Da er etwas Königslutterischen Duckstein, denk' ich, daraufgesetzt hatte (denn Falkenberg hatte einen ganzen Meibomium de cerevisiis, nämlich seine Biere, auf dem Lager): so ging er gar mit einigen Gründen seines Abschlagens hervor, und die Hoffnung wuchs sehr.
Als er endlich den Breslauer Scheps im Glase oder in seinem Kopfe so schön milchen fand: so befahl er, das Luder von einem elenden Beschäler in den Hof zu führen – – und da er ihn etwa zwei- oder dreimal mochte haben springen sehen: so gab er dem Urgroßvater die Hand und zugleich die 128 Ahnen darin. Da nun der Falkenbergische Urgroßvater das erkaufte Adelpatent, das einige Ahnenfolgen tausendschildiger Motten fast aufgekäuet hatten, mit einem Pflasterspatel, weil es porös wie ein Schmetterlingfittich war, auf neues Pergament aufstrich und aufpappte, Buchbinderkleister aber vorher: so tat, kann man leicht denken, das Pergament seiner ganzen adeligen Vorwelt den nämlichen Dienst der Veredlung, den der Beschäler in Westfalen der Roßnachwelt leistete, und über hundert begrabene Mann, an denen kein Tropfen Blut mehr adelig zu machen war, kamen wenigstens zu adeligen Knochen. Also brauchen weder ich noch irgendeine Stiftdame uns zu schämen, daß wir mit dem künftigen jungen Falkenberg so viel Verkehr haben, als man künftig finden wird. – Übrigens möcht' ich nicht gern, daß die Anekdote weiter auskäme, und einem Lesepublikum von Verstand braucht man dies gar nicht zu sagen. –
Die Hochzeit-Luperkalien hab' ich samt ihrem längsten Tage und ihrer kürzesten Nacht niemals hersetzen wollen; – doch den Einzug darauf wollt' ich gut beschreiben. Allein da ich mich gestern zum Unglück mit dem Vorsatze ins Bett legte, heute morgen das Schach- und Ehepaar mit drei Federzügen aus dem Brautbette ins Ehebette zu schaffen, das 19 Stunden davon steht, nämlich im Falkenbergischen Rittersitz Auenthal – und da ich ganz natürlich nur mit drei kleinen Winken das wenige schildern wollte, das wenige Pfeifen, Reiten und Pulver, womit die guten Auenthaler ihre gnädige Neuvermählten empfingen: so ging die ganze Nacht in meinem Kopfe der Traum auf und ab, ich sei selber ein heimreisender Reichsgraf und der Reichs-Erb-Kasperl und würde von meinen Untertanen, weil sie mich in 15 Jahren mit keinem Auge gesehen, vor Freuden fast erschossen. In meiner Grafschaft wurde natürlicherweise tausendmal mehr Bewillkommunglärm und Honneurs gemacht als im Falkenbergischen Feudum; ich will deswegen die Honneurs für den Rittmeister weglassen und bloß meine bringen.
Erstes Extrablatt
Ehrenbezeugungen, die mir meine Grafschaft nach meiner Heimkehr von der grand tour antat
Wenn gräfliche Untertanen einem Grafen seine sechs nicht natürlichen Dinge1 nehmen: so weiß ich nicht, wie sie ihn besser empfangen können. Nun ließen mir die meinigen kein einziges nicht natürliches Ding.
