(das Schreien dauert an)
Töte ihn vollends, daß nicht sein Schreien in meinen
Eingeweiden schauert, sprich, Calan, sprich.
Calan: Darum, daß dein
Eingeweide sich besänftigt? Darum, Noah, bitte ihn, den
andern. Das Opfer ist getan, mag er sich sättigen am Schreien,
denn es schreien viele, ohne daß er ihr Schreien in Gnade
ersäuft. Mag er sich auch eine Mühe machen mit einem
Wort, wenn ihm an der Stille gelegen ist. Ich habe das Opfer von
mir gegeben 46
und da es sein ist, soll er damit tun nach seinem Wohlgefallen.
(Chus kommt mit zwei blutigen
Händen).
Gut, Chus, nagle sie hier an den Pfosten,
daß er sieht, was Calan dargebracht, das nimmt er nicht wieder
an sich.
(Chus tut wie befohlen).
Calan (zu Noah,
der sich die Ohren zuhält): Nimm die Hände
herunter und höre, was dein Gott dir zu hören gibt. Wenn
es an dem ist, daß er ihn schreien läßt, so hat er
Wohlgefallen an seinem Schreien und es kitzelt ihm die Eingeweide.
Oder sollte sein Wort keine Kraft haben, wenn ihm nach Stille
verlangt?
Noah: Ich speie aus über dich,
Calan, ich speie aus. (speit aus).
Calan: Über mich, Noah? Da
muß ich mich gewaltig wundern – über mich?
Noah: Über deine Tat, Calan,
über dein scheußliches Tun (speit
aus). Totschläger, Mörder, Schänder!
Calan: Ich wundere mich immer mehr,
Noah!
Noah: Pfui über deine Fratze,
rasender Gottversucher!
Calan: Ei, Noah, du rasest, du! Ich
gönne es Gott schöner zu sein als ich, aber handelt er
weniger schändlich als ich, wenn es nämlich
schändlich war, was geschah – wenn, Noah, wenn? War es
also schändlich, so ist es auch schändlich zuzusehen,
zuzulassen, zuzuhören wie der hübsche Gott und der gute
Noah – schändlich, schändlich!
Noah: Ich? Meinst du, daß ich
dir in die Arme fallen 47 sollte, ich, ein friedlicher alter Mann mit dem
großen Vertrauen auf Gott?
Calan: Meinst du etwa nicht? Dann
verließest du dich auf Gott und Gott verließ sich
vielleicht auf Noah. Und über so viel Vertrauen und
Verlaß wurde ich zum Totschläger und Schänder.
Versprichst du mir, auf Gott zu spucken, wenn es sich herausstellt,
daß er das Opfer verabscheute und doch nicht hinderte? Also,
daß ich mit meinem Hinhängen zu Gottes Herzen durch
Gottes Unterlassen zum Totschläger wurde? Denn, siehst du,
Noah, dann wäre ja Gott ein Totschläger an meiner
Unschuld geworden, siehst du das nicht ein?
Noah: Armer, gräßlicher
Calan, wo ist Friede, Freude, Freiheit für dich zu finden?
Calan: Das laß gut sein
– ich bin kein Mensch von deiner Sorte, bin das Kind eines
größeren Gottes als deiner – ein Gotteskind, Noah,
das abgesetzt, verloren, gestohlen, übelgehalten und
verwahrlost ist – aber ein Gott! Wer wars, der da um die Ecke
schaute?
Noah: Um die Ecke – ich habe
nichts gesehen.
Calan: Aber ich, sieh, da
hüpft es wieder über den Weg, ein hübsches Ding von
einem säbelbeinigen Kobold, ein spaßiges Alterchen
– – nimm den Sack vom Zaun, Chus, lauf ihm nach
und tu ihn hinein (Chus zögert erstaunt,
wird aber durch Calans strengen Blick und verstohlenen Wink
bestimmt, ab). Wahrhaftig, ich glaube, du schämst dich
seiner, aber sicher – Er war es, Noah! Noah, sei ein Mann und
sage: Er war es, Gott selbst hüpfte über den Weg.
