Er schien mit ihr zufrieden zu sein, denn er fand, daß die Stadt anderen Gouvernementsstädten nichts nachgab: die gelbe Farbe der Steinhäuser fiel stark ins Auge, während das Dunkelgrau der Holzhäuser bescheiden wirkte. Die Häuser waren teils ein-, teils zwei-, teils anderthalbstöckig; im letzteren Falle hatten sie jenes ewige Halbgeschoß, das nach der Ansicht der Baumeister der Gouvernementsstädte so hübsch ist. An manchen Stellen sahen diese Häuser wie verloren aus in Straßen von gewaltiger Breite und zwischen endlosen Holzzäunen; an anderen Stellen drängten sie sich auf einen Haufen zusammen, und hier war mehr Leben und Bewegung der Bevölkerung zu spüren. Es fanden sich auch vom Regen fast verwaschene Schilder mit Brezeln und Stiefeln, hier und da auch mit einem gemalten blauen Paar Hosen und dem Namen irgendeines »Schneiders aus Warschau«; dann wieder war da ein Mützengeschäft mit der Aufschrift: »Wasili Fjodorow, Ausländer«; an einer anderen Stelle war ein Billard gemalt mit zwei Spielern in Fracks, wie sie bei uns auf dem Theater die Gäste zu tragen pflegen, die im letzten Akte auf die Bühne kommen. Die Spieler waren dargestellt, wie sie mit den Queues zielten, die Arme etwas nach hinten hinausdrehten und die Beine krumm bogen, als ob sie soeben ein Entrechat in der Luft gemacht hätten. Unter dem Ganzen stand geschrieben: »Hier ist ein Restaurant.« Hier und da standen Tische mit Nüssen, mit Seife und mit Pfefferkuchen, die wie Seife aussahen, einfach auf der Straße. Auch fand sich eine Garküche mit einem gemalten, dicken Fische und einer darinsteckenden Gabel. Am häufigsten begegnete ihm der schon schwärzlich gewordene zweiköpfige kaiserliche Adler, der jetzt bereits durch die lakonische Inschrift »Trinkstube« ersetzt ist. Das Pflaster war überall ziemlich schlecht. Er warf auch einen Blick in den Stadtgarten, der aus dünnen, nur schlecht fortkommenden Bäumchen bestand, unten mit Stützen in Gestalt von Dreiecken, die sehr hübsch mit grüner Ölfarbe angestrichen waren. Obgleich übrigens die Bäumchen nicht höher als Schilf waren, so wurde doch in den Zeitungen bei Schilderung einer Illumination von ihnen gesagt: »Unsere Stadt ist dank der Fürsorge des Stadthauptmannes mit einem Garten geschmückt, der aus schattigen, breitästigen Bäumen besteht, die an schwülen Tagen eine angenehme Kühle spenden«, und »es war sehr rührend zu sehen, wie die Herzen der Bürger vor überwältigender Dankbarkeit zitterten, und wie sie Ströme von Tränen vergossen zum Zeichen der Erkenntlichkeit gegen den Herrn Stadthauptmann.« Nachdem er sich bei einem Polizisten eingehend erkundigt hatte, wie er am nächsten gehen könne, wenn er nach dem Dom, nach dem Gericht und zum Gouverneur wolle, ging er hin, um sich den Fluß anzusehen, der mitten durch die Stadt floß; unterwegs riß er einen an einen Pfeiler angehefteten Theaterzettel ab, um ihn, wenn er nach Hause gekommen sein würde, in Ruhe durchzulesen, blickte einer auf dem Holztrottoir vorübergehenden Dame starr ins Gesicht, der ein Bursche in einer militärischen Livree mit einem Bündel in der Hand folgte, und nachdem er noch einmal seine Augen über alles hatte hinschweifen lassen, wie wenn er sich die Lage des Ortes gut einprägen wollte, begab er sich nach Hause und, auf der Treppe von dem