Ihr verhaltenes
Schluchzen war das Einzige, was die grabesähnliche Stille
unterbrach. Die Würfel lagen.
Siebzehn! noch einmal!
Verdammt! brummte der Doctor.
Den dritten Wurf, den dritten Wurf! riefen Alle ungeduldig, als
sie sahen, daß der Fremde ängstlich sinnend einen
Augenblick einhielt.
Wieder rasselte der Becher; vorgebeugt umdrängten Alle das
Billard, die Würfel fielen – es waren nur elf.
Hurrah! jubelte der Doctor, mit einem Satze auf das Billard
springend – ich habe gewonnen! Wer will trinken? ich tractire
Alles, was im Hause ist. Müller, heh! holla! hierher!
füllt die Gläser, gebt Jedem so viel, als er trinken
will, ich bezahle Alles! und sich dann auf dem Billard
niederlassend, rief er aus: Bringt das Mädchen her, ich will
sie betrachten!
Als Selinde den jubelnden Triumphruf des Doctors hörte,
wollten sie fast ihre Kräfte verlassen, und sie wäre
gesunken, hätte sie nicht der Fremde unterstützt; doch
jetzt ermannte sie sich mit wunderbarer Kraft und flüsterte
nur, ehe sie dem Befehl ihres neuen Herrn Folge leistete, ihrem
Beschützer leise zu! Fliehe, Alfons, fliehe, ehe man Dich
entdeckt! und trat dann festen und sichern Schrittes vor ihren
Gebieter, seine Befehle zu vernehmen.
Sie ist ein hübsches Mädchen! lallte dieser, von
heftigem Schlucken unterbrochen, indem er sich mit dem rechten
Ellbogen auf den Billardrand legte und mit gläsernen Augen zu
ihr aufsah, gut, gut – meine Frau wird scheel sehen, wenn ich
ihr den Nigger ins Haus bringe, aber ....
Er konnte nicht vollenden; die geistigen Getränke, die er
an diesem Tage genossen hatte, gewannen durch die letzte Aufregung
endlich die Oberhand, und bewußtlos sank er aufs Billard
zurück, von dem er fortgetragen und in ein Bett gelegt wurde,
um seinen Rausch auszuschlafen.
Der Wirth nahm die Negerin in seine Obhut und schloß sie
in ein Zimmer ein, um sie ihrem Herrn nach dessen Erwachen zu
überliefern.
Indessen hatten einige junge Leute, unter denen sich auch Willis
befand, eifrig mit einander geflüstert und forschende Blicke
auf den bleichen jungen Mann geworfen, den die Negerin Alfons
genannt, und der theilnahmlos in einer Ecke saß.
Sein krauses, rabenschwarzes Haar hing ihm in langen Locken
über die bleiche Stirn herunter, seine Lippen waren bleich und
seine Augen geröthet; plötzlich trat einer der jungen
Leute auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und rief in
barschem Ton: Alfons!
Wie von einer Schlange gebissen, sprang bei dem Klange dieses
Namens der Unglückliche empor und starrte wild umher, auf den
Kreis fremder, unbekannter Gesichter, die ihn umgaben, bis seine
umherirrenden Blicke auf dem des ihm Gegenüberstehenden haften
blieben, der ihn fest und durchdringend betrachtete. Als ihm aber
dessen Züge klarer und deutlicher aufdämmerten, schlug er
sich mit der geballten Faust vor die Stirn, stieß einen
tiefen Seufzer aus und sank wie vernichtet auf seinen Stuhl
zurück. Der junge Mann dagegen, der solche Veränderung in
seinem ganzen Wesen hervorgebracht hatte, wandte sich triumphirend
nach seinen Kameraden um und rief:
Ich kannte den Burschen, und Ihr mögt mich einen Schurken
nennen, wenn es nicht ein erbärmlicher Nigger ist.
Was, ein Neger? riefen Alle, sich um den regungslos Dasitzenden
drängend, ein Neger? und mischt sich zwischen Weiße?