48
Noah: Er? Ein Alterchen, ein Kobold
– genug gelästert, Calan, ich schäme mich für
dich.
Chus kommt unsicher, ob er Calans Laune
verstanden, mit dem Sack zurück.
Calan: Gut gemacht, Chus –
bind ihn zu und gib ihn her. So! Ich weiß, er ist es, er kann
nicht anders aussehen und ich verstehe herzlich gut, daß du
dir solchen Gott vom Halse lügst. Wenn du nichts dagegen hast,
so will ich ihn mit mir nehmen und meinen Spaß an seinem Spiel
haben, vielleicht ist er gelehrig und läßt sich abrichten
(schüttelt den Sack). Noahs Gott in
einem strohernen Sack, welch ein Fang, aber das sage ich dir, wenn
er beißt, soll er Schläge haben. Nun reut es mich,
daß dem armen Kerl dahinten die Hände umsonst
abgeschlagen sind, viel zu schade um einen solchen Gott!
Noah: So lästerst du, Calan,
lästerst, lästerst. (er vergräbt
sein Gesicht in den Händen).
Der alte Bettler mit Krücken erscheint und steht
flehend da.
Noah (sieht
auf).
Bettler: Die wölfischen Kinder
sind über mich gekommen, ich bin zerschunden und blute.
Erbarmt euch. (zeigt seine Wunden).
Calan: Das war recht, daß sie
dich rauften. Immer besser, du dienst zum Fraß, als daß
du frißt.
Noah (steht
langsam auf und geht erschüttert näher).
Bettler (mit vertraulicher
Unbehilflichkeit): Sieh, ein Steinwurf am Kinn und
Kratzwunden überall – Schläge, 49 soviel Schläge. –
Hunger habe ich auch! (er sieht Noah
lächelnd an).
Noah: Schläge? Auch hungern
mußt du?
Bettler: Ich bin ganz mager und
alt, bin hilflos und brauche wenig. (lächelnd) Und doch muß ich hungern.
Noah: Und kommst zu mir um
Speise?
Bettler (leise): Ja, zu dir, Noah, zu dir.
Noah (scheu): Ach, die Zeit – wie lange Zeit
verging seit früher.
Bettler (leise): Und du bist alt und fast fremd geworden
– wie dich die lange Zeit verändert hat.
Sie sehen sich an, suchen
immer mehr sich zu erkennen.
Noah: Willst du nicht
herantreten?
Bettler: Nicht wahr, du jagst mich
nicht von deiner Tür, hetzest keine Hunde auf mich – ich
bin so einsam in der Welt und wagte weither zu wandern, weil ich
dachte, du nähmest mich auf. Habe viel Mühe unterwegs
gehabt. Doch – du siehst so anders aus.
Noah: Ach, Vater, aus welcher Ferne
kommst du zu mir?
Bettler: Ich darf auch nicht lange
bleiben, nur ansehen wollte ich dich und mich erquicken lassen.
Noah: Bist du doch noch im Leben,
armer alter Vater, warum schleppst du dich so schwer durch die
Welt?
Bettler: Die vergangene Zeit hat
mich vergessen und ich habe sie verloren, bin verirrt und
verlaufen. Doch nun bin ich bei dir, Noah, mein Sohn. 50
Noah (stürzt zu seinen Füßen, umfaßt seine
Knie, steht wieder auf und sieht ihn prüfend an): Bist
du es, Vater?
Bettler: Ja, Noah, ich bins, hast
du mich vergessen?
Noah (schüttelt den Kopf): Ich bin verwirrt, du bist
doch mein Vater gewesen. Vater, die Kinder sind Männer und wir
sind große Leute geworden – und du bist ein Fremder in
der Ferne?
Bettler: Ja, wir sind weit
auseinandergeraten und meine Dinge sind nicht mehr deine Dinge
– – doch, doch, Noah, du warst einst mein
Sohn.
Noah: Komm zum Hause und nimm, was
ich dir anbieten kann.
Er führt den Bettler
näher und läßt ihn sitzen.
Bettler (deutet
auf die angenageltenHände): Ja, die Zeiten sind andere
geworden, in meinen Tagen schlug man den Menschen nicht die
Hände ab.
