Die Sündflut
-Kapitelname unbekannt-
Die Sündflut


9 Erster Teil
1.
11 Wüste, Abend.
Ein buckeliger Aussätziger:
Bist du noch da, mein lieber Buckel? (schaut
sich um.) Du und ich, ein treues Paar, nur schade, daß
ich nicht so stattlich geraten bin wie du. Aber der dritte von uns
ist doch der beste, das laß gut sein – unser lieber
Aussatz. Wenn den die Räuber riechen, so gehts flüchtig
davon, er ist unser Schutz und Schirm, und der ihn uns gegeben hat,
will, daß wir ihn lieb und wert halten.
Da kommt jemand, angezogen wie ein Nichtstuer.
(wendet sich zur Flucht) Damit er nicht
ergrimmt, damit er in seinem Zorn dich nicht schlägt, lieber
Buckel, ihm aus den Augen! Puh, fort, fort, Aussatz und Buckel;
wartet, ich geh 'mit euch, hübsch einträchtig und
gemächlich! (ab.)
Ein vornehmer Reisender tritt
auf, zu ihm zwei Engel zu beiden Seiten.
1. Engel: Wir kennen dich in jeder
Gestalt.
2. Engel: Wir finden dich an jedem
Ort.
1. Engel: Überall –
–
2. Engel: Wo du in Gestalt deines
Ebenbildes wandelst.
1. Engel: Das du aus Erde
erschaffen.
2. Engel: Das du mehr liebst als
uns alle, die aus Licht und Kraft und Glut geboren sind.
1. Engel: In dessen Schein die Zeit
dich kleidet, immer kennen wir dein Sein. 12
2. Engel: Wir finden dich in jeder
Gestalt.
Reisender: Sie sind nicht wie sie
sollten.
Engel (schweigen).
Reisender: Sie denken was ich nicht
denke.
Engel (schweigen).
Reisender: Sie wollen was ich nicht
will.
Engel (schweigen).
Reisender: Sprecht!
1. Engel: Du weißt es!
2. Engel: Sie wollen was du nicht
willst.
Reisender (heftig): Sie sind was ich nicht bin und eure
Gedanken sagen: wer bist du, daß sie anders werden konnten als
du wolltest? (leise) Es reut mich,
daß ich sie gemacht habe.
1. Engel: Aber einen gibt es, der
ist, was du willst, daß er sei: dein Knecht und dein Kind.
Reisender: Dann reuen mich alle
andern.
Engel (verhüllen die Gesichter).
1. Engel: Du – von Ewigkeit
zu Ewigkeit – –
2. Engel: Du – aller Anfang
ohne alles Ende – –
Reisender: Ich?
1. Engel: Du – die
Herrlichkeit, du, die Heilichkeit . . .
2. Engel: Du – die
Größe, die Güte –
1. Engel: Du, der Sturm, du, die
Stille – –
2. Engel: Du aller Schein, du,
alles Sein.
Reisender: Und sie –
wären anders als ich?
Engel (verhüllen ihre Gesichter).
Reisender: Es darf nicht sein, fort
mit euch in alle 13 Winde, sucht den Mann, der mein Knecht und mein
Kind ist, sucht andere, die ihm gleichen, findet viele, die es
vertragen, Geschöpfe zu heißen, die sind, wie sie sein
sollen, die wollen, was ich will, die denken, was ich zu denken
verleihe – die andern reuen mich.
(Engel ab.)
Man hört Glocken in der
Ferne.
Calan erscheint mit einem Teppich, den er
ausbreitet.
Reisender: Deine Kamele ruhen,
deine Knechte speisen, du willst beten?
Calan: Ich will allein sein, darum
knie ich abseits nieder.
Reisender: Und betest?
Calan: Ich spreche mit mir selbst;
ist das beten, so bete ich.
Reisender: Vielleicht hättest
du Grund, dem zu danken, der dir die Kamele gab.
Calan: Die Kamele habe ich genommen
von einem, der sie andern nahm. (zeigt auf sein
Schwert.)
Reisender: Hast du Blut
vergossen?
Calan: Nur das meines Feindes,
seiner Kinder, seiner Knechte – – seine Weiber
sind jetzt meine Weiber. Ich danke Gott, daß er mir Kraft,
Schnelligkeit, Schlauheit, Ausdauer und Mut gegeben hat – Mut
und den herrlichen Sinn, der nicht schwankt in der Not, Augen, die
Blut zu sehen nicht blendet, Ohren, in die kein Grausen eingeht,
wenn blutende Kinder schreien. Ich danke ihm, wenn er Lust an
meinem Dank hat. 14
Reisender: Glaubst du, daß
Gott Wohlgefallen am Geschrei blutender Kinder hat?
Calan: Warum gibt er ihnen Stimmen,
wenn er ihr Geschrei fürchtet? Und wie kann er sich
fürchten, wenn ich es nicht tue?
Reisender: Du bist fehlgeraten,
deine Bosheit ist nicht sein Werk, deine Wut nicht sein Wille, dein
Tun kommt nicht aus seinem Denken.
Calan: Wenn meine Bosheit nicht aus
seiner Bosheit kam, woher keimte also meine Bosheit? Nein, meine
Bosheit ist auch von ihm. Wer mich in meine Bosheit gebettet, mich
im wilden Blut gebrüht hat, der hat nichts Besseres getan als
ich, da ich die Kinder mit der Schärfe des Schwertes schlug,
daß sie bluteten.
Reisender: Fehlgeraten bist du
– er wird dich in deinen Kamelen schlagen.
Calan: Dann macht er es wie ich mit
meinen Knechten, hinterher tut ihm wie mir die Laune leid.
Reisender: Wenn du ihn liebtest,
sprächest du anders.
Calan: Lieben – liebt er
mich? Ich vertraue, er hat meine Liebe und mein Gebet nicht
nötig und gibt mir nicht darum Gedeihen, weil ich ihm zu
Willen bin. Kann ich mich zu ihm erheben, der erhaben ist, da ich
es nicht bin? Wenn er ist, so weiß er nicht von mir und ich
gönne ihm seine Gebiete, nur soll er mich in meiner Wüste
und meinen Zelten für mich leben lassen. Wäre er wie der,
von dem mein frommer Nachbar redet, brauchte Lob 15 und Dienst und Dank und
Knechtschaft, wünschte Gehorsam für seine Gnade und
Väterlichkeit . . .
Reisender: Was dann?
Calan: Dann müßte ich
fragen und forschen. Vielleicht wäre mein Dank und
Knechtschaft ein nichtsnutziger und böser Handel. Ein Wicht
müßte ihn bemitleiden um seine Dürftigkeit.
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