Vertauschte Rollen - er der Sekretär, sie der Detektiv!

»Das erste Wort heißt ›gemordet‹, dann kommt ein unleserlicher Zwischenraum, danach ›dear‹ und wieder ein Zwischenraum, und zum Schluß steht das Wort ›see‹, Das ist alles.«

Was verbarg sich hinter der verstümmelten Botschaft?

Diana Ward blickte ihren Chef an.

»Braille - Blindenschrift«, murmelte er.

»Ja. Es ist eine Art Punktierschrift. Im Verhältnis der Punkte zueinander bilden sich die Buchstaben. Wenn Blinde schreiben, gebrauchen sie ein kleines Instrument, das wie ein Griffel aussieht. Dies hier ist in großer Eile geschrieben worden. Nicht nur das Wasser, auch das schlechte Schreiben hat einiges unleserlich gemacht.«

Er hielt den Papierstreifen gegen das Licht.

»Könnte Stuart das mit seinem Bleistift gemacht haben?«

»Nein. Haben Sie ihn gefunden?«

»Den Bleistift nicht, aber ich habe entdeckt, wozu er ihn gebraucht hat.«

Er öffnete das Paket, das er mitgebracht hatte, und zeigte ihr das Hemd mit dem seltsamen Testament.

»Warum hat er innen im Hemd geschrieben?« fragte sie fröstelnd.

»Hätte er auf die Außenseite geschrieben, wäre es entdeckt und wahrscheinlich beseitigt worden.«

»Dahinter verbirgt sich etwas Schreckliches, meinen Sie nicht auch? Er muß ja in der Gewalt von jemandem und in Todesangst gewesen sein, sonst hätte er nicht auf diese Weise geschrieben.

Daß er es tun und auch verbergen konnte, ich meine, daß er überhaupt noch Zeit dazu hatte ...«

Sie stockte und errötete, als sie Larrys Blick begegnete.

»Ich muß mich sehr in acht nehmen, daß ich meinen Posten nicht verliere!« meinte er lachend. »Nun, Miss Ward, wir wollen gemeinsam an diese Arbeit gehen. Für heute aber ist es höchste Zeit, daß Sie nach Hause gehen.« Er sah auf seine Uhr. »Ich will ein Taxi bestellen - wohnen Sie weit von hier?«

»Nein, nicht besonders. Charing Cross Road.«

»Ich werde Sie nach Hause bringen. Es ist ja beinahe ein Uhr.« Larry nahm ein Telegrammformular und füllte es eilig aus. »Wenn wir das hier sofort aufgeben, wird es noch gestern zur Teezeit beim Polizeichef in Calgary ankommen!«

»Gestern? Wieso gestern? Ach, natürlich, in Kanada sind sie ja um neun Stunden gegenüber der Greenwicher Zeit zurück.«

Sie gingen zusammen weg. Es stellte sich heraus, daß ihre Wohnung auf Larrys Weg nach Richmond Park lag.

Zu Hause wartete Sunny auf ihn, von Zeit zu Zeit am Pyjama zupfend, den er schon lange bereitgelegt hatte.

7

Als er am nächsten Morgen um halb acht nach Scotland Yard kam, war zu seiner Überraschung auch Diana Ward schon im Büro. Sie hatte die umfangreiche Post, die täglich bei jedem Abteilungschef im Polizeipräsidium einläuft, sortiert und auf seinen Schreibtisch gelegt.

»Auch ein Telegramm ist dabei«, sagte sie, »aber ch habe es nicht geöffnet. Sie müssen mir überhaupt sagen, was ich mit Telegrammen und Briefen machen soll.«

»Alle aufmachen! Ich bekomme keine Privatpost ins Büro, und sollte doch einmal ein parfürmiertes Briefchen eintreffen, dürfen Sie's auch lesen.« Er riß das Telegramm auf. »Calgary! Das ist ja riesig schnell. . . Ach! Erster Reinfall - Stuart hatte kein Kind. War unverheiratet.«

Er reichte das Telegramm Diana hinüber.

Sie sah nach, wann es aufgegeben worden war.

»Es muß sofort nach Eingang beantwortet worden sein. Niemand hat sich die Mühe gemacht, gründlicher nachzuforschen. Jemand im Büro hat festgestellt, daß Stuart Junggeselle war, und daraus geschlossen, daß er auch keine Tochter habe.«

»Möglich. Nehmen wir also an, daß er weder in Calgary noch sonstwo in Kanada verheiratet war. Heimliche Trauung gibt es vielleicht in einer großen Stadt, aber nicht in kleinen Orten. Stuart lebte auf einer Farm, er hätte dort eine Heirat nicht geheimhalten können. Dadurch wird die ohnehin unklare Situation noch verwickelter. Stuart wurde offensichtlich ermordet. Wenige Augenblicke vor seinem Tod schrieb er unbemerkt sein Testament auf die Innenseite seines Hemdes. Es ist leicht möglich, daß er dies in Gegenwart seiner Mörder getan hat, ohne daß diese es bemerkten.