Kellner ein wenig unterstützt, geradeswegs in sein Zimmer. Nachdem er Tee getrunken hatte, setzte er sich an den Tisch, ließ sich eine Kerze geben, zog den Theaterzettel aus der Tasche, hielt ihn nahe an das Licht und las ihn durch, wobei er das rechte Auge ein wenig zusammenkniff. Übrigens enthielt der Zettel nicht viel Bemerkenswertes: es wurde Kotzebues »Sonnenjungfrau« gegeben, in welchem Stücke den Rolla Herr Poplowin und die Kora Fräulein Sjablowa spielte; die übrigen Personen waren noch weniger bemerkenswert; indes las er auch sie alle durch, gelangte sogar bis zu dem Preise der Parterreplätze und ersah, daß der Zettel in der Druckerei der Gouvernementsverwaltung gedruckt war; dann drehte er ihn nach der anderen Seite herum und sah zu, ob sich vielleicht auch dort noch etwas befinde; aber da er nichts fand, so rieb er sich die Augen, rollte den Zettel sauber zusammen und legte ihn in sein Kästchen, wohin er alles zu legen pflegte, was ihm in die Hände kam. Er schloß den Tag mit einer Portion kalten Kalbsbratens, einer Flasche kislyja Schtschi[2]   und einem festen Schlafe, wobei er das ganze Pumpwerk in Bewegung setzte, wie man sich in manchen Gegenden des weiten russischen Reiches ausdrückt.

Der ganze folgende Tag war den Besuchen gewidmet. Der Ankömmling stattete allen Würdenträgern der Stadt Besuche ab. Er machte eine Respektsvisite bei dem Gouverneur, der, wie sich herausstellte, ebenso wie Tschitschikow, weder dick noch dünn war, den Annaorden am Halse trug und sogar, wie man sagte, bereits zu einem Ordensstern eingegeben war, übrigens ein sehr gutmütiger Mensch war und sogar selbst manchmal auf Tüll stickte. Dann begab er sich zum Vizegouverneur, dann zum Staatsanwalt, zum Gerichtspräsidenten, zum Polizeimeister, zum Branntweinpächter, zum Inspektor der fiskalischen Fabriken –, schade, daß es einigermaßen schwer ist, all die Gewaltigen dieser Welt aufzuzählen; aber es genügt zu sagen, daß der Ankömmling, was Besuche anlangt, eine ganz außerordentliche Rührigkeit bekundete; er begab sich sogar zu dem Inspektor des Medizinalwesens und zu dem städtischen Baumeister, um ihnen seinen Respekt zu bezeigen. Und dann saß er noch lange in seiner Britschke und überlegte, wem er wohl noch einen Besuch abstatten könnte; aber es waren weiter keine Beamten mehr in der Stadt vorhanden. In den Gesprächen mit diesen Herren verstand er es sehr kunstvoll, einem jeden zu schmeicheln. Bei dem Gouverneur ließ er so beiläufig die Bemerkung einfließen, wenn man in sein Gouvernement komme, fühle man sich wie im Paradiese; die Wege seien überall wie von Samt; eine Regierung, welche die hohen Verwaltungsposten mit weisen Männern besetze, verdiene dafür das höchste Lob. Dem Polizeimeister sagte er etwas sehr Schmeichelhaftes über die städtischen Polizisten; und in den Gesprächen mit dem Vizegouverneur und dem Gerichtspräsidenten, welche noch bloß Staatsräte waren, bediente er sich sogar versehentlich zweimal der Anrede »Exzellenz«, was ihnen sehr gefiel. Die Folge davon war, daß der Gouverneur ihn gleich für denselben Tag zu einer kleinen Abendgesellschaft in seinem Hause einlud; und ebenso machten es auch die übrigen Beamten: der eine lud ihn zum Mittagessen ein, ein anderer zu einer Partie Boston, der dritte zu einer Tasse Tee.

