Aber in der Stille horchte der Doctor doch ärgerlich auf das geheime Rumoren seiner Wandnachbarn. Denn wenn diese so aufgeregt um den Codex herumtobten, drohten sie die spätere Arbeit der Wissenschaft sehr zu erschweren. Sooft er heftig knabbern hörte, mußte er denken, sie fressen wieder eine Zeile weg, jedenfalls wird eine Menge Conjecturen nöthig werden. Und es war nicht das Nagen allein, wodurch dies Mausevolk den Codex, der unter ihnen lag, verunzierte.

Aber für die große Geduld, welche in dieser Angelegenheit nöthig war, wurde der Doctor durch andere Entdeckungen entschädigt. Er beschränkte sich nicht auf Haus und Hof, sondern durchsuchte auch die Umgegend nach alten Volkserinnerungen, welche noch hie und da am Rocken der Spinnstuben hingen und sich um den Kochtopf alter Mütterchen kräuselten. Gleich am zweiten Tage machte er durch geheime Vermittelung der Taglöhnerfrau die Bekanntschaft einer Märchenerzählerin im nächsten Dorfe. Nachdem die liebe alte Frau den ersten Schreck vor dem Titel des Doctors und die Furcht überwunden hatte, er wolle ihr wegen unbefugter ärztlicher Praxis zu Leibe gehen, sang sie ihm mit zitternder Stimme die Liebeslieder ihrer Jugend und erzählte mehr, als der Hörer nachzuschreiben vermochte. Jeden Abend brachte der Doctor beschriebene Blätter nach Hause, sehr bald fand er in seiner Sammlung alle bekannten Charaktere unserer Volkssagen, einen wilden Jäger, einige Frau Hollen, drei weiße Fräulein, mehre Mönche, einen undeutlichen Nix, der in der Geschichte zwar als Handwerksbursche auftrat, aber ganz unleugbar ursprünglich ein Wassermann gewesen war, und zuletzt viele kleine Zwerge. Zuweilen begleitete ihn auf diesen Ausflügen Hans, der älteste, der den Doctor bei den Landleuten einführte und sich hütete, dem Vater und der Schwester über diese Jagdzüge eine Mittheilung zu gönnen. Nun ist allerdings möglich, daß hier und da ein Erdloch oder ein Brunnen im Felde ohne Berechtigung mit einem Geiste versehen wurde. Denn als die weisen Frauen des Dorfes merkten, wie sehr der Doctor sich über solche Mitteilungen freute, wurde in ihnen die uralte Erfindungskraft des Volkes aus langem Schlummer geweckt, und es kam ihnen so vor, als ob noch hie und da etwas von dem Geistervolk stecken müsse. Im Ganzen aber bewiesen beide Theile einander deutsche Treue und Gewissenhaftigkeit, und zuletzt war der Doctor auch kein Mann, den man leicht hintergehen konnte.

Als er einst von solchem Besuche nach dem Schloß zurückkehrte, begegnete er auf einsamem Fußpfad der Taglöhnerfrau. Sie sah sich vorsichtig um und gestand ihm endlich, wenn er sie nicht dem Gutsherrn verrathen wolle, so könne sie ihm wohl etwas mittheilen. Der Doctor gelobte unverbrüchliche Verschwiegenheit. Darauf erzählte die Frau, im Keller des Schlosses, auf der Seite gegen Morgen in der rechten Ecke sei ein Stein mit drei Kreuzen bezeichnet. Dahinter liege der Schatz. Das habe sie von ihrem Großvater gehört, und der habe es von seinem Vater, und dieser sei im Schloß in Diensten gewesen, und zu dessen Zeit hätte der damalige Oberamtmann den Schatz heben wollen; als sie aber deshalb in den Keller gingen, habe es einen fürchterlichen Knall und ein solches Getöse gegeben, daß sie entsetzt zurückgelaufen seien. Das aber mit dem Schatz sei sicher, denn sie habe den Stein selbst angefühlt, die Zeichen seien deutlich eingegraben. Jetzt sei der Weinkeller dort, der Stein durch ein Holzgestell verdeckt.

Der Doctor nahm diese Mittheilung mit Ruhe auf, beschloß aber, ganz für sich Nachforschungen anzustellen. Er sagte weder dem Professor noch seinem Hans ein Wort, lauerte aber auf eine Gelegenheit. Seine Vertraute trug den Wein, welcher unabänderlich vor dem Platz der Gäste stand, zuweilen selbst aus dem Keller und wieder zurück. Am nächsten Morgen folgte er ihr kühnlich, die Frau sprach kein Wort als er hinter ihr in den Verschlag trat, sondern wies scheu in eine Ecke der Wand. Der Doctor ergriff die Lampe, hob ein Dutzend Flaschen von ihrer Stelle und tastete an dem Gestein; es war ein großer behauener Stein mit drei Kreuzen. Er sah die Frau bedeutungsvoll an, – sie hat später im engsten Vertrauen erzählt, die gläsernen Schilde vor seinen Augen hätten in diesem Augenblick so schrecklich gegen die Lampe geleuchtet, daß ihr ganz angst geworden sei, – er aber ging schweigend herauf, entschlossen, die Entdeckung bei erster Gelegenheit gegen den Landwirth zu benutzen.

Doch die größte Ueberraschung stand dem Doctor noch bevor, seine stille Arbeit wurde durch den seligen Frater Tobias selbst unterstützt, ja durch das Lebensende dieses frommen Märtyrers gleichsam geweiht. Die Freunde stiegen nämlich nach Rossau hinab, von dem Landwirth, den ein Geschäft zur Stadt führte, begleitet. Der Landwirth führte die Freunde zum Bürgermeister und ersuchte diesen, den Herren, als zuverlässigen Männern, vorzulegen, was etwa in dem städtischen Bereich von alten Schriften vorhanden sei. Der Bürgermeister, ein ehrlicher Gerber, fuhr in seinen Rock und brachte die Gelehrten zunächst vor das alte Klostergebäude. Es war nicht viel daran zu sehen, ein neues Dach, innerer Umbau, nur die Mauern standen noch, kleine Beamte des Landesherrn wohnten in den Zellen. Ueber das Rathsarchiv stellte der Bürgermeister die Muthmaßung auf, daß wohl nicht viel darin sein werde, er empfahl die Herren in dieser Angelegenheit dem Stadtschreiber und ging selbst nach dem Schießhause, um sich nach schwerem Regierungsact eine Partie Solo anzuthun. Der Stadtschreiber neigte sich respectvoll vor seinen Collegen von der Feder, ergriff ein rostiges Schlüsselbund und öffnete das kleine Gewölbe des Rathhauses, wo alte Acten in dicker Staubhülle die Zeit erwarteten, in welcher ihr Stillleben unter dem Stampfer einer Papiermühle enden würde.