Calan: In unsern Tagen, du alter
Betrüger und Almosenbeißer, schelten nicht die Väter
ihre Söhne, sondern die Söhne ihre Väter. Aber die
Hände habe ich abgeschlagen und annageln lassen – ich,
Calan, ein Kind des Gottes, der mir die Kraft gegeben hat, kein
Knecht zu sein. (er schüttelt den
Sack) Beide, Noah und sein Gott konnten mich nicht
hindern.
Bettler: Vielleicht schlägt
dich Gott dafür in deinen Kindern.
Calan: Mein Gott rächt sich
nicht an meinen Kindern, das ist ein Zug an Noahs Gott. Und
daß Noahs Gott sich nicht an mir vergreift, habe ich ihn zur
Vorsicht in den 51 Sack gesteckt. Laß dich waschen, laß
dich von Staub und Blut reinigen.
Noah badet seine Füße, wäscht
Gesicht, Arme und Hände.
Calan: Weißt du, daß das
Wasser teuer geworden ist, du Schmutzfink? Für jeden Tropfen,
den er an dir verschwendet, beten die beiden blutigen Hände,
daß er wiedererstattet werde und wenn deine Ohren nicht zu
faul wären, würdest du das Seufzen und Schreien nach
Wasser hören des Mannes, dessen stumme Hände um Tropfen
beten.
Man hört
schreien.
Hörst du? Er betet an unserer Statt,
dafür haben wir ihm den Platz angewiesen, so betet man in
unsern Tagen.
Bettler: Für jeden Tropfen
Blut wird ein Meer aus den Brunnen der Tiefe brechen, für
jeden bangen Hauch des klagenden Mannes wird ein Schwall aus den
Schleusen des Himmels niederschlagen.
Calan: Oho, was für eine
überfließende Erfüllung!
Bettler: Du tätest gut, die
Seufzer des Mannes in Barmherzigkeit zu ersäufen, denn
für seine Seufzer werden die Bäuche des Himmels sich
erbrechen.
Calan: Was wimmerst du da für
ein Wort vom Ersäufen? Wie kommt mein Wort in deinen Mund?
Bettler: Meine Ohren sind nicht so
faul wie du dachtest.
Ham mit verdrossener Miene.
Ham: Der Fluß versiegt, die
Tiere erliegen und die 52 wilden Kinder mit Wolfszähnen trinken ihr
Blut – die Herden werden täglich kleiner, Vater.
Noah: Das ist Ham, unser zweiter
– sieh, Ham, sieh her und erschrick nicht – der alte
Mann hat dich einst auf den Knien geschaukelt – erkennst du
ihn noch, du müßtest ihn erkennen.
Ham: Ich habe an Wichtigeres zu
denken – was ists mit dem blutenden Mann im Wald, wer hat ihn
so schändlich verstümmelt?
Noah (zumBettler): Er hat schon Kinder, Vater, so ist
alles gezeitigt und verändert, du sollst sie sehen.
Bettler: Sind sie gut geraten, und
auch deine Söhne?
Noah: Es sind alles liebeKinder,
Sem, Ham und Japhet, alles gute Menschen, dankbar und
gottesfürchtig und gehorsam.
Ham: Genau genommen haben wir uns
mit Gehorsam und Gottesfurcht nie geplagt. Wo ist Mutter, wo sind
die Brüder, oder gibts auch darauf keine Antwort?
Noah: Sieh selbst zu, Ham, und sag
deiner Mutter, sie soll des Lammes leckerstes Lendenstück
leise geröstet zurichten und es bringen – für ihn
– für – – (er
zaudert) für einen hungernden, alten,
müden . . .
Calan: Lumpen, Ham, für einen
alten Lügner und Lumpen, der längst im Grabe faulen
müßte. Sag das, Ham.
Ham: Ich weiß schon, was ich
sagen will. Wenn er essen soll, so tut es auch ein geringer Bissen
(geht ab).
Noah (eilt ihm
nach): Die Lende, die Lende, Ham, laß es doch die Lende
werden, ich bitte dich, sorge, daß es die 53 Lende wird.
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