Einige Fragen, die der Neuangekommene stellte, zeugten nicht nur von seiner Wißbegierde, sondern auch von seiner Gründlichkeit; denn er erkundigte sich vor allen Dingen danach, wieviel Seelen ein jeder von ihnen besitze, und in welchem Zustande sich ihre Güter befänden, und dann erst fragte er nach ihren Vornamen und Vatersnamen. Darauf gelang es ihm in kurzer Zeit, die beiden Herren völlig zu bezaubern. Der Gutsbesitzer Manilow, ein noch keineswegs bejahrter Mann, der zuckersüße Augen hatte und sie jedesmal zusammenkniff, wenn er lachte, war von ihm ganz hin. Er drückte ihm sehr lange die Hand und bat ihn inständig, er möchte ihm die Ehre erweisen, zu ihm auf sein Gut zu kommen, das nach seiner Versicherung nur fünfzehn Werst von der Stadt entfernt lag, worauf Tschitschikow mit einer sehr höflichen Verneigung des Kopfes und einem herzlichen Händedrucke erwiderte, er sei nicht nur mit dem größten Vergnügen bereit, dies zu tun, sondern halte es auch für seine heiligste Pflicht. Sobakewitsch sagte ebenfalls etwas lakonisch: »Bitte, kommen Sie auch zu mir!« und scharrte dabei mit einem Fuße, der in einem Stiefel von so riesiger Größe steckte, daß man, von Herrn Sobakewitsch abgesehen, schwerlich irgendwo einen hineinpassenden Fuß hätte finden können, insonderheit in jetziger Zeit, wo auch in Rußland die Riesen auszusterben beginnen.
Am anderen Tage war Tschitschikow zum Mittag- und Abendessen beim Polizeimeister, wo sie sich um drei Uhr nach dem Mittagessen zum Whist hinsetzten und bis zwei Uhr nachts spielten. Dort lernte er unter anderen den Gutsbesitzer Nosdrew kennen, einen flotten jungen Mann von etwa dreißig Jahren, der ihn gleich nach den ersten drei, vier Worten zu duzen anfing. Mit dem Polizeimeister und dem Staatsanwalt stand Nosdrew ebenfalls auf du und du und verkehrte mit ihnen freundschaftlich; aber als sie sich hinsetzten, um hoch zu spielen, musterten der Polizeimeister und der Staatsanwalt außerordentlich aufmerksam seine Stiche und prüften fast jede Karte, mit der er herauskam. Am anderen Tage verbrachte Tschitschikow den Abend beim Gerichtspräsidenten, der seine Gäste, unter denen sich auch zwei Damen befanden, in einem etwas fettigen Schlafrock empfing. Dann war er auf einer Abendgesellschaft beim Vizegouverneur, auf einem großen Diner beim Branntweinpächter, auf einem kleinen Mittagessen beim Staatsanwalt, das übrigens viel gekostet haben mußte; dann auf einem Imbiß nach der Messe, den der Bürgermeister gab, und der ebenfalls soviel wert war wie ein Diner. Kurz, er konnte auch nicht eine Stunde zu Hause bleiben und kam in den Gasthof nur, um dort zu schlafen. Der Reisende verstand es, sich in all diese Verhältnisse hineinzufinden, und zeigte sich als einen erfahrenen Weltmann. Um was sich auch das Gespräch drehen mochte, er wußte sich immer daran zu beteiligen: war von einem Gestüte die Rede, so sprach er auch über Gestüte; redete man über gute Hunde, so machte er auch hierüber sehr sachverständige Bemerkungen; disputierte man über eine vom Gerichtshofe vorgenommene Untersuchung, so zeigte er, daß ihm auch das Gerichtsverfahren nicht unbekannt sei; fand eine Erörterung über das Billardspiel statt, so gab er sich auch in betreff der Kenntnis des Billardspieles keine Blöße; redete man über die Tugend, so sprach er auch über die Tugend sehr gut, sogar mit Tränen in den Augen; oder über die Fabrikation des Branntweins, so wußte er auch über die Fabrikation des Branntweins Bescheid; oder über Steuerinspektoren und Steuerbeamte, so urteilte er auch über diese so, als ob er selbst Steuerbeamter und Steuerinspektor gewesen wäre. Bemerkenswert aber war, daß er dies alles mit einer gewissen Gesetztheit auszustatten verstand, daß er es verstand, sich gut zu benehmen. Er redete weder zu laut noch zu leise, sondern gerade so, wie es sich gehörte. Kurz, von welcher Seite man ihn auch ansehen mochte, er war ein ordentlicher Mensch. Alle Beamten waren über die Ankunft dieser neuen Persönlichkeit erfreut. Der Gouverneur sagte über ihn, er sei ein wohlgesinnter Mensch, der Staatsanwalt, er sei ein vernünftiger Mensch; der Gendarmerieoberst äußerte sich dahin, er sei ein gelehrter Mensch, der Gerichtspräsident, er sei ein kenntnisreicher und achtungswerter Mensch, der Polizeimeister, er sei ein achtungswerter und liebenswürdiger Mensch, die Frau des Polizeimeisters, er sei der liebenswürdigste und umgänglichste Mensch. Selbst Sobakewitsch, der nur selten von jemandem etwas Gutes sprach, sagte, als er ziemlich spät aus der Stadt nach Hause gekommen war, sich schon vollständig ausgezogen hatte und sich zu seiner mageren Frau ins Bett legte: »Ich bin beim Gouverneur zum Abendessen gewesen, mein Herzchen, und beim Polizeimeister zum Diner und habe da einen Kollegienrat Pawel Iwanowitsch Tschitschikow kennengelernt, einen sehr angenehmen Menschen!« Worauf seine Frau »Hm!« antwortete und ihn mit dem Fuße stieß.
