Aber auch die jugendliche Gestalt, das schöne ruhige Antlitz neben ihm glänzte vom Abendlicht umsäumt so fremdartig, seinem irdischen Wesen ungleich, ähnlich einem der Boten, welche einst Jehova in die Zelte seiner Getreuen sandte. Und er freute sich, als sie über die lustigen Sprünge des Hundes lachte, der ihnen bellend entgegenfuhr.

So schwand wieder ein Tag dahin zwischen Sonnenlicht und Wolkenschatten, in kleinen Erlebnissen, in stillem Sein. Wenn die Feder davon erzählt, ist es gering, wenn aber ein Mensch darin lebt, treibt es ihm den Strom des Blutes kräftig durch die Adern.

 

6.

Eine gelehrte Frau vom Lande.

 

Es war Sonntag, und auch das Gut trug sein Festgewand. Auf dem Hof standen die Scheuern geschlossen, Knechte und Mägde schritten in ihrem besten Staat daher, nicht wie geschäftige Arbeiter, sondern in der behaglichen Muße, welche dem deutschen Landmann die Poesie des mühevollen Lebens ist. Von dem Kirchthurm rief das Glöckchen zum Gottesdienst, Ilse ging mit den Schwestern, das Gesangbuch in der Hand, langsam den Fels hinunter, in kleinen Gruppen folgten die Mägde und Männer. Heut blieb der Gutsherr in seiner Arbeitsstube, um die aufgelaufene Schreiberei zu erledigen. Vorher aber klopfte er an das Zimmer der Freunde und machte ihnen einen kurzen Morgenbesuch. »Heut kommen Gäste, Oberamtmann Rollmaus mit seiner Frau er ist ein tüchtiger Wirth, die Frau ist sehr auf Bildung versessen. Nehmen Sie sich in Acht, sie wird Ihnen zusetzen.«

Schlag zwölf Uhr fuhren zwei wohlgenährte Braune einen halbgedeckten Wagen vor das Haus. Die Kinder eilten an das Fenster. »Die Frau Oberamtmann kommt!« riefen aufgeregt die jüngsten. Ein stämmiger Mann in dunkelgrünem Rock stieg aus dem Wagen, eine kleine Dame in schwarzer Seide folgte mit Sonnenschirm und einer großen Schachtel. Der Hausherr und Ilse traten ihnen in der Hausthür entgegen, der Wirth rief lachend seinen Willkomm zu und führte den Oberamtmann in das Familienzimmer. Der Herr Oberamtmann trug unter seinem schwarzen Haar ein rundes Angesicht, das durch Luft und Sonne mit gleichmäßigem Rothbraun dauerhaft übermalt war, dazu kleine scharfe Augen, Nase und Lippen reichlich und röthlich hervorstehend. Als er Stand und Namen der beiden Fremden erfuhr, verbeugte er sich zwar ein wenig, sah aber mißfällig, daß diese beiden Städter in den anspruchsvollen schwarzen Frack gekleidet waren, und da er eine unbestimmte, aber kräftige Abneigung gegen alle unnützen Schreiber und Hungerleider hatte, welche so hier und da die Güter besuchen, etwa um Bücher zu schreiben, oder auch weil sie sonst keinen rechten Aufenthalt haben, so nahm er gegen beide eine mürrische und beobachtende Haltung an. Erst nach einer Weile erschien die Frau Oberamtmann, sie hatte unterdeß mit Ilse's Hülfe ihre gute Haube, ein Kunstwerk mit zwei dunkelrothen Rosen, aus der Schachtel geholt, und sie drang jetzt mit ihrem spitzen Näschen in die Gesellschaft, vom Kopf bis zum Fuß geglättet, rauschend, knixend, lächelnd. Schnell fuhr sie von einem zum andern, küßte die Mädchen auf den Mund, erklärte den Knaben, daß sie in den letzten Wochen sehr gewachsen seien, und hielt endlich erwartungsvoll vor den beiden Fremden. Der Landwirth stellte vor und verfehlte nicht, wieder beizufügen: »Zwei Herren von der Universität.« Die kleine Dame spitzte gleichsam die Ohren und ihre grauen Augen erglänzten. »Von der Universität!« rief sie, »ei, welche Ueberraschung! Diese Herren sind seltene Gäste in unserer Gegend. Es ist freilich auch bei uns für gelehrte Herren wenig zu holen, denn der Materialismus herrscht bei uns, und die Lesebibliothek in Rossau ist wirklich nicht in den besten Händen, neue Sachen sind niemals zu haben. Darf ich mir noch die Frage erlauben, welches Studium die Herren haben, Wissenschaft im Allgemeinen oder etwas Besonderes?«

»Mein Freund mehr das Allgemeine, ich das Besondere,« erwiederte der Professor, »außerdem etwas alte Sprachen, dieser Herr Indisch.«

»Wollen Sie nicht die Güte haben, auf dem Sopha Platz zu nehmen?« begann Ilse, dazwischentretend. Die Frau Oberamtmann folgte mit Widerstreben.

»Also Indisch,« rief sie niedersitzend und ihr Gewand zurechtstreichend. »Das ist eine seltene Sprache. Sie tragen ja wohl Federbüschel und ihre Kleidung ist mangelhaft, und die Beinkleider, wenn man das erwähnen darf, hängen herunter, wie bei manchen Tauben, welche auch lange Federn an den Beinen haben. Man sieht sie zuweilen abgebildet; in dem Bilderbuch meines Karl vom letzten Weihnachten sind diese wilden Männer deutlich zu sehen. Sie haben barbarische Sitten, liebe Ilse.«

»Warum ist aber Karl nicht mitgekommen?« frug Ilse, um die Herren von der Unterhaltung zu lösen.

»Es war nur wegen der Rückfahrt im Finstern. Denn der Wagen ist zweisitzig, und neben Rollmaus kann kein Drittes eingeschachtelt werden. Da muß Karl beim Kutscher sitzen, und das arme Kind wird Abends immer so schläfrig, daß ich Sorge habe, es fällt herunter.«

Als die Oberamtmann die Aussicht eröffnete, bei finsterer Nacht heimzufahren, sah der Doctor den Freund mitleidig an, aber der Professor hörte so aufmerksam nach der Unterhaltung, daß er das Bedauern gar nicht bemerkte. Ilse frug weiter und die Frau Oberamtmann stand ihr allerdings Rede, sah aber zuweilen begehrlich nach dem Doctor, dessen Verhältniß zu den Indianern in Karls Bilderbuch ihr lehrreich erschien. Unterdeß waren die Landwirthe sogleich in ein Gespräch über die Eigenschaften eines Rosses gesunken, das irgendwo in der Nähe zu gemeinnütziger Thätigkeit aufgestellt war, so daß der Doctor sich zuletzt an die Kinder wandte und mit Clara und Luise plauderte.

Nachdem eine halbe Stunde ruhiger Vorbereitung vergangen war, erschien das Dienstmädchen an der Thür des Speisezimmers.