Ein sehr, sehr würdiger Mann!«
»Nun, und was für eine Meinung haben Sie über die Frau des Polizeimeisters?« fügte Manilow hinzu. »Nicht wahr, eine sehr liebenswürdige Dame?«
»Oh, sie ist eine der würdigsten Damen, die ich überhaupt kenne«, antwortete Tschitschikow.
Hierauf ließen sie den Gerichtspräsidenten und den Postmeister Revue passieren und nahmen auf diese Weise fast alle Beamten der Stadt durch, die sich sämtlich als höchst würdige Personen herausstellten.
»Sie verbringen Ihre Zeit immer auf dem Lande?« fragte Tschitschikow endlich auch seinerseits.
»Meistens leben wir auf dem Lande«, erwiderte Manilow. »Manchmal jedoch fahren wir nach der Stadt, nur um mit gebildeten Menschen zusammenzukommen. Wissen Sie, man verwildert ganz, wenn man fortwährend so zurückgezogen lebt.«
»Sehr richtig, sehr richtig«, versetzte Tschitschikow. »Etwas anderes wäre es allerdings«, fuhr Manilow fort, »wenn wir eine gute Nachbarschaft hätten, wenn zum Beispiel ein Mann da wäre, mit dem man etwa über guten Ton und liebenswürdiges Benehmen reden oder irgendein wissenschaftliches Gespräch führen könnte, um so den Geist anzuregen; das würde, um mich so auszudrücken, dieses Brachfeld …« Hier wollte er eigentlich noch weitersprechen; aber er merkte, daß er etwas aus dem Geleise kam, schwenkte nur ein paarmal die Hand in der Luft umher und fuhr dann fort: »Dann natürlich würden das Landleben und die Zurückgezogenheit sehr viele Annehmlichkeiten haben. Aber wir haben hier absolut niemanden … Wir lesen nur manchmal den ›Sohn des Vaterlandes‹.«
Tschitschikow erklärte sein völliges Einverständnis damit und fügte hinzu, daß nichts angenehmer sein könne, als zurückgezogen zu leben, den Anblick der Natur zu genießen und manchmal ein Buch zu lesen …
»Aber wissen Sie«, bemerkte Manilow, »wenn man keinen Freund hat, mit dem man sich aussprechen kann …«
»Oh, das ist richtig, das ist vollkommen richtig!« unterbrach ihn Tschitschikow. »Was helfen einem dann alle Schätze der Welt? ›Habe nicht Geld, sondern habe gute Menschen, mit denen du verkehrst‹, hat ein weiser Mann gesagt.«
»Und wissen Sie, Pawel Iwanowitsch«, sagte Manilow, und auf seinem Gesichte zeigte sich ein geradezu widerlich süßer Ausdruck, ähnlich einer Mixtur, die ein gewandter, in der vornehmen Welt praktizierender Arzt unmäßig versüßt, um damit den Patienten zu erfreuen, »dann empfindet man sozusagen eine Art von seelischem Genuß … So zum Beispiel jetzt, wo der Zufall mir das, ich kann sagen, seltene, ideale Glück verschafft hat, mit Ihnen reden und Ihr angenehmes Gespräch genießen zu können …«
»Aber ich bitte Sie, was ist das für ein angenehmes Gespräch? … Ich bin ein unbedeutender Mensch und weiter nichts«, antwortete Tschitschikow.
»Oh, Pawel Iwanowitsch! Gestatten Sie mir offenherzig zu sein: ich würde mit Freuden die Hälfte meines Vermögens hingeben, wenn ich dafür einen Teil der guten Eigenschaften erlangen könnte, die Sie besitzen! …«
»Im Gegenteil, ich würde es meinerseits für das größte …«
Es läßt sich nicht sagen, wie weit dieser beiderseitige Ausbruch der Gefühle der beiden Freunde noch gegangen wäre, wenn nicht ein Diener hereingekommen wäre mit der Meldung, daß das Essen fertig sei.
»Ich bitte gehorsamst«, sagte Manilow. »Sie werden entschuldigen, wenn es bei uns kein solches Mittagessen gibt wie in vornehmen Häusern und in den Residenzen; bei uns gibt es einfach nach russischem Brauche Kohlsuppe, aber aus gutem Herzen. Ich bitte gehorsamst.«
Nun stritten sie wieder noch eine Weile darum, wer zuerst hineingehen sollte, und endlich schob sich Tschitschikow seitwärts in das Eßzimmer hinein.
In dem Eßzimmer standen schon zwei Knaben, Manilows Söhne, die sich in den Jahren befanden, wo man die Kinder schon mit am Tische sitzen läßt, aber noch auf hohen Stühlen. Neben ihnen stand ihr Lehrer, der sich höflich und lächelnd verbeugte. Die Hausfrau setzte sich hinter ihre Suppenterrine; der Gast erhielt seinen Platz zwischen dem Hausherrn und der Hausfrau; der Diener band den Kindern die Servietten um den Hals.
»Was für liebe Kinder!« sagte Tschitschikow, indem er sie anblickte. »Wie alt sind sie denn?«
»Der ältere ist sieben und der jüngere ist gestern gerade sechs geworden!« sagte Frau Manilowa.
»Themistoklus!« sagte Manilow, sich zu dem älteren wendend, der sich bemühte, sein Kinn frei zu machen, das der Diener mit in die Serviette hineingebunden hatte. Tschitschikow zog die Augenbrauen ein wenig in die Höhe, als er diesen in der Hauptsache griechischen Namen hörte, welchem Manilow aus einem unerfindlichen Grunde die Endung us gegeben hatte; aber er bemühte sich sofort, seinem Gesichte wieder den gewöhnlichen Ausdruck zu verleihen.
