Wo ist Mutter, wo sind
die Brüder, oder gibts auch darauf keine Antwort?
Noah: Sieh selbst zu, Ham, und sag
deiner Mutter, sie soll des Lammes leckerstes Lendenstück
leise geröstet zurichten und es bringen – für ihn
– für – – (er
zaudert) für einen hungernden, alten,
müden . . .
Calan: Lumpen, Ham, für einen
alten Lügner und Lumpen, der längst im Grabe faulen
müßte. Sag das, Ham.
Ham: Ich weiß schon, was ich
sagen will. Wenn er essen soll, so tut es auch ein geringer Bissen
(geht ab).
Noah (eilt ihm
nach): Die Lende, die Lende, Ham, laß es doch die Lende
werden, ich bitte dich, sorge, daß es die 53 Lende wird. Gewähr es mir,
Ham, ich ginge selbst, aber ich zittere schon, ihn auf einen
Augenblick zu verlassen.
Ham: Schon gut, Vater. (ab)
Noah (zurück): Sie wissen nichts von der Gnade
deines Anblicks, alter Vater, sei ihnen nicht gram – die Zeit
– ach die Zeit ist auf flinken Füßen vorwärts
gegangen und ich, ich fliehe so gern zu verlorenen alten Tagen
zurück.
Bettler: Ich kam um dich, Noah
– komm, Kind, komm – du warst mir bis in die letzte
Stunde gehorsam, ich bitte dich, wie du Ham batest, gewähre
mir Gehorsam.
Noah: Sprich, Vater, versage dir
keinen Wunsch, frage, befiehl.
Bettler: Verlaß den Frieden
dieses Thals, Noah, – –
Noah: Das Land verlassen, aus dem
Besitz weichen?
Bettler: Geh ins Gebirge und
baue.
Noah: Ins Gebirge, mit allen
Herden?
Bettler: Ohne Herden, Noah, nur mit
deinen Söhnen, deiner Frau und deiner Söhne Weibern. Bau
im Gebirge.
Noah: Wozu ins Gebirge weichen und
alles Meinige verlassen?
Bettler: Die Flut wird kommen,
Noah, – höre: baue ein Haus, ein festes Haus aus den
Balken der Bäume. Sieh, so soll es sein: 300 Ellen lang,
50 Ellen weit und 30 Ellen hoch, ein Haus zum Wohnen,
wenn die Flut steigt, und laß das Haus lose ruhen auf dem
Festen, daß es die Flut trägt und du auf der Flut wohnst,
wenn die Welt vor deinen Augen verschwindet. So soll es sein.
54
Calan: Bau, Noah, bau; bau fest und
lang und hoch und weit, ein schwimmendes Haus, und sieh vom Dach
zu, wie deine Herden ertrinken.
Noah: Eine Flut, Vater, warum wird
eine Flut kommen?
Bettler: Es reut Gott, daß er
die Menschen gemacht hat. Du allein bist wert zu bleiben – du
und deine Söhne und deiner Söhne Weiber und Kinder.
Noah: Aber du, wessen bist du wert,
Vater?
Bettler: Ich finde mich zurück
in meine Zeit, die vergangenen Tage finde ich wieder.
Calan: Aber Kamele zum reiten und
Vieh zum vertreiben seines Kummers wirst du ihm mitgeben
müssen, Noah, ohne das geht er nicht auf seinen Gang.
Bettler: Und dann – Noah,
zieh deine Herden zu Rate und nimm deine besten Zuchttiere mit in
das schwimmende Haus, von allen Arten, und Nahrung für sie und
die deinen. Aber alle gebreitete Habe und den gehäuften
Zuwachs gibst du deinem Nachbarn Calan, dafür, daß er dir
einst im Unglück half. (zu Calan)
Denn dein Gott, Calan, wenn er stärker ist als Noahs Gott,
wird dich und deine Dinge vor der Flut erretten. (zu Noah) Gib es ihm, gib ihm alles noch heute, sage
das Wort sogleich, daß er damit zum Wirt über Alles
werde.
(Ahire mit Geschirr in beiden
Händen.)
Ich esse nicht, bis du gelobt zu tun, wie ich
gesagt.
Calan: Sage ein Wort, Noah, ein
Wort zu Chus, und er haut dir diesen geriebenen Ratgeber in
Stücke. (zum Bettler) Du denkst,
ich werde dich belohnen? Dessen sei sicher, 55 läßt du dich
draußen finden, so stirbst du – Chus, sieh ihn dir genau
an, er stirbt durchs Schwert, wo du ihn wiedersiehst.
Noah (ist Ahire
entgegen gegangen, hat die Schüsseln gefaßt und leise mit
ihr gesprochen. Sie schaut den Bettler an und schüttelt den
Kopf).
Ahire: Er sieht ihm ähnlich,
Noah, hat sein Auge und seinen Bart, auch fast seine Stimme,
laß ihn essen und ruhen und dann gib ihm Zehrung auf den Weg.
Du hast sonderbare Gesichte, armer Mann, sei wohl barmherzig, aber
nicht unklug, nein, nein, Noah, die Toten sind tot. (ab, Noah bietet die
Schüsseln dar, der Bettler lehnt lächelnd ab.)
Noah (ruft
Ahire nach): Schicke Awah mit einem kühlen Trank
(kniet vor dem Bettler und nähert die
Schüsseln, er lehnt wieder ab).
Bettler: Dein Wort, Noah, mein
lieber Sohn.