Sie nahmen mir das erste unnatürliche Ding ohnehin weg, den Schlaf. Da ich von Chalons nach Straßburg, so watend langsam, als wär' ich schwanger, gefahren war, um von da aus so donnernd, daß ich mehr hüpfte als saß, meinen Läufer umzufahren: so wär' ich um Flörzhübel (den ersten Marktflecken in meiner Grafschaft) für mein Leben gern schlafend (und war das nicht im Traume so leicht zu machen?) vorübergeflogen; allein gerade an der Grenze und einer Brücke, da ich die Augen bergunter auf- und bergauf zumachte, wurd' ich überfallen, nicht mörderisch, sondern musikalisch, von 16 Mann besoffnem Ausschuß, der schon seit früh 7 Uhr mit dem musikalischen Gerümpel und Ohrenbrechzeug hier aufgepasset hatte, um mich und meine Pferde zu rechter Zeit mit Trommeln und Pfeifen in die Ohren zu blessieren. Glücklicherweise hatten die Sturm-Artisten den ganzen Tag zum Spaße oder aus Langweile vorher mehr getrommelt als aus Ernst und Liebe nachher. Unter dem ganzen Weg, während Orchester und Kaserne neben meinen Pferden ging, zankt' ich mich aus, daß ich Flörzhübel vor 17 Jahren zu einer Stadt habilitiert und graduiert hatte, – »Ich meine nicht deswegen,« sagt' ich zu mir, »weil nachher das landesherrliche Reskript dem Flörzhübel das Stadtrecht und seiner Gendarmerie die Monturen wieder auszog, oder deswegen, weil wir die überzähligen Monturen in Kassel versteigern wollten – sondern weil sie mich jetzt nicht schlafen lassen, welches doch das erste nicht natürliche Ding bleibt.«
Essen ließen sie mich gar nicht, weils das zweite unnatürliche Ding eines regierenden Herrn ist. Sann mir nicht der flörzhübelsche Restaurateur, der für mich das ganze gekochte und gesottene Mußteil meiner Grafschaft ans Feuer gesetzet hatte, geradezu am Kutschenfußtritt an, ich sollte anbeißen, und da ich ihn – wir Großen setzen nicht ungern den Pöbel durch Verschmähen beneideter Kost in ein hungriges Erstaunen – mit eignem Munde nur um eine Biersuppe ansprach: machte da nicht der Restaurateur eine eitle Miene und sagte: »im ganzen Hotel hätt' er keine; und hätt' er sie: so sollten ihm doch die künftigen Traiteurs nicht nachsagen, er habe unter so vielen jus und bouillons seinem gnädigsten Herrn nichts präsentiert als einen Napf Biersuppe«?
Um das dritte Ding, um die Bewegung und Ruhe zugleich, hätte mich bei einem Haare die Ehrenpforte meines Begräbnisdorfes gebracht, maßen sie mich beinahe erschlug, weil sie und die musizierende Galerie auf ihr hart hinter meinem letzten Bedienten einpurzelten, aber zur Freude der Grafschaft keinem Menschen etwas zerbrachen als dem Bader die Glas-Schröpfköpfe, die er der Ehrenpforte angesetzt und vorgestreckt hatte, damit doch etwas daranhinge, worein die nicht schlechte Illumination zu stecken wäre. Ich wollte schon an und für sich etwas toll werden über die satirischen Schröpfvasen, die ich für satirische Typen und Nachbilder meines gräflichen Ausschröpfens der vollen Allodial- und Feudaladern nehmen wollte, und ich fragte den Schultheiß, ob er dächte, es fehle mir echter Witz; allein sie taten sämtlich Eide, an Witz wäre bei der ganzen Ehrenpforte gar nicht gedacht worden.
Luft, das vierte nicht natürliche Ding eines Reichs-Erb-Kasperls, hätt' ich schon haben können; denn bloß etwa des kurzen Mißbrauchs wegen, den die Instrumente und Lungen meiner Vasallen von einem so herrlichen Elemente machten, hätt' ich wahrlich nicht mich und den Luftsektor um mich so fest in meinen Wagen eingesperrt, als ich wirklich tat – ich muß das ausdrücklich sagen, damit nicht der gute Kelzheimer Kantor sich einbilde, es habe mir nicht gefallen, daß mir sein musikalisches Feuerrohr, seine Trompete, doppelt aus dem Schalloch, sowohl seines Kirchturms als seines Körpers, dermaßen entgegenstach, daß die melodischen Luftwellen aus beiden mir vier Äcker weit entgegengingen, indes noch dazu unten im Turm seine Frau die Glocken melkte, als würd' ich begraben und nicht sowohl empfangen als verabschiedet – wie gesagt, des musikalischen Ehepaars wegen hätt' ich den Wagen gar nicht zugeschlossen; aber der Todesgefahr wegen; denn ein freudiges Pikett Fronbauern schoß mir aus 17 Vogelflinten und einem paar Taschenpuffern sowohl Ehrensalven als einige Ladstöcke entgegen.