Eine derartige, sehr schmeichelhafte Meinung hatte sich über den Fremden in der Stadt gebildet, und sie hatte Bestand, bis eine ganz eigentümliche, seltsame Handlung desselben, von der der Leser alsbald erfahren soll, fast die ganze Stadt in die größte Verwunderung versetzte.
Zweites Kapitel
Schon über eine Woche wohnte der fremde Herr in der Stadt, fuhr zu Abendgesellschaften und Diners und verbrachte auf diese Weise die Zeit, wie man zu sagen pflegt, sehr fidel. Endlich entschloß er sich, seine Visiten über das Weichbild der Stadt hinaus auszudehnen und die Gutsbesitzer Manilow und Sobakewitsch zu besuchen, denen er das versprochen hatte. Vielleicht veranlaßte ihn dazu noch ein anderer, mehr materieller Grund, eine ernstere, ihm mehr am Herzen liegende Angelegenheit. Aber von alledem wird der Leser allmählich und rechtzeitig Kenntnis erhalten, wenn er nur die Geduld hat, die vorliegende Erzählung durchzulesen, die allerdings sehr lang ist und sich immer mehr in die Breite ausdehnen wird, je mehr sie sich dem Ende nähert, das dann das Ganze krönt.
Dem Kutscher Selifan war der Auftrag gegeben worden, frühmorgens die Pferde an die bekannte Britschke zu spannen; Petruschka hatte Befehl erhalten, zu Hause zu bleiben und das Zimmer und den Koffer zu behüten. Für den Leser wird es nicht überflüssig sein, diese beiden Leibeigenen unseres Helden näher kennenzulernen. Allerdings sind sie nicht besonders merkwürdige Personen, sondern solche, die man als zweiten oder gar dritten Ranges bezeichnet, und sie bilden in unserer Erzählung nicht die Haupttriebräder, sondern werden von diesen nur hier und da berührt und leicht gestreift; aber der Verfasser liebt es außerordentlich, in allem gründlich zu sein, und will von diesem Gesichtspunkte aus, obwohl er selbst Russe ist, mit solcher Akkuratesse verfahren wie ein Deutscher. Das wird übrigens nicht viel Zeit und Raum in Anspruch nehmen, weil nicht viel zu dem hinzuzufügen ist, was der Leser schon weiß, daß nämlich Petruschka einen etwas weiten, braunen, von seinem Herrn abgelegten Oberrock trug und, wie Leute seines Standes gewöhnlich, eine dicke Nase und dicke Lippen hatte. Von Charakter war er eher schweigsam als gesprächig; er hatte sogar einen edlen Bildungsdrang, d.h. einen Drang, Bücher zu lesen; hinsichtlich des Inhaltes derselben war er nicht wählerisch: es war ihm völlig gleichgültig, ob er ein Abenteuer eines verliebten Helden oder einfach eine Fibel oder ein Gebetbuch vor sich hatte, – er las alles mit gleicher Aufmerksamkeit; hätte man ihm ein Lehrbuch der Chemie in die Hand gegeben, so würde er auch das nicht zurückgewiesen haben. Ihm gefiel nicht sowohl das, worüber er etwas las, sondern am meisten das Lesen selbst oder, besser gesagt, der Prozeß des Lesens selbst, daß da aus den Buchstaben immer ein Wort herauskam, ein Wort, das manchmal sogar etwas bedeutete. Diese Lektüre betrieb er meist in liegender Haltung, im Vorzimmer, auf seinem Bette und der Matratze, die infolgedessen platt und dünn wie ein Fladen geworden war. Außer der Leidenschaft für die Lektüre hatte er noch zwei Gewohnheiten, aus denen sich zwei andere charakteristische Züge seiner Persönlichkeit ergaben: erstens, in den Kleidern zu schlafen, so wie er war, in demselben Rock, und zweitens, immer eine ihm eigene Luft, einen ihm eigenen Geruch mit sich zu führen, der einigermaßen an den Geruch eines stark bewohnten Zimmers erinnerte. Er brauchte nur irgendwo sein Bett aufzuschlagen, mochte auch das Zimmer bis dahin unbewohnt gewesen sein, er brauchte nur seinen Mantel und seine Habseligkeiten dorthin zu bringen, und sofort schien es, als hätten in dem betreffenden Zimmer schon zehn Jahre lang wer weiß wie viele Leute gewohnt.
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