtig vor.
Sie sind es! schrie der Doctor; jetzt tapfer, meine Burschen,
streicht aus!
Ihr sagtet, sie hielten sich nach dem Lande zu? frug der Master
noch einmal zurück, als das Segelboot von dem Flatboat
hinwegschoß.
Ja! lautete die Antwort; und zum dunkeln Ufer hin, aber immer
noch in etwas die Strömung benutzend, eilten die Verfolger dem
unglücklichen Alfons nach, der sich wirklich näher dem
Lande zugewendet hatte, um im Nothfall das schützende Dunkel
des Waldes zu erreichen.
Mehre Minuten war das Segelboot so im wahren Sinne des Worts
über die Stromfläche fortgesprungen, als der Master, der
im Vordertheil kauerte und aufmerksam über den Wasserspiegel
hinschaute, in die Höhe sprang und ausrief:
Dort sind sie, ich sehe das Boot!
Hurrah, meine Burschen, greift aus! schrie der Doctor, und Ihr,
Master, gebt mir Euer Messer, ich will dem bleichen Nigger einmal
zeigen, was es zu bedeuten hat, in Louisiana einen Neger zu
stehlen.
Der Angeredete griff auch, ohne weiter ein Wort zu erwiedern,
unter seine Weste, holte sein langes Jagdmesser hervor und reichte
es dem Doctor, der es aus der Scheide riß und jubelnd
schwang.
Alfons hatte mit fast übermenschlicher Anstrengung seine
Bahn verfolgt, als er aber die Ruderschläge der Verfolgenden
immer näher und näher kommen hörte und nun einsah,
daß er selbst nur noch eine kurze Zeit das seine Kräfte
übersteigende Rudern würde aushalten können, wandte
er sich näher zum Ufer. Hatte er den Wald einmal erreicht, so
war alle Verfolgung im Dunkeln und ohne Hunde unmöglich
gemacht. Da – als Alfons seine letzten Kräfte
anstrengte, das Werk zu vollenden, als er die Verfolger schon dicht
hinter sich sah – brach ihm das rechte Ruder und sein Boot
flog herum.
Beauvais und der Master erkannten augenblicklich, daß der
Flüchtling in ihren Händen sei, und stießen ein
Freudengeschrei aus.
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