Sitzt ein Graf einmal ohne vier nicht natürliche Dinge da: so darf er an das fünfte gar nicht denken, an Ausleerung; der Sphinkter aller, selbst der größten Poren bleibt samt der Wagentüre zu. Es war also kein Wunder, da ich gar kein Hephata zu irgendeinem Porus sagen konnte, daß ich auffuhr: »Den Henker hab' ich davon von meinem Sitzen auf der Grafenbank in Regensburg, wenn ich hier auf dem Kutschkissen hocken muß und nichts – verrichten kann, nicht einmal ....«
Echte Leidenschaft, die das sechste nicht natürliche Ding des Menschen ist, wird von nichts so leicht erstickt als von einem atlassenen Hundekissen, auf dem die Pfarrer, Schuldiener und Amtleute, die ein Reichs-Erb-Kasperl hat, ihm die Carmina überreichen, die sie auf ihn haben fertigen lassen: denn darüber ist weder zu lachen, noch zu greinen, noch zu zanken, noch zu loben, noch zu reden.
Meine Lehnleute und Hintersassen, die mir so viel von meinen sechs unnatürlichen Dingen abfischten, gaben mir eben dadurch die Hälfte des ersten wieder, das Wachen – sie hatten sich aber meinetwegen so in Schweiß gesetzt, daß ich ihrentwegen auch darin lag. Da ich aufwachte: dacht' ich anfangs, es wär' ein Traum; aber bei mehrem Aufwachen merkt' ich, daß es, die Namen ausgenommen, die gestohlne Geschichte meiner Nachbarschaft war. Freilich ärgert michs so gut, als würde die Illumination und der musikalische Lärm meinetwegen veranstaltet, daß die Untertanen beide bloß in der boshaften Absicht machen, ihren großen oder kleinen Regenten durch Ekel und Plage wieder auf seine Reise zurückzujagen; was sie offenbar den orientalischen Karawanen abgelernt, die gleichfalls durch Trommeln und Feuerschlagen wilde Tiere sich vom Leibe halten.
Fußnoten
1 Darunter meinen die Ärzte 1) Wachen und Schlafen, 2) Essen und Trinken, 3) Bewegung, 4) Atmen, 5) Ausleerungen, 6) Leidenschaften.
Dritter Sektor oder Ausschnitt
Unterirdisches Pädagogium – der beste Herrnhuter und Pudel
Jetzo geht erst meine Geschichte an; die Szene ist in Auenthal oder vielmehr auf dem Falkenbergischen Bergschlosse, das einige Ackerlängen davon lag. Das erste Kind der Schachamazone und des sterbenden Fechters und Rittmeisters im Schach war Gustav, welches nicht der erhabene schwedische Held ist, sondern meiner. Sei gegrüßet, kleiner Schöner, auf dem Schauplatze dieses Lumpenpapiers und dieses Lumpenlebens! Ich weiß dein ganzes Leben voraus, darum beweget mich die klagende Stimme deiner ersten Minute so sehr; ich sehe an so manchen Jahren deines Lebens Tränentropfen stehen, darum erbarmet mich dein Auge so sehr, das noch trocken ist, weil dich bloß dein Körper schmerzet – ohne Lächeln kommt der Mensch, ohne Lächeln geht er, drei fliegende Minuten lang war er froh. Ich habe daher mit gutem Vorbedacht, lieber Gustav, den frischen Mai deiner Jugend, von dem ich ein Landschaftstück ins elende Fließpapier hineindrücken soll, bis in den Mai des Wetters aufgehoben, um jetzo, da alle Tage Schöpfungtage der Natur sind, auch meine Tage dazu zu machen, um jetzo, da jeder Atemzug eine Stahlkur ist, jeder Schritt vier Zolle weiter und das Auge weniger vom Augenlid verhangen wird, mit fliegender Hand zu schreiben und mit einer elastischen Brust voll Atem und Blut! –
Zum Glück bleibt es vollends vom 2ten bis zum 27ten Mai (länger beschreib' ich nicht daran) recht hübsches Wetter; denn ich bin ein wenig ein meteorologischer Clair voyant, und mein kurzes Bein und mein langes Gesicht sind die besten Wetterdarmsaiten in hiesiger Gegend.