Hinaus mit ihm! schlagt ihn zu Boden, den Hund! werft ihn aus
dem Fenster! das waren die Ausrufungen, die mit Blitzesschnelle
einander folgten, und nicht allein bei Ausrufungen blieb es,
sondern in demselben Augenblick fühlte sich auch der
Unglückliche von kräftigen Händen gefaßt, zu
Boden geworfen, wieder aufgerissen und dem Fenster zugeschleppt,
aus dem er durch klirrende Scheiben hindurch geschleudert
wurde.
Die Höhe, von der er hinunterstürzte, betrug jedoch
kaum sieben Fuß und nur wenig beschädigt fiel er zu
Boden; schon aber hörte er das Rachegeschrei der Verfolger,
die nicht gedachten, ihr Opfer so leichten Kaufs entwischen zu
lassen, auf der Hausflur.
Wohl sprang er empor und wandte das blutende Antlitz seinen
Feinden entgegen, aber nicht Todesfurcht, nein, kalter Trotz und
Verachtung des Schrecklichen, was ihm begegnen könnte, lag in
dem Blicke, mit dem er seine Peiniger zu erwarten schien. Da scholl
aus einem der oberen Fenster die Stimme Selinde's, die ihm, den
Untergang des Geliebten voraussehend, in Todesangst zurief:
Flieh, Alfons, flieh' – um meinetwillen!
Einen Blick warf er hinauf zu der halb aus dem Fenster gebogenen
schlanken Gestalt des armen Mädchens, einen Blick voll Liebe,
Angst und Trotz; dann aber, wie von einem neuen Gedanken durchzuckt
und ehe ihn noch der heranstürmende Haufe erreichen konnte,
floh er mit Windesschnelle die Straße hinauf, und war bald in
den ihn verbergenden Baumgruppen, welche die Stadt umgaben,
verschwunden.
Taumelnd und fluchend folgten ihm wol noch einige der
Nüchternsten eine kurze Strecke, gaben es aber bald auf, den
schnellfüßigen Flüchtling zu erreichen, und kehrten
in das Wirthshaus zurück, indem sie schwuren, dem verdammten
Neger, wo er sich nur wieder blicken ließe, Füße
und Hände zu binden und ihn in die Bayou zu werfen.
Guston hatte an dem ganzen Vorgange keinen Antheil genommen
und ruhig, in einem Fenster lehnend, dem Auftritt zugesehen; einmal
zwar, gerade als der Haufe den Unglücklichen auf die
Straße schleuderte, war er zusammengezuckt, als ob er im
Begriff gewesen wäre, ihm beizuspringen; hatte es aber nur so
den Anschein gehabt, oder er sich eines Bessern besonnen, er fiel
wieder in seine nachlässige Stellung zurück und blieb bei
dem Ganzen ein unthätiger, ja, wie es fast schien,
theilnahmloser Zuschauer. Nur erst als die Gemüther sich
wieder beruhigt hatten und der lärmende Haufe zum erneuerten
Trinken in die Gaststube zurückgekehrt war, entfernte er sich
leise, selbst nicht von Willis bemerkt, und ging nachdenkend die
Straße nach St.-Francisville hinauf.
Die Sonne war indessen untergegangen und tiefe Dämmerung
lagerte sich über das Thal, als Guston den Fuß des
Hügels erreichte, auf dem das Nachbarstädtchen erbaut
ist. Zu seiner Linken sah er ein mattes Licht zwischen den Spalten
eines kleinen Blockhauses hindurchschimmern, das, wie er noch von
früher wußte, von zwei Mulattinnen, Mutter und Tochter,
bewohnt war. Der Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, daß sich
dorthin der Verfolgte geflüchtet haben könne, und obwohl
sich keines klaren Zwecks bewußt, ging er schnell an dem
sanften Abhang des Hügels hinauf und stand bald an der von
innen verriegelten Thür des kleinen Hauses, aus dem leise
flüsternde Stimmen heraustönten.
Guston legte sein Ohr an eine der Spalten und unterschied bald
die tröstende Stimme des Mädchens, die Jemandem Muth
zusprach und dabei selbst dann und wann einen recht tiefen, tiefen
Seufzer ausstieß.