Noah: Ach, Vater, (gepreßt) alle Herden wegschenken, als armer
Mann ins Gebirge gehen – ach, Vater, wie kann man das
versprechen.
Calan: Versprich immerhin, Noah, du
weißt doch, wie wohl ichs mit dir meine –
sieh!(er gibt Chus den Sack, zu Chus)
Trag ihn fort und laß ihn entwischen (Chus
mit dem Sack ab). Mag der die Flut zum Fließen bringen,
wenn er kann! Geh ins Gebirge und bau – wenn dann, wie ich
weiß, mein Gott behäbig seine Flut zerbläst, dann
kehr zurück und nimm deine Herden, Hufe für Hufe, Horn
für Horn, aus meinen Händen zurück wie schon einmal.
Aber dann opfern wir zusammen dem Gott, dessen Kind ich bin.
56
Bettler (zu
Noah): Die Kraft des Segens, den ich dir sterbend gab, sei
hundertfach vergrößert, wenn du meinem Wort gehorsam bist
– gewähre mir Gehorsam, Noah, hast du vergessen, wer ich
bin?
Calan: Andererseits hast du wieder
recht, Noah, warum willst du leben, wenn alle Andern sterben
– denn sie sterben unschuldig, da es Gottes Schuld ist,
daß sie schuldig wurden. Das ist auch zu bedenken. Stirb mit
uns, wenn die Flut nicht anders soll und kann als kommen. Was
kannst du für deine Frömmigkeit, daran bist du auch
unschuldig.
Bettler: Hundertfache Frucht wird
dein Gehorsam tragen, Noah.
Awah kommt mit einem Krug, steht nicht weit von
Calan entfernt still, läßt
den Krug fallen und schlägt die Hände vors
Gesicht.
Noah (hebt den
Krug auf): Laß gut sein, Awah, nur ein paar Tropfen
sind vergossen.
Awah (blickt um
sich).
Noah: Was siehst du, Kind?
Awah: Die Welt ist winziger als
Nichts und Gott ist Alles – ich sehe nichts als Gott.
Bettler: Glaub ihr, Noah, sie hat
Gott gesehen.
Awah (hält
die Ohren zu): Gott ist die große Stille, ich höre
Gott.
Bettler: Glaub ihr, Noah, sie hat
Gott gehört.
Calan (berührt Awah): Ich bins, Awah, sieh mich an.
57
Awah: Stört mich nicht.
(schaut um sich) Alles Gott, alles
Gott!
Calan: Siehst du mich, hörst
mich nicht, Awah, ich bins, Calan.
Awah: Ja Herr, ich höre, deine
Flut wird alles Fleisch verderben. Ja, Herr, ich sehe, wir werden
leben, der Rabe fliegt, die Taube fliegt, der Berg der Rettung ragt
über der Flut, Ararat!
Bettler: Höre sie, Noah, Gott
spricht mit ihr.
Calan: Awah, sprich mit mir, ich
bins, Calan.
Awah (bückt sich nach dem Krug, sieht erstaunt um sich,
nimmt ihn lachend aus Noahs Hand): Du hast ihn aufgefangen,
als er mir entfiel, Vater? Denke doch, was Japhet mir sagte, als
ich gescholten im Zelt saß und weinte; er sagte, die
Läuse der Lämmer und Schafe laufen nicht auf Menschen.
Dann hat er mir die Thränen abgeküßt und erlaubt,
daß ich ein wenig Wasser zum Waschen nahm (zu Calan). Ich hatte ein Gesicht von vielen Wolken
am Himmel und Wasser wallte um Alles und über Alles, es war
kühl wie zu Hause auf den Bergen. Ach, Calan, warum hast du
mich in diese Dürre gebracht!
Noah: Warte ein Weilchen, Awah, wir
gehen aus der Dürre ins kühle Gebirge. Heute noch oder
morgen ziehen wir eilig und schauen nicht zurück. (zu Calan) Nimm alle meine Herden, Calan, in deine
Hände, halte sie fest und nie will ich sie von dir
zurückfordern.
Awah: Ist Gott auch im Gebirge? Die
Boten haben mir versprochen, daß ich ihn sehen und hören
soll. 58
Noah (heiter): Gott ist groß und auch das Gebirge
ruht in Gott, Awah, Gott ist Alles, die Welt ist winziger als
Nichts, behalte, was ich dir sage.
Awah (schüttelt den Kopf): Wie kann er zu uns
kommen, wenn wir so winzig in ihm sind? (lacht) Wie freue ich mich auf die Berge!
Bettler (kläglich): Mich hungert, Noah, mich verlangt
nach Bissen – hundertfache Frucht wird dein Gehorsam
tragen.
Noah: Nimm und iß aus meinen
Händen, Vater. Sieh, es ist Lende und zartes Fett feuchtet
seine Fasern durch und durch.
Calan: Wenn Gott Alles ist, wo
bleiben dann die Bösen? (er verfolgt Awah
mit den Augen, geht um Noah und dem Bettler herum, schüttelt
den Kopf, zuckt die Achseln und geht langsam ab).
59
Dritter Teil
Wüste. Der Bettler. Eine Meute wilder Kinder mit tierischen
Gebärden und Wolfsgeheul schwärmt um ihn, sie schnappen
nach ihm, schlagen ihn; indem er geduldig still hält,
mißhandeln sie ihn. Die Engel
kommen und stellen sich zu seinen Seiten, worauf die Meute
auseinanderstiebt.
1. Engel: Wir kennen dich in jeder
Gestalt.
2.
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