Da sieh mal unsern Herrn an, den achtet jeder, weil er dem Kaiser gedient hat, hörst du wohl, und Kollegienrat ist …«
Bei derartigen Überlegungen gelangte Selifan schließlich zu den entlegensten Abstraktionen. Hätte Tschitschikow danach hingehört, so würde er viele auf ihn persönlich bezügliche Einzelheiten erfahren haben; aber seine Gedanken waren dermaßen mit seiner eigenen Angelegenheit beschäftigt, daß erst ein starker Donnerschlag ihn wieder in die Wirklichkeit zurückrief und ihn veranlaßte, um sich zu blicken: der ganze Himmel war vollständig mit dunklen Wolken bedeckt und die staubige Poststraße mit Regentropfen besprengt. Endlich ertönte lauter und näher ein zweiter Donnerschlag, und der Regen strömte auf einmal wie aus Eimern herab. Zuerst schlug er in schräger Richtung gegen die eine Seite des Verdecks, dann gegen die andere; darauf änderte er die Art seines Fallens, kam völlig senkrecht herunter und trommelte gerade auf das Wagendach. Schließlich fingen ihm Spritzer ins Gesicht zu fliegen an. Dies veranlaßte ihn, die ledernen Vorhänge vorzuziehen, die mit zwei runden Fensterchen versehen waren, welche dazu bestimmt waren, einen Ausblick auf den Weg zu ermöglichen; auch befahl er dem Kutscher Selifan, schneller zu fahren. Selifan, der durch den Donner ebenfalls mitten in seiner Rede unterbrochen worden war, merkte, daß es wirklich nicht angebracht war zu zaudern, zog hinter dem Bocke einen schlechten grauen Tuchmantel hervor, fuhr mit den Armen hinein, nahm die Zügel wieder in die Hände und schrie sein Dreigespann an, das kaum die Beine bewegte, da es von der belehrenden Ansprache eine angenehme Ermattung verspürte. Aber Selifan konnte sich absolut nicht erinnern, ob er an zwei oder drei Seitenwegen vorbeigefahren sei. Indem er den zurückgelegten Weg überdachte und ihn sich einigermaßen ins Gedächtnis zurückrief, kam er zu der Vermutung, daß schon viele Abzweigungen dagewesen seien, die er sämtlich habe zur Seite liegen lassen. Da der Russe in entscheidenden Augenblicken, ohne sich auf weitere Reflexionen einzulassen, zu finden pflegt, was er tun muß, so bog Selifan beim ersten Kreuzwege rechts ab, schrie den Pferden zu: »He, ihr meine verehrten Freunde!« und jagte darauflos, ohne sich viel Gedanken darum zu machen, wohin der eingeschlagene Weg führen möge.
Indes drohte der Regen noch lange zu dauern. Der auf der Landstraße liegende Staub verwandelte sich bald in zähen Schmutz, und es wurde den Pferden mit jedem Augenblicke schwerer, die Britschke zu ziehen. Tschitschikow begann bereits sich stark zu beunruhigen, da er nach so langer Zeit Sobakewitschs Dorf immer noch nicht erblicken konnte. Nach seiner Berechnung hätten sie schon längst angekommen sein müssen. Er schaute nach rechts und links hinaus, aber es war stockdunkel.
»Selifan!« sagte er schließlich, indem er den Kopf aus der Britschke hinausstreckte.
»Was, Herr?« antwortete Selifan.
»Sieh doch einmal, ob kein Dorf zu sehen ist!«
»Nein, Herr, es ist nirgend eins zu sehen!« Hierauf stimmte Selifan, die Peitsche schwingend, ein Mittelding zwischen Poesie und Prosa an, das aber so lang war, daß es gar kein Ende nahm. Darin fand alles mögliche Platz: allerlei lobende und antreibende Zurufe, mit denen die Pferde in ganz Rußland von einem Ende bis zum andern traktiert werden, Attribute aller Art, ohne weitere Auswahl, vielmehr so wie ihm eines gerade auf die Zunge kam. Auf diese Weise verstieg er sich zuletzt sogar dazu, seine Pferde Sekretäre zu nennen.
Unterdessen merkte Tschitschikow, daß die Britschke hin und her schwankte und ihm heftige Stöße versetzte; dies brachte ihn zu der Erkenntnis, daß sie vom Wege abgekommen waren und über geeggtes Feld fuhren. Selifan schien dies selbst gemerkt zu haben, sagte aber kein Wort darüber.
»Hör mal, Schurke, auf was für einem Wege fährst du denn?« sagte Tschitschikow.
»Ja, was ist da zu tun, Herr, bei solchem Wetter? Ich sehe doch nicht einmal die Peitsche, so dunkel ist es!« Kaum hatte er das gesagt, als sich die Britschke so schräg legte, daß Tschitschikow genötigt war, sich mit beiden Händen festzuhalten. Erst jetzt bemerkte er, daß Selifan angetrunken war.
»Halt an, halt an, du wirfst um!« schrie er ihm zu.
»Nein, Herr, wie wäre das möglich, daß ich umwürfe!« entgegnete Selifan. »Umwerfen, das ist nicht schön; das weiß ich selbst; darum werde ich unter keinen Umständen umwerfen.« Darauf begann er sachte mit der Britschke umzuwenden; er wendete und wendete, aber das Resultat war, daß er sie ganz und gar auf die Seite legte. Tschitschikow fiel mit Händen und Füßen in den Schmutz. Selifan brachte jedoch die Pferde zum Stehen; übrigens wären sie auch wohl allein stehengeblieben, da sie sehr erschöpft waren. Ein so unvorhergesehenes Ereignis versetzte den Kutscher in das höchste Erstaunen. Er stieg vom Bocke herunter, stellte sich, beide Arme in die Seiten stemmend, vor die Britschke hin, während gleichzeitig sein Herr im Schmutze herumstrampelte, um sich hinauszuarbeiten, und sagte nach einigem Nachdenken: »Nun sieh mal einer an: sie ist umgekippt!«
»Du bist betrunken wie ein Schuster!« sagte Tschitschikow.
»Nein, Herr, wie sollte das möglich sein, daß ich betrunken wäre? Ich weiß, daß das keine schöne Sache ist, betrunken zu sein. Ich habe mit einem Freunde ein paar Worte geredet, weil man mit einem guten Menschen ein paar Worte reden darf (darin liegt nichts Schlimmes), und wir haben zusammen einen Bissen gegessen. Ein Imbiß, das ist keine Sünde; mit einem guten Menschen darf man einen Imbiß zu sich nehmen.«
»Aber was habe ich dir das letzte Mal gesagt, als du dich betrunken hattest? Wie? Hast du das vergessen?« sagte Tschitschikow.
»Nein, Euer Wohlgeboren, wie wäre es möglich, daß ich das vergäße? Ich kenne meine Berufspflichten recht wohl. Ich weiß, daß es nicht schön ist, betrunken zu sein. Ich habe mit einem guten Menschen ein paar Worte geredet, weil …«
»Wenn ich dich durchprügeln werde, dann wirst du lernen, wie man mit einem guten Menschen reden muß.«
»Ganz wie es Euer Gnaden gefällig sein wird«, antwortete Selifan, der mit allem einverstanden war. »Wenn Sie mich durchprügeln wollen, dann tun Sie es; ich habe nichts dagegen. Warum soll man einen nicht durchprügeln, wenn er das verdient? Das steht ganz im Belieben des Herrn. Einen Knecht muß man durchprügeln, sonst wird er übermütig; Ordnung muß sein.
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