Guston war überzeugt, daß der Unglückliche hier
Schutz gefunden hatte, aber noch unschlüssig, wie er sich
Eingang verschaffen wollte, da die Inwohnenden in ihm
unmöglich einen freundlich Gesinnten vermuthen konnten, als er
die Stimme der Alten hörte, die, an die Thür tretend, zu
ihrer Tochter sagte:
Ich muß nur noch die Wäsche hereinnehmen, die
draußen hängt, sonst dürfte morgen früh wenig
davon übrig geblieben sein; setze Du indessen den Kessel aufs
Feuer – der arme Mensch wird Nahrung und Ruhe
bedürfen.
Zu gleicher Zeit wurde der große, schwere eiserne Riegel
zurückgeschoben, und die alte Frau trat in die Thür,
erblickte aber in demselben Augenblick den jungen Pflanzer und
wollte, zurückschreckend, dieselbe wieder zuschlagen, als
Guston schnell vorsprang und das Verriegeln derselben hinderte.
Die Frauen stießen einen Angstschrei aus, und Alfons, der
sich matt und erschöpft aufs Bett geworfen hatte, sprang
erschrocken empor und riß ein verborgen gehaltenes Messer aus
seinem Gürtel; Guston aber hob die Hand zum Zeichen des
Stillschweigens, half selbst die Thür verriegeln und dann
einen Stuhl an den Tisch rückend, setzte er sich mit einer
solchen Ruhe und Kaltblütigkeit nieder, als ob nicht das
Geringste vorgefallen sei.
Mr. Guston, rief die alte Mulattin, die ihn erst jetzt erkannte,
ganz erstaunt aus, Mr. Guston! wie um des Himmels willen kommen Sie
wieder nach Louisiana und in unsere Hütte? Sie wollen doch
nicht dem armen Mann da ....?
Sei nicht bange, Alte, unterbrach sie der junge Pflanzer, ich
habe keine bösen Absichten, ich komme einzig und allein aus
Neugierde und kann dem armen Menschen sogar nützlich sein. Wie
aber konntest Du es wagen, – wandte er sich jetzt an den
stumm und regungslos vor sich hinstierenden Quadroon
–5 Dich so dreist zwischen Weiße zu
drängen und mit ihnen zu spielen und zu trinken?
Ich habe nicht mit ihnen getrunken, antwortete eintönig
Alfons.
Gleich viel, entgegnete Guston, Du mußtest recht gut
wissen, welcher Gefahr Du Dich aussetztest, und das ohne irgend
einen Zweck oder Nutzen davon zu haben; denn wenn Du wirklich das
Mädchen gewannst, so wäre sie Dir, unter den
Verhältnissen, doch nicht gelassen worden.
Alfons seufzte tief auf.
Aber sage mir, wo bist Du her? Du bist so weiß wie irgend
einer von uns; ich selbst würde nie einen Verdacht
geschöpft haben, daß Du von schwarzem Blute abstammtest.
In welchem Verhältnisse stehst Du zu der Negerin? denn einen
geheimen Grund mußt Du gehabt haben, Du hättest sonst
nie etwas so Tollkühnes unternommen.
Und was hülfe es mir und Euch, wenn ich die Geschichte
meiner Leiden erzählte? sagte Alfons traurig, es ist die
Geschichte Tausender meiner Brüder, und Ihr mögt dieselbe
in all den südlichen Staaten dieses freien, gesegneten Landes
finden! O ein freies Land ist es! fuhr er, mit beiden Händen
krampfhaft seine Schläfe fassend, fort!
Du selbst bist doch kein Sklave? fragte, schnell vom Stuhl
aufstehend, der Pflanzer.