Von sich selbst viel zu reden, das schien der Reisende zu vermeiden; wenn er aber von sich sprach, so tat er es in allgemeinen Ausdrücken, mit bemerkenswerter Bescheidenheit und bediente sich in solchen Fällen etwas buchmäßiger Redewendungen: er sei ein unbedeutender Wurm auf dieser Welt und verdiene nicht, daß man sich viel um ihn kümmere; er habe viel in seinem Leben durchgemacht und in seiner dienstlichen Tätigkeit viel für Wahrheit und Recht zu leiden gehabt; er besitze viele Feinde, die ihm sogar nach dem Leben getrachtet hätten; jetzt suche er, in dem Wunsche endlich zur Ruhe zu kommen, sich einen Ort, wo er dauernd wohnen könne, und da er nun nach dieser Stadt gekommen sei, so habe er es für seine unabweisliche Pflicht gehalten, den ersten Würdenträgern derselben seinen Respekt zu bezeigen.

Das war alles, was man in der Stadt über diese neue Persönlichkeit erfuhr, die nicht ermangelte, sich unverzüglich auf der kleinen Abendgesellschaft beim Gouverneur zu zeigen. Tschitschikows Vorbereitung zu dieser kleinen Abendgesellschaft nahm mehr als zwei Stunden in Anspruch, und hierbei bewies er eine solche Sorgfalt für die Toilette, wie man sie keineswegs überall findet. Nach einem kleinen Mittagsschläfchen ließ er sich alles zum Waschen Nötige bringen und rieb sich sehr lange beide Backen mit Seife, indem er sie von innen mit der Zunge stützte; darauf nahm er dem Kellner das Handtuch von der Schulter und trocknete damit sein volles Gesicht von allen Seiten ab, wobei er mit den Ohren anfing und vorher dem Kellner ein paarmal gerade ins Gesicht prustete; dann legte er vor dem Spiegel das Chemisett an, zupfte sich zwei Härchen aus, die aus der Nase hervorstanden, und stand unmittelbar darauf in einem preiselbeerfarbenen, mit glänzenden Tüpfelchen versehenen Fracke da. Nachdem er sich so angekleidet hatte, fuhr er in seinem eigenen Wagen zum Gouverneur, durch außerordentlich breite Straßen, die nur von einigen erleuchteten Fenstern aus schwach erhellt waren. Das Haus des Gouverneurs aber war so erleuchtet, als ob dort ein Ball stattfände; Equipagen mit Laternen kamen herangerollt, vor dem Portal standen zwei Gendarmen, von weitem schrien die Vorreiter, kurz, alles war, wie es sich gehört. Als Tschitschikow in den Saal trat, mußte er für einen Augenblick die Augen zusammenkneifen, weil der Glanz der Lichter, der Lampen und der Damentoiletten gar zu groß war. Alles war mit Licht übergossen. Schwarze Fracks huschten einzeln und in Gruppen hier und dort umher, wie Fliegen an einem heißen Julitage über den weißen glänzenden Zucker kriechen, wenn die alte Wirtschafterin ihn am offenen Fenster in kleine, glitzernde Stücke zerschlägt: alle Kinder haben sich um sie versammelt, sehen zu und verfolgen neugierig die Bewegungen ihrer schwieligen Hände, die den Hammer schwingen; die luftigen Schwadronen der Fliegen aber fliegen, von der leichten Luft getragen, kühn herein, wie wenn sie da die Herren wären; sie benutzen die Schwachsichtigkeit der alten Frau und die Sonne, die ihr die Augen blendet, und setzen sich auf die appetitlichen Stücke, teils einzeln, teils in dichten Schwärmen. Gesättigt von dem reichen Sommer, der ihnen auch ohnedies auf Schritt und Tritt leckere Gerichte darbietet, sind sie überhaupt nicht in der Absicht zu essen hereingeflogen, sondern nur um sich zu zeigen, auf dem Zuckerhaufen hin und her zu spazieren, die Hinter- oder Vorderbeinchen aneinander zu reiben oder sich mit ihnen unter den Flügeln zu kratzen oder mit den beiden ausgestreckten Vorderfüßchen sich auf dem Kopfe zu reiben, sich umzudrehen und wieder wegzufliegen und mit neuen zudringlichen Schwadronen wieder herbeizufliegen.

Tschitschikow hatte noch nicht Zeit gehabt sich umzusehen, als ihn schon der Gouverneur unter den Arm faßte, um ihn sogleich seiner Gemahlin vorzustellen.