Er schaute mit sorgenvollem Lächeln um sich, und als Stefano sich erhob, um sich zu verabschieden, streckte er ihm beide Hände entgegen: »Ihr Besuch war uns eine Ehre. Kommen Sie wieder, Herr Ingenieur.«
Stefano kehrte für einen Augenblick nach Hause zurück, um ein Buch zu holen. Es war später Vormittag, und dieser kühle Salon mit seinem abbröckelnden Putz ging ihm nicht aus dem Sinn. Nur mit Mühe wurde er sich über einen Gedanken klar, von dem er doch sicher wußte, daß er ihn vor wenigen Augenblicken in dem Salon gedacht hatte. Die barfüßige, steilhüfige Magd aus dem Geranienhaus mußte in Räumen wie diesem leben, ihre Füße mußten über solche roten Fliesen huschen. Aber vielleicht war das graue Haus jünger. Doch den vergoldeten Täßchen, den verstaubten Nippsachen, den Teppichen und Möbeln entströmte in dieser Grabeskälte die Seele einer vergangenen Zeit. So also sahen diese stets verschlossenen Häuser aus, die vielleicht einstmals, freundlich und sonnig, mehr Leben und mehr Wärme geborgen hatten. Stefano kamen sie wie die Landhäuser seiner Kinderzeit vor, verschlossen und menschenleer in den Dörfern der Erinnerung. Die dürre rote Erde, das Grau der Oliven, die fleischigen Kaktushecken, alles hatte diese Häuser einst bereichert, deren schweigende Leblosigkeit jetzt nur hier und dort die dunkle Magerkeit einer Frau mit dem wilden Leben der Felder und der Geranien erfüllte.
Im Höfchen traf Stefano die nicht mehr junge Tochter seiner Hauswirtin an, die gravitätisch einen Haufen Kehricht in die Grube fegte. Zu dieser ihm ungewohnten Stunde sah er einige Kinder aus der Nachbarschaf über das Flachdach tollen und spielen. Bei ihrem Geschrei lächelte ihm die Frau müde zu: das tat sie immer, wenn sie ihm begegnete. Sie hatte ein aufgedunsenes aschfahles Gesicht und kleidete sich in ruhiges Schwarz. Verwitwet oder von ihrem Mann getrennt, der mit ihr in einer fernen Stadt gelebt hatte, sprach sie selbst mit diesen Kindern niemals Dialekt. Sie folgte ihm an die Tür des aufgeräumten Zimmers, und Stefano mußte sich umwenden und ihr danken. Nachdem die Frau den Besen abgestellt hatte, blieb sie reglos stehen und wandte ihre Augen nicht von ihm. Das frisch gemachte Bett mit seinen eingesteckten Decken ließ das ganze Zimmer freundlicher erscheinen. »Eines Tages werden Sie weggehen«, sagte die Frau mit ihrer dumpfen Stimme, »werden Sie sich dann noch an uns erinnern?«
Stefano sah einen Teller mit Kaktusfeigen auf seinem Tischchen stehen. Er schaute so beflissen drein, wie es ihm möglich war, und antwortete irgend etwas. »Man sieht Sie ja fast nie«, sagte die Frau. »Ich wollte ein Buch holen.«
»Sie lesen zu viel, weil Sie allein sind«, sagte die Frau, ohne sich zu rühren.
So hielt sie es auch nachmittags immer, wenn sie zu ihm kam, um ihm etwas zu bringen. Lange währendes Schweigen folgte, das die Frau mit ihren Blicken erfüllte, und Stefano fühlte sich zugleich geschmeichelt und verlegen. Die Frau errötete beharrlich, und ihre dumpfe Stimme schwieg, als verspreche sie sich von diesem Schweigen eine süße Lust. Stefano sah dem mitleidig zu.
»Nein, ich bin doch nicht allein«, sagte er an diesem
Morgen laut, kam an die Tür, nahm ihre Wangen zwischen seine Hände und zog sie an sein Gesicht. Sein Kuß endete auf ihrem Nacken. Auf dem Dach vernahm man das hastige Gepolter der Jungen. In seiner gleichzeitigen Verwirrung und Tollkühnheit drückte er sie an seine Brust. Die Frau floh nicht, sie preßte sich an seinen Körper; aber sie hatte sich nicht küssen lassen.
Mit einem Schlag erwachte, unwiderstehlich in dieser Morgenstunde, brennende Begierde in Stefano. Kindlich begann die Frau, ihm über das Haar zu streichen. Stefano wußte nichts zu sagen.
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