Nicht ich, murmelte, traurig mit dem Kopf schüttelnd, der
Unglückliche; doch überzeugt Euch, fuhr er, mehrere
Papiere aus seiner Tasche hervorlangend, fort –
überzeugt Euch selbst. Mein Vater schenkte mir die Freiheit; o
ich glaubte es damals, ein schönes Geschenk, ich wurde nicht
mit den anderen Negerkindern, wie die jungen Mustang-Füllen,
aufgezogen, ich durfte lesen und schreiben lernen und glaubte mich,
durch die Weiße meiner Haut getäuscht, so frei und
glücklich wie die Amerikaner. Es war ein kurzer, aber
schöner Jugendtraum; überall kannte man mich,
wußte, daß meine Mutter eine Mulattin sei, und der
»verdammte Neger« durfte sich an keinem Orte, wo sich
Weiße aufhielten, sehen lassen, ohne die schmerzlichsten
Kränkungen und Demüthigungen zu erfahren.
Mit leichtem Herzen würde ich auch das Land meiner Geburt
verlassen haben, hätte nicht eine Sklavin meines Vaters
– dasselbe junge Mädchen, welches heute
ausgewürfelt wurde – fuhr er mit leisem, zitterndem Tone
fort – mein Herz und meine Seele auf jener Pflanzung
gefesselt gehalten. Selinde liebte mich wieder und Priesterhand
sollte uns vereinigen, denn mein Vater hatte mir versprochen, sie
frei zu geben und mir zu schenken. Da entriß mir der Tod
plötzlich das einzige Wesen, das noch einen schützenden
Einfluß auf mich ausgeübt hatte, denn auch meine Mutter
war ein Jahr vorher gestorben, und Fremde nahmen das Eigenthum in
Besitz, das durch unvorsichtige Speculationen, wie mir gesagt
wurde, verschuldet und verpfändet war.
Ich wurde mit wenigen Dollars in die Welt hinausgestoßen,
und Selinde, mit anderen Sklaven und Sklavinnen, da der neue
Eigenthümer selbst deren einige 50 aus Georgien
mitgebracht hatte, an einen Sklavenhändler verkauft.
Dieser verließ Alabama und wandte sich nach New-Orleans,
um dort für einen höheren Preis die billig eingehandelten
Schwarzen zu verkaufen, was ihm auch mit allen gelang, Selinde
ausgenommen, die er für sich behalten wollte, bis er mit ihr
hier nach Bayou-Sarah kam und es ihm einfiel, sie
auszuwürfeln.
Ich war ihnen von meinem Geburtsort aus gefolgt und hatte oft
mit Lebensgefahr das Mädchen, an dem mein Herz hing, zu sehen
getrachtet; da hörte ich heute Morgen, hier eben angelangt,
von dem beabsichtigten Würfelspiele. Neue Hoffnung
belebte mich, ich glaubte mich hier von Niemandem gekannt, der
weißen Farbe meiner Haut vertrauend, wagte ich mich in das
Wirthshaus und wendete meinen letzten Cent, selbst einen Ring
daran, den mir meine Mutter auf dem Sterbebette gegeben, um zwei
Loose zu kaufen. Sie wissen das Uebrige. Der junge Mann, der mich
erkannte, ist ein Neffe meines Vaters – mein eigener
Vetter.
Alfons schwieg, die beiden Frauen aber saßen in der Ecke
und schluchzten; selbst Guston war gerührt.
Wie aber entgingst Du der Aufmerksamkeit des
Sklavenhändlers? fragte er endlich nach einer Pause; der
mußte Dich doch auf Deines Vaters Pflanzung gesehen
haben.
Oft genug, fuhr Alfons fort; da ich aber mit im Herrenhause
schlief und von den Sklaven stets als »Mr. Alfons«
angeredet wurde, hatte er nicht den leisesten Verdacht
geschöpft, daß ich selbst zu jener verachteten Race
gehören könne.
Und was denkst Du jetzt zu thun? fragte Guston teilnehmend, als
er ihm die schnell durchgesehenen Papiere zurückgab.
Was kann ich thun? hauchte leise der Quadroon.
Sei morgen Abend wieder hier in diesem Hause, sagte Guston
aufstehend, ich will mit dem Doctor morgen früh reden,
vielleicht kann ich Dir helfen.
Alfons schüttelte, bitter lächelnd, den Kopf.
