Und wissen Sie, was dann passiert ist?«
»Keine Ahnung. Was denn?«
»Sie sollen es gleich hören. Gordon Stuart, zu der Zeit noch ein junger Mann, kam besuchsweise nach England. Ich konnte feststellen, daß er vom Juni bis August im ›Cecil‹ wohnte. Der Name seiner Braut war Margaret Wilson. Er heiratete sie im August, im März 1898 kam er nochmals ins ›Cecil‹, aber allein. Im Hotel erfuhr ich, daß er zwei Tage später nach Kanada abreiste. Man führt dort nämlich ein Buch, in dem die Adressen der Besucher eingetragen werden, damit ihnen die noch eintreffende Post nachgeschickt werden kann. So gab es nicht die geringste Schwierigkeit, sein Reiseziel festzustellen. Im übrigen habe ich den Vtkar der Kirche, in der er getraut wurde, aufgesucht - und dort habe ich die interessanteste Entdeckung gemacht. - Aber ich möchte nur wissen, wer der große Mann ist, dem an der linken Hand der kleine Finger fehlt!«
»Wieso?«
»Er ist einen Tag vor mir beim Vikar gewesen«, brummte Larry verstimmt. »Aber nun zur Geschichte, wie sie der Vikar erlebt und wie Stuart selbst sie ihm erzählt hat! Der Vikar erinnert sich noch deutlich an die Trauung und die näheren Umstände. Er fand, Stuart wäre ein nervöser und etwas eingebildeter Mensch gewesen, der in ständiger Furcht vor seinem Vater, einem reichen Landbesitzer in Kanada, lebte. Bei einer Tasse Tee im ›Cecil‹ vertraute Stuart dem Vikar an, daß er seine Frau zurückließe und nach Kanada führe, um seinem Vater die Neuigkeit der Heirat beizubringen. Er war in großer Sorge, was sein Vater dazu sagen würde, oder vielmehr, er bezweifelte nicht im geringsten, daß er außer sich geraten würde. Der langen Rede kurzer Sinn also war, daß er tags darauf London verlassen und bei der ersten passenden Gelegenheit seinem Vater reinen Wein einschenken wollte, um dann zurückzukommen und seine Frau zu holen. Ich persönlich zweifle nicht im geringsten daran, daß Stuart seinem Vater gar nichts gestanden hat, daß er das Geheimnis seiner Heirat vielmehr ängstlich hütete und schließlich in der Sorge, daß man trotzdem dahinterkomme, jede Verbindung mit seiner Frau abgebrochen hat.«
»Man soll Toten nichts Böses nachsagen«, meinte Diana enttäuscht, »aber anständig hat er nicht gehandelt.«
»Es war feige«, bekräftigte Larry. »Doch muß er seiner Frau eine beträchtliche Summe zur Verfügung gestellt haben, denn als der Vikar sie wieder traf, lebte sie in guten Verhältnissen. Drei Monate später, im Juni 1898, wurde sein Kind geboren -das Kind, das er nie sehen sollte, von dem er wahrscheinlich nicht einmal etwas hörte, bis ihn, vielleicht nach Jahren, Gewissensbisse nach England trieben, um Weib und Kind aufzufinden. Vermutlich hat er sich an ein Auskunftsbüro gewandt. Das Resultat war die Entdeckung auf dem Kirchhof in Beverley Manor - das Grab seiner Frau und seiner Tochter.«
»Wer aber ist Clarissa?« fragte Diana.
Larry zuckte die Schultern.
Das junge Mädchen schwieg eine Zeitlang, plötzlich legte sie den Federhalter, an dem sie gekaut hatte, weg und blickte triumphierend über den Tisch.
»Sie haben es gefunden?« fragte Larry neugierig. »Sie haben das Rätsel der Tochter Clarissa gelöst?«
»Ich glaube, das war kein allzu schwieriges Problem. Haben Sie den Geburtsschein?«
»Noch nicht. Wir wollen morgen versuchen, ihn aufzutreiben.«
»Clarissa ist die andere Zwillingstochter!«
»Zwillinge!« stammelte Larry.
Diana lachte ihn an.
»Das liegt doch auf der Hand. Die arme Mrs. Stuart hatte Zwillinge, einer von ihnen starb, und der andere ist Clarissa, von deren Existenz Stuart vielleicht erst einige Stunden vor seinem Tod erfuhr.«
Larry starrte sie ehrfürchtig an.
»Wenn Sie Chefkommissarin der städtischen Polizei sind, vergessen Sie doch bitte nicht, mich als Sekretär anzustellen!«
10
Flimmer-Fred hatte London nicht verlassen und auch gar nicht die Absicht gehabt, wieder wegzufahren.
Mr. Grogan lebte gern auf großem Fuß, besaß eine elegante Wohnung in der Jermyn Street, seine Unkosten waren nicht gering, seine Einkünfte allerdings auch nicht. Er hatte immer verschiedene Eisen im Feuer, und in der Regel verbrannte er sich die Finger nicht daran.
Am Abend des Tages, an dem Larry Holt und Diana Ward die ersten Rätsel im Fall Stuart zu lösen vermochten, saß FlimmerFred allein und mißmutig in seinem prächtigen Wohnzimmer. Menschen seines Schlags, mit stets unsicheren Zukunftsaussichten, leiden an chronischer Unzufriedenheit. Hundert Pfund monatlich, zahlbar jährlich, ist sicher ein hübsches Einkommen.
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