»Was macht Flavia?« frug sie die Magd, welche den Besuch erwartend an der Pforte stand.
»Munter,« antwortete Susanne, »und der Kleine auch.«
»Es ist die gelbe Kuh und ein junges Ochsenkalb,« erklärte der Pastor dem Professor, während Ilse mit der Magd in den engen Hofraum trat. »Ich sehe nicht gern, wenn die Leute dem Vieh christliche Namen geben, da muß unser Latein aushelfen.«
Ilse kehrte zurück. »Es ist Zeit, daß das Kalb fortkommt, es ist ein unnützer Brotesser.«
»Das hab' ich auch gesagt,« schaltete Susanne ein, »aber der Herr Pfarrer will sich nicht dazu entschließen.«
»Sie haben Recht, mein liebes Kind,« erwiederte der Pfarrer, »nach menschlicher Weisheit wäre es rathsam, das Oechslein dem Schlächter zu überliefern. Aber das Oechslein sieht die Sache ganz anders an, und es ist eine muntere Creatur.«
»Wenn man's aber darum fragt, erhält man keine Antwort,« sagte Ilse, »und deswegen muß sich's gefallen lassen, was wir wollen. Erlauben Sie, Herr Pfarrer, daß ich das mit Susanne hinter Ihrem Rücken abmache. Unterdeß holst du die Milch von oben.«
Der Pfarrer führte in seine Stube. Es war ein kleiner Raum, weiß getüncht, spärlich möblirt, darin ein alter Schreibtisch, ein schwarzbestrichenes Bücherbret mit einer kleinen Anzahl ältlicher Bücher, Sopha und Stühle mit buntem Kattun überzogen. »Hier ist seit vierzig Jahren mein Tusculum,« sagte der Pastor vergnügt zum Professor, der verwundert auf den dürftigen Hausrath blickte. »Es würde größer sein, wenn der Anbau zu Stande gekommen wäre, es waren auch schon Pläne gemacht, und mein Herr Nachbar hat sich sehr darum bemüht, aber seit meine selige Frau dort hinaufgezogen ist« – er sah nach der Höhe des Friedhofs – »will ich nichts mehr davon hören.«
Der Professor sah zum Fenster hinaus. Vierzig Jahre in dem engen Bau, dem schmalen Thal, zwischen dem Friedhof, den Hütten, dem Wald! Ihm wurde gedrückt zu Muth. »Es scheint, die Gemeinde ist arm,« sagte er, »zwischen den Bergen liegt nur wenig Feld. Und wie ist's im Winter?«
»Ei, die Füße tragen noch,« erwiederte der geistliche Herr, »man besucht dann auch gute Freunde; nur der Schnee wird zuweilen lästig, einmal waren wir ganz eingeschneit und Herr Bauer hat uns herausschaufeln müssen.« Er lächelte behaglich bei der Erinnerung. »Es ist nicht einsam, wenn man lange Jahre an einem Orte gelebt hat, man hat die Großväter gekannt, die Väter aufgezogen, man lehrt die Kinder und hier und da schon die Enkel, man sieht, wie die Menschen sich von der Erde erheben und wieder hinabsinken, gleich den Blättern der Bäume. Und man merkt, daß Alles eitel ist und eine kurze Vorbereitung. Liebes Kind,« sagte er zu Ilse, welche jetzt eintrat, »setzen Sie sich zu uns, ich habe Ihr liebes Gesicht seit drei Tagen nicht gesehen, und wollte nicht hinaufkommen, weil ich hörte, daß Besuch bei Ihnen ist. Ich habe auch etwas für Sie,« setzte er hinzu und holte einen beschriebenen Bogen vom Pult, »es ist Poesie dabei.«
»Denn auch der Musengesang fehlt uns nicht,« fuhr er gegen den Professor fort. »Freilich ist er demüthig und von der bukolischen Art. Aber glauben Sie mir, für Einen, der sein Dorf kennt, gibt es wenig Neues unter der Sonne. Es ist im Kleinen hier Alles, wie in der übrigen Welt im Großen, der Schmied ist ein heftiger Politikus und der Schultheiß möchte gern ein Dionysius von Syrakus sein. Auch den reichen Mann der Schrift haben wir, freilich auch mehre Lazarusse, zu welchen dieser Dichter gehört; und unser Tüncher ist im Winter ein Musikus, er spielt gar nicht schlecht auf der Zither. Das alles arbeitet durcheinander und möchte gern oben hinaus, und es macht zuweilen Mühe, die gute Nachbarschaft unter ihnen zu erhalten.«
»Er will seine grüne Wand wieder haben, soviel ich verstehe,« sagte Ilse, von dem Blatt aufsehend.
»Seit sieben Jahren liegt er in seiner Kammer, zur Hälfte gelähmt, mit heftigen Schmerzen und unheilbar,« erklärte der Pfarrer dem Gast, »er sieht durch ein kleines Fensterloch in die Welt, auf die Lehmwand gegenüber und die Menschen, welche davor sichtbar werden. Und die Wand gehört dem Nachbar, sie war durch mein liebes Kind mit wildem Wein bezogen. In diesem Jahr aber hatder Nachbar – unser reicher Mann – daran gebaut und das Grüne abgerissen. Das ärgert den Kranken. Ihm ist schwer zu helfen, denn jetzt ist nicht die Zeit, Neues zu pflanzen.«
»Es muß doch Rath werden,« warf Ilse ein. »Ich will mit ihm darüber reden. Verzeihen Sie, es soll nicht lange dauern.«
Sie verließ das Zimmer. »Ist's Ihnen recht,« sagte der Pfarrer geheimnißvoll zu seinem Gast, »so zeige ich Ihnen diese Wand, denn ich habe mir die Sache viel überlegt, aber ich finde keine Abhilfe.« Schweigend stimmte der Professor bei. Die Männer schritten die Dorfgasse entlang, an der Ecke faßte der Pfarrer den Arm seines Begleiters. »Hier liegt der Kranke,« begann er halblaut, »er hört schwer in seiner Schwäche, aber wir müssen doch leise auftreten, daß er uns nicht merkt; denn das stört ihn.«
Der Professor sah dichtbei am dürftigen Hause ein kleines Schiebfenster geöffnet und Ilse davorstehen, von ihnen abgewandt.
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