Heute ist so nichts mehr zu hoffen, fuhr Guston, mehr zu sich
selbst als zu dem Andern redend, fort, um 10 Uhr fährt der
Doctor mit der Dampffähre nach Pointe-Coupée, und da
wird für diesen ...
Heut Abend um 10 Uhr? fragte Alfons hochaufhorchend.
Die Dampffähre geht doch bei diesem niedrigen Wasserstande
nicht mehr so spät in der Nacht? sagte die alte Mulattin, sich
die Augen trocknend.
Es sind, wie ich eben hörte, Damen von Taylor's Pflanzung
auf dieser Seite des Flusses, und die verlangen noch
übergesetzt zu werden, erwiederte Guston; da wollen sie den
Doctor so lange schlafen lassen und dann mitnehmen; bis dahin ist
er nüchtern und kann auf seine Sklavin Acht geben. Doch genug
für heut Abend, unterbrach er sich selbst, ich habe vielleicht
Unrecht gethan, Dir so theilnehmend zuzuhören, da Du nach den
Gesetzen des Staates, in dem wir nun einmal leben, eigentlich eher
Strafe als Mitgefühl verdient hättest; doch wollen wir
das für jetzt dahingestellt sein lassen; also leb' wohl, bis
morgen Abend will ich sehen, was sich für Dich thun
läßt, und halte Dich ein wenig verborgen, daß Du
Deinem Vetter nicht wieder vor die Augen kommst, er
scheint keinen großen Gefallen an seiner Verwandtschaft zu
finden ... Schon gut, sagte er, etwas zurücktretend und eine
abwehrende Bewegung machend, als er sah, daß Alfons seine
Hand ergreifen wollte – schon gut, Du bist mir weiter keinen
Dank schuldig, als daß ich Dich nicht verrathe, und dazu
fühle ich nicht die mindeste Lust. Also gute Nacht, Alte, gute
Nacht, Anna; und den Riegel wieder zurückschiebend, sprang er
von der hohen Schwelle hinunter und war bald in der Dunkelheit
verschwunden.
Er hatte aber kaum die nach Bayou Sarah führende breite
Straße wieder erreicht und war auf dieser einige Schritte
fortgegangen, als aus dem dichten Gestrüpp, das zu beiden
Seiten des Weges wuchs, zwei dunkle Gestalten auf ihn zusprangen
und ihn festhielten. Schon hatte er sein Messer ergriffen und
wollte sich, nichts Gutes erwartend, Bahn machen, als er Willis'
Stimme erkannte, der, ihn loslassend, lachend, aber mit
unterdrückter Stimme ausrief:
Zum Henker! Einen von unseren Flüchtlingen haben wir
gefangen, aber nicht den rechten; wie um Gottes willen kommst Du
hierher?
Ich wollte erst nach St.-Francisville gehen, habe mich jedoch
anders besonnen, sagte Guston; aber was im Namen alles gesunden
Menschenverstandes macht Ihr denn hier wie Straßenräuber
auf dem breiten Fahrwege? Ich glaubte wahrhaftig im ersten
Augenblick, ich wäre einigen entlaufenen Negern in die
Hände gefallen, und wollte schon anfangen, mir mit meinem
Messer Bahn zu hauen, als ich noch glücklicherweise Deine
Stimme erkannte. Wer sind Diese und was wollt Ihr denn Alle hier?
fuhr er, erstaunt umherblickend, fort, als er eine Menge Menschen
nahen hörte, die in wenigen Secunden an seiner Seite waren und
in denen er die ganze Würfelgesellschaft erkannte. Der lange
Sklavenhändler und der Ankläger und Vetter des
Entflohenen schienen sie anzuführen.
Still, sagte Willis, wir wissen, daß der freche Schuft,
der sich so schändlicher Weise zwischen uns eingeschlichen
hatte, hier links am Wege bei Mutter Hoyer sitzt, wir wollen jetzt
das Haus umzingeln und den Burschen fangen; er soll doch auch
wissen, wie Peitschenhiebe in Louisiana schmecken.
