Das Meer plätscherte. Stefano lächelte.
»Bei uns geltet ihr hier als schmutzig. Ich glaube, ich bin schmutziger als ihr.«
Giannino lächelte, dann wurde er plötzlich ernst. »Wir sind allerdings schmutzig«, sagte er. »Aber ich kann Sie verstehen, Herr Ingenieur. Wir sind es aus dem gleichen Grunde, aus dem Sie den Koffer bereithalten. Wir sind unruhige Leute, die sich auf der ganzen Welt wohlfühlen, nur nicht im eigenen Dorf.« »Es ist kein übles Dorf.«
»Das glaube ich Ihnen, wenn Sie Ihren Koffer ausgepackt haben«, sagte Giannino und legte seine Wange auf einen Arm.
Auch Gianninos Haus schaute aufs Meer, aber Stefano ging am nächsten Tag nur ungern hin, denn beim Aufwachen hatte ihn die gewohnte Angst gepackt. Immer wachte er im Morgengrauen voller Unruhe auf und blieb mit halbgeschlossenen Augen liegen, um den Augenblick hinauszuzögern, in dem er wieder zu Bewußtsein kam. Aber die Süße des Halbschlafes existierte nicht für ihn: Licht und Meer bedrängten ihn, das Zimmer wurde hell, wogende Traumfetzen hielten ihn noch umfangen, und sein Herz schmerzte von einer körperlichen Angst. Er sprang aus dem Bett und kam zu sich. An diesem Morgen jedoch dauerte seine Qual, bis er auf die Straße hinaustrat: der Friede des Abends zuvor war bei dem Gedanken verraucht, daß er allzu viel von sich gesprochen hatte. Giannino war nicht zu Hause. Seine Mutter kam, die nichts von Stefano wußte, und bat ihn in einen Salon mit rotem Fliesenboden, voller verstaubter Papiere. Die Mauern dieses Hauses waren dick wie Fels. Aus einem kleinen Fenster konnte man ein bißchen Grün sehen. Giannino war beim Morgengrauen fortgegangen. Als sie von den Plänen hörte, verzog die Mutter den Mund und begann zu lächeln. Dann kam der Vater herein: ein hagerer Mann mit vergilbtem buschigem Schnauzbart, dem man seine siebzig Jahre nicht ansah. Er hatte von Stefano gehört, wischte die Pläne aber mit einer Handbewegung zur Seite.
»Ich möchte, daß Sie mit meinem Sohn darüber
sprechen«, sagte er, »ich habe mein Teil schon getan.« »Ich glaube nicht, daß ich Ihnen von großem Nutzen sein kann«, sagte Stefano. Gianninos Vater breitete die Arme aus, und sein Schnurrbart bewegte sich in komplimentereicher Beflissenheit.
Die Mutter, eine große Frau mit einem breiten kräftigen Gesicht, ging hinaus, um Kaffee zu machen. Aus einem silbernen Kännchen goß sie ihn in winzige vergoldete Täßchen, die ohne Tablett auf dem Tisch standen. Inzwischen hatte sich der Vater Catalano gesetzt, der bislang grinsend vor der Wand, von der der Putz bröckelte, auf und ab gegangen war. Nur Stefano trank seinen Kaffee aus. Die anderen beiden Tassen blieben halbvoll auf dem Tisch stehen. »Ich habe von Ihrem Fall gehört, Herr Ingenieur«, sagte der Alte mit den Händen auf den Knien. »Sie sind nicht der einzige. Ich kenne die Zeitläufe.« »Wie gefällt es Ihnen hier?« fragte die Frau.
Der Alte fuhr auf. »Wie soll es ihm hier schon gefallen? Das sind doch schreckliche Dörfer! Arbeiten dürfen Sie wohl nicht?«
Stefano betrachtete die Fotografien auf den Möbeln und die verblichenen Teppiche und antwortete gelassen. In diesem alten Salon herrschte Grabeskälte, die an den Beinen emporkroch. Er wollte keinen Kaffee mehr, und die Hausfrau verließ sie.
»Ich hoffe, Sie werden einen guten Einfluß auf meinen Sohn, diesen Unglückskerl, haben«, sagte der Alte plötzlich.
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