Während der Pfarrer ihm die Lehmwand zeigte und die Höhe, welche für die Laubumkleidung nöthig sei, hörte er auf das Gespräch am Fenster. Ilse sprach laut hinein und von dem Lager antwortete eine schrille Stimme. Erstaunt vernahm er, daß nicht vom Weinlaub die Rede war. – »Und hat der Herr ein gutes Gemüth?« frug die Stimme. »Er ist ein gelehrter Mann und ein guter Mann,« antwortete Ilse. »Wie lange bleibt er bei Ihnen?« frug der Kranke. »Ich weiß nicht,« war Ilsens zögernde Antwort. »Er soll ganz bei Ihnen bleiben, denn er ist Ihnen lieb,« sagte der Kranke. »Ach, das dürfen wir gar nicht hoffen, lieber Benz. Aber dies Gespräch hilft nicht zu guter Aussicht auf gegenüber,« fuhr Ilse fort. »Mit dem Nachbar rede ich, aber zwischen heut und morgen wächst doch nichts. Da habe ich mir ausgedacht, der Gärtner schlägt hier draußen unter dem Fenster ein kleines Bret fest und wir setzen unterdeß die Blumenstöcke aus meiner Stube darauf.« – »Das benimmt mir die Aussicht,« entgegnete die Stimme unzufrieden, »ich kann dann die Schwalben nicht mehr sehen, wenn sie vorbeifliegen, und ich sehe wenig von den Köpfen der Leute, die vorbeigehen.« »Das ist richtig,« versetzte Ilse, »aber wir machen das Bret so niedrig, daß nur die Blumen durch's Fenster gucken.« »Was sind's für Blumen?« frug Benz. »Ein Myrtenstock,« sagte Ilse. »Der blüht nicht,« versetzte Benz mürrisch. – »Aber zwei Rosen blühen und ein Vanillestrauch.« – »Den kenne ich nicht,« warf der Kranke ein. »Er riecht wundergut,« sagte Ilse empfehlend. »Dann kann er kommen,« bewilligte Benz, »aber Basilikum muß auch dabei sein.« – »Wir wollen sehen, ob's zu haben ist,« erwiederte Ilse, »und um das Fensterholz zieht euch der Gärtner eine Epheuranke.« »Der ist mir zu schwarz,« widersprach der ungenügsame Benz. »Ei was,« entschied Ilse, »wir probiren's. Ist's euch nicht recht, so wird's geändert.« Damit war der Kranke einverstanden. »Aber der Gärtner soll mich nicht warten lassen,« rief er, »ich möchte es morgen haben.« »Gut,« sagte Ilse, »am frühen Morgen.« – »Und meinen Vers zeigen Sie Niemand,« bat Benz, »auch dem fremden Herrn nicht, er ist nur für Sie.« »Das bleibt unter uns,« sagte Ilse. »Ruft eure Tochter Anna, lieber Benz.«
Sie rüstete sich zum Aufbruch, der Pfarrer zog seinen Gast leise zurück. »Wenn der Kranke solches Gespräch gehabt hat,« erklärte er, »ist er für den nächsten Tag zufrieden. Und morgen macht er ihr wieder einen Vers. Er schreibt, unter uns gesagt, manchmal Nonsens, aber es ist gut gemeint, und ihm ist es die beste Unterhaltung. Nämlich die Leute im Dorfe scheuen sich, an sein Fenster zu treten, und sie gehen auch nicht gern vorüber. – Für mein Amt aber ist dies die härteste Arbeit. Denn die Leute sind in dem Aberglauben verstockt, daß Krankheit und Erdenleid von bösen Mächten stammen und daß sie durch Haß angethan werden oder zur Strafe für begangenes Unrecht. Wenn ich ihnen predige ohne Aufhören, daß Alles nur eine Prüfung ist für das Jenseits, die Lehre ist ihnen zu groß und hoch, nur die Schwachen glauben sie, wer aber gesund und trotzig dasteht, der sträubt sich gegen die Wahrheit und das Heil.«
Der Gelehrte sah nach dem kleinen Fenster, aus dem der Kranke auf eine Lehmwand blickte; und er sah wieder nach dem geistlichen Herrn, der in dem Thal seit vierzig Jahren für die heilbringende Wahrheit kämpfte. Ihm wurde das Herz schwer, und sein Auge flog aus der dämmernden Tiefe zu den Berggipfeln, welche noch im frohen Licht der Abendsonne glänzten. Da trat sie wieder zu ihm, sie, welche herabgestiegen war, die Hilflosen und Armen zu bewachen, und als er neben ihr der Höhe zuschritt, da war ihm, als ob sie beide aus dumpfer Erdennoth emportauchten in leichtere Luft.
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