Wozu den armen Teufel noch einmal aufsuchen? fiel Guston
gutmüthig ein, Ihr habt ihn einmal abgestraft, laßt ihn
laufen; er wird sich so bald nicht wieder zwischen weiße
Männer hineinwagen.
Still, Mann, aus Dir spricht der Europäer, entgegnete
trocken Willis; mit so leichter Strafe kommt kein Neger davon, wenn
ich's verhindern kann.
Es thut mir nur leid, daß wir ihn nicht gleich banden und
in den Fluß warfen, fiel ärgerlich, doch mit
unterdrückter Stimme der Vetter des Unglücklichen ein
– ich konnte den Jungen nie leiden; aber kommt, wir verlieren
unsere Zeit und dort schimmert das Licht.
Guston drehte den gefühllosen Menschen verächtlich den
Rücken und wandte sich nach der Stadt, während der Haufe
leise gegen das kleine Blockhaus hinanschlich; plötzlich aber,
wie von einem andern Gedanken ergriffen, kehrte er schnell um und
folgte seinen Freunden, leise dabei vor sich hinmurmelnd –
sie sollen ihn doch wenigstens nicht umbrigen!
Wenige Schritte nur war er nach der Hütte
zurückgegangen, als es ihm schien, als ob eine dunkle Gestalt
über den Weg glitt. Er blieb stehen und rief sie mit
unterdrückter Stimme an, aber keine Antwort erfolgte und bald
hatte er das Häuschen erreicht, das schon von den Männern
geräuschlos umzingelt war, während die, nichts Böses
ahnenden Bewohner, sich noch bei dem matten Schein der Lampe mit
leiser Stimme unterhielten und dann und wann ein leises Schluchzen
durch die Nacht drang. Willis trat jetzt vor und mit dem starken
Ende einer ungeheuren ledernen Negerpeitsche, die er unterwegs
mitgenommen, an die Thür schlagend, verlangte er
Einlaß.
Einen Augenblick herrschte Todtenstille; erst auf seine zweite
Aufforderung ertönte die Stimme der Alten, die ihn ruhig
bedeutete, weiter zu gehen – es sei Nacht und sie mache
keinem Fremden die Thür auf, da sie nur zwei einzelne Frauen
wären.
Das wissen wir besser, Du verwünschte Hexe! rief jetzt
Willis mit voller Stimme, indem er mit aller Kraft einen Schlag
gegen die Thür führte – öffne augenblicklich,
oder wir reißen Dir Dein morsches Dach über dem Kopfe
zusammen.
Die Uebrigen waren jetzt ebenfalls von allen Seiten
hinzugetreten, und das Haus engeinschließend, schienen sie
die Drohung im wahren Sinne des Worts ausführen zu wollen, als
der Riegel zurückgeschoben wurde. Ohne das Oeffnen der
Thür abzuwarten, sprang Willis mit aller Gewalt gegen
dieselbe, und sie aufstoßend, warf er sie mit solcher Gewalt
gegen den Kopf der Mulattin, daß die Unglückliche, von
dem Schlage betäubt, besinnungslos zurücktaumelte und
niederstürzte.
Laut aufschreiend, warf sich das Mädchen über den
Körper der Mutter; ihrer jedoch wenig achtend, stürmte,
so schnell es ihnen der enge Eingang erlaubte, ein Theil der
Verfolger in das Gemach, um ihr Opfer zu erfassen.
Vergebens sahen sie sich indessen nach ihrer Beute um, vergebens
leuchteten sie in jeden Winkel, hinter jeden Kasten, vergebens
warfen sie selbst die Betten der armen Frauen auf den Boden, den
vielleicht darunter Versteckten zu entdecken, er blieb spurlos
verschwunden, und drohend wandte sich jetzt Willis an die arme
Alte, die sich, noch betäubt von dem Schlage, erschöpft
an die Schulter ihrer Tochter lehnte:
Wo ist der Bursche, der noch vor wenigen Minuten hier war?
Willst Du reden, Alte, oder ich drehe Dir den Hals um.
Laßt meine arme Mutter, Herr! rief das Mädchen, den
schon nach ihr ausgestreckten Arm des wüthenden Willis
zurückstoßend – laßt sie, Ihr habt sie ja
schon beinahe getödtet.