Da Erziehung weit weniger am innern Menschen (und weit mehr am äußern) ändern kann, als Hofmeister sich einbilden: so wird man sich wundern, daß bei Gustav gerade das Gegenteil eintrat; denn sein ganzes Leben klang nach dem Chorton seiner überirdischen, d.h. unterirdischen Erziehung. Der Leser muß nämlich aus seinem ersten Sektor noch im Kopfe haben, daß die herrnhutisch gesinnte Obristforstmeisterin von Knör ihre Tochter Ernestine nur unter der Bedingung sich selber durch das Schach ausspielen ließ, daß der gewinnende Bräutigam in den Ehepakten verspreche, das erste Kind acht Jahre unter der Erde zu erziehen und zu verbergen, um dasselbe nicht gegen die Schönheiten der Natur und die Verzerrungen der Menschen zugleich abzuhärten. Vergeblich stellte der Rittmeister Ernestinen vor: »so verzög' ihm ja die Schwiegermutter den Soldaten zu einer Schlafhaube, und man sollte nur warten, bis ein Mädchen käme.« Er ließ auch wie mehre Männer den Unmut über die Schwiegermutter ganz am Weibe aus. Aber die Alte hatte schon vor der Taufe einen himmlischschönen Jüngling aus Barby verschrieben. Der Rittmeister konnte wie alle kraftvolle Leute das herrnhutische Diminuendo nicht ausstehen; am meisten redete er darüber, daß sie so wenig redeten; sogar das war nicht nach seinem Sinne, daß die herrnhutischen Wirte ihn nicht sowohl überschnellten als zu sehr überschnellten.
Allein der Genius – diesen schönen Namen soll er vorjetzt auf allen Blättern haben – lag nicht an jenen das Herz einschraubenden Krämpfen des Herrnhutismus krank, und er nahm bloß das Sanfte und Einfache von ihm. Über seinem schwärmerischen trunknen Auge glättete sich eine ruhvolle schuldlose Stirne, die das vierzigste Jahr ebenso unrastriert und ungerunzelt ließ wie das vierzehnte. Er trug ein Herz, welches Laster, wie Gifte Edelsteine, zerbrochen hätten; schon ein fremdes von Sünden durchackertes oder angesäetes Gesicht beklemmte schwül seine Brust, und sein Inneres erblaßte vor dastehenden Schmutzseelen, wie der Saphir an dem Finger eines Unkeuschen seinen Blauglanz verlieren soll.
Gleichwohl mußte eine solche vieljährige Aufopferung für ein Kind sogar auf eine so schöne Seele wie des Herrnhuters schwer und hart aufdrücken; aber er sagte: »o welche himmlische Anlässe hab' er dazu, die er aber nur seinem Gustav, der gewiß mit Gottes Hülfe so aufblühe, wie er hoffe, künftig vertraue; und niemand solle sich doch über sein scheinbares Selbst-Hinopfern zu einem wahren tiefen Erden-Leben wundern.« – Und in der Tat werden feinere Leser, die weit denken, hoff' ich, nicht sich wundern, sondern vielmehr sich anstellen, als fänden sie ein solches Erzieh-Heldentum eben recht natürlich. Übrigens ist wohl die Tugend der meisten Menschen mehr nur ein Extrablatt und Gelegenheitgedicht in ihrem Zeitung- und Alltagleben; allein zwei, drei und mehre Genien sind doch vorhanden, in deren epischem Leben die Tugend die Heldin ist und alles übrige nur Nebenpartie und Episode und deren Steigen vom Volke mehr angestaunet als bewundert werden kann.
Die ersten dunkeln Jahre lebte Gustav mit seinem Schutzengel noch in einem überirdischen Zimmer; er trennte ihn bloß von den heillosen Kipperinnen und Wipperinnen der Kindheit, denen wir ebenso viele lahme Beine als lahme Herzen zu danken haben – Mägden und Ammen. Ich wollte lieber, diese Unhuldinnen erzögen uns im zweiten Jahrzehend als im zweiten Jahr.
Der Genius zog darauf mit seinem Gustav unter eine alte ausgemauerte Höhlung im Schloßgarten, von der es der Rittmeister bedauerte, daß er sie nicht längst verschütten lassen. Eine Kellertreppe führte links in den Felsenkeller und rechts in diese Wölbung, wo eine Kartause mit drei Kammern stand, die man wegen einer alten Sage die Dreibrüder-Kartause nennte; auf ihrem Fußboden lagen drei steinerne Mönche, welche die ausgehauenen Hände ewig übereinander legten; und vielleicht schliefen unter den Abbildern die stummen Urbilder selber mit ihren untergegangnen Seufzern über die vergehende Welt. Hier waltete bloß der schöne Genius über den Kleinen und bog jeden knospenden Zweig desselben zur hohen Menschengestalt empor.
Elende Umständlichkeit, z.B.
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