Dort kaufte sie den dicken Busch einer Zwergorange voll von Blüthen und goldenen Früchten, ein Prachtstück des Glashauses, sie fuhr den Strauch mit pochendem Herzen in geschlossener Droschke, bis sie einen Lohnträger fand, und empfahl mit einer außerordentlichen Vergütigung dem Träger, Strauch und Brief ohne Gruß und Wort im Hause des Herrn Hahn niederzusetzen.
Redlich führte der Mann den Auftrag aus. Dorchen entdeckte den Stock im Hausflur und in der Familie Hahn begann eine kleine, sehr behagliche Aufregung, fruchtloses Sinnen, wiederholte Besichtigung, eitles Vermuthen. Als Laura am Mittag durch das Weinlaub in den Garten hinüberspähte, hatte sie die Freude, den Orangenstrauch auf einem ausgezeichneten Platz vor der weißen Muse zu erblicken. Allerliebst leuchtete der Busch in Weiß und Gold über die Straße. Und Laura stand lange hinter den Ranken und faltete unwillkürlich die Hände. Das Unrecht war von ihrer Seele genommen. Dann wandte sie sich in gehobener Stimmung ab von dem feindlichen Hause.
Unterdeß hing eine Polizeibeschwerde und eine gerichtliche Klage zwischen den beiden Häusern. Die letztere wurde durch Einfügung des Namens Speihahn noch an demselben Tage gefährlich verschärft.
Und der Frieden im Hause und in der Nachbarschaft blieb gestört. Zuerst hatte das Glockenspiel die allgemeine Meinung gegen Herrn Hahn aufgeregt, aber durch die Hunde wurde die Stimmung gründlich geändert, die ganze Straße zog sich nach dem Stroh hinüber, der Filz hatte alle Welt gegen sich. Herrn Hummel kümmerte das wenig. Des Abends saß er im Garten auf dem umgestürzten Kahn und sah stolz auf das Nachbarhaus, während Bräuhahn und das Andere zu seinen Füßen lagen und nach dem Mond blinzten, der in seiner gewohnten Weise boshaft herniederblickte auf Hummel, auf Hahn, auf die übrige Welt.
Es geschah aber, daß in einer der nächsten Nächte unter Hundegebell und Mondschein am chinesischen Bau des Herrn Hahn alle Glocken abgerissen und gestohlen wurden.
8.
Noch einmal Tacitus.
Unser Volk weiß, daß alle verlorenen Dinge unter den Krallen des Bösen liegen. Wer etwas sucht, der hat zu rufen: »Teufel, nimm die Pratze weg.« Dann liegt's plötzlich da vor den Augen der Menschen, es war so leicht zu finden, man ist hundertmal herumgegangen, man hat darüber und darunter gesehen, das Unwahrscheinlichste hat man durchsucht und an das Nächste nicht gedacht. Zuverlässig war es mit der Handschrift nicht anders, sie lag unter der Tatze des Bösen oder eines Kobolds ganz in der Nähe der Freunde; wenn man die Hand ausstreckte, war sie zu fassen; der Erwerb wurde nur noch durch ein Bedenken aufgehalten, durch die Frage: wo? Ob diese Verzögerung für beide Gelehrte die große oder kleine Frage peinlicher Tortur werden sollte, das allein war noch zweifelhaft. Indeß auch über diese Unsicherheit konnte man hinwegkommen; die Hauptsache war, daß die Handschrift selbst wirklich und vorhanden dalag. Und kurz, die Sache stand im Ganzen so gut als irgend möglich, es fehlte nur noch eben die Handschrift.
»Ich sehe,« sagte der Doctor dem Freunde, »du bist angestrengt beflissen, die Erwachsenen zu bilden, ich senke den Codex in die Seelen der nächsten Generation. Hans der älteste ist weit entfernt, die Auffassung des Vaters und der Schwester zu theilen, er zeigt Gemüth für den alten Schatz. Und wenn uns selbst nicht gelingt, die Entdeckung zu machen, er wird einmal die Hausmauer nicht schonen.«
Im Einvernehmen mit Hans nahm der Doctor ganz in der Stille seine Nachforschungen wieder auf. In ruhigen Stunden, wo der Landwirth arglos bei seiner Ernte umherritt und der Professor im Zimmer arbeitete oder in der Gaisblattlaube saß, strich der Doctor spionirend im Innern des Hauses. In dem Kittel eines Arbeiters, den Hans auf sein Zimmer gebracht hatte, durchforschte er die staubigen Höhen und Tiefen des Raumes. Und mehr als einmal erschreckte er die dienenden Frauen der Wirthschaft, wenn er plötzlich hinter einer alten Tonne des Kellers auftauchte, oder wenn er rittlings auf einem Balken des Dachstuhls dahinfuhr. Bei dem Milchkeller war für Anbau einer Eisgrube ein Loch gegraben, die Arbeiter hatten sich in der Mittagstunde entfernt und die Mamsell ging arglos in der Nähe der bloßgelegten Mauer vorüber. Da erblickte sie plötzlich einen Kopf ohne Leib, mit feurigen Augen und gesträubtem Haar, welcher langsam auf dem Erdboden dahinwandelte und hohnlachend das Gesicht auf sie zukehrte. Sie stieß einen gellenden Schrei aus und stürzte in die Küche, wo sie auf einem Schemel in Ohnmacht sank und erst durch vieles Zureden und Begießen mit Wasser zum Leben erweckt wurde. Beim Mittagessen war sie so verstört, daß sie jedermann auffiel, und da ergab sich endlich, daß der teuflische Kopf auf den Schultern ihres Tischnachbars saß, der heimlich in das Loch gestiegen war, um das Mauerwerk zu untersuchen.
Bei dieser Gelegenheit entdeckte der Doctor mit einiger Schadenfreude, daß das gastliche Dach, welches ihn und den Codex vor Regen schützte, über einem anerkannten Gespensterhause stand. Es spukte heftig in dem alten Bau, Geister wurden häufig gesehen und die Berichte gingen nur darin auseinander, ob es ein Mann in grauer Kutte, ein Kind in weißem Hemdchen oder ein Kater von der Größe eines Esels sei. Jedermann wußte, daß ab und zu ein unerklärliches Klopfen, Rasseln, Donnern und unsichtbares Steinwerfen stattfand, zuweilen war das ganze Ansehen des Landwirths und seiner Tochter nöthig, um den Ausbruch eines panischen Schreckens unter den Dienstboten zu verhindern. Auch die Freunde hörten in stiller Nacht unberechtigte Töne, Geächz, Gepolter und herausforderndes Geklopf an den Wänden. Diese Unarten des Hauses erklärte der Doctor zur Zufriedenheit des Landwirths aus seiner Theorie der alten Mauern. Er erläuterte, daß viele Geschlechter von Wieseln, Ratten und Mäusen den dicken Steinbau canalisirt und ein System von bedeckten Gängen und Burgen angelegt hatten. Deshalb wurde jedes gesellige Vergnügen und jede Zänkerei, welcher sich die Insassen der Mauer ergaben, durch dumpfes Getöse bemerkbar.
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