Nigger! rief dieser, sich zornig emporrichtend, willst Du mir
sagen, was ich thun oder lassen soll? und mit der Peitsche
ausholend, wollte er eben das furchtlos ihm gegenüberstehende
junge Mädchen niederschlagen, als er seinen Arm von Guston
gefaßt und festgehalten fühlte, der ihm leise
zuflüsterte: Du schlägst das Mädchen nicht,
oder Du hast es mit mir zu thun!
Was zum Henker mischest Du Dich in mein Thun? fuhr Willis heftig
gegen den Freund herum; aber dessen ernstem Blicke begegnend,
ließ er den Arm sinken und sagte halb lachend, halb
ärgerlich: Warum ist das dumme Ding so trotzig? ich wollte ihr
übrigens kein Leid thun; sie soll nur sagen wo der Bursche
ist, der noch vor wenigen Minuten hier war!
Einen ängstlichen Blick warf das junge Mädchen auf
Guston, um zu erforschen, ob er sie verrathen habe; bald aber
schien sie diese Furcht aufzugeben, denn sie schüttelte leise
mit dem Kopfe und hauchte: Ich habe Niemand gesehen.
Lügen! riefen jetzt mehrere Stimmen aus dem Haufen –
er war hier, wir wissen es; seit wann ist er fort?
Ich habe Niemanden gesehen, wiederholte leise das zitternde
Mädchen.
Gentlemen! sagte jetzt Guston, sich an die ihn dicht
umdrängenden Männer wendend – Sie sehen, der Mann
ist fort, wohin? darf uns für den Augenblick sehr
gleichgültig sein, denn wie könnten wir dem Einzelnen in
der stockfinstern Nacht folgen? Also kommen Sie mit mir in die
Stadt zurück und wir wollen noch ein halb Stündchen
zusammen trinken, ich tractire; morgen haben wir
vielleicht mit dem Auffinden des Burschen mehr Glück. Wer geht
mit mir?
Nun, ich denke, sagte der Sklavenhändler, indem er sich mit
großer Seelenruhe von einer breiten Tafel Kautabak ein
ungeheures Stück abschnitt und in den Mund schob – wir
gehen Alle.
Ja, laßt uns gehen; zum Teufel mit dem Nigger! riefen Alle
untereinander, und drängten sich wieder aus der Thür
hinaus, um im Wirthshause ihr Gelage auf's Neue zu beginnen.
Guston verließ das Haus zuletzt, und das Mädchen
folgte ihm mit dem thränenden, dankbar ihm zugekehrten Blick
– sie sah in ihm den Retter ihrer Mutter.
Lachend und jubelnd wanderten die Männer der Stadt zu und
erreichten bald wieder das Haus, wo Guston, seinem Versprechen
gemäß, sie auf seine Kosten trinken ließ, so viel
sie wollten.
Die Unterhaltung war sehr laut und besonders schimpfte und
fluchte der Sklavenhändler auf den Entflohenen, den er
versicherte, mehr als zwanzigmal gesehen, immer aber für einen
Weißen gehalten zu haben, als plötzlich der Doctor mit
verschlafenem, bleichem Gesicht, sich dehnend und streckend, in der
Thür erschien.
Mit allgemeinem Jubel wurde er empfangen und vernahm jetzt, mit
Erstaunen über die unerhörte Frechheit des Niggers, die
Erzählung Dessen, was während er schlief, vorgefallen
war.
Der Nigger! rief er endlich ganz entrüstet aus;
ich glaubte selbst, er sei einer jener dunkelhäutigen Creolen,
die man oft kaum von Mulatten, viel weniger von Quadroonen
unterscheiden kann – aber Ihr habt ihn doch gleich geknebelt
und abgestraft, oder wenigstens in Sicherheit gebracht? Etwas
kleinlaut erzählte jetzt Willis, daß er ihnen entkommen
sei, sie aber ernstliche Nachforschungen am andern Morgen anstellen
wollten.
1 comment