Ernestine schreibt in ihrem Briefe fort:
»Morgen gehen gottlob meine Karwochen zu Ende, und es ist ein Glück für den Rittmeister, der alle Tage empfindlicher wird, daß nur der Doktor da ist, der über jede gezogne Figur einen Einfall weiß. Sein Witz, sagt er, beweise, daß er selber jämmerlich spiele, weil gute Spieler über und unter ihrem Spielen niemals ein Bonmot hätten.
Den 20. Jun. um 3 Uhr. Heute abends um 12 Uhr werd' ich endlich vom Schach-Fußblocke losgeschlossen. Er will an der Definitiv-Partie – nennt sie Fenk – den ganzen Tag spielen; er lässet aber, weil er aus seinen Tags-Kampagnen den Ablauf der nächtlichen errät, nachts den Kutscher mit dem Wagen halten, um sogleich wie ein Leichnam traurig abzufahren. Er sollte mir nur nicht zumuten, so schlecht zu spielen wie er. Er ist aber in allem so hastig und hält vor allen Vorstellungen die Ohren zu.
Um 12 Uhr nachts. Ich bin außer mir. Wer hätt' es von meinem Vater geglaubt? Mein Spiel konnte kaum besser stehen – es war auf meines Vaters Sekundenuhr, die neben dem Schachbrett lag, schon viel über halb Zwölf – er hatte nur drei Offiziere und ich noch alle meine – ohn' ein Wunderwerk war er in 18 Minuten matt – eine fliegende Röte spannte einmal ums andre sein ganzes Gesicht – wir wurden zuletzt ordentlich beklemmt, und selbst der Doktor sagte kein lustiges Wort mehr – bloß mein weißes Miezchen marschierte schnurrend auf dem Spieltisch herum – kein Mensch denkt natürlicherweise auf die Katze, und er bietet mir im Spiele das erste Schach – nun mocht' er (oder war ichs? denn ich schlage zuweilen auch solche Pralltriller auf dem Tische) mit den Fingern einen auf der Bande machen – wie der Blitz fährt die Bestie, die es für eine Maus halten muß, darauf hin und schmeißet uns das ganze Spiel um und da sitzen wir! Stellen Sie sich vor! Ich halb froh, daß ihm diese Mittelsperson die Beschämung des förmlichen Korbes abnimmt – er mit einem Gesicht voll Trostlosigkeit und Zorn – mein Vater mit einem voll Verlegenheit und Zorn – und der Doktor, der in der Stube mit den zehn Fingern herumschnalzet und schwört: ›der Rittmeister hätt' es gewonnen, so gewiß wie Amen!‹ Kein Mensch wich mit seiner Fußsohle von der Stelle, der Doktor blieb keine Minute auf der seinigen und warf sich endlich in einem Enthusiasmus, den unsre verlegne Stille immer mehr erhob, vor einer weißen Amorbüste, vor einem Miniaturporträt meines Vaters und vor seinem eignen Bilde im Spiegel auf die Knie hin und betete: ›Heiliger Herr von Knör! heiliger Amor! heiliger Fenk! bittet für den Rittmeister und schlagt die Katze tot! Ach würdet ihr drei Bilder lebendig: so würde Amor gewiß die Gestalt des Doktor Fenks annehmen, und der lebendig gewordene Amor würde die Hand des lebendig gewordenen Knörs ergreifen und ihr die der Spielerin geben – seine gäbe ihre dann vielleicht weiter. Ihr Heiligen! bittet doch für den Rittmeister, der gewonnen hätte!‹ – Das ist aber nicht wahr, und zum Unglück war nur der Termin zu einem neuen Spiele zu kurz.« ...
Da nun der Iltis-Doktor (ich selber erzähle als Autor wieder) aufstand und wirklich die Hand von Knör in Ernestinens ihre legte und sagte, er sei der Amor – da überhaupt durch die Versicherungen des Doktors und durch die Unentschiedenheit des Spiels die Ehre des empfindlichen, von Menschen und Katzen geneckten Spielers ebensoviel zu verlieren hatte als die Liebe desselben – da ich in einem ganzen Sektor zeige, daß Falkenberg vom ältesten Adel im ganzen Lande war – und da zum Glück im Obristforstmeister die Sitten seiner rohen Erziehung (wie bei mehren Landedelleuten) halb unter dem Firnis der Sitten seines feinern Umgangs verborgen lagen wie seine alten Möbel unter modischen: so ging der elektrische Enthusiasmus des Doktors in großen Funken in des Vaters Busen über, und Knör legte hingerissen die Hand Ernestinens, die zum Scheine erstaunte, in des Rittmeisters seine, ders im Ernste tat – und der Bräutigam drängte und warf sich in einem Sturm von Dankbarkeit an den Hals des neugebornen Schwiegervaters, eh' er, weil seine Ehre mehr als seine Liebe triumphierte, etwas kälter die geschickte Hand nachküßte, welche ihm bisher diesen doppelten Triumph entzogen. – – –
Dies verdachte ihm die Inhaberin der Hand; aber ich verdenk' es wieder ihr; mit welchem Grund will sie dem Manne, der gar keine Seele, seine eigne kaum und eine weibliche nie erriet, ansinnen, daß er seine Weisheitzähne und seinen Philosophen-Bart soll so außerordentlich lang gewachsen tragen, wie der geneigte Leser beide trägt, dem es freilich nicht erst hier vorgedruckt zu werden braucht – er merkte alles schon vor drei guten Stunden –, daß hinter der Kopulierkatze etwas stak und steckte, Ernestine nämlich selber.