»Themistoklus, sage mir: welches ist die beste Stadt in Frankreich?«
Hier richtete der Lehrer seine ganze Aufmerksamkeit auf Themistoklus, und es machte den Eindruck, als ob er ihm in die Augen springen wolle; aber schließlich beruhigte er sich vollständig und nickte mit dem Kopfe, als Themistoklus sagte: »Paris.«
»Und welches ist bei uns die beste Stadt?« fragte Manilow wieder.
Der Lehrer blickte den Knaben wieder mit gespannter Aufmerksamkeit an.
»Petersburg«, antwortete Themistoklus.
»Und welche noch?«
»Moskau«, antwortete Themistoklus.
»Ein kluger Knabe, ein prächtiges Kind!« sagte darauf Tschitschikow. »Nun sagen Sie nur«, fuhr er fort, indem er sich mit dem Ausdrucke staunender Verwunderung zu Manilow wendete, »in so jungen Jahren schon solche Kenntnisse! Ich muß Ihnen sagen, daß in diesem Kinde große Fähigkeiten stecken!«
»Oh, Sie kennen ihn noch nicht!« antwortete Manilow. »Er besitzt einen außerordentlichen Scharfsinn. Der jüngere da, Alkid, der ist nicht so rasch; aber dieser hier, wenn dem etwas vorkommt, ein Käfer, ein Schmetterling, ist er gleich mit den Augen dahinter her, läuft ihm nach und richtet seine Aufmerksamkeit darauf. Ich habe ihn für das diplomatische Fach bestimmt. Themistoklus!« fuhr er fort, sich von neuem zu ihm wendend, »willst du Gesandter werden?«
»Ja«, antwortete Themistoklus, an einem Bissen Brot kauend und mit dem Kopfe nach rechts und links umherschlagend.
In diesem Augenblicke wischte der dahinterstehende Diener dem Gesandten die Nase, und daran tat er sehr gut, sonst wäre ein ganz gehöriger fremder Tropfen in die Suppe gefallen. Das Gespräch bei Tische handelte zunächst von der Annehmlichkeit eines ruhigen Lebens, wobei die Hausfrau Bemerkungen über das städtische Theater und die Schauspieler einstreute. Der Lehrer blickte die Redenden sehr aufmerksam an, und sobald er bemerkte, daß sie sich anschickten zu lächeln, machte er in demselben Augenblicke den Mund auf und lachte herzlich. Wahrscheinlich war er ein dankbarer Mensch und wollte sich dadurch dem Hausherrn für die gute Behandlung, die ihm zuteil wurde, erkenntlich zeigen. Einmal jedoch nahm sein Gesicht einen finsteren Ausdruck an; er klopfte streng auf den Tisch und richtete die Augen scharf auf die ihm gegenübersitzenden Kinder. Dies war auch ganz am Platze, denn Themistoklus hatte Alkid ins Ohr gebissen; Alkid kniff die Augen zusammen, öffnete den Mund und wollte eben schon in kläglichster Art losheulen; aber da er sich noch rechtzeitig überlegte, daß er dadurch leicht eines Gerichtes verlustig gehen könne, so brachte er seinen Mund wieder in die frühere Haltung und begann mit Tränen in den Augen an einem Hammelknochen zu nagen, infolge wovon ihm beide Backen von Fett glänzten.
Die Hausfrau wandte sich sehr oft an Tschitschikow mit den Worten: »Sie essen ja nichts, Sie haben so sehr wenig genommen.« Worauf Tschitschikow jedesmal antwortete: »Ich danke gehorsamst, ich bin satt. Eine angenehme Unterhaltung ist besser als jede Speise.«
Nunmehr standen sie vom Tische auf. Manilow war außerordentlich zufrieden; er legte seinem Gaste die Hand auf den Rücken und wollte ihn auf diese Weise in den Salon befördern, als auf einmal der Gast mit sehr bedeutsamer Miene erklärte, er beabsichtige mit ihm über eine sehr wichtige Angelegenheit zu reden.
»Dann erlauben Sie mir, Sie in mein Arbeitszimmer zu bitten«, sagte Manilow und führte ihn in ein kleines Zimmer, dessen Fenster nach einem bläulich schimmernden Walde hinausgingen. »Das ist hier mein privates Eckchen«, bemerkte er.
»Ein hübsches Zimmerchen!« sagte Tschitschikow, indem er seine Augen darin umherschweifen ließ. Das Zimmer war wirklich nicht übel: die Wände waren bläulich, mit einer Art von Fliederfarbe, gestrichen. Im Zimmer befanden sich vier Stühle, ein Lehnsessel, ein Tisch, auf dem ein Buch mit einem darinliegenden Lesezeichen lag, das wir bereits zu erwähnen Anlaß hatten; ferner lagen auf dem Tische einige vollgeschriebene Blätter Papier. Besonders aber war viel Tabak da, und zwar in mannigfacher Form: in Päckchen und in einem Tabakskasten und schließlich einfach als ein auf den Tisch geschütteter Haufen. Auf beiden Fensterbrettern lagen ebenfalls Häufchen von Asche, die aus der Pfeife ausgeklopft war; diese Häufchen waren nicht ohne Sorgfalt in sehr hübsche Reihen geordnet.
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