Es war so ... Ich brauch' es aber dem Leser kaum zu berichten, da ers schon längst gewußt, daß Ernestine die Kitt- und Heftkatze vier Abende vorher täglich privatissime auf den Tisch stellte und sie abrichtete, auf die Finger loszufahren, wenn sie trillerten – und ich freue mich, daß der Scharfsinn des Lesers kein gewöhnlicher ist, weil er weiter mutmaßet; denn sie ließ also auch am letzten Abend das Kleisterälchen von Katze als Leimrute nachschleichen, versenkte es bis um 111/2 Uhr in ihren Schoß und hob endlich mit dem Knie diesen Katzen-terminus medius aus dem Schoße auf den Spieltisch, und der terminus tat nachher das Seinige. – Armer Rittmeister!
Nachdenklich ist es aber. Denn wenn auf diese Art Weiber Anordnung für Zufall und Zufall für Anordnung auszumünzen wissen – wenn sie schon vor den Verlöbnissen (folglich nachher noch mehr) in die erste Linie gegen die Männer, wie Kambyses gegen die Ägypter2, Bundeskatzen stellen, die wie Untergötter ex machina das männliche Spiel umwerfen und das weibliche aufstellen – wenn unter hundert Menschen nur fünf Männer sind, welchen tierische Katzen oder gar menschliche ausstehlich sind, und nur zehn Weiber, denen sie es nicht sind – wenn also ganz offenbar die besten Weiber entsetzliche Bündel Männergarn unter den Armen halten, Hasengarne, Steckgarne, Spiegelgarne, Nacht- und Hänggarne: was soll da das Einbein3 machen, das am nämlichen Tag, wo es einen Roman zu schreiben anfing, zugleich einen zu spielen anhob und so beide wie auf einem Doppelklavier nebeneinander zu Ende führen wollte? Am vernünftigsten, seh' ich, mach' ich, wenn meine Frau den ganzen Tag am Bärenfange steht und Zweige darauf wirft, damit ich hineinstolpere, nur durchaus keinen – Bären, obwohl auch keinen Affen. Nein! ihr gefügigen gedrängten Geschöpfe! ich setze mirs noch einmal vor und gelob' es einer von euch hier öffentlich im Druck. Geschäh' es dennoch, daß ich die eine nach den Flitterwochen quälen wollte: so les' ich bloß diesen Sektor hinaus und rühre mich mit dem kommenden Gemälde eurer ehlichen Pilatus, das ich deswegen hieher trage – wie nämlich der dümmste Mann sich für klüger hält als die klügste Ehefrau; wie diese vor ihm, der vielleicht außer dem Haus vor einer Göttin oder Götzin auf den Knien liegt, um beglückt zu werden, gleich dem Kamele auf die ihrigen sinken muß, um befrachtet zu werden; wie er seine Reichskammergericht-Erkenntnisse und seine Plebiszita nach den sanftesten, nur mit zweifelhafter Stimme wie verloren gewagten Gegengründen mit nichts versüßet als mit einem »wenn ichs nun aber so haben will«; wie eben die Träne, die ihn bezauberte im freien Auge der Braut, ihn entzaubert und ganz toll macht, wenn sie aus dem ankopulierten fällt, so wie in den arabischen Märchen alle Bezauberungen und Entzauberungen durch Besprengen mit Wasser geschehen – wahrhaftig das einzige Gute ist doch dies, daß ihr ihn recht betrügt. Ach! und wenn ich mir erst denke, wie weit ein solcher Ehe-Petz gegangen sein muß, bis ihr so weit ginget, daß ihr, um nicht von ihm gefressen zu werden, euch (wie man auch bei den Waldbären tut) gar ohnmächtig anstellet; und der Petz schritt mit seinen müßigen Tatzen um die Scheintote herum! ....
»In meinem Alter soll das Einbein schon anders pfeifen!« sagt der verheiratete Leser; allein ich bin selber schon neun Jahre älter als er, und noch dazu unverheiratet.
Fußnoten
1 Das wüßt' er nicht, wenn ers nicht aus den neuen Taktikern, Herrn Hahn und Herrn Miller, hätte, die den jungen Offizier die Differentialrechnung lehren, damit es ihm nicht schwer werde, mitten im Treffen beim Deployieren und Schwenken die Grundwinkel herauszurechnen. – Ebenso hab' ich hundertmal ein Buch schreiben und darin die armen visierenden Billardspieler in den Stand setzen wollen, bloß nach einigen Auflösungen aus der Mechanik und höheren Mathesis mit zugemachten Augen zu stoßen.
2 Kambyses eroberte Pelusium mit Sturm, weil er unter seine Soldaten heilige Tiere, Katzen u.s.w., mengte, auf welche die ägyptische Garnison nicht zu schießen wagte und an die sie statt der Pfeile Gebete abschickte.
3 Das Einbein bin ich selber. Ich habe die Vorrede, die man wird überschlagen haben, und diese Note, die nicht zu überschlagen ist, gemacht, damit es einmal bekannt werde, daß ich nicht mehr habe als ein Bein, wenn man das zu kurze wegrechnet, und daß sie mich in meiner Gegend nicht anders nennen als das Einbein oder den einbeinigen Autor, da ich doch Jean Paul heiße. Siehe das Taufzeugnis und die Vorrede.
Zweiter Sektor oder Ausschnitt
Ahnen-Preiskurant des Ahnen-Grossierers – der Beschäler und Adelbrief
Es gibt in der ganzen entdeckten Welt keine verdammtere Arbeit als einen ersten Sektor zu schreiben; und dürft' ich in meinem Leben keine andern Sektores schreiben, keinen zweiten, zehnten, tausendsten, so wollt' ich lieber Logarithmen oder publizistische Kreisrelationen machen als ein Buch mit ästhetischen. Hingegen im zweiten Kapitel und Sektor kommt ein Autor wieder zu sich und weiß recht gut im vornehmsten Cercle, den es vielleicht gibt (Knäsen sitzen in meinem), was er mit seinen schreibenden Händen anfangen soll und mit seinem Hute, Kopfe, Witz, Tiefsinn und mit allem.
Da ich durch das Ehepaar, von dessen Verlobung durch Schach und Katze wir sämtlich zurückkommen, mir in neun Monaten den Helden dieses Buches abliefern lasse: so muß ich vorher zeigen, daß ich nicht unbesonnen in den Tag hineinkaufe, sondern meine Ware (d.i. meinen Helden) aus einem recht guten Hause, um kaufmännisch zu reden, oder aus einem recht alten, um heraldisch zu sprechen, ausnehme. Denn der reichsfreien Ritterschaft, den Landsassen und den Patriziern muß es hier oder nirgends gesagt und bewiesen werden, daß mein Heldlieferant, Herr von Falkenberg, von älterem Adel ist wie sie alle; und zwar von unechtem.
Nämlich Anno 1625 war Mariä Empfängnis, wo sein Urgroßvater sich ungemein besoff und dennoch aus dem Glücktopfe die volle Hand mit etwas Außerordentlichem herausbrachte, mit einem zweiten Adeldiplom. Denn es trank mit ihm, aber siebenmal stärker, ein gescheiter Roßtäuscher aus Westfalen, auch ein Herr von Falkenberg, aber nur ein Namenvetter; ihre beiden Stammbäume bestreiten und anastomosierten sich weder in Wurzelfäserchen noch in Blättern. Ob nun gleich der Sippschaftbaum des Westfälingers so alt und lang im Winde und Wetter des Lebens dagestanden war, daß er mit manchem Veteranen auf den Bergen Libanon und Ätna zugleich aus der Erde vorgeschossen zu sein schien, kurz, obgleich der Roßhändler 64schildig war, indes der Urgroßvater zu seiner größten Schande und zu dessen seiner, der ihn in seinen Roman mithineinnimmt, wirklich sowohl Zähne als Ahnen mehr nicht zählte als 32: so wars doch noch zu machen. Der alte Westfale war nämlich der Stammhalter und die Schlußvignette und das hogarthische Schwanzstück seines ganzen historischen Bildersaals; nicht einmal in beiden Indien, wo wir alle unsre Vettern haben und erben, hatt' er noch einen. Darauf fußte der Urgroßvater, der ihm sein Adeldiplom abzufluchen und abzubetteln suchte, um es für sein eignes auszugeben: »Denn wer Teufel weiß es,« sagte er, »dir hilft es nichts, und ich heft' es an meines.« Ja der Ahnen-Kompilator, der Urgroßvater, wollte christlich handeln und bot dem Roß- und Ahnentäuscher für den Brief einen unnatürlich schönen Beschäler an, einen solchen Großsultan und Ehevogt eines benachbarten Roß-Harems, wie man noch wenige gesehen. Aber der Stammhalter drehte langsam den Kopf hin und her und sagte kalt »ich mag nicht« und trank Zerbster Flaschenbier. Da er ein paar Gläser von Quedlinburger Gose bloß versucht hatte, fing er schon an, über das Ansinnen zu fluchen und zu wettern; was schon